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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/19/3298Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über den Antrag des W in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ergänzung der dem Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Juli 1995, Zl. 103.819/5-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 46 VwGG nicht stattgegeben.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 34 Abs. 2 VwGG aufgefordert, die dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde hinsichtlich der Erfordernisse des § 28 Abs. 1 Z. 4, Z. 5 und Z. 6 VwGG binnen sechs Wochen ab dem Tage der Zustellung zu ergänzen. Diese Aufforderung wurde dem ausgewiesenen Vertreter des Beschwerdeführers am 15. Juli 1996 zugestellt. Demnach war die Frist zur Einbringung des ergänzenden Schriftsatzes am 26. August 1996 abgelaufen.
Mit Beschluß vom 26. September 1996, Zl. 96/19/1242, stellte der Verwaltungsgerichtshof das Beschwerdeverfahren ein.
Der Beschwerdeführer begründet seinen am 8. November 1996 erhobenen Wiedereinsetzungsantrag im wesentlichen damit, sein Rechtsvertreter (und damit auch er) habe erst am 25. Oktober 1996 durch die Zustellung des hg. Beschlusses, mit dem das Beschwerdeverfahren eingestellt worden sei, von der Versäumung der Frist zur rechtzeitigen Einbringung des ergänzenden Schriftsatzes erfahren. Die ansonsten sehr tüchtige und sorgfältige Kanzleisekretärin, welche schon einige Jahre in der Kanzlei des einschreitenden Rechtsvertreters tätig sei und über Erfahrung in der Führung und Verwaltung einer Anwaltskanzlei verfüge - insbesondere wisse sie auch um die Wichtigkeit gesetzlicher und behördlicher Fristen -, habe die oben näher bezeichnete Aufforderung dem Rechtsvertreter in der täglichen Postbesprechung vorgelegt, wobei sie (wie bei einer Rechtsmittelerhebung üblich) angewiesen worden sei, das Schriftstück nach Eintragung der Frist zur Einbringung des ergänzenden Schriftsatzes im Fristenbuch der Kanzlei im Akt abzulegen. Offenbar habe die Kanzleisekretärin dieses Schriftstück in weiterer Folge irrtümlich dem K, dem Bruder des Beschwerdeführers, der ebenfalls vom einschreitenden Rechtsanwalt vertreten worden sei, zugeordnet und die verwaltungsgerichtliche Aufforderung in den (erledigten) Akt von K abgelegt. Erst auf Grund der Zustellung des Einstellungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 1996 sei jene Verfügung - nachdem im Akt des W die Verfügung nicht vorgefunden worden sei - durch Nachschau im Akt von K aufgefunden worden. Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, der einschreitende Rechtsvertreter überwache laufend in (zumutbaren) zeitlichen Abständen die Arbeit der verläßlichen Kanzleisekretärin und überprüfe die Richtigkeit der Ablagen und Fristeintragungen in - hinsichtlich des Aufwandes eines Rechtsanwaltskanzleibetriebes - gebotener regelmäßiger Weise. Trotz der Überwachung und Kontrolle der Kanzleisekretärin sei es aber unzumutbar, daß der einschreitende Rechtsvertreter jeden kanzleitechnischen Vorgang kontrolliere und sich von der Richtigkeit jeder Ablage und jeder Fristeintragung selbst überzeuge. Im konkreten Fall liege durch das Versehen der erfahrenen und ansonsten zuverlässigen Kanzleisekretärin, welche in Verwechslung der Brüder F die hg. Aufforderung vom 15. Mai 1996 irrtümlich als erledigt abgelegt habe, hinsichtlich der Versäumung selbst ein allenfalls minderer Grad des Versehens vor. Dieses Versehen der Kanzleisekretärin des Rechtsvertreters sei nicht dem Beschwerdeführer zurechenbar.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Rechtsanwalt muß gegenüber seiner Kanzlei als seinem Hilfsapparat, dessen er sich bei Wahrnehmung der ihm durch Bevollmächtigungsvertrag übertragenen Aufgaben bedient, alle Vorsorgen treffen, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und in dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumnis in Betracht. Insbesondere muß der betroffene Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt darnach auch dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet sind (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, 676, E. 37, zitierte
hg. Judikatur).
Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfristen ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt veranwortlich, denn er selbst hat die Fristen zu setzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen, und zwar auch dann, wennn die Kanzleiangestellte überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbstständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch der Führung des Fristenvormerks, betraut worden ist und es bisher nicht zu Beanstandungen gekommen sein sollte. Selbst die bloß stichprobenartige Überprüfung der Eintragungen wäre nicht ausreichend (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 1995, Zl. 94/17/0486, und vom 26. Juli 1995, Zlen. 95/20/0242, 0243).
Sollte man die im Sachverhalt dargestellten Ausführungen des Wiedereinsetzungswerbers so verstehen, daß der Rechtsanwalt seiner Pflicht, die Frist selbst zu berechnen, nachgekommen sei und die Kanzleiangestellte lediglich diese Frist einzutragen hatte, mußte er daher die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht überwachen. Die bloß stichprobenartige Überprüfung der Eintragungen ist nicht ausreichend.
Weiters hat der Antragsteller seinen Antrag in Hinsicht auf die Erfüllung der nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht seiner Büroangestellten zu substantiieren. Allgemeine Behauptungen genügen nicht (vgl. die in Hauer-Leukauf, aaO, 678, E. 48, zitierte hg. Judikatur). Aus dem im Sachverhalt dargestellten Vorbringen des Beschwerdeführers sind jedoch keine genügend substantiierten Angaben hinsichtlich der Überwachung zu entnehmen. Allgemeine Behauptungen, daß die Überwachung "laufend in (zumutbaren) zeitlichen Abständen" und "in - hinsichtlich des Aufwandes eines Rechtsanwaltskanzleibetriebes - gebotener regelmäßiger Weise" erfolge, lassen nicht erkennen, in welcher Art und Weise und in welchen Zeitabständen der Rechtsanwalt seiner Überwachungspflicht konkret nachkommt.
Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte somit gemäß § 46 VwGG nicht stattgegeben werden.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996193278.X00Im RIS seit
03.04.2001