TE OGH 2021/6/24 9Ob33/21z

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Veröffentlicht am 24.06.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Niedermayr Rechtsanwälte GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei Kammer für Arbeiter und Angestellte für *****, vertreten durch Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 5.670,11 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 13. Jänner 2021, GZ 21 R 184/20x-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 15. Juli 2020, GZ 40 C 148/19a-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 912,41 EUR (darin enthalten 152,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.341,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt und 715 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin war bei einer Versicherungsgesellschaft als Außendienstmitarbeiterin beschäftigt. Anlässlich der einvernehmlichen Beendigung ihres Dienstverhältnisses im Jahr 2016 ersuchte sie die beklagte Kammer für Arbeiter und Angestellte um rechtliche Beratung. Hätte deren Mitarbeiter das befristete Anbot der Versicherungsgesellschaft auf einmalige Auszahlung von 8.828,33 EUR zur Abgeltung der Folgeprovisionsansprüche rechtzeitig an die Klägerin weitergeleitet, hätte sie dieses Anbot („Entfertigung“) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen. Statt dessen erhält die Klägerin nun seit 31. 5. 2017 in unregelmäßigen Abständen 50 % jener Folgeprovisionen, die ihr bei aufrechtem Dienstverhältnis zustünden, dies längstens bis zum Ablauf der ursprünglich vereinbarten Dauer der vermittelten Versicherungsverträge (§ 6 des Kollektivvertrags für Versicherungsangestellte im Außendienst). Die Summe der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz an sie – jeweils in kleineren Beträgen – zur Auszahlung gelangten Folgeprovisionen betrug 3.148,22 EUR. Wie lange und in welcher Höhe die Klägerin künftig weitere derartige Zahlungen erhalten wird, steht nicht fest.

[2]       Die Klägerin begehrt nach Klageeinschränkung 5.670,11 EUR sA (8.828,33 EUR minus der erhaltenen 3.158,22 EUR). Wäre sie von der Beklagten im Jahr 2016 nicht mangelhaft bzw unrichtig beraten worden, hätte sie das Anbot auf Einmalzahlung der 8.828,33 EUR angenommen.

[3]       Die Beklagte beantragte die Klageabweisung und wendete ein, im Hinblick auf die Folgeprovisionszahlungen sei die Höhe des Schadens der Klägerin nicht bezifferbar. Dies gehe zu Lasten der dafür beweispflichtigen Klägerin. Dieser wäre nur die Erhebung einer Feststellungsklage offen gestanden.

[4]       Das Erstgericht gab der Klage statt und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 5.670,11 EUR sA.

[5]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts in eine klageabweisende Entscheidung ab. Da noch nicht feststehe, in welcher Höhe die (dafür beweisbelastete) Klägerin in Zukunft noch Folgeprovisionen erhalten werde, bestehe das Leistungsbegehren mangels Nachweises der Schadenshöhe nicht zu Recht. Da die Klägerin ausdrücklich erklärt habe, kein Feststellungsbegehren erheben zu wollen, sei ihre Klage zur Gänze abzuweisen.

[6]       Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Schadeneintritts im Fall des Bestehens einer einbringlichen, der Höhe nach aber ungewissen Geldforderung gegen einen Dritten anstelle einer aufgrund einer fehlerhaften rechtlichen Beratung nicht angenommenen Einmalzahlung dieses Dritten vorliege. Ebenso mangle es an Rechtsprechung zur Frage der Beweislast für die Anrechnung eines derartigen Vorteils.

[7]       Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Berufungsentscheidung im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht begehrt.

[8]       Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision der Klägerin. Hilfsweise wird die Bestätigung der Berufungsentscheidung begehrt.

Rechtliche Beurteilung

[9]       Die Revision ist nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig. Die Entscheidung des Berufungsgerichts bedarf einer Korrektur:

[10]     1.1 Nicht mehr strittig ist, dass die beklagte Kammer für Arbeiter und Angestellte als Sachverständige iSd § 1299 ABGB (RS0117081) in Verletzung ihrer Beratungs-bzw Interessenswahrungspflicht eine Fehlberatung zu verantworten hat, die zum Ersatz des dadurch verursachten Vertrauensschadens der Klägerin berechtigt.

[11]     2.1 Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist. Das ist jeder Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen Zustand besteht (RS0022537). Als Schaden wird auch ein Vermögensnachteil angesehen, wenn anstelle des Besitzes eines Bargeldbetrags bloß eine (gleich hohe) Geldforderung getreten ist (RS0022537 [T3]), weil sie mit dem Risiko der Einbringlichkeit und Rechtsverfolgung behaftet ist. Es reicht aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht dessen Willen entspricht (6 Ob 145/08d; Wittwer in Schwimann/Neumayr ABGB Taschenkommentar5 § 1293 Rz 5 mwN).

[12]     2.2 Im Hinblick auf diesen weiten Schadensbegriff ist der Klägerin durch die Nichtannahme der angebotenen Einmalzahlung ein Schaden entstanden, weil sie anstelle des Bargeldbetrags lediglich einen Anspruch auf zukünftige Auszahlung von 50 % der Folgeprovisionen in Teilbeträgen (unter den Voraussetzungen des § 6 des Kollektivvertrags für Versicherungsangestellte im Außendienst) hat und dies nicht ihrem Willen entsprach.

[13]     3.1 Bei Beratungsfehlern ist die Vermögensdifferenz zu ersetzen, die bei pflichtgemäßer Beratung nicht eingetreten wäre. Grundsätzlich ist zunächst der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen (RS0030153).

[14]     3.2 Richtig ist, dass dem Umstand, dass ein schädigendes Ereignis dem Geschädigten auch Vorteile bringen kann, mit der Vorteilsausgleichung Rechnung getragen wird (Koziol, Haftpflichtrecht I3 [1997] Rz 10/33 ff). Dabei handelt es sich um eine Methode der Berechnung der Höhe des Schadens, nicht um eine Frage des Grundes des Anspruchs und auch nicht um eine Gegenforderung. Die Vorteilsausgleichung kann daher nicht gegen die Bejahung des Grundes des Anspruchs ins Treffen geführt werden (9 Ob 51/10f; 6 Ob 54/04s).

[15]     3.3 Zu Gunsten des Schädigers ist aber nicht jeglicher Vorteil des Geschädigten zu buchen, der aus dem vom Schädiger verursachten Ereignis zufließt. Maßgeblich ist im Sinn einer teleologischen Betrachtungsweise immer die ganz besondere Art des erlangten Vorteils und der Zweck der Leistung des Dritten (9 Ob 22/19d; RS0023600). Die Berücksichtigung von Vorteilen kommt nur gegenüber sachlich und zeitlich kongruenten Schadenersatzansprüchen in Betracht (RS0114259; RS0122868).

[16]     4.1 Soweit nun die Beklagte im vorliegenden Fall die schadensmindernde Berücksichtigung von Vorteilen unter Hinweis darauf begehrt, dass die Fehlberatung für die Klägerin auch einen Vorteil in Gestalt des Anspruchs auf 50 % der Folgeprovisionszahlungen gemäß § 6 des Kollektivvertrags für die Versicherungsangestellten im Außendienst erbracht hat, der ohne die von der Beklagten zu verantwortende Fehlberatung nicht entstanden wäre, ist dazu auszuführen:

[17]     Da die Klägerin ihre Klage um die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bereits erhaltenen Folgeprovisionen eingeschränkt hat (und damit deren Kongruenz implizit bejaht hat), verbleiben unter dem Blickwinkel der Vorteilsanrechnung nur mehr etwaige dem Zeitraum nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz fällig werdende weitere Folgeprovisionen.

[18]     4.2 Der Eintritt von Vorteilen aus dem Schadensereignis als Vorteilsausgleich fällt nach der ständigen Rechtsprechung nicht in die Beweispflicht des Geschädigten, vielmehr hat der Schädiger die Vorteile zu behaupten und zu beweisen (RS0036710). Demnach hätte die Beklagte im Verfahren erster Instanz konkrete Umstände zu behaupten gehabt, die über die erfolgte Klageeinschränkung hinaus einen (weiteren) Vorteilsausgleich begründen könnten. Aus der dazu vom Erstgericht getroffenen Feststellung ist ableitbar, dass nicht feststeht, wie lange und in welcher Höhe die Klägerin Folgeprovisionen erhalten wird. Diese Feststellung – die so zu verstehen ist, dass die Höhe der Folgeprovisionen möglicherweise auch null beträgt – geht zu Lasten der Beklagten, die für die Höhe der Vorteile beweispflichtig ist. Der Ansicht der Beklagten, der Klägerin sei die Erhebung der Leistungsklage deshalb verwehrt, weil es ihr nicht gelungen sei, unter Beweis zu stellen, in welcher Höhe sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Wege des Vorteilsausgleichs Folgeprovisionen erhalten werde, kann daher nicht gefolgt werden.

[19]     5. Die von der Beklagten in der Berufungsbeantwortung zitierten Rechtssätze zur Feststellungsklage (RS0097976; RS0087615) beziehen sich nicht auf den Vorteilsausgleich, sondern auf die Verhinderung der drohenden Verjährung bei positiver Kenntnis des Schadens und der mangelnden Möglichkeit der Bezifferung des Schadens bzw der Unbekanntheit aller Schadensfolgen.

[20]     6. Dies führt zusammengefasst zur Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn der Wiederherstellung des klagsstattgebenden Urteils des Erstgerichts inklusive der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.

[21]     7. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E132389

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00033.21Z.0624.000

Im RIS seit

16.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.08.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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