TE Vwgh Erkenntnis 2021/7/23 Ra 2018/22/0111

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Veröffentlicht am 23.07.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13 Abs7
AVG §58 Abs2 implizit
AVG §60 implizit
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 4. April 2018, VGW-151/011/3817/2018-2, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: K P, vertreten durch die Dietrich Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Operngasse 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1. Die Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika, stellte am 23. Juni 2017 einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gemäß § 63 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

2.1. Der Landeshauptmann von Wien (Revisionswerber) wies den Antrag mit Bescheid vom 26. Februar 2018 ab. Die Mitbeteiligte habe - so die wesentliche Begründung - das Vorliegen einer alle Risiken abdeckenden in Österreich leistungspflichtigen Krankenversicherung nicht nachgewiesen. Die bestehende (auch urkundlich bescheinigte) Krankenversicherung bei der A Versicherung entspreche nicht den Vorgaben. Die Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG sei daher nicht erfüllt.

2.2. Die Mitbeteiligte erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, sie habe am 8. Februar 2018 eine private Krankenversicherung bei der A Versicherung abgeschlossen. Am Tag darauf sei der Vertrag - wie aus der unter einem vorgelegten Zusatzerklärung hervorgehe - dahin abgeändert worden, dass die Versicherung auf unbestimmte Zeit und auf alle Risiken erweitert werde.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 4. April 2018 gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge und erteilte der Mitbeteiligten die beantragte Aufenthaltsbewilligung gemäß § 63 Abs. 1 NAG für die Dauer eines Jahres.

3.2. In den Entscheidungsgründen machte das Verwaltungsgericht zunächst kurze Ausführungen zum Verfahrensgang. Sodann hielt es unter der Überschrift „Das Verwaltungsgericht Wien hat auf Basis des Akteninhaltes zu Recht erkannt“ fest:

Vorweg ist auszusprechen, dass die Nichtbeachtung wesentlicher Beweisergebnisse einen Bescheid mit Aktenwidrigkeit belastet. Da gegenständlich entgegen des Akteninhaltes die ordnungsgemäße Versicherungsurkunde nicht berücksichtigt wurde, nimmt das erkennende Gericht aus temporären Rücksichten von einer Zurückverweisung Abstand und führt einen meritorischen Abspruch unmittelbar herbei:

Die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitel für den Zweck Schüler sind vollständig erfüllt, der einzige vom Landeshauptmann relevierte Abweisungsgrund findet im Akt keine Deckung, da die am 8. Februar 2018 nachgereichte, korrigierte und verbesserte Versicherungsurkunde der A [...] Versicherung, Blatt [...] vom Landeshauptmann aktenwidrigerweise nicht berücksichtigt wurde. Diese Versicherungsurkunde bietet jedoch im Sinne der begründeten und zulässigen Beschwerdeausführungen, auch im Sinne des vom Landeshauptmann zitierten oberstgerichtlichen Urteils, einen umfassenden Versicherungsschutz.

3.3. In weiterer Folge führte das Verwaltungsgericht aus:

Beweiswürdigend ist auf den Akteninhalt, Seite [...] zu verweisen, worin ein Versicherungsschutz der A [...] Versicherungsgesellschaft mit umfassendem, alle Risiken abdeckendem Krankenversicherungsschutz vorliegt. Der Landeshauptmann gab keine Gründe bekannt, warum er diesen bereits vor Bescheiderlassung einliegenden Aktenbestandteil unberücksichtigt ließ. Auch gegenteilige Ausführungen des Landeshauptmannes wurden nicht erstattet. Die übrigen Parameter wurden vom Landeshauptmann nicht beanstandet und stoßen auch beim erkennenden Gericht auf keine Bedenken. Bereits im Zuge der Einreichung wurde ein Wohnungsnachweis, persönliche Dokumente und Nachweis finanzieller Mittel sowie ein allfällige Vorstrafen ausschließender Strafregisterauszug vorgelegt [...] Die ordnungsgemäße Inskription an der V [...] School, Blatt [...] ist Grundlage der besonderen Erteilungsvoraussetzungen. Auch dagegen finden sich vom Landeshauptmann keinerlei Einwände oder abweisende Beweggründe. Ein die Beurteilung des Landeshauptmannes zusammenfassendes Entscheidungsprotokoll findet sich im Akt nicht“.

3.4. Unter der Überschrift „Rechtliche Subsumption“ gab das Verwaltungsgericht zunächst § 63 sowie § 11 Abs. 1 und 2 NAG wieder und führte sodann aus:

Da im Sinne der Sachverhaltsfeststellung alle Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind, vermochte die anwaltliche Vertretung mit ihrem Beschwerdevorbringen durchzudringen. Das erkennende Gericht hegt keine Zweifel, dass die zufolge der eingereichten Unterlagen (per 23.6.2017) nunmehr vom 17. Mai 2017 datierende Schul-Inskriptionsbestätigung aufgrund der diplomatischen Legitimation der Eltern der Beschwerdeführerin auch für den nunmehr (etwa per Mai 2018) erteilten Aufenthaltstitel problemlos übergeleitet werden kann.

3.5. Zuletzt stellte das Verwaltungsgericht Erwägungen über die Gründe für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung an. Ferner sprach es aus, dass die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts, hilfsweise Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende - außerordentliche Revision mit einem Aufhebungsantrag.

Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit der Revision - unter anderem - aus, das Verwaltungsgericht habe keine Feststellungen getroffen bzw. keine Erwägungen angestellt, ob sämtliche Erteilungsvoraussetzungen im Entscheidungszeitpunkt erfüllt gewesen seien. So habe es nicht ermittelt, ob die Bestätigung über die Schulaufnahme ab August 2017 im Entscheidungszeitpunkt noch aufrecht gewesen sei (der Hinweis auf die „Überleitung“ auf den Entscheidungszeitpunkt aufgrund der diplomatischen Legitimation der Eltern sei ungenügend). Weiters habe es keine Feststellungen getroffen, inwiefern die jedenfalls seit Dezember 2017 im Bundesgebiet aufhältige Mitbeteiligte im Entscheidungszeitpunkt die Dauer des sichtvermerksfreien Aufenthalts überschritten habe. Ferner habe es keine Feststellungen getroffen, inwieweit die Mitbeteiligte - angesichts der Befristung des Mietvertrags und der Wohnrechtsvereinbarung ohne Verlängerungsoption bis August 2018 - Anspruch auf eine ortsübliche Unterkunft für die Dauer des Aufenthaltstitels gehabt habe.

4.2. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit einem Zurückweisungsantrag. Sie werde - auf Grund der weiteren Betreibung ihres Studiums in den USA - die Rechte aus dem erteilten Aufenthaltstitel nicht mehr in Anspruch nehmen und die Berechtigungskarte nach Aufforderung postalisch retournieren. Es erübrige sich daher, auf die Revision näher einzugehen, der Revionswerber sei als klaglos gestellt und die Revision als gegenstandslos zu erachten.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision, in der der Revisionswerber insbesondere auch das Vorliegen erheblicher Begründungsmängel geltend macht, ist zulässig und begründet.

6.1. Was zunächst das Vorbringen in der Revisionsbeantwortung betrifft, die Mitbeteiligte werde ihre Rechte aus dem erteilten Aufenthaltstitel nicht mehr in Anspruch nehmen und die Berechtigungskarte nach Aufforderung postalisch retournieren, so ist Folgendes festzuhalten:

Die Zurückziehung eines Anbringens im Sinn des § 13 Abs. 7 AVG ist (nur) so lange zulässig, als das Anbringen noch unerledigt ist. Das bedeutet für Fälle, in denen ein Antrag auf Einleitung eines mit Bescheid abzuschließenden Verfahrens gerichtet ist, dass eine Antragszurückziehung bis zur Bescheiderlassung, im Fall einer Berufung bis zum Berufungsbescheid, möglich ist. Diese zum Berufungsverfahren vor den Verwaltungsbehörden ergangene Rechtsprechung ist auf das Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten zu übertragen (VwGH 16.8.2017, Ro 2017/22/0005).

Im Hinblick darauf kommt eine Antragszurückziehung - nach Erteilung des Aufenthaltstitels durch das Verwaltungsgericht - im Revisionsverfahren nicht (mehr) in Betracht. Fallbezogen ist es der Mitbeteiligten jedoch - auf Grund der vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis ausgesprochenen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht - unbenommen, den Antrag allenfalls im fortgesetzten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zurückzuziehen.

6.2. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass - soweit die Mitbeteiligte die Gegenstandsloserklärung der Revision und die Verfahrenseinstellung gemäß § 33 Abs. 1 VwGG anregt - auch nicht zu sehen ist, inwiefern allein durch die von der Mitbeteiligten bekundete Absicht, sie werde ihre Rechte aus dem erteilten Aufenthaltstitel nicht mehr in Anspruch nehmen und die Berechtigungskarte nach Aufforderung retournieren, das rechtliche Interesse des Revisionswerbers an einer Sachentscheidung über die gegenständliche Revision weggefallen wäre.

7.1. Was die dem angefochtenen Erkenntnis anhaftenden Begründungsmängel anbelangt, so vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 VwGVG jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (VwGH 27.1.2017, Ra 2015/03/0059).

7.2. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige - eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche - konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, infolge derer bei Vorliegen widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung gerade jener Sachverhalt festgestellt wurde, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben (VwGH 9.8.2018, Ra 2016/22/0104).

Lässt eine Entscheidung die notwendigen Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei im Wege einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (VwGH 12.3.2020, Ra 2017/22/0137).

8.1. Vorliegend wird das angefochtene Erkenntnis den soeben aufgezeigten Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung nicht gerecht, lässt die Entscheidung doch eine Ausführung der notwendigen Begründungselemente vermissen.

8.2. In erster Linie fehlt es an den - mit Blick auf die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des 1. Teils des NAG sowie die besonderen Erteilungsvoraussetzungen der § 63 Abs. 1 NAG gebotenen - Tatsachenfeststellungen.

Die erforderlichen Feststellungen finden sich insbesondere nicht in den Ausführungen unter der Überschrift „Das Verwaltungsgericht Wien hat auf Basis des Akteninhaltes zu Recht erkannt“ (vgl. oben Punkt 3.2.), bei denen es sich ausschließlich um rechtliche Erörterungen handelt.

In den Ausführungen mit der Einleitung „Beweiswürdigend ist (...)“ (vgl. oben Punkt 3.3.) sind zwar - neben beweiswürdigenden und rechtlichen Erwägungen - auch vereinzelte Hinweise auf Tatsachenannahmen des Verwaltungsgerichts (etwa das Vorliegen einer Wohngelegenheit, einer alle Risiken abdeckenden Krankenversicherung, einer ordnungsgemäßen Inskription und finanzieller Mittel) zu erkennen. Allerdings sind die betreffenden Erörterungen nur ganz allgemein bzw. pauschal und nicht hinreichend konkret gehalten (so fehlen etwa Konstatierungen über die hinreichende Beschaffenheit der Wohngelegenheit, über das Vorliegen eines entsprechenden Versicherungsschutzes für die gesamte Dauer des beantragten Aufenthaltstitels, über eine mit Blick auf die ASVG-Richtsätze hinreichende Höhe der verfügbaren Unterhaltsmittel, über das Vorliegen einer im Entscheidungszeitpunkt noch aktuellen Schulaufnahme etc.). Zudem sind jegliche Feststellungen zu den sonstigen (positiven wie negativen) Erteilungsvoraussetzungen zu vermissen.

Auch die weiteren Ausführungen unter der Überschrift „Rechtliche Subsumption“ (vgl. oben Punkt 3.4.) lassen keinerlei Tatsachenfeststellungen erkennen, sondern beschränken sich auf beweiswürdigende und rechtliche Erwägungen.

8.3. Mit dem Fehlen der gebotenen Tatsachenfeststellungen geht zwangsläufig auch das Fehlen einer nachvollziehbaren Würdigung der aufgenommenen Beweise und einer dementsprechenden Darstellung der rechtlichen Erwägungen einher (VwGH 10.6.2021, Ra 2018/22/0189).

9. Aus den dargelegten Erwägungen erfüllt die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses daher nicht die Anforderungen an eine rechtsstaatliche Entscheidung und beeinträchtigt die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof, sodass die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung unumgänglich ist (neuerlich VwGH Ra 2016/22/0104).

Das angefochtene Erkenntnis war deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

10. Mit Blick auf das fortgesetzte Verfahren ist - zumal das Verwaltungsgericht erkennbar davon ausgeht, dass es nur die im behördlichen Verfahren beanstandeten Erteilungsvoraussetzungen näher zu prüfen habe - auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinzuweisen, wonach das Verwaltungsgericht vor Erteilung eines Aufenthaltstitels das Vorliegen sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen hat, nicht nur jener, die im behördlichen Verfahren als nicht vorliegend erachtet wurden (vgl. VwGH 28.5.2019, Ra 2018/22/0066).

Wien, am 23. Juli 2021

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018220111.L00

Im RIS seit

16.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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