Entscheidungsdatum
07.05.2021Index
41/01 SicherheitsrechtNorm
SPG 1991 §88Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerde des minderjährigen A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch exzessive Durchführung einer von der Staatsanwaltschaft C. angeordneten und vom Landesgericht für Strafsachen C. bewilligten Hausdurchsuchung in seiner elterlichen Wohnung, bei der ein Sturmgewehr ca. 10 Minuten auf den Kopf des Beschwerdeführers gerichtet und dieser in Summe ca. 40 Minuten dazu verhalten worden sei, liegend auf dem Boden zu verweilen, am 9.11.2020 in Wien, gegen den Bundesminister für Inneres, in eventu die Landespolizeidirektion D. bzw. E. als belangte Behörden, den
B E S C H L U S S
gefasst:
I. Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
II. Der Beschwerdeführer hat dem Rechtsträger der belangten Behörden (BMI) EUR 368,80 für Schriftsatzaufwand und EUR 57,40 für Vorlageaufwand, insgesamt sohin EUR 426,20 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstigen Zwang zu leisten.
III. Die Revision ist unzulässig.
Begründung
1. Mit Schriftsatz vom 21.12.2020, zur Post gegeben am selben Tag und sohin rechtzeitig (im Gegensatz zur Übermittlung mit E-Mail nach Ablauf der Amtsstunden, welche daher verspätet war) erhob der Einschreiter durch seinen Rechtsfreund Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin er zum Sachverhalt vorbringt:
„Am 9.11.2020 um 5h02, brachen 6 bis 9 maskierte und schwer bewaffnete Beamte einer Sondereinheit/Spezialeinheit die Haustür der Wohnung, in welcher der Bf gemeinsam mit seiner Familie lebt, (…) auf und sind hineingestürmt. Unmittelbar vor diesem Zeitpunkt befanden sich in der dem gemeinsamen Familienhaushalt dienenden Wohnung insgesamt 6 Personen: der Betroffene, die Mutter des Bf (G.H., …), der Vater des Bf (I. B., …) sowie zwei weitere Brüder des Bf (J. B., …; sowie K. B., …).
Der 12-Jährige Bf wurde daraufhin von einem maskierten Beamten, welcher ein Sturmgewehr in Händen hatte mit lauten Schreien aufgeweckt. Minutenlang wurde das Sturmgewehr auf den Kopf des Bf gerichtet. Der Bf wurde aufgefordert sich auf den Boden zu legen und hatte weiterhin ein Sturmgewehr auf seinen Kopf gerichtet. In Summe war die Waffe zehn Minuten auf den Kopf des 12-Jährigen Bf gerichtet. Der Bf musste jedoch weiterhin liegend am Boden verweilen. Dies bis mindestens 5h40 und somit in Summe circa 40 Minuten. Der Bf wurde (sowie die anderen in der Wohnung anwesenden Personen) dann gegen circa 05h40 aufgefordert sich ins Wohnzimmer zu begeben, wiederum mit der auf ihn gerichteten Waffe.
Der Bf musste auch in diesem Zimmer verbleiben. Gegen 06h00 begaben sich weitere Beamte in die Wohnung und dursuchten diese in unnötig aggressiver Weise, räumten alle Regale aus und schmissen alle Bücher und Kleidungsstücke auf den Boden. Dieser Zustand hielt bis mindestens 07h00 an. Gegen 08h00 konnte der Bf daraufhin die Wohnung verlassen um in die Schule zu gehen.
Aufgrund der traumatischen Erlebnisse des 12-jährigen Bf im Rahmen der Hausdurchsuchung leidet dieser an einer post-traumatischen Belastungsstörung, welche sich ua in Angst und Verunsicherung, Derealisation, Flashbacks, Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, gestörtes Urvertrauen, Probleme alleine zu bleiben, Zittern und Appetitlosigkeit manifestiert. Diese Symptomatik bedarf einer professionellen Abhilfe, sodass der Betroffene in professioneller Behandlung bei einer klinischen Psychologin/Gesundheitspsychologin/Psychotherapeutin (…) aufgenommen werden musste. Eine entsprechende Stellungnahme ist als Beilage angehängt.
Gegenständliche Hausdurchsuchung erfolgte im Rahmen eines gegen den Vater des Bf, zur GZ: ...1 durchgefuhrten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft C.. Aufgrund der Anordnung der Staatsanwaltschaft C. vom 14.10.2020, bewilligt vom Landesgericht für Strafsachen C. am 15.10.2020, erging am 16.10.2020 durch die StA C. die Anordnung der Durchführung der gerichtlich bewilligten Durchsuchung. Die Durchsuchung fand in den Morgenstunden des 9.11.2020 in der Wohnung des Beschuldigten sowie des Bf, …, statt.
Unmittelbar nach dem gewaltsamen Aufbrechen der Wohnungstüre begaben sich auch zwei maskierte schwer bewaffnete Beamte zum Vater des Bf (Beschuldigten), trennten ihn vom Rest seiner Familie und richteten ihre Sturmgewehre auf ihn und befahlen ihm sich auf den Boden zu legen. Der Beschuldigte erlitt einen derartigen Schock, dass er spontan und unkontrolliert an Ort und Stelle urinierte. Aufgrund der von den Exekutivbeamten vollkommen unangemessen herbeigeführten Schocksituation und dem miteinhergehenden Bedrohungsszenarios manifestierte sich beim Beschuldigten auch eine spontan herbeigeführte Herzrhythmusstörung und Atemnot. Der Beschuldigte musste weiterhin liegend am Boden verbleiben. Circa 10 Minuten später wurden, aufgrund der anhaltende kardiologischen Arrhythmie und Tachykardie, die Rettungskräfte herbeigerufen, welche ungefähr weitere 10 Minuten später eingetroffen sind und mit der Behandlung des Beschuldigten begonnen haben. Alle übrigen Personen in der Wohnung mussten weiterhin - mit auf ihnen gerichteter Waffe - am Boden verharren.
Auch hinsichtlich der übrigen anwesenden Familienmitglieder wurde dieselbe grundsätzliche Vorgangsweise angewendet. So wurden insbesondere auch Mutter sowie die zwei weiteren Brüder des Bf, unmittelbar nach dem gewaltsamen Aufbrechen der Wohnungstüre von maskierten und schwerbewaffneten Beamten geweckt und mit auf ihnen gerichteter Sturmwaffe aufgefordert sich auf den Boden zu legen.
Sämtliche Familienmitglieder verhielten sich während der gesamten Dauer der Ermittlungsmaßnahme im äußerst möglichen Ausmaß kooperativ.“
Zur Zulässigkeit wird ausgeführt, als passiv legitimiert seien die Landespolizeidirektionen E. und D. in eventu genannt worden, weil dem Vater des Beschwerdeführers, gegen den sich die Hausdurchsuchung gerichtet habe, im Rahmen seiner sofortigen Vernehmung mitgeteilt worden sei, die eigentliche Durchsuchung der gegenständlichen Wohnung hätten Beamte des LVT E. und Einheiten der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität durchgeführt, welche den jeweiligen Landespolizeidirektionen unterstellt seien. Die gewaltsame Öffnung der Wohnungstüre und das Hereinstürmen seien aber durch andere maskierte und schwer bewaffnete Spezialeinheiten erfolgt. Aufgrund der medialen Berichterstattung zur Durchsuchung sei davon auszugehen, dass es sich hierbei um das Einsatzkommando L. („EKO L.“) gehandelt habe, welche gemäß § 1 Z 4 Sondereinheiten-Verordnung unmittelbar der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit unterstellt sei.
Zur Frage der Zuständigkeit wird auf § 88 SPG verwiesen und eingeräumt, dass bei kriminalpolizeilichen Handlungen aufgrund einer gerichtlich bewilligten staatsanwaltschaftlichen Anordnung ein Akt der Gerichtsbarkeit vorliege, welche grundsätzlich gemäß § 106 StPO zu bekämpfen sei. Jedoch liege im Fall einer Überschreitung der zugrundeliegenden Anordnung durch die Polizei im Sinne eines Exzesses ein der Verwaltung zuzurechnendes Organhandeln vor. Ein derartiger Exzess sei gegenständlich gegeben, da die aufgezeigten Verletzungen subjektiver Rechte weder durch den Wortlaut der gerichtlichen Anordnung noch durch deren Sinngehalt gedeckt seien. Gerichtlich bewilligter Zweck der durchgeführten Hausdurchsuchungen sei lediglich die Sicherstellung von allfälligen digitalen Datenträgern, Buchhaltungsunterlagen, Korrespondenzen und Bargeldbeträgen gewesen. Die Beschuldigten wären aufzufordern gewesen, die Durchsuchung zuzulassen oder das Gesuchte freiwillig herauszugeben. Das Vorhanden-sein von Waffen oder sonstigen gefährlichen Gegenständen sei nicht im Raum gestanden noch habe ex ante irgendeine Gefährdungslage bestanden. Auch sei keine Beiziehung von Spezialkräften angeordnet gewesen. Zudem habe kein richterlicher Befehl bestanden, den Beschwerdeführer sowie sämtliche seiner Familienmitglieder, in ihrer Bewegungsfreiheit zu beschränken, schon gar nicht den Beschwerdeführer zu zwingen am Boden zu liegen und ihm dabei ein Sturmgewehr auf den Kopf zu richten. Hierbei handle es sich um eine krasse Überschreitung der richterlich bewilligten Anordnung im Sinne eines Exzesses. Der Beschwerdeführer sei daher dadurch in seinen Grundrechten auf Freiheit und Sicherheit, auf Achtung seines Privat- und Familienlebens sowie seiner Wohnung, weiters nicht einer erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden sowie auf körperliche und geistige Unversehrtkeit sowie im Recht auf gesetzes-konformer Ausübung von sicherheitspolizeilichen Maßnahmen gemäß § 87 SPG und auf Wahrung der Verhältnismäßigkeit gemäß § 29 SPG verletzt worden. Es wird beantragt, die angefochtenen Maßnahmen kostenpflichtig für rechtswidrig zu erklären.
In der Beilage wurde eine Stellungnahme der klinischen Psychologin und Psychotherapeutin … übermittelt, wonach der minderjährige Beschwerdeführer bei ihr zur Behandlung der Auswirkungen der traumatischen Erlebnisse im Zuge des L. Einsatzes am 9.11.2020 in Behandlung sei, in der die Symptomatik kurz dargestellt wird.
2. Mit Schriftsatz vom 16.2.2021 legte die Landespolizeidirektion D. eine Ausfertigung der Meldung des Bundesministeriums für Inneres, EKO L./-Direktion für Spezialeinheiten zur Zl. ...2, einschließlich der gerichtlich bewilligten Anordnung der StA C. vom 16.10.2020 zu GZ ...1 (soweit sie den Vater des Beschwerdeführers betrifft), nummeriert und mit angeschlossenen Akteninhaltsverzeichnis vor und gab bekannt, dass sie vom Bundesministerium für Inneres beauftragt worden sei, die das Einschreiten der EKO L. betreffende Maßnahmenbeschwerde zu bearbeiten.
Unter einem erstattete die Landespolizeidirektion D. daher für die erstbelangte Behörde zur ihrer GZ: ...3 eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt auf die vorgelegte Meldung verweist und ergänzt, dass nach dem Betreten der Wohnung durch die Einsatzkräfte des EKO L. dessen Angehöriger mit der Personalnummer … mit der Sicherung des Beschwerdeführers befasst gewesen sei. Von diesem Exekutivbeamten sei ab dem Erfassen der Situation (Minderjähriger, offensichtlich schlafend) zu keiner Zeit eine Langwaffe auf den Kopf des Beschwerdeführers gerichtet worden. Der Beamte habe sich in einiger Entfernung zum Beschwerdeführer befunden und habe beruhigend und mit ruhiger Stimme mit ihm gesprochen. Der Beschwerdeführer sei weder aufgefordert worden, sich auf den Boden zu legen, noch habe er dies getan. Nach wenigen Minuten sei der Mutter des Beschwerdeführers auf ihre Nachfrage hin gestattet worden, zum Beschwerdeführer ins Zimmer zu gehen.
In rechtlicher Hinsicht wird darauf verwiesen, dass die in Beschwerde gezogene Amtshandlung in Umsetzung eines gerichtlich bewilligten Auftrages der Staatsanwaltschaft C. erfolgt sei.
In eventu wird ausgeführt, dass EKO L. die österreichische „Antiterror-Einheit“ sei. Ihr sei das Tätigwerden bei Amtshandlungen mit Terrorbezug durch interne Vorschriften des BMI vorbehalten. Die LPD Wien sei daher schon aus diesem Grund gehalten gewesen, das BMI, EKO L./Direktion für Spezialeinheiten in der vorliegenden Angelegenheit beizuziehen. Das Einschreiten der Angehörigen des BMI, EKO L./Direktion für Spezialeinheiten sei im Hinblick auf die zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen nicht als unangemessen zu beurteilen gewesen. Das gewaltsame Öffnen von Eingangstüren und das Führen von Langwaffen sei bei Einsätzen mit unmittelbarem Terrorismusbezug aus Gründen der Effektivität, der Eigensicherung und der potentiell dringenden Gefährlichkeit der betroffenen Personen unbedingt notwendig. Es handle sich dabei um ein Standard-Prozedere, das nicht zuletzt auch international üblich sei. Hinzu komme noch, dass schon im gerichtlich bewilligten Auftrag der StA C. der beweissichernde Zugriff angeordnet gewesen sei. Es habe keinerlei Anlass bestanden, davon abzugehen.
Die gerichtlich bewilligte Anordnung der StA C. gehe davon aus, dass zwischen der M. und der Organisation N. in Österreich untrennbare Verflechtungen bestünden. N. werde international als Terrororganisation eingestuft. Beide Organisationen strebten (nicht zuletzt der gerichtlich bewilligten Anordnung der StA C. zufolge) die Errichtung eines weltweiten Kalifates an und zielten auf die Zerstörung des Staates Israel. Die M. gelte als die weltweit größte radikal-islamistische Gruppe.
Die der über Bundesländergrenzen hinweg durchgeführten Amtshandlung vorausgegangenen Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer (gemeint wohl: der Vater des Beschwerdeführers) einer der beiden führenden Männer der N. in Österreich sei. N. sei mit der M. personell und ideologisch stark verflochten. Über von diesen Organisationen durchdrungene bzw. eigens gegründete Vereine würden – so der Vorwurf der StA C. – Spendengelder gesammelt und der N. zur Verfügung gestellt. Die vorangegangenen Ermittlungen hätten auch ergeben, dass sich im Besitz von der gerichtlich bewilligten Anordnung betroffenen Personen Faustfeuerwaffen bzw. eine „Pumpgun“ befunden hätten.
Unabhängig davon liege es auf der Hand, dass im terroristischen Umfeld Waffen und selbstverständlich auch Kriegsmaterial zum Einsatz kämen, wie sich nicht zuletzt bei dem eine Woche vor der in Rede stehenden Amtshandlung erfolgten Terroranschlag in Wien 1., drastisch gezeigt habe. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sei das konkrete Einschreiten der Angehörigen des EKO L. nicht als unangemessen zu beurteilen. Es wird daher beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen, in eventu sie als unbegründet abzuweisen.
3. Das Verwaltungsgericht Wien hat dazu erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. VwGH vom 17.5.1995, Zl. 94/01/0763) sind die aufgrund eines richterlichen Befehls von Verwaltungsorganen vorgenommenen Akte zur Durchführung dieses Befehls – solange die Verwaltungsorgane den durch den richterlichen Befehl gesteckten Ermächtigungsrahmen nicht überschreiten – funktionell der Gerichtsbarkeit zuzurechnen. Im Falle einer offenkundigen Überschreitung des richterlichen Befehls liegt hingegen insoweit ein der Verwaltung zuzurechnendes Organhandeln vor. Dieses Erfordernis der Offenkundigkeit, um von einem Verwaltungsexzess sprechen zu können, wird auch vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben (VfSlg. 11.098/1986 unter Hinweis auf VfSlg. 6829/1972).
Dasselbe gilt für die mit der StPO Novelle am 1.1.2008 in Kraft getretene neue Form der „staatsanwaltschaftlichen Anordnung mit richterlicher Bewilligung“, wie sie im Gegenstand vorliegt.
Wie früher schon im richterlichen Befehl, werden in der richterlichen Bewilligungsformel vielfach nur die verba legalia (§ 121 StPO) wiederholt. In solchen Fällen hat das Verwaltungsgericht Wien in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen eines Verwaltungsexzesses bereits dann angenommen, wenn entgegen der dort vorgeschriebenen Vorgangsweise etwa eine gewaltsame Türöffnung erfolgte oder sonst offenkundig gegen den Gesetzeswortlaut verstoßen würde. Dieser Verwaltungsexzess begründet die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, ist aber nicht schon per se rechtswidrig: etwa wenn sich nach Erteilung der richterlichen Bewilligung die Rahmenbedingungen derart geändert haben, dass z.B. ein Anklopfen an die Wohnungstüre und die nach dem Öffnen an den Verdächtigen gerichtete Aufforderung, den gesuchten Gegenstand herauszugeben, die einschreitenden Exekutivbeamten einer nicht zu verantwortenden Gefährdung ausgesetzt hätte, konnte der Exzess auch gerechtfertigt sein. Umgekehrt wurde die Überschreitung des richterlichen Befehls dort, wo bereits von vornherein absehbar gewesen war, dass die in § 121 StPO vorgeschriebene Vorgangsweise nicht einzuhalten sein werde, vom Verwaltungsgericht Wien in ständiger Rechtsprechung für rechtswidrig erklärt. In beiden Fällen ist das Verwaltungsgericht von seiner sachlichen Zuständigkeit zur inhaltlichen Beurteilung des von der richterlichen Bewilligung nicht mehr gedeckten Teiles der Amtshandlung ausgegangen.
Der hier zu beurteilende Fall unterscheidet sich jedoch gravierend von jenen, die der oben dargestellten Entscheidungspraxis zugrunde liegen. Die gegenständliche Anordnung der Staatsanwaltschaft C., welche durch das dortige Landesgericht für Strafsachen bewilligt worden ist, beschränkt sich nämlich – was die bei der Hausdurchsuchung einzuhaltende Vorgangsweise betrifft – keineswegs auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes. Abgesehen davon ist auch noch zu berücksichtigen, welcher Verbrechen die Zielperson der Hausdurchsuchung verdächtigt oder beschuldigt wird. Im Gegenstand handle es sich bei der Zielperson um den Vater des minderjährigen Beschwerdeführers, Herrn I. B., welcher in der staatsanwaltschaftlichen Anordnung als Beschuldigter der §§ 165 Abs. 3, 278b Abs. 2, 278d Abs. 1 und 1a, 246 Abs. 1 und 2 sowie 278a StGB geführt wird. Die Hausdurchsuchung gründet sich somit auf den Verdacht der Terrorismusfinanzierung sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, einer staatsfeindlichen Verbindung und einer kriminellen Organisation gegen den Vater des Beschwerdeführers. Insbesondere aus der Anführung des § 278b StGB ist bereits abzuleiten, dass nach den geltenden Vorschriften (vgl. § 2 Abs. 1 RLV, BGBl. Nr. 266/1993 idF BGBl. II Nr. 155/2012, und § 5 SEV, BGBl. II Nr. 207/1998 idF BGBl. II Nr. 287/2012) die Sondereinheit EKO L. beizuziehen sein wird, welche dabei eine dem Verdacht angemessene Vorgangsweise zu wählen hat.
Abgesehen davon enthält die staatsanwaltschaftliche Anordnung – nach der Anführung des Verdachts und der Zielpersonen – den Auftrag, die genannten Personen zur Vermeidung einer Verabredung und zur Verhinderung der Beeinträchtigung von Beweismitteln sogleich fortzuführen und von den ermittelnden Beamten der Landesämter und des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu vernehmen, und sodann den folgenden Satz:
„Um Gefährdungen von betroffenen Personen und eine allfällig drohende Vernichtung von elektronischen Daten zu verhindern, wird für die zu Punkt a) angeordneten Durchsuchungen (darunter fällt die Wohnung des Vaters des Beschwerdeführers, Anm.) der die Beweise sichernde Zugriff angeordnet, wovon jedoch von den einschreitenden Beamten aus polizeitaktischen Überlegungen abgesehen werden kann.“
Es ist der staatsanwaltschaftlichen Anordnung daher, über den Terrorismusverdacht hinaus, eindeutig zu entnehmen, dass Verdunklungsgefahr bestehe und alles zu unternehmen sei, um deren Realisierung zu verhindern. Außerdem sei eine Vorgangsweise zu wählen, die Gefährdungen von betroffenen Personen verhindert. Zur Umsetzung beider Aufträge wird ein Spielraum für polizeitaktische Erwägungen gewährt.
Bezogen auf die konkret in Beschwerde gezogene Vorgangsweise des EKO L. gegen den minderjährigen Beschwerdeführer (welche im Übrigen von der belangten Behörde bestritten wird) bedeutet dies, dass das Verwaltungsgericht Wien, selbst wenn die geschilderte Vorgangsweise den Tatsachen entsprechen sollte, keine „offenkundige“ Überschreitung der richterlichen Bewilligung erkennen kann. Die angefochtene Amtshandlung ist daher in ihrer Gesamtheit als Akt der Gerichtsbarkeit zu beurteilen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
4. Kosten
Aufgrund des § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, waren dem Rechtsträger der belangten Behörden (welcher – als BMI – auch selbst unter den belangten Behörden war) der im Spruch genannte Aufwandersatz zuzuerkennen.
5. Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; staatsanwaltschaftliche Anordnung; richterliche Bewilligung; Verwaltungsexzess, Hausdurchsuchung; Gerichtsbarkeit; Organhandeln; Verwaltung; ZurechnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.102.013.16430.2020Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021