Entscheidungsdatum
02.06.2021Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
COVID-19-MG §8 Abs4Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Spielmann über die Beschwerde des AA, geb am **.**.****, Geschäftsführer der BB HandelsgmbH, Adresse 1, **** Z, vertreten durch CC Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H., Adresse 2, **** Y, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 28.04.2021, Zahl ***, betreffend eines Strafverfahrens nach dem COVID-19-MG,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und das Straferkenntnis wegen örtlicher Unzuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft X behoben.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahren und Sachverhalt:
Die BB HandelsgmbH mit Sitz in **** Z betreibt eine Filiale in **** X, für die keine Person zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit gemäß § 9 Abs 2 VStG bestellt wurde.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer AA als Geschäftsführer der BB HandelsgmbH und damit als nach außen vertretungsbefugtem Organ des gesamten Unternehmens Folgendes zur Last gelegt:
„Sie haben als strafrechtlich Verantwortlicher der Betriebsstätte des Unternehmens „BB HandelsgmbH“ in **** X, Adresse 3, nicht durch geeignete Maßnahmen sichergestellt, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m2 zur Verfügung stehen, obwohl gemäß 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung - 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl. II Nr. 58/2021, in der Zeit vom 08.02.2021 bis 17.02.2021 der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen hat, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m2 zur Verfügung stehen; ist der Kundenbereich kleiner als 20 m2, so darf jeweils nur ein Kunde den Kundenbereich der Betriebsstätte betreten. Bei Betriebsstätten ohne Personal ist auf geeignete Weise auf diese Voraussetzung hinzuweisen.
Bei der Überprüfung der BB-Filiale am 12.02.2021 um 14.20 Uhr wurde festgestellt, dass keine ausreichenden Maßnahmen getroffen wurden, um die max. Personenanzahl (20 m2 pro Kunde) gewährleisten zu können.“
Er habe daher gegen § 5 Abs 1 Z 4 der 4. COVID-19-SchuMaV iVm § 8 Abs 4 und § 3 Abs 1 COVID-19-MG verstoßen und sei zu einer Geldstrafe in Höhe von € 600,- bzw einer Ersatzfreiheitsstrafe in Höhe von 112 Stunden zu bestrafen. Weiters habe er einen Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von € 60,- zu leisten.
Dagegen hat der Beschuldigte mit Schreiben vom 10.05.2021 Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol erhoben und zusammengefasst vorgebracht, dass es für die örtliche Zuständigkeit in Strafsachen, die sich – wie hier – auf den Betrieb einer Unternehmung beziehen, nicht auf den Ort des Filialbetriebes, sondern auf den Sitz des Unternehmens ankomme. Somit sei die Bezirkshauptmannschaft X örtlich unzuständig. Außerdem würde eine Übertretung des § 8 Abs 4 COVID-19-MG iVm § 5 Abs 1 Z 4 der 4. COVID-19-SchuMaV nur vorliegen, wenn von der Behörde festgestellt werden könne, wie viele Personen sich zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt in der Filiale aufgehalten hätten und wie viele Personen aufgrund der Fläche der Filiale zulässig seien. Beides ergebe sich aus dem angefochtenen Straferkenntnis nicht – vielmehr räume die Behörde ein, dass die Personenanzahl nicht zählbar gewesen sei und nicht beantwortet werden könne, wieviel Kunden sich in der Filiale aufgehalten hätten. Zudem habe es im Betrieb ein Corona-Konzept gegeben, welches explizit einzuhaltende Maßnahmen für die Regelungen der COVID-19-SchuMaV und des COVID-19-MG vorgesehen habe. Im Übrigen sei § 5 Abs 1 Z 4 COVID-19-SchuMaV mangels ausreichender Determinierung und Verordnungsermächtigung verfassungswidrig.
II. Rechtslage:
4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. COVID-19-SchuMaV), BGBl II Nr 58/2021:
„Kundenbereiche
§ 5.
(1) Das Betreten und Befahren des Kundenbereichs von Betriebsstätten ist unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
(…)
4. Der Betreiber hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m² zur Verfügung stehen; ist der Kundenbereich kleiner als 20 m², so darf jeweils nur ein Kunde den Kundenbereich der Betriebsstätte betreten. Bei Betriebsstätten ohne Personal ist auf geeignete Weise auf diese Voraussetzung hinzuweisen.
(…)“
COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID-19-MG), BGBl. I Nr. 12/2020 idF BGBl. I Nr. 23/2021:
„Strafbestimmungen
§ 8. (…)
(4) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte oder eines Arbeitsortes, als Betreiber eines Verkehrsmittels oder als gemäß § 4 hinsichtlich bestimmter privater Orte, nicht von Abs. 2 erfasster Verpflichteter nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, der Arbeitsort, das Verkehrsmittel oder der bestimmte private Ort nicht entgegen den in einer Verordnung gemäß §§ 3 und 4 festgelegten Personenzahlen, Zeiten, Voraussetzungen oder Auflagen betreten oder befahren wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe von bis zu vier Wochen, zu bestrafen.“
III. Erwägungen:
Die Bezirkshauptmannschaft X hält dem Beschwerdeführer als Geschäftsführer einer Handelsgesellschaft mit Sitz in Z gemäß § 9 Abs 1 VStG vor, dass am 17.02.2021 in einer Filiale in X entgegen § 5 Abs 1 Z 4 der 4. COVID-19-SchuMaV keine ausreichenden Maßnahmen getroffen worden seien, um die maximale Personenanzahl (20 m2 pro Kunde) zu gewährleisten.
Gemäß § 27 Abs 1 VStG ist grundsätzlich jene Behörde örtlich für das Strafverfahren zuständig, in deren Sprengel die Verwaltungsübertretung begangen wurde. Wenn es dabei um eine Unterlassung im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Unternehmens geht, ist dieser Ort im Zweifel der Sitz des Unternehmens bzw der Unternehmensleitung. Wird das nach außen vertretungsbefugte Organ des gesamten Unternehmens wegen der Unterlassung einer gebotenen Vorsorgehandlung zur Verantwortung gezogen, kommt es somit nicht auf den Ort an, an dem die betroffene Filiale betrieben wird (vgl VwGH 10.06.2015, Ra 2015/11/0005).
Beim Fehlen geeigneter Maßnahmen iSd § 5 Abs 1 Z 4 der 4. COVID-19-SchuMaV handelt es sich um eine Unterlassung im Zusammenhang mit dem Betrieb des Unternehmens. Die Bezirkshauptmannschaft X ist somit örtlich nicht für das gegenständliche Strafverfahren zuständig.
Abgesehen von der Unzuständigkeit der belangten Behörde wird festgehalten, dass dem angefochtenen Straferkenntnis nicht entnommen werden kann, wie viele Kunden sich aufgrund der 20 m2-Regel in der Filiale aufhalten hätten dürfen und wie viele Kunden im Tatzeitpunkt tatsächlich anwesend waren. In der Bescheidbegründung wird im Wesentlichen kritisiert, dass sich im Tatzeitpunkt 15 Personen ohne Einkaufskorb in der Filiale befunden hätten, obwohl die zulässige Anzahl der Kunden laut dem betrieblichen Corona-Konzept durch die Ausgabe abgezählter Einkaufskörbe kontrolliert werden sollte. Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 5 Abs 1 Z 4 der 4. COVID-19-SchuMaV iVm § 8 Abs 4 COVID-19-MG ist aber, dass es durch ungeeignete Maßnahmen tatsächlich zu einer Überschreitung der zulässigen Kundenanzahl kommt. Es müsste also feststehen, wie viele Kunden sich gleichzeitig in der Filiale aufhalten hätten dürfen und wie viele Kunden im Tatzeitpunkt tatsächlich anwesend waren. Wird die zulässige Kundenanzahl nicht überschritten, waren die Maßnahmen offenkundig ausreichend und es liegt keine Übertretung des § 5 Abs 1 Z 4 der 4. COVID-19-SchuMaV vor.
Aufgrund der Unzuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft X kann das Landesverwaltungsgericht Tirol aber nur das angefochtene Straferkenntnis beheben und nicht auch – wie vom Beschwerdeführer beantragt – das Verwaltungsstrafverfahren einstellen (vgl VwGH 24.10.2018, Ra 2017/10/0169; 15.12.1995, 95/11/0267). Im Übrigen hat der Beschuldigte grundsätzlich kein subjektives Recht drauf, dass das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt wird (vgl VwGH 22.1.1980, 1967/79).
Gemäß § 44 Abs 2 VwGVG konnte von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Spielmann
(Richter)
Schlagworte
Kundenanzahl in einer Betriebsstätte; örtliche Unzuständigkeit;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.44.1311.1Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021