TE Vwgh Beschluss 2021/7/19 Ra 2021/18/0088

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Veröffentlicht am 19.07.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §68 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des I M, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2021, W112 2163733-1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an. Er reiste im Jahr 2012 gemeinsam mit seiner Mutter in Österreich ein und stellte den ersten Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, von russischen Soldaten erstmals bereits im Jahr 2004 angegriffen und verletzt und danach fortwährend von russischen bzw. tschetschenischen Militär- bzw. Behördenorganen verfolgt bzw. gesucht worden zu sein. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom Mai 2013 ab und sprach die Ausweisung des Revisionswerbers in die Russische Föderation aus. Der Asylgerichtshof wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom August 2013 ab, wobei er davon ausging, dass zwar die behauptete Verwicklung des Revisionswerbers in einen Schusswechsel im Jahr 2004, nicht jedoch die darauf aufbauenden Elemente des Fluchtvorbringens glaubhaft seien.

2        Im Oktober 2013 erließ die Landespolizeidirektion Steiermark gegen den Revisionswerber ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Erkenntnis vom Mai 2014 ab.

3        Im März 2015 stellte der Revisionswerber seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, seine alten Fluchtgründe seien nach wie vor aufrecht. Hinzu komme, dass er im Wege seiner sich noch in Tschetschenien aufhaltenden Tante erfahren habe, dass die Behörden immer noch nach ihm und seiner Mutter suchen würden. An ihn und seine Mutter seien „im Jahr 2014“ Ladungen durch die tschetschenische Regierung ergangen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die gegen die Zurückweisung dieses Antrages durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wegen entschiedener Sache erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom Juni 2016 als unbegründet ab.

4        Am 20. September 2016 stellte der Revisionswerber den nunmehr maßgeblichen dritten Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, die Gründe des ersten Asylantrages würden aufrecht bleiben. Er werde nach wie vor von russischen Behörden gesucht. Während der Einvernahme vor dem BFA verwies der Revisionswerber auf die Ladungen, die „letztes Jahr“ an ihn und seine Mutter in Tschetschenien ergangen seien und die seine Tante nach Österreich übermittelt habe. Im Jahr 2016 habe er keine Ladungen mehr zugestellt erhalten. Es werde aber mündlich verbreitet, dass man ihn und seine Mutter „überall [...] in Russland sowie in Österreich“ finden werde.

5        Das BFA wies diesen Antrag mit Bescheid vom 25. Juni 2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

6        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Das BVwG stellte insbesondere fest, dass der Revisionswerber im Jahr 2004 in Tschetschenien in einen Schusswechsel geraten und schwer verletzt worden sei. Über das seit dem ersten Antrag auf internationalen Schutz aufrecht erhaltene Vorbringen, der Revisionswerber werde seither von den russischen Behörden gesucht, sei bereits im ersten Asylverfahren rechtskräftig entschieden worden. Die Gründe, weshalb nach dem Revisionswerber und seiner Mutter gesucht werde, seien nicht als glaubhaft erachtet worden. Über die vorgelegten Ladungen sei bereits im ersten Folgeantragsverfahren rechtskräftig entschieden worden. Sie stellten für sich keine neue Sache dar, sondern dienten der Untermauerung der bereits früher behaupteten Verfolgung. Seit 2016 habe es zudem keine Ladungen mehr gegeben. Die Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers sei stabil. Sie habe sich im Vergleich zur Sachentscheidung im ersten Asylverfahren weder allgemein, noch im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Revisionswerbers verschlechtert.

8        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es als „Vergleichsbescheid“ (also zur Bestimmung der „Sache“, über die bereits entschieden worden sei) nicht jenen Bescheid herangezogen habe, mit welchem zuletzt in der Sache entschieden worden sei, sondern den Bescheid, mit dem der erste Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden sei. Der Revisionswerber habe bereits im ersten Folgeantrag auf die Ladungen durch tschetschenische Behörden verwiesen. Mit Nachreichung vom 8. Februar 2018 habe das BFA die deutsche Übersetzung dieser Ladungen samt Untersuchungsberichten an das BVwG übermittelt. Hätte sich das BVwG mit diesen Ladungen auseinandergesetzt und Erwägungen zu deren Echtheit angestellt, hätte es - so die Revision - feststellen müssen, dass nach dem Revisionswerber gesucht werde. Es hätte überprüfen müssen, ob die vorgelegten Ladungen einen glaubhaften Kern aufweisen. Zudem hätte das BFA in seinem Bescheid das Tschetschenien Update der „SFH“ (gemeint: Schweizer Flüchtlingshilfe) vom 13. Mai 2016 berücksichtigen müssen, wonach staatliche Unterdrückung in Tschetschenien in hohem Maß vorhanden sei, auch Personen mit niedrigem Profil wegen Kritik an Kadyrow oder Putin gefährdet seien und dem Revisionswerber keine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe.

9        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       Dem Revisionsvorbringen, das BVwG habe das Vorliegen von entschiedener Sache zu Unrecht am - mit der Entscheidung des BVwG aus dem Juni 2016 bestätigten - Bescheid, mit dem der erste Folgeantrag zurückgewiesen worden war, als „Vergleichsbescheid“ gemessen, ist einzuräumen, dass nach der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0329, mwN) als Vergleichsbescheid jene Entscheidung heranzuziehen ist, mit der zuletzt in der Sache entschieden - und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen - wurde.

14       Das BVwG hat in der angefochtenen Entscheidung zwar die Zurückweisung eines ersten Folgeantrages, im Zuge dessen bereits an den Revisionswerber und seine Mutter gerichtete Ladungen durch tschetschenische Behörden vorgelegt worden waren, in der vorliegenden Entscheidung erwähnt. Allerdings begründete das BVwG das Vorliegen entschiedener Sache nicht (bloß) mit dem - angesichts der erwähnten hg. Rechtsprechung nicht hinreichenden - Argument, dass über diese Ladungen bereits mit der Zurückweisung des ersten Folgeantrages (bestätigt durch das Erkenntnis des BVwG vom 9. Juni 2016) abgesprochen worden sei, sondern insbesondere (auch) damit, dass der Revisionswerber nach seinem eigenen Vorbringen seit dem Jahr 2016 keine neuerlichen Ladungen erhalten habe und auf der Grundlage des Antragsvorbringens insgesamt nicht erkannt werden könne, dass der Revisionswerber, der seit Jahren keine Ladungen mehr erhalte, von den Behörden gesucht werden sollte.

15       Damit ist das BVwG der Anforderung zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist, im Ergebnis gerecht geworden:

16       Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 11.3.2021, Ra 2021/18/0059, mwN).

17       Werden neue (für den internationalen Schutz relevante) Geschehnisse geltend gemacht, die sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, ist es nicht rechtens, die Prüfung dieses geänderten Vorbringens bloß unter Hinweis darauf abzulehnen, dass es auf dem nicht geglaubten Fluchtvorbringen des ersten Asylverfahrens fuße. Das neue Vorbringen muss vielmehr daraufhin geprüft werden, ob es einen „glaubhaften Kern“ im Sinne der dargestellten Rechtsprechung aufweist (VwGH 31.8.2020, Ra 2020/18/0102, mwN).

18       Im vorliegenden Fall hat das BVwG zumindest implizit einen solchen relevanten „glaubhaften Kern“ einer behaupteten Sachverhaltsänderung - und zwar gegenüber der Lage zum Zeitpunkt der Sachentscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz - in letztlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Das Revisionsvorbringen, das BVwG hätte von der Echtheit der Ladungen ausgehen müssen, übersieht, dass das BVwG seine Entscheidung überhaupt nicht darauf stützte, dass die Ladungen gefälscht sein könnten, sondern - wie erwähnt - auf den Umstand, dass jedenfalls seit dem Jahr 2016 keine Ladungen mehr ergangen seien und insgesamt kein relevantes neues Vorbringen mit glaubhaftem Kern vorliege. Dass diese Prüfung fehlerhaft erfolgt wäre, zeigt die Revision nicht hinreichend auf.

19       Auch mit dem pauschalen Vorbringen, das BFA hätte einen Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe zur Lage in Tschetschenien in seine Entscheidung miteinbeziehen müssen, gelingt es der Revision nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen, weil damit nicht dargelegt wird, dass sich aus einer zwischenzeitigen Änderung der allgemeinen Lage in der Herkunftsregion des Revisionswerbers für die Beurteilung des Antrages auf internationalen Schutz eine vom BVwG nicht beachtete, relevante Änderung im Sinne der dargelegten Rechtsprechung ergeben hätte, zumal das BVwG festgestellt hat, dass sich der Revisionswerber auch in Moskau, wo er vor seiner Ausreise medizinisch behandelt worden sei, ohne Gefahr einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ansiedeln könne.

20       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Juli 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180088.L00

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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