TE Vwgh Erkenntnis 2021/7/21 Ra 2021/02/0049

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.07.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §50

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/02/0050
Ra 2021/02/0051
Ra 2021/02/0052

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revisionen 1. der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen (protokolliert zu hg. Ra 2021/02/0049 bis 0051) und 2. des Bundesministers für Arbeit (protokolliert zu hg. Ra 2021/02/0052) gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 18. Jänner 2021, LVwG-S-1409/001-2020, LVwG-S-1410/001-2020 und LVwG-S-1412/001-2020, betreffend Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei: S in W, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Dem unbestrittenen Akteninhalt und den dahin übereinstimmenden Vorbringen der Parteien folgend wurde der Mitbeteiligte gemäß § 9 Abs. 2 VStG als verantwortlicher Beauftragter für drei Unternehmen, die sich zu einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) für ein Bauprojekt zusammengeschlossen haben, bestellt.

2        Mit drei im Wesentlichen gleichlautenden Straferkenntnissen der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft vom 19. Mai 2020 sowie vom 4. Juni 2020 wurde dem Mitbeteiligten als gemäß § 9 Abs. 2 VStG bestellter verantwortlicher Beauftragter für jedes der drei Unternehmen der ARGE angelastet, er habe es jeweils zu verantworten, dass das jeweilige Unternehmen als Arbeitgeberin nicht dafür gesorgt habe, dass 1. bei der Benutzung von Arbeitsmitteln die für die Arbeitsmittel geltenden Bedienungsanleitungen eingehalten worden seien und 2. eine entsprechende Unterweisung zur Einhaltung der Betriebsanleitung nicht erteilt worden sei. Es sei bei der Wartung einer Hydraulikanlage entgegen der Betriebsanleitung der Bohrarm nicht abgestützt gewesen. Dieser sei hinuntergefallen und habe dabei zwei Arbeitnehmer teils schwer verletzt. Der Mitbeteiligte habe dadurch jeweils § 35 Abs. 1 Z 2 iVm § 130 Abs. 1 Z 16 Arbeitnehmerinnenschutzgesetz (ASchG) iVm § 9 VStG und § 5 Abs. 5 iVm § 5 Abs. 6 Arbeitsmittel-Verordnung iVm § 14 und § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG iVm § 9 VStG verletzt, weshalb über ihn gemäß § 130 Abs. 1 ASchG (jeweils) zwei Geldstrafen idHv € 2.000,-- (Nichteinhaltung der Betriebsanleitung) und € 830,-- (Fehlende Unterweisung) verhängt wurden.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht den Beschwerden des Mitbeteiligten - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - dahingehend Folge, dass die Straferkenntnisse „aufgehoben“ wurden. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4        In seiner Begründung traf das Verwaltungsgericht Feststellungen zu der ARGE, zur Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten und zum Unfallhergang, wonach zwei Arbeitnehmer - unterschiedlich schwer - verletzt worden seien. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Behörde entgegen § 22 VStG für beide Arbeitnehmer je Übertretung eine Gesamtstrafe verhängt habe. Dies sei rechtswidrig, weil bei mehreren Arbeitnehmern auch mehrere Einzelstrafen zu verhängen gewesen wären. Das Verwaltungsgericht könne aus der Begründung der Straferkenntnisse nicht ableiten, wie sich die Strafbeträge auf die Arbeitnehmer verteilen sollten und auch nicht überprüfen, ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt habe. Das Verwaltungsgericht könne die Gesamtstrafe nicht selbst aufteilen, ohne gegen das Verbot der „reformatio in peius“ zu verstoßen. Eine Hälfteteilung sei aufgrund der unterschiedlichen Folgen (Verletzungen) ausgeschlossen. Die Straferkenntnisse seien daher aufzuheben gewesen.

5        Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden Amtsrevisionen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

6        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf kostenpflichtige Sachentscheidung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revisionen wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

7        In ihren Revisionen bringen die revisionswerbenden Amtsparteien im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht weiche von § 50 VwGVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es die Straferkenntnisse aufgehoben habe. Vielmehr wäre das Verwaltungsgericht angehalten gewesen, selbst eine Sachentscheidung zu treffen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen sei.

8        Die Revisionen sind zulässig und begründet.

9        Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

10       Während § 28 VwGVG unter engen Voraussetzungen dem Verwaltungsgericht erlaubt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen, anstatt selbst die Sachentscheidung zu treffen, verpflichtet § 50 VwGVG das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist), über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden. § 50 VwGVG ist Teil des mit „Verfahren in Verwaltungsstrafsachen“ überschriebenen 2. Abschnitts des 3. Hauptstücks („Besondere Bestimmungen“) des VwGVG und demnach in Verwaltungsstrafsachen anzuwenden (etwa VwGH 11.9.2019, Ra 2019/02/0094, mwN).

11       Indem das Verwaltungsgericht im Revisionsfall die bei ihm angefochtenen Straferkenntnisse „aufgehoben“ und keine Sachentscheidung getroffen hat (Schuldspruch oder Einstellung des Verfahrens), hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

12       Auch die für die „Aufhebung“ tragende Begründung im angefochtenen Erkenntnis erweist sich als rechtswidrig, weil der richtigstellenden Anlastung des Verhaltens als Begehung mehrerer Verwaltungsübertretungen und der entsprechenden Richtigstellung des Strafausspruchs durch das Verwaltungsgericht nichts entgegensteht (VwGH 5.9.2018, Ra 2018/11/0144, mwN).

13       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 21. Juli 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021020049.L00

Im RIS seit

16.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten