Entscheidungsdatum
01.06.2021Norm
ASVG §4 Abs1 Z1Spruch
W145 2240172-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela HUBER-HENSELER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX GmbH, vertreten durch RA XXXX , gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse vom 18.01.2021, XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 15.10.2020, GZ XXXX , hat die Österreichische Gesundheitskasse (im Folgenden: belangte Behörde) festgestellt, dass XXXX , SVNR XXXX , aufgrund seiner Tätigkeit für die XXXX GmbH (im Folgenden: Beschwerdeführerin) im Zeitraum von 22.06.2015 bis 04.07.2019 der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherung als Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit a AlVG unterlegen sei.
2. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb der vorgegebenen Rechtsmittelfrist (Rechtsmittelbelehrung) kein Rechtsmittel erhoben.
3. Mit Schriftsatz vom 22.12.2020 stellte der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter, einen Antrag auf neuerliche Zustellung, in eventu einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, erstattete Beschwerde und führte aus, dass die Beschwerdeführerin vom oben genannten Bescheid erstmals am 10.12.2020 Kenntnis erlangt habe. Am 19.10.202 – am Tag des Zustellversuches – sei der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin in den Büroräumen anwesend gewesen, der Zusteller sei an diesem Tag aber nicht in die Büroräume der Beschwerdeführerin gekommen. Die vorgenommene Hinterlegung sei nicht zulässig gewesen, weil der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin in den Büroräumen anwesend gewesen und laut ZustellG eine Hinterlegung nur zulässig sei, wenn das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden könne, weil der Empfänger nicht angetroffen werden haben können.
4. Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 18.01.2021, GZ XXXX , hat die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 15.10.2020 über die Feststellung der Versicherungspflicht von XXXX als unbegründet abgewiesen.
5. Mit Schriftsatz vom 18.02.2021 erhob der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Bescheid vom 18.01.2021 und führte aus, die belangte Behörde habe nicht über alle gestellten Anträge abgesprochen. In ihrer Beschwerde hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass die Zustellung durch Hinterlegung am 19.10.2020 unwirksam gewesen sei und daher die Wirkungen der Zustellung frühestens am 21.12.2020 mit der Zustellung des Bescheides an den Rechtsvertreter eingetreten sein können. Folge man diesem Vorbringen, so wäre die am 22.12.2020 zur Post gegebene Beschwerde gegen den Bescheid vom 15.10.2020 jedenfalls rechtzeitig und die Behörde hätte eine Beschwerdevorentscheidung erlassen oder den Akt dem Bundesverwaltungsgericht vorlegen müssen. Da über den Antrag auf neuerliche Zustellung nicht entschieden wurde, sei der Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet.
6. Mit Schreiben vom 01.03.2021 legte die belangte Behörde die verfahrensgegenständliche Rechtssache dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und führte aus, dass tatsächlich im Spruch nur über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden worden sei. Bezüglich des Antrages auf Zustellung des Bescheides sei anzumerken, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung selbst bestätigte, dass der Bescheid vom 15.10.2020 der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführerin am 21.12.2020 zugekommen sei. Eine weitere Zustellung erübrige sich somit. Die Kasse stehe weiterhin auf dem Standpunkt, dass der Zustellversuch vom 19.10.2020 und die darauffolgende Hinterlegung ordnungsgemäß erfolgt seien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Mit Bescheid vom 15.10.2020, GZ XXXX , hat die Österreichische Gesundheitskasse (im Folgenden: belangte Behörde) festgestellt, dass XXXX , SVNR XXXX , aufgrund seiner Tätigkeit für die XXXX GmbH (im Folgenden: Beschwerdeführerin) im Zeitraum von 22.06.2015 bis 04.07.2019 der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherung als Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit a AlVG unterlegen ist.
1.2. Gegen diesen Bescheid, der eine dem Gesetz entsprechende Rechtsmittelbelehrung beinhaltet, wurde innerhalb der Rechtsmittelfrist kein Rechtsmittel erhoben.
1.3. Mit Schriftsatz vom 22.12.2020 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf neuerliche Zustellung, in eventu auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erstattete gleichzeitig eine Beschwerde.
1.4. Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 18.01.2021, GZ XXXX hat die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 15.10.2020 über die Feststellung der Versicherungspflicht von XXXX als unbegründet abgewiesen.
1.5. Über den Antrag auf neuerliche Zustellung hat die belangte Behörde nicht bescheidmäßig und sohin nicht rechtskräftig abgesprochen.
1.6. Die belangte Behörde ist zur Entscheidung über den ausdrücklich als Eventualantrag formulierten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zuständig.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Ausführungen zum Verfahrensgang und zu den Feststellungen ergeben sich eindeutig aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-Vg erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG is belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – vorliegend die Österreichische Gesundheitskasse.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
In Ermangelung einer entsprechenden Anordnung der Senatszuständigkeit liegt im gegenständlichen Fall Einzelrichterzuständigkeit vor.
3.2. Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.3. Zu A) Aufhebung wegen Unzuständigkeit:
Die Beschwerdeführerin hat im Schriftsatz vom 22.12.2020 neben dem Antrag auf neuerliche Zustellung den Eventualantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand samt Beschwerde gestellt.
Im verfahrensgegenständlichen Bescheid hat die belangte Behörde jedoch den Antrag auf neuerliche Zustellung nicht behandelt; nicht bescheidmäßig und (rechtskräftig) darüber entschieden.
Eventualanträge sind im Verwaltungsverfahren durchaus zulässig. Das Wesen eines solchen Antrages liegt darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (VwGH 27.02.2007, 2005/21/0041; VwGH 22.12.2009, 2008/21/0561).
Die Behörde hat demnach zuerst über den Primärantrag und erst dann über den Eventualantrag in der begehrten Reihenfolge zu entscheiden. Eine Erledigung des nachgereihten Eventualantrages ist erst dann zulässig, wenn der Bescheid, mit welchem dem Primärantrag nicht stattgegeben wird, in Rechtskraft erwachsen ist (VwGH 20.02.1990, 89/01/0114; 12.12.1997, 96/19/3388; vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 [RZ 4]). Dies gilt nach der Judikatur des VwGH auch dann, wenn es sich bei dem Eventualantrag um einen Wiedereinsetzungsantrag handelt (VwGH 04.02.2000, 96/19/2626).
Im gegenständlichen Fall wird die belangte Behörde demnach zuerst über den Primärantrag – nämlich den Antrag auf neuerliche Zustellung – zu entscheiden haben. Erst, wenn dieser Primärantrag in Rechtskraft erwachsen ist, ist – wie oben ausgeführt – ihr nach der Rechtsprechung des VwGH eine Entscheidung über den Eventualantrag möglich. Da im konkreten Fall eine (rechtskräftige) Entscheidung über den Antrag auf neuerliche Zustellung durch die belangte Behörde zur Gänze ausblieb, war der belangten Behörde die Entscheidung über den Eventualantrag (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Beschwerde) mangels Zuständigkeit verwehrt.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung aufgrund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Hat – wie im gegenständlichen Fall – eine unzuständige Behörde entschieden, so hat das mit der Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht diese Unzuständigkeit wahrzunehmen und die Entscheidung zu beheben. Eine anstelle dessen erfolgte Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache würde diese mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes (VwGH 28.01.2016, Ra 2015/07/0140) belasten.
Demzufolge war der angefochtene Bescheid vom erkennenden Gericht gemäß § 27 VwGVG wegen Rechtswidrigkeit infolge der Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben ohne auf das Vorbringen zum Wiedereinsetzungsantrag und in der Beschwerde einzugehen.
3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Bescheidbehebung Eventualantrag Hinterlegung Rechtskraft Unzuständigkeit Wiedereinsetzungsantrag ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W145.2240172.1.00Im RIS seit
05.08.2021Zuletzt aktualisiert am
05.08.2021