TE Lvwg Erkenntnis 2021/5/31 VGW-031/085/4800/2021

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Veröffentlicht am 31.05.2021
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Entscheidungsdatum

31.05.2021

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ZustG §6
VStG 1991 §49 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin MMag. Dr. Salamun über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 10.03.2021, Zl. VStV/...1/2020, betreffend Kraftfahrgesetz (KFG),

zu Recht e r k a n n t:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos behoben.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

Mit Strafverfügung vom 12.1.2021, Zl.: VStV/...1/2020, wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG zur Last gelegt und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 110,00, bei deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 22 Stunden, verhängt.

Die Strafverfügung vom 12.1.2021 wurde an die Hauptwohnsitzadresse des Beschwerdeführers in D., E.-platz, und in Folge an seine Nachsendeadresse in F., G.-straße, gesendet und am 15.1.2021 dort vom Beschwerdeführer übernommen. Die Strafverfügung wurde zudem an die haftungsbeteiligte H. GmbH an deren Unternehmenssitz übermittelt.

Im Weiteren wurde die Strafverfügung vom 12.1.2021 ein zweites Mal an die Hauptwohnsitzadresse des Beschwerdeführers gesendet und ein zweites Mal an seiner Nachsendeadresse am 22.2.2021 von diesem übernommen.

Am 25.2.2021 brachte der Beschwerdeführer per E-Mail einen Einspruch ein, und führte aus, dass die H. GmbH & Co KG nicht Zulassungsbesitzerin des verfahrensgegenständlichen Fahrzeuges sei.

In der Folge erging das angefochtene Straferkenntnis.

II.

Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 17.3.2021, in welcher der Beschwerdeführer vorbringt, die H. GmbH & Co KG stehe in keinem Zusammenhang mit dem angezeigten Fall. Er bitte daher die Anzeige einzustellen und neu und richtig auf den Fahrzeughalter auszustellen.

III.

Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts Wien teilte die Behörde mit, es finde sich kein Vermerk im Aktensystem, weshalb die Strafverfügung zweimal an den Beschwerdeführer zugestellt wurde. Auch gebe es keine Anhaltspunkte, dass die erste Zustellung nicht erfolgreich war.

Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts Wien vom 9.4.2021 wurde dem Beschwerdeführer die Verspätung des Einspruchs vom 25.2.2021 gegen die zu Grunde liegende Strafverfügung vom 12.1.2021 vorgehalten.

Der Beschwerdeführer erstatte dazu binnen der ihm gesetzten zweiwöchigen Frist ab Zustellung des Schreibens keine Stellungnahme.

Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass das mit Beschwerde angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war.

IV. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

IV.1. Rechtsgrundlagen:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte (§ 1 VwGVG).

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 38 VwGVG sind (soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist) auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG, mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teiles, und des Finanzstrafgesetzes – FinStrG, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

Gemäß § 49 Abs. 1 VStG kann der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat. Nach Abs. 2 der genannten Bestimmung ist, wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht wird, das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruchs ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung. Gemäß Abs. 3 der genannten Bestimmung ist die Strafverfügung zu vollstrecken, wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird.

IV.2. Sachverhalt:

Am 12.1.2021 erließ die Landespolizeidirektion Wien eine Strafverfügung, Zl.: VStV/...1/2020, in der sie dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG zur Last gelegt und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 110,00, bei deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 22 Stunden, verhängt hat.

Die Strafverfügung vom 12.1.2021 wurde dem Beschwerdeführer am 15.1.2021 durch persönliche Übernahme zugestellt.

Im Weiteren wurde die Strafverfügung vom 12.1.2021 erneut an den Beschwerdeführer gesendet und am 22.2.2021 erneut von diesem persönlich übernommen.

Der Einspruch gegen die Strafverfügung durch den Beschwerdeführer vom 25.2.2021 wurde nicht fristgerecht erhoben. Die Strafverfügung vom 12.1.2021 wurde somit rechtskräftig.

Am 10.3.2021 erging das nunmehr angefochtene Straferkenntnis.

Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Erwägungen:

Die Feststellungen basieren auf dem unbedenklichen Akt der belangten Behörde. Die Übernahmen der Strafverfügung durch den Beschwerdeführer ergeben sich aus den im Akt aufliegenden Verständigungen über die Hinterlegung.

IV.3. Rechtliche Beurteilung:

Aufgrund des dem Strafrecht immanenten Rechtsgrundsatzes „ne bis in idem“ darf über ein- und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig entschieden werden. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung (vgl. VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050).

§ 6 ZustG regelt die mehrmalige Zustellung und bestimmt, dass sofern ein Dokument zugestellt ist, die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments keine Rechtswirkungen auslöst.

Die Strafverfügung vom 12.1.2021 wurde dem Beschwerdeführer am 15.1.2021 zugestellt. Der zweiten Zustellung der Strafverfügung vom 12.1.2021 mit Übernahme am 22.2.2021 kam gemäß § 6 ZustG keine Wirkung zu.

Die gemäß § 49 Abs. 1 VStG mit zwei Wochen gesetzlich bestimmte, nicht verlängerbare Frist für die Erhebung des Einspruchs (§ 33 Abs. 4 AVG) begann daher am 15.1.2021 und endete am 29.1.2021. Der Einspruch wurde jedoch erst am 25.2.2021 per E-Mail eingebracht.

Dem Vorhalt vom 9.4.2021 in Bezug auf die verspätete Einbringung des Einspruchs wurde vom Beschwerdeführer nicht entgegentreten. Der Beschwerdeführer hat nicht eingewendet, dass die Strafverfügung nicht am 15.1.2021 zugestellt worden wäre. Auch aus der Aktenlage sind keine Zustellmängel ersichtlich.

Mangels fristgerechten Einspruchs durch den Beschwerdeführer erwuchs die Strafverfügung in Rechtskraft. Das nunmehr angefochtene Straferkenntnis spricht nun noch einmal über denselben Sachverhalt ab, über den bereits die Strafverfügung absprach.

Die Erlassung des gegenständlichen Straferkenntnisses war somit wegen bereits entschiedener Sache (res iudicata) unzulässig. Die belangte Behörde hat dies verkannt und trotz Vorliegens einer rechtskräftigen Strafverfügung gegen den Beschwerdeführer das ordentliche Verfahren eingeleitet und das gegenständliche Straferkenntnis erlassen. Mit der Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses, hat die Behörde gegen den Rechtsgrundsatz „ne bis in idem“ verstoßen und den mit der Strafverfügung bereits rechtskräftig bestraften Beschwerdeführer wegen desselben Tatvorwurfes noch ein zweites Mal strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Sie hat somit eine Entscheidungsbefugnis in Anspruch genommen, die ihr nicht zukam.

In bestimmten Fällen hat die Sachentscheidung der Rechtsmittelinstanz auch in einer bloßen Kassation des angefochtenen Bescheides zu bestehen; dies dann, wenn nach der materiell-rechtlichen Situation die Erlassung eines Bescheides überhaupt unzulässig war oder während des Berufungsverfahrens unzulässig geworden ist und allein die Kassation eines solchen Bescheides den von der Rechtsordnung gewünschten Zustand herstellen kann (vgl. VwGH 30.1.2004, 2000/02/0118; 4.7.2007, 2006/08/0193).

Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid war daher spruchgemäß Folge zu geben und dieser ersatzlos zu beheben.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 52 Abs. 8 VwGVG.

Da die verfahrensgegenständliche Strafverfügung mit der Versäumung der Einspruchsfrist nunmehr in Rechtskraft erwachsen ist, hat die belangte Behörde den gegenständlichen Einspruch gegen die Strafverfügung im weiteren Verfahren als verspätet zurückzuweisen.

IV.4. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Neuerliche Zustellung; Einspruch; Fristversäumnis; ne bis in idem, res iudicata; Wiederholungsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.031.085.4800.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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