Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse, 1050 Wien, Kliebergasse 1A, vertreten durch Mag. Vera Noss, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wegen 501.651,03 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. März 2021, GZ 9 Ra 20/21h-27, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die Bestimmungen des Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetzes (BUAG) gelten ua für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen und die in Betrieben (Unternehmungen) gemäß § 2 BUAG beschäftigt werden (§ 1 Abs 1 Satz 1 BUAG). Für den Sachbereich Urlaub sind Betriebe (Unternehmungen) im Sinne des § 1 BUAG ua Maurermeisterbetriebe und Bauunternehmungen (§ 2 Abs 1 lit a BUAG) sowie Spezialbetriebe, die Tätigkeiten verrichten, die ihrer Art nach in den Tätigkeitsbereich eines solchen Betriebs fallen (§ 2 Abs 1 lit g BUAG). Betriebe (Unternehmungen) nach § 2 Abs 1 BUAG sind auch solche, die in Form eines Industriebetriebs betrieben werden (§ 2 Abs 3 BUAG).
[2] 2. Nach der Entscheidung 9 ObA 120/14h sind für die Beurteilung, ob ein konkreter Betrieb unter einen in § 2 BUAG genannten Betrieb (Unternehmung) und damit in den Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 BUAG (hier iVm § 33d Abs 1 BUAG) fällt, folgende Grundsätze zu berücksichtigen:
[3] 2.1. Grundanliegen des BUAG ist es, Bauarbeitern trotz der in der Baubranche typischerweise saisonalen Beschäftigungsunterbrechungen den Erwerb eines Anspruchs auf Urlaub und auf Abfertigung zu ermöglichen, den sie mangels ununterbrochener Beschäftigungsdauer nach den allgemeinen Vorschriften nicht erreichen könnten (vgl RS0052432). Die Aufzählung des § 2 Abs 1 BUAG ist taxativ, sie soll nicht zur Einbeziehung solcher Betriebe führen, die selbst bei einem weiten Begriffsverständnis der aufgelisteten Betriebe von der Aufzählung nicht erfasst werden.
[4] 2.2. Der Begriff „Bauwirtschaft“ beschränkt sich nicht auf Bauunternehmen im engeren Sinn; er ist bei der gebotenen Zugrundelegung der Liste der Betriebe des § 2 Abs 1 BUAG vergleichsweise weit zu verstehen. Die Bauwirtschaft soll möglichst umfassend erfasst werden. Ein enges Verständnis des Begriffs „Bautätigkeit“ wird daher der Zielsetzung des BUAG nicht gerecht (9 ObA 150/11s).
[5] 2.3. Der Geltungsbereich des BUAG knüpft nicht an der Gewerbeberechtigung, sondern an der Betriebsart – somit an der tatsächlichen Tätigkeit – an. Für die Geltung des BUAG ist also in erster Linie die Beschäftigung in Betrieben, die in § 2 aufgezählt sind, maßgeblich. Zu einer Betriebsart zählen nicht nur Betriebe, die im gesamten oder überwiegenden Tätigkeitsbereich der Betriebsart tätig werden, sondern auch jene, die sich auf einen kleineren Teilbereich spezialisiert haben.
[6] 2.4. Die Betonfertigteilerzeugung als solche ist in der Auflistung des § 2 Abs 1 BUAG nicht enthalten. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Betonfertigelemente als Bauteile in unterschiedlichster Weise Verwendung finden (Gewerbe-, Industrie- und Wohnungsbau, Brücken- und Tunnelbau, Betonmasten, Mauer-, Rand-, Begrenzungs- und Böschungssteine, Pflaster- und Winkelsteine, Treppenstufen, Kanalschachtringe usw), dass sie sowohl zum Weiterverkauf (Handel) als auch zur eigenen Weiterverarbeitung produziert werden können und je nach Erfordernis in einem Werk oder auch auf einer Baustelle vor Ort hergestellt werden.
[7] 2.5. Betriebe des reinen Produktionsbereichs, wie die reine Herstellung von Betonfertigteilen (zB Autobahnpoller), die in einer Produktionshalle als Massenprodukt hergestellt und von einem Unternehmer für seine Bau- und Montagetätigkeit erworben werden sollen, fallen nicht unter das BUAG.
[8] 3. Ob ein konkreter Betrieb unter die in § 2 BUAG genannten Betriebe (Unternehmungen) und damit den Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 BUAG fällt, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0052432 [T5]). Eine solche vermag auch die Beklagte in ihrer außerordentlichen Revision nicht aufzuzeigen. Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zur Einordnung eines Betriebs in das BUAG.
[9] 4. Nach den Feststellungen liegt der Unternehmensgegenstand der Beklagten mit Sitz in Deutschland in der Herstellung von Betonfertigteilen in Österreich. Sie hält eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe der Erzeugung von Betonwaren. Die Beklagte stellt Tübbingringe her, indem Beton lagenweise in Schalungen eingebracht und zu einem Tübbing vergossen und danach die Oberfläche manuell geglättet wird, lagert diese und liefert sie auf die beiden Baustellen ihres Auftraggebers. Tübbinge sind Bauteile, die in Form von bogenförmigen Wandsegmenten die Außenschale eines Tunnels bilden. Tübbinge werden speziell und individuell nach den Anforderungen des konkreten Tunnelprojekts und ausschließlich für dieses in konkreter Anzahl mit speziellen Voraussetzungen, was Form, Stabilität, Statik, Dichtheit etc betrifft, hergestellt. Die Bauweise, Ausgestaltung und Bewehrung ist abhängig von der Geologie des Berges, durch welchen der Tunnel führen soll und von der Dimension des geplanten Tunnels. Die Beklagte stellt die unterschiedlichen Typen von Tübbingen in unterschiedlicher Anzahl nach den wöchentlichen individuellen Vorgaben der Klägerin seriell her. Derartige für ein konkretes Bauvorhaben (wie das hier gegenständliche) fertig hergestellte Tübbinge können praktisch nicht für andere Tunnelprojekte verwendet werden. Sie sind keine Handelsware und es gibt dafür auch keinen allgemeinen Markt.
[10] 5.1. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Zuordnung der konkreten Tätigkeit der Beklagten zu den Maurermeisterbetrieben und Bauunternehmungen ist nicht zu beanstanden und wird in der außerordentlichen Revision der Beklagten auch nicht substantiiert bestritten. Die Beklagte argumentiert vielmehr unter Hinweis auf die Entscheidung 9 ObA 120/14h damit, dass sie reine Produktionstätigkeiten in einer Halle verrichte, die nicht vom Anwendungsbereich des BUAG umfasst seien.
[11] 5.2. Der vorliegende Sachverhalt ist jedoch entscheidend anders gelagert als jener der Entscheidung 9 ObA 120/14h, worin die Herstellung von Betonfertigteilen als Massenprodukt zu beurteilen war. Im konkreten Fall werden die Betonfertigteile nach speziellen Vorgaben für ein konkretes Projekt des Auftraggebers gefertigt. Bei den individuell hergestellten Tübbingen handelt es sich um keine Massenprodukte, die als Handelsware für andere Tunnelprojekte am allgemeinen Markt verkauft werden könnten. Bei der Massenproduktion hingegen wird ein Produkt in unbegrenzter Zahl für einen anonymen Markt hergestellt (ZAS 2016/31, 190 [Kerschbaumer]). Dass die Beklagte für ihren Auftraggeber individuelle Tübbinge in großer Menge herstellt, nimmt dem jeweiligen Fertigteil nicht seine Individualität (DRdA 2015/39, 288 [Wiesinger]; Wiesinger, BUAG, § 2 Rz 60). Ob die Fertigung dabei automatisiert und seriell erfolgt und der manuellen Tätigkeiten nur untergeordnete Bedeutung zukommt, gibt hier nicht den Ausschlag, weil Betriebe im Sinne des BUAG auch in Form von Industriebetrieben betrieben werden können (§ 2 Abs 3 BUAG).
[12] Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Textnummer
E132371European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00053.21S.0624.000Im RIS seit
13.08.2021Zuletzt aktualisiert am
13.08.2021