Index
E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §5Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision 1. der K J, und 2. der Z J, beide in G, beide vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2016, W144 2135974-1/5E und W144 2135976-1/5E, betreffend Zurückweisung von Anträgen auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung der Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberinnen stammen aus Afghanistan und sind Schwestern. Die gemeinsam mit ihren Kindern, ebenfalls afghanische Staatsangehörige, erfolgte Flucht führte sie letztlich bis nach Österreich, wo sie am 15. Februar 2016 sowohl für sich als auch ihre im Jahr 2014 (Sohn der Erstrevisionswerberin) sowie in den Jahren 2011 und 2007 (Töchter der Zweitrevisionswerberin) geborenen Kinder Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) stellten.
2 Sowohl das für die Bearbeitung dieser Anträge zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch das nach dessen Entscheidung von den Revisionswerberinnen mit Beschwerde angerufene Bundesverwaltungsgericht gingen davon aus, dass Kroatien für die Prüfung der Anträge aller Familienmitglieder zuständig sei.
Die Verwaltungsbehörde und ebenso das Verwaltungsgericht sahen die Angaben der Revisionswerberinnen zu ihrem Reiseweg und den Umständen ihrer Reise als glaubwürdig an. Zudem trafen sie Feststellungen zur aktuellen Lage in Kroatien und zu jener Situation, die sich während der „Massenfluchtbewegung auf der Balkanroute in den Jahren 2015 und 2016“ darbot.
3 Demnach reisten die Revisionswerberinnen mit ihren Kindern Mitte oder Ende Dezember 2015 aus ihrem Heimatland aus und gelangten unter Zuhilfenahme eines Schleppers zunächst über den Iran (Aufenthaltsdauer etwa ein Monat) und die Türkei (Aufenthaltsdauer etwa 20 Tage) bis nach Griechenland (Aufenthaltsdauer drei Tage). Die Zweitrevisionswerberin wurde von griechischen Polizeibeamten erkennungsdienstlich behandelt; ihre Fingerabdrücke wurden von Griechenland im Eurodac-System gespeichert.
4 Die Revisionswerberinnen, die ursprünglich nach Schweden gelangen wollten, reisten sodann mit ihren Kindern auf der sogenannten „Balkanroute“ über die Länder Mazedonien und Serbien bis nach Kroatien weiter. Dort angekommen fragten die Revisionswerberinnen nach einem Arzt, weil eine Tochter der Zweitrevisionswerberin zwischenzeitig an Fieber und Ausschlag am gesamten Körper erkrankt war. Ihnen wurde mitgeteilt, dass es keinen Arzt gäbe und sie schnell durchreisen sollten. Auch die Kleidung zu wechseln, wurde ihnen nicht erlaubt. Eine Stunde lang mussten sie auf einen Bus warten. Die Dauer des Aufenthalts in Kroatien betrug etwa einen Tag.
5 Dazu korrespondierend ergibt sich aus den weiteren Feststellungen, dass die Länder Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien entlang der „Balkanroute“ am 18. November 2015 begonnen hatten, den Strom der Migranten zu selektieren und nicht mehr alle Menschen über ihre Grenzen zu lassen. Lediglich aus Syrien, dem Irak und Afghanistan stammende Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als Flüchtling anzusehen waren, durften einreisen, jedoch keine „Wirtschaftsmigranten“. Mit Stand 3. Dezember 2015 betrug die Zahl der seit Beginn der „Migrationskrise“ nach Kroatien eingereisten Migranten 466.082. Allein am 3. Dezember 2015 trafen 2.197 Migranten von Serbien kommend in Kroatien ein. Die Zahl der bis zum 17. Jänner 2016 insgesamt in Kroatien eingereisten Migranten betrug 594.992. Täglich brachten drei Züge Migranten von Serbien (Sid) nach Kroatien (Slavonski Brod) und weiter nach Slowenien (Dobrova). Am 1. Jänner 2016 führte die kroatische Polizei ein Limit von 940 Personen pro von Sid abfahrendem Zug ein. Infolge dieser Limitierung reisten in der Folge alle 24 Stunden durchschnittlich etwa 3.600 Personen durch Kroatien. Wurde die Zahl der Limitierung überschritten, wurden Migranten entweder in Kroatien untergebracht oder mit Bussen zur slowenischen Grenze gebracht.
6 In weiterer Folge reisten die Revisionswerberinnen mit ihren Kindern durch Slowenien. Von der slowenischen Polizei wurde ihnen am 15. Februar 2016 nach Registrierung ein polizeiliches Dokument, in dem ihre Personaldaten festgehalten wurden, ausgestellt. Als Reiseziel war in diesen Dokumenten festgehalten: „NEMCIJA/DEU“ (demnach: Deutschland). Allerdings wurde im Dokument der Erstrevisionswerberin der Teilvermerk „DEU“ - nicht aber: „NEMCIJA“ - handschriftlich durchgestrichen und handschriftlich mit „AUT“ (offenkundig gemeint: Österreich) ersetzt.
7 Noch am 15. Februar 2016 stellten die Revisionswerberinnen nach ihrem Grenzübertritt in Österreich für sich und ihre Kinder die bereits erwähnten Anträge auf internationalen Schutz.
8 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte in der Folge Verfahrensschritte zur Bestimmung des nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaates. Zu diesem Zweck trat es zunächst unter Hinweis auf die von der slowenischen Polizei ausgestellten Dokumente mit einem auf Art. 34 Dublin III-Verordnung gestützten Informationsersuchen an die zuständige slowenische Behörde heran. Diese antwortete mit den Schreiben vom 22. März 2016 und 14. April 2016, dass die Revisionswerberinnen und ihre Kinder in Slowenien in keinem mit der Dublin III-Verordnung in relevantem Zusammenhang stehenden Grund registriert seien. Bei den Dokumenten handle es sich lediglich um solche der slowenischen Polizei, die während des „Massenzustromes“ im Rahmen der Registrierung jener Migranten, die vom festgelegten Grenzübergangspunkt des einen Mitgliedstaates zum anderen Mitgliedstaat durchgereist waren, ausgestellt worden seien. Die Revisionswerberinnen und ihre Kinder hätten von Kroatien kommend am 15. Februar 2016 die Grenze zwischen Slowenien und Kroatien in Metlika passiert.
9 Daraufhin ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben vom 16. April 2016 die zuständige kroatische Behörde um Aufnahme der Revisionswerberinnen und deren Kinder nach Art. 18 (Abs. 1 lit. a) Dublin III-Verordnung. Es sei aufgrund der von den Revisionswerberinnen angegebenen Reiseroute und der Ausführungen der slowenischen Behörde evident, dass die Revisionswerberinnen und ihre Kinder das Territorium der Mitgliedstaaten illegal über Kroatien betreten hätten. Kroatien sei daher für die Prüfung der Asylbegehren zuständig.
10 Die zuständige kroatische Behörde antwortete auf die Aufnahmeersuchen nicht. Daher teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dieser Behörde mit Schreiben vom 18. Juni 2016 mit, dass nunmehr nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung die Verantwortung für die Prüfung der gegenständlichen Asylbegehren unwiderruflich bei Kroatien liege.
11 Mit den Bescheiden vom 5. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und stellte fest, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung für die Prüfung der Anträge Kroatien zuständig sei. Unter einem ordnete die Behörde gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der Revisionswerberinnen und ihrer Kinder an. In einem weiteren Ausspruch stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zudem fest, dass die Abschiebung nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
12 In seiner Begründung ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon aus, dass die Revisionswerberinnen und ihre Kinder zunächst in Griechenland in das Territorium der Mitgliedstaaten eingereist seien. Sie hätten dann aber das Gebiet der Union wieder verlassen und seien in der Folge in Kroatien neuerlich in das Territorium der Mitgliedstaaten eingereist. Die Einreisen in Griechenland und Kroatien seien illegal gewesen. In Griechenland bestünden allerdings immer noch das Asylverfahren betreffende systemische Mängel. Daher sei in Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Kroatien als der zuständige Mitgliedstaat anzusehen.
13 Im Weiteren verneinte die Behörde im Hinblick auf ihre Feststellungen zur Situation in Kroatien das Vorliegen systemischer Mängel im kroatischen Asylsystem und gelangte zum Ergebnis, dass keine Gründe vorhanden seien, die befürchten ließen, es werde im Fall der Überstellung der Revisionswerberinnen und ihrer Kinder nach Kroatien zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRC kommen. Auch lägen - insbesondere unter Bedachtnahme auf die in Art. 8 EMRK und Art. 7 GRC verbrieften Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens - keine Gründe vor, wonach es geboten wäre, dass Österreich den Selbsteintritt im Sinn des Art. 17 Dublin III-Verordnung zu erklären hätte.
14 In ihren gegen die behördlichen Entscheidungen an das Bundesverwaltungsgericht erhobenen Beschwerden wendeten sich die Revisionswerberinnen in erster Linie gegen die Ansicht der Verwaltungsbehörde, es lägen keine systemischen Mängel im Vollzug des kroatischen Asylrechts vor. Sie bezweifelten, dass ihre Unterbringung und Versorgung gewährleistet seien. Auch seien die kroatischen Polizisten mit den Flüchtlingen „schlecht“ umgegangen. Diese seien sehr streng und unhöflich gewesen. Die Revisionswerberinnen und ihre Kinder hätten in der Kälte frieren müssen. Ihrer Krankheit sei keine Aufmerksamkeit geschenkt worden. Sie seien auch Zeugen von Misshandlungen von Flüchtlingen durch die kroatische Polizei geworden. Sie hätten in Kroatien keinen Antrag auf Asyl gestellt. Sie hätten aber „einen Fingerabdruck leisten“ müssen, damit ihnen erlaubt werde, wieder aus Kroatien auszureisen.
15 Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerden der Revisionswerberinnen und ihrer Kinder mit seinem Erkenntnis vom 10. Oktober 2016 ab. Das Verwaltungsgericht teilte im Wesentlichen die Erwägungen der Verwaltungsbehörde und führte aus, die Revisionswerberinnen und ihre Kinder seien zwar vor ihrer Einreise in Kroatien auch in Griechenland gewesen. Sie hätten aber dort keine Asylanträge gestellt und zudem mit ihrer Ausreise aus Griechenland das Gebiet der Union wieder verlassen. Die Rechtsansicht, dass im Fall von systemischen Mängeln im zunächst zuständigen Mitgliedstaat bei der weiteren Prüfung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung nur gegenüber Art. 13 Dublin III-Verordnung „nachrangige“ Kriterien herangezogen werden dürften, sei vom Verwaltungsgerichtshof bereits verworfen worden. Bei einer solchen Prüfung seien daher (unter Außerachtlassen jenes Mitgliedstaates, in dem systemische Mängel herrschen) für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates sämtliche Kriterien der Dublin III-Verordnung beachtlich.
16 Die Revisionswerberinnen und ihre Kinder seien - so das Verwaltungsgericht weiter - über die „Außengrenze“ von Serbien kommend in Kroatien eingereist, ohne über Einreisetitel zu verfügen. Als afghanische Staatsangehörige hätten sie aber ein Visum gebraucht. Die Einreise sei daher illegal erfolgt. Es gebe auch keine Hinweise dafür, dass die Zuständigkeit Kroatiens „erloschen“ sei, zumal auch die Einreise in Österreich ohne Einreisetitel und demnach auch hier illegal stattgefunden habe. Aus der Gestattung der Einreise trotz Fehlens der Voraussetzungen des Schengener Grenzkodex sei für die Revisionswerberinnen und ihre Kinder nichts zu gewinnen. Insbesondere könne aus dem Umstand, dass ihnen aus humanitären Gründen die Einreise über die Außengrenze von Serbien kommend in Kroatien gestattet worden sei, nicht abgeleitet werden, dass die Außengrenze nicht illegal überschritten worden wäre. Ebenso könne aus der Gestattung der Einreise in Österreich nicht gefolgert werden, dass Österreich allein damit schon den Selbsteintritt im Sinn des Art. 17 Dublin III-Verordnung erklärt habe.
17 Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:
19 In der (nur) von den Revisionswerberinnen (nicht aber ihren Kindern) an den Verwaltungsgerichtshof erhobenen Revision wird zur Zulässigkeit derselben vorgebracht, es müssten bei der Prüfung, welcher Mitgliedstaat zuständig sei, die besonderen Umstände der Einreise Beachtung finden. Die Gestattung der Einreise in sämtliche fallbezogen involvierte Mitgliedstaaten (Kroatien, Slowenien und Österreich) stütze sich auf die in Art. 6 Abs. 5 lit c der (neu kodifizierten) Verordnung (EU) 2016/399 vom 9. März 2016 (Schengener Grenzkodex) enthaltene humanitäre Klausel (aufgrund der Zeitpunkte der Grenzübertritte offenkundig gemeint: Art. 5 Abs. 4 lit. c der zum Zeitpunkt der jeweiligen Einreisen in Geltung gewesenen Verordnung (EG) 562/2006). Diese Bestimmung ermächtige die Mitgliedstaaten, Drittstaatangehörigen (unter Abstandnahme von der Erfüllung sonstiger Einreisevoraussetzungen) die Einreise zu gestatten. In den vorliegenden Fällen habe dies stattgefunden. Es seien humanitäre Erwägungen gewesen, die die Staaten zur damaligen Zeit dazu bewogen hätten, die Einreise von schutzsuchenden Menschen zuzulassen. Die entsprechende Verwaltungspraxis habe auch Eingang in eine als „Joint Statement“ bezeichnete „zwischenstaatliche Vereinbarung“ vom 18. Februar 2016 gefunden. Diese Vorgangsweise - insbesondere die konzertierte Gestattung der Durchreise durch manche Mitgliedstaaten zum Zweck der Asylantragstellung in einem anderen Mitgliedstaat - werfe die Frage auf, ob überhaupt noch von einer illegalen Einreise im Sinn des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung gesprochen werden könne. Vielmehr spreche aufgrund der besonderen Ereignisse mehr für die Heranziehung des Art. 14 Dublin III-Verordnung. Somit ergebe sich nach Art. 14 Abs. 2 dieser Verordnung in den gegenständlichen Fällen die Zuständigkeit Österreichs. Es sei aber auch die Ansicht des Verwaltungsgerichts zur fehlenden Maßgeblichkeit dieser Ereignisse für die Beurteilung nach Art. 17 Dublin III-Verordnung abzulehnen. Sollte nicht ohnedies schon aus anderen Gründen die Zuständigkeit Österreichs gegeben sein, so wäre jedenfalls davon auszugehen, dass Österreich durch die gewählte Vorgangsweise bereits „im Vorfeld“ seine Zuständigkeit zur Führung der Anträge auf internationalen Schutz anerkannt hätte, was dann auch für die Revisionswerberinnen gelte. Ungeachtet bisheriger Judikate des Verwaltungsgerichtshofes könne im Hinblick auf ein diese Fragen thematisierendes Vorabentscheidungsersuchen des slowenischen Obersten Gerichtshofes nicht länger von einer klaren unionsrechtlichen Rechtslage ausgegangen werden.
20 Die Revision ist im Sinn der Begründung für ihre Zulässigkeit zwecks Klarstellung der Rechtslage im Hinblick auf die jüngst ergangenen Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Sie ist aber nicht begründet.
21 § 5 AsylG 2005 sieht vor:
„Zuständigkeit eines anderen Staates
§ 5. (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.“
22 Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung lautet:
„Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.“
23 Der Verwaltungsgerichtshof ist aus Anlass des gegenständlichen Revisionsverfahrens mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH herangetreten und hat diesem mit Beschluss vom 14. Dezember 2016 diverse Fragen zum Verständnis der Regelungen der Dublin III-Verordnung, insbesondere deren Art. 13 Abs. 1, unterbreitet.
24 Mit dem Urteil vom 26. Juli 2017, C-646/16, hat der EuGH zu den vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Fragen wie folgt entschieden:
„1. Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, in Verbindung mit Art. 2 Buchst. m dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass kein ‚Visum‘ im Sinne von Art. 12 vorliegt, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Einreise der Drittstaatsangehörigen dulden, obwohl sie die im erstgenannten Mitgliedstaat grundsätzlich geforderten Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen.
2. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Einreise von den Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation geduldet wird, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat, dessen grundsätzlich geforderte Einreisevoraussetzungen sie nicht erfüllen, durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 13 Abs. 1 ‚illegal überschritten‘ hat.“
25 Das ebenfalls am 26. Juli 2017 gefällte Urteil des EuGH, C-490/16, mit dem über das in der Revision angesprochene Vorabentscheidungsersuchen des slowenischen Obersten Gerichtshofes entschieden wurde, enthält nachstehende Aussprüche:
„1. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung darauf berufen kann, dass das in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung aufgestellte Zuständigkeitskriterium des illegalen Überschreitens der Grenze eines Mitgliedstaats falsch angewandt worden sei.
2. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Einreise von den Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation geduldet wird, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat, dessen grundsätzlich geforderte Einreisevoraussetzungen sie nicht erfüllen, durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 13 Abs. 1 ‚illegal überschritten‘ hat.
3. Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 604/2013 ist in Verbindung mit ihrem Art. 7 Abs. 2 dahin auszulegen, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung keine Auswirkung auf den Ablauf der in Art. 13 Abs. 1 vorgesehenen Frist hat.
Art. 29 Abs. 1 und 2 der Verordnung ist dahin auszulegen, dass die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs impliziert, dass die in diesen Bestimmungen genannte Frist - auch wenn das angerufene Gericht beschlossen hat, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen - erst zu laufen beginnt, wenn die endgültige Entscheidung über den Rechtsbehelf ergangen ist, sofern der Rechtsbehelf gemäß Art. 27 Abs. 3 der Verordnung aufschiebende Wirkung hat.“
26 Aus den angeführten Urteilen des EuGH ergibt sich, dass die oben dargestellte Vorgangsweise der nationalen Behörden Kroatiens, Sloweniens und Österreichs weder zur Folge hatte, dass für die Revisionswerberinnen die Visumpflicht aufgehoben gewesen wäre (vgl. dazu Rn. 82 des zu C-646/16 ergangenen Urteils des EuGH), noch dass die Handlungsweise der Behörden als Visumerteilung anzusehen gewesen wäre. Vielmehr bleibt auch in einer Situation, wie sie zum Zeitpunkt der jeweiligen Grenzübertritte der Revisionswerberinnen gegeben war, Art. 13 Dublin III-Verordnung für die Beurteilung, welcher Mitgliedstaat für die Behandlung eines Begehrens auf internationalen Schutz zuständig ist, maßgeblich. Ein Drittstaatsangehöriger, der die in einem Mitgliedstaat grundsätzlich geforderten Einreisevoraussetzungen nicht erfüllt, dem aber die Einreise in dessen Hoheitsgebiet gestattet wird, damit er in einen anderen Mitgliedstaat weiterreisen und dort einen Antrag auf internationalen Schutz stellen kann, hat die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinn von Art. 13 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung „illegal überschritten“, unabhängig davon, ob das Überschreiten der Grenze geduldet, unter Verletzung der einschlägigen Vorschriften gestattet oder aus humanitären Gründen unter Abweichung von den für Drittstaatsangehörige grundsätzlich geltenden Einreisevoraussetzungen gestattet wird. Der Umstand, dass das Überschreiten der Grenze in einer Situation erfolgt ist, die durch die Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl internationalen Schutz begehrender Drittstaatsangehöriger gekennzeichnet war, kann keinen Einfluss auf die Auslegung oder die Anwendung dieser Bestimmung haben (vgl. Rn. 39 und 40 des Urteils des EuGH, C-490/16, mit näherem Hinweis auf sein zu C-646/16 gefälltes Urteil).
Der anderslautenden Ansicht der Revisionswerberinnen war somit nicht zu folgen (vgl. in diesem Sinn schon den hg. Beschluss vom 7. September 2016, Ra 2016/19/0160 und 0161).
27 Die Revisionswerberinnen haben sohin - ungeachtet des Verhaltens der kroatischen Behörden, die ihren Grenzübertritt duldeten - von Serbien, also einem Drittstaat, kommend die Grenze zu Kroatien illegal im Sinn des Art. 13 Dublin III-Verordnung überschritten. Dies führt nach dieser Bestimmung in den gegenständlichen Fällen zur Zuständigkeit Kroatiens zur Prüfung der (in Österreich gestellten) Anträge auf internationalen Schutz. Die danach erfolgten - gleichfalls von den Behörden geduldeten - Grenzübertritte von Kroatien nach Slowenien und von Slowenien nach Österreich ändern an der Zuständigkeit Kroatiens nichts.
28 Dafür, dass Österreich durch die im November 2015 gewählte „sicherheitsbehördliche Verwaltungspraxis“ von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Dublin III-Verordnung „bereits im Vorfeld“ Gebrauch gemacht hätte, ergeben sich keine Hinweise (vgl. dazu nochmals den bereits erwähnten Beschluss vom 7. September 2016).
29 Dass die Überstellung der Revisionswerberinnen nach Kroatien zu einer Verletzung ihrer aus Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC erfließenden Rechte führen würde, wird in den Revisionen nicht weiter behauptet (vgl. im Übrigen zum der Dublin III-Verordnung innewohnenden „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ zwischen den Mitgliedstaaten, zur „Sicherheitsvermutung“ nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 und dem Maßstab der Prüfung, ob die „Sicherheitsvermutung“ als widerlegt anzusehen ist, ausführlich das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2017, Ra 2016/01/0153, mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung des EuGH und EGMR).
30 Die Revision erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am 20. September 2017
Gerichtsentscheidung
EuGH 62016CJ0490 A. S. VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016190303.L00Im RIS seit
11.08.2021Zuletzt aktualisiert am
11.08.2021