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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des A A in B, vertreten durch Mag. Michael Luszczak, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Grazer Straße 77/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. September 2020, I405 2001652-3/3E, betreffend Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung und Nebenaussprüche (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis vom 16. April 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers, eines algerischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 2. Jänner 2014 im Beschwerdeverfahren zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen fest.
2 Am 10. September 2019 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
3 Mit dem - im zweiten Rechtsgang erlassenen - Bescheid vom 23. Juli 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 ab, erließ gemäß § 10 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Algerien gemäß § 46 FPG zulässig sei, und gewährte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. September 2020 - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab. Die ordentliche Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Das Verwaltungsgericht stellte - soweit für den Revisionsfall relevant - fest, der seit ca. sechseinhalb Jahren im Bundesgebiet aufhältige Revisionswerber habe Deutschkenntnisse (auf dem Niveau A2) erworben und bei näher genannten Organisationen ehrenamtlich gearbeitet. Er habe sich einen Freundeskreis zugelegt und führe seit Februar 2020 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Seit August 2020, sohin seit zwei Monaten, lebe er mit seiner Partnerin und deren Sohn zusammen. Er habe weder an beruflichen Weiterbildungen teilgenommen noch sei er am Arbeitsmarkt integriert; ein vorgelegter Arbeitsvorvertrag enthalte weder ein Ausstellungsdatum noch die Personaldaten des Revisionswerbers.
In seinen rechtlichen Erwägungen hielt das Verwaltungsgericht fest, es sei zu prüfen, ob der Aufenthalt des Revisionswerbers zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten wäre. Auf Grund der Dauer von wenigen Monaten und des erst seit knapp zwei Monaten bestehenden gemeinsamen Haushaltes sei die Beziehung nicht als hinreichend intensiv und daher nicht als Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu qualifizieren. Es sei daher kein besonders schwerwiegender Eingriff in ein von Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben anzunehmen. Zudem könne der Kontakt zu seiner Lebensgefährtin über moderne Kommunikationsmittel oder durch Besuche aufrechterhalten werden. Die Dauer des Inlandsaufenthaltes werde dadurch relativiert, dass der Aufenthalt nur auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht verkannte nicht, dass der Revisionswerber Integrationsschritte gesetzt habe (Deutschkenntnisse, ehrenamtliche Tätigkeit, Freundeskreis, Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin). Allerdings seien die integrationsbegründenden Schritte zu einem Zeitpunkt gesetzt worden, zu dem sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen; das Gewicht seiner privaten Interessen sei dadurch gemindert. Zudem sei nach wie vor von Bindungen des Revisionswerbers zu seinem Heimatstaat auszugehen. Im Ergebnis würden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen überwiegen und es liege - auch unter Berücksichtigung der genannten Integrationsschritte des Revisionswerbers - kein ungerechtfertigter Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben vor.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird. Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (vgl. VwGH 9.9.2020, Ra 2020/22/0066, Rn. 10 f).
8 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (siehe erneut VwGH Ra 2020/22/0066, Rn. 14).
9 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei von der „Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, bzw. liegt keine Judikatur desselben vor, als angesichts der herrschenden Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen Flugreisen nicht möglich sind und die Telekommunikation nicht das Bedürfnis nach persönlicher Nähe im Hinblick auf das Privatleben gemäß Art. 8 EMRK ersetzt“.
Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bekämpft werden (vgl. VwGH 3.2.2021, Ra 2021/22/0019, Rn. 6, mwN).
11 Das Verwaltungsgericht setzte sich im vorliegenden Fall mit der Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Lebensgefährtin auseinander und kam unter Berücksichtigung der kurzen Dauer der Beziehung, aus der keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen sind, sowie des Umstandes, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte - wie vorliegend - in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 7.5.2021, Ra 2021/19/0124, Rn. 10, mwN), zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass die Beziehung keine derartige Intensität aufweist, um von einem Eingriff in ein von Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben ausgehen zu können. Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung auch nicht zugrunde, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes durch moderne Kommunikationsmittel das Bedürfnis nach persönlicher Nähe ersetze, sondern dieser Aspekt fand - in dem Grunde nach nicht zu beanstandender Weise - als einer von mehreren Umständen in der Interessenabwägung Berücksichtigung. Soweit der Revisionswerber vorbringt, Flugreisen seien aufgrund der mit der Pandemie verbundenen Einschränkungen nicht möglich, ist dem entgegenzuhalten, dass mit dem Hinweis auf allfällige faktische - zudem zeitlich befristete - Schwierigkeiten hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Kontaktes durch Besuche für sich genommen eine Unvertretbarkeit der fallbezogen vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Interessenabwägung nicht aufgezeigt wird.
12 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 22. Juli 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220220.L00Im RIS seit
12.08.2021Zuletzt aktualisiert am
13.09.2021