TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W261 2243406-1

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Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W261 2243406-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 28.05.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist seit 19.08.2020 Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 von Hundert (in der Folge v.H.).

2. Am 27.01.2021 stellte sie beim Sozialministeriumservice (in der Folge „belangte Behörde“ genannt) einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass und legte das von der belangten Behörde im Behindertenpassverfahren eingeholte medizinische Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie/Orthopädie und Arztes für Allgemeinmedizin vom 13.01.2021 vor.

3. Die belangte Behörde forderte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29.01.2021 auf, aktuelle Befunde vorzulegen. Dieser Aufforderung kam die Beschwerdeführerin am 26.02.2021 (einlangend) nach.

4. Die belangte Behörde ersuchte den bereits im Behindertenpassverfahren befassten medizinischen Sachverständigen um Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu diesen Befunden. In seiner Stellungnahme vom 08.03.2021 führt der medizinische Sachverständige aus, dass aus den vorgelegten medizinischen Befunden klinisch kein relevantes motorisches Defizit objektiviert werden könne. Der NLG-Befund beschreibe ein axonales Neuropathie Syndrom, welches altersentsprechend zu werten sei und kein neues einschätzungsrelevantes Leiden darstelle. Der vorgelegte Röntgenbefund vom Becken beschreibe eine Hüftprothese links ohne Lockerungskennzeichen, rechts eine geringe Coxarthrose. Diese Gutachten würden keine Änderung oder Erweiterung des bereits vorliegenden Gutachtens erforderlich machen.

5. Die belangte Behörde übermittelte diese Stellungnahme der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 09.03.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihr die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

6. Die Beschwerdeführerin übermittelte mit ihrer Stellungnahme vom 30.03.2021 ein psychiatrisch neurologisches Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 24.03.2021, wonach die Beschwerdeführerin bis zu ihrem Sturz eine normale Entwicklung durchgemacht habe, seit dem Sturz würden orthopädische Probleme und eine neurologisch bedingte Schwäche der Beine bestehen. Psychiatrisch habe sich eine leichte Depression und eine Angststörung entwickelt, sie sich vor allem bei der Vorstellung, ein öffentliches Verkehrsmittel auch mit Begleitung zu nutzen, zu Panikattacken steigere. Aufgrund ihres Alters und aufgrund ihrer Erkrankung sei es ihr nicht möglich, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen.

7. Die belangte Behörde nahm die Vorlage dieses Gutachtens zum Anlass, um ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie einzuholen. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 20.05.2021 erstatteten Gutachten vom 24.05.2021 stellte die medizinische Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.

8. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.05.2021 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.

Darüber hinaus führte die belangte Behörde anmerkend aus, dass über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden.

Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid die ergänzende Stellungnahme des Facharztes für Unfallchirurgie/Orthopädie und Arztes für Allgemeinmedizin und das eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie in Kopie an.

8. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführer fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Darin brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass es ihr nach wie vor nicht möglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, weil sie seit ihrem Unfall vom 14.04.2020 fremdverschuldet in die Verkehrsmittel nicht ein- und aussteigen könne. Dazu komme panische Angst vor einer Sturzgefahr beim Öffnen und Schließen von automatischen Türen. Sie würde ihre Erledigungen mit dem PKW vornehmen und dürfe dabei den Behindertenparkplatz nicht benützen. Alle Einkäufe und Besorgungen würden für sie große Probleme darstellen, weil sie die Belastung des Tragens nicht auf einmal schaffen könne. Die günstige Lage der Behindertenparkplätze käme ihr sehr entgegen, und schließlich sei sie auch behindert.

Mit ihrem Gebrechen sei ihre Lebensqualität sehr herabgesetzt, und die fortscheitende Alterung zähle auch dazu. Sie sei im 87. Lebensjahr und hoffe auf eine soziale Entscheidung.

Die Beschwerdeführerin schloss der Beschwerde keine Befunde an.

9. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom14.06.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15.06.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist, und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.

Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

Anamnese:

Unfallchirurgisches/allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten - Vorgutachten vom 12.01.2021:

-        Aufbrauchserscheinungen am Stütz- Bewegungsapparat, Zustand nach Hüfthemiprothese links, GdB 50%
ZE: Prothese, keine Unzumutbarkeit.

Unfallchirurgische/allgemeinmedizinische Stellungnahme vom 08.03.2021 nach Vorlage neuer Befunde: keine Änderung.
Aktuell: Einwendungen zum Parteiengehör - Schreiben 30.03.2021 und Vorlage eines neuen Befundes.
Vorbekannt/vorbeschrieben:

-        Entfernung Gebärmutter und Senkungsoperation vor 12 Jahren.

-        Arthroskopie rechtes Knie vor 3 Jahren.

-        4/2020 Oberschenkelhalsbruch links mit Hemiprothesenversorgung. Unfallhergang: Die automatische Tür in einer Bank habe sich geschlossen und habe sie zu Fall gebracht.

-        2/2021 NLG mit axonaler Beeinträchtigung der Unteren Extremitäten beschrieben.

Derzeitige Beschwerden:
„Sie könne nicht in die Straßenbahn einsteigen. Sie habe panische Angst vor dem Gedränge der Straßenbahn. Sie könne nicht so schnell reagieren, wenn jetzt hinter ihr jemand sei. Die Fachärztin habe sie davor gewarnt wieder zu stürzen. Sie verwende seit der Oberschenkelhalsfraktur einen Gehstock. Sie gehe auch am Gehsteig oft wie betrunken. Die Gehstrecke sei gut, sie könne einkaufen und gehe auch spazieren, wenn sie keinen Stress habe und langsam gehen könne. Sie könne in der Straßenbahn nur mit Anhalten das linke Bein in der Hüfte beugen. Das Ein- und Aussteigen sei deswegen nur mit Anhalten möglich. Sie wolle mobil sein, mit dem Auto komme sie gut zurecht, brauche aber einen Parkplatz in der Stadt.         Sie verwende das Auto, wenn sie wo hinmüsse, das Ein- und Aussteigen sei hier möglich.“

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Coenac 1-0-0, Gehstock. Keine nervenfachärztliche Behandlung. Derzeit keine laufende Therapie.

Sozialanamnese:

Sonderschulpädagogin, Schuldirektorin in Pension. Pflegestufe 1 seit 12/2020. Verheiratet, ein erwachsener Sohn.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

08/2020 Reha-Bericht XXXX : Nach Oberschenkelhalsbruch links mit Hemiprothese versorgt. Gehleistung ca. 2,5 km mit einer umgedrehten Krücke (in Form eines Gehstockes) gut möglich.

Psychiatrisches Gutachten Dr. XXXX vom 24.03.2021: Dient zur Vorlage bei Gericht.
FRAGESTELLUNG: Ist die Untersuchte aufgrund ihrer Erkrankungen fähig, öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen?

„......hat sich bis zu ihrem Sturz mit der schweren Verletzung sehr wohl gefühlt, seit dieser Zeit jedoch leidet sie an Unsicherheit in den Beinen, so dass sie sich nicht zutraut, Stufen in einer Straßenbahn zu benützen, in solchen Situationen hat sie auch bei Anwesenheit des Sohnes richtige Panikattacken, uns ist dann tagelang depressiv.“
PSYCHOPATHOLOGISCHES ZUSTANDSBILD:

„Bei der heutigen Exploration ist der Untersuchte nicht bewusstseinsgetrübt. Er ist zeitlich, örtlich und zur Person hin orientiert. In den intellektuellen Leistungen der Ausbildung entsprechend. In Bezug auf die reale Situation sehr wohl kritikfähig. Keine grobe Merkfähigkeit- oder Gedächtnisstörung. Affektiv gut korrespondierend. Antrieb und Stimmungslage depressiv. Die Befindlichkeit herabgesetzt. Eine produktive Symptomatik ist nicht erfassbar. Eine Biorhythmusstörung im Sinne von Schlafstörungen ist in der letzten Zeit immer wieder aufgetreten.“
SOMATONEUROLOGISCHES ZUSTANDSBILD:

„Somatoneurologisch gibt es einige somatische Beschwerden, wobei die neurologische Beeinträchtigung und die Schwäche in den Beinen wesentlich ist (siehe andere Gutachten).“

GUTACHTEN und Beantwortung der Fragestellungen:

„Die Untersuchte hat bis zu ihrem Sturz eine normale Entwicklung durchgemacht, seit dem Sturz bestehen die orthopädischen Probleme und die neurologisch begründete Schwäche der Beine. Psychiatrisch hat sie eine leichte Depression und eine Angststörung entwickelt, die sich vor allem bei der Vorstellung ein öffentliches Verkehrsmittel auch mit Begleitung zu Panik Attacken steigert. Auf Grund ihres Alters und auf Grund ihrer Erkrankungen ist es ihr nicht möglich ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen.“

Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin:

Allgemeinzustand: 86-jährige in gutem AZ.

Ernährungszustand: gut.

Größe: 168,00 cm  Gewicht: 60,00 kg  

Klinischer Status – Fachstatus:
Geruch: anamnestisch unauffällig. Gesichtsfeld: fingerperimetrisch keine Einschränkung.          Visus: Lesebrille. Pupillen mittelweit, rund isocor. Optomotorik frei, keine Doppelbilder, Nystagmus: keiner. Facialis: seitengleich innerviert, kein mimisches Defizit. Sensibilität: unauffällig. Hörvermögen anamnestisch reduziert, keine Hörgeräte. Zunge: wird gerade herausgestreckt, seitengleich gut beweglich. Uvula mittelständig, Gaumensegel hebt symmetrisch Kopfdrehung und Schulterhebung: unauffällig. Sprache und Sprechen: unauffällig.
Obere Extremitäten:

Rechtshänderin.

Aus neurologischer Sicht:

Kraft: seitengleich unauffällig. Trophik: Fingerpolyarthrosen. Tonus: unauffällig.  Motilität: Nacken und Schürzengriff: nicht eingeschränkt. Seitabduktion beidseits bis zur Senkrechten. Faustschluss und Fingerspreizen gut durchführbar. Pinzettengriff: beidseits möglich. Feinmotorik: ungestört. MER (BSR, RPR, TSR): seitengleich mittellebhaft.  Pyramidenbahnzeichen: negativ. Eudiadochokinese. AVV: beidseits gehalten ohne Absinken, ohne Pronation. FNV: zielsicher beidseits. Sensibilität: seitengleich unauffällig.

Aus unfallchirurgischer/orthopädischer Sicht:

Symmetrische Muskelverhältnisse. Durchblutung und Sensibilität sind ungestört. Benützungszeichen sind seitengleich sehr zart. Deutlich Fingergelenksarthrosen. Sämtliche Gelenke sind bandfest und altersentsprechend unauffällig.
Beweglichkeit: Die Schultern sind über der Horizontalen je 1/2 eingeschränkt. Nacken- und Kreuzgriff sind jeweils endlagig eingeschränkt. Ellenbogen, Vorderarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger sind seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar, der Faustschluss ist komplett.

Untere Extremitäten:

Aus neurologischer Sicht:

Kraft: seitengleich unauffällig. Trophik: leichte - mäßige Knöchel/Vorfußödeme beidseits.  Tonus: unauffällig.  Motilität: nicht eingeschränkt. PSR: seitengleich mittellebhaft. ASR: seitengleich mittellebhaft. Pyramidenbahnzeichen: negativ. Lasegue: negativ. Beinvorhalteversuch: kein Absinken. Knie-Hacke-Versuch: zielsicher beidseits. Sensibilität: seitengleich unauffällig. Stand und Gang: unauffällig. Romberg: unauffällig. Unterberger Tretversuch: leicht zögerlich, kein Abweichen, keine Falltendenz. Zehen- und Fersenstand: mit Anhalten beidseits möglich.

Aus unfallchirurgischer/orthopädischer Sicht:

Der Barfußgang ist kleinschrittig bei etwa gleicher Schrittlänge, ohne auffälliges einseitiges hinken. Zehenballenstand mit Anhalten, Fersenstand beidseits deutlich eingeschränkt, Einbeinstand mit Anhalten, Anhocken ist knapp 1/3 möglich. X-Bein Stellung mit einem Innenknöchelabstand von 5 cm. Annähernd symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ist gleich. Durchblutung und Sensibilität sind ungestört. Die Fußsohlenbeschwielung ist seitengleich ausgebildet, Spreizfußstellung beidseits. Linke Hüfte: unauffällige Narbe, mäßig lokal Druckschmerz, kein wesentlicher Endlagenschmerz.  Übrige Gelenke sind bandfest und altersentsprechend unauffällig.
Beweglichkeit: Hüften S 0-0-90 beidseits, R (S 90°) 10-0-15 beidseits. Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.

Wirbelsäule:

Aus unfallchirurgischer/orthopädischer Sicht:

In etwa im Lot. Ausgeprägt Rundrücken, regelrechte Lendenlordose. Kein wesentlicher Hartspann, kein wesentlicher Druckschmerz.
Beweglichkeit: Halswirbelsäule: allseits gut 1/3 eingeschränkt. Brustwirbelsäule/ Lendenwirbelsäule: FBA 30 cm, Seitwärtsneigen und Rotation je 1/2 eingeschränkt.

Gesamtmobilität – Gangbild:

Kommt mit einem Gehstock gehend mit normalem Tempo und Schrittlänge zur Untersuchung, wird vom Sohn begleitet.

Führerschein: Ja, fährt auch selbst.
An/Auskleiden: Schuhe.

Status Psychicus:

Kooperativ und freundlich, gut auskunftsfähig, bewußtseinsklar, voll orientiert, kein kognitiv- mnestisches Defizit, Gedankenductus: geordnet, kohärent; Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen, stabil, in beiden Bereichen affizierbar; Affekte: angepasst, keine produktive Symptomatik.

Die Beschwerdeführerin hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

- Aufbrauchserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates, Zustand nach Hüfthemiprothese links 4/2020.

Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Die festgestellten Gesundheitsschädigungen am Stütz- und Bewegungsapparat haben keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge.

Aus neurologischer Sicht liegt zwar eine Einschränkung der körperlichen Wendigkeit vor, aber es liegen keine erheblichen Einschränkungen der Extremitäten vor und keine sensomotorischen neurologischen Defizite. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke und das Überwinden üblicher Niveauunterschiede sind zumutbar, der sichere Transport ist möglich. Es liegen auch keine erheblichen Einschränkungen der psychischen oder intellektuellen Funktionen vor, die die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel erheblich erschweren würden.

Insbesondere sind auch weder psychiatrischen Krankheitsbilder, die im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus psychiatrischer Sicht zu bewerten wären, als Hauptdiagnose nach ICD 10 (Klaustrophobie, Soziophobie, phobische Angststörung) dokumentiert, noch besteht eine nachgewiesene psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung dieser Krankheiten von mindestens einem Jahr mit Ausschöpfen des therapeutischen Angebotes.

Es bestehen aus unfallchirurgischer/orthopädischer Sicht weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit. Eine kurze Wegstrecke mit einem Aktionsradius von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 300 bis 400 m, ist mit Gehstock zumutbar und möglich. Die Beine können gehoben, Niveauunterschiede können überwunden werden. Es besteht ausreichend Kraft und Beweglichkeit an den oberen Extremitäten. Greifformen sind erhalten.

Es liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz der Beschwerdeführerin im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Das von der belangten Behörde im Rahmen des Behindertenpassverfahrens eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie/Orthopädie vom 13.01.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 12.01.2021 und das ebenfalls von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 24.05.2021, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 20.05.2021, sind schlüssig und nachvollziehbar, diese weisen keine Widersprüche auf. Es wird aus jeweils fachlicher Sicht auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen und nachvollziehbar ausgeführt, dass es der Beschwerdeführerin – trotz der vorliegenden Funktionseinschränkungen – möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Die Beschwerdeführerin stürzte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde im April 2020 in einer Bank so schwer, dass sie sich einen Oberschenkelhalsbruch links zuzog, welcher mit einer Hüfthemiprothese versorgt werden musste. Die Beschwerdeführerin war im August 2020 auf einem Reha Aufenthalt im Moorheilbad XXXX . Dieser Reha- Aufenthalt war erfolgreich, wie aus dem vom medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Unfallchirurgie/Orthopädie erstellten Sachverständigengutachten zu ersehen ist, weil es der Beschwerdeführerin bereits im August 2020 möglich war, mit einer Unterarmstützkrücke ca. 2,5 km zurückzulegen.

Aus dem sowohl vom medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Unfallchirurgie/Orthopädie und auch aus dem von der medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich Neurologie/Psychiatrie erhobenen Gangbild ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin durchaus in der Lage ist, sich sicher fortzubewegen. Weder aus orthopädischer Sicht noch aus neurologischer Sicht liegen als Folge dieses Sturzes so erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten der Beschwerdeführerin vor, welche es ihr unmöglich machen würden, ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen. Es wird ihr zwar von der Fachärztin für Neurologie eine eingeschränkte Wendigkeit attestiert, diese erreicht jedoch ebenfalls nicht jenes Ausmaß, welches erforderlich wäre, um öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen zu können.

Auch wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, dass sie nicht mehr in der Lage sei, in ein öffentliches Verkehrsmittel ein- oder auszusteigen, so muss dem entgegengehalten werden, dass sich dies nicht mit dem Ergebnis der Untersuchungen durch die beiden medizinischen Sachverständigen deckt, welche beide aus jeweils fachlicher Sicht zum Ergebnis kommen, dass der Beschwerdeführerin das Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln möglich und zumutbar ist.

Was nun die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Panikattacken betrifft, welche durch ein von ihr vorgelegtes psychiatrisch-neurologisches Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 24.03.2021 belegt werden sollen, so ist dazu anzumerken, dass die Beschwerdeführerin selbst angab, keine nervenfachärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Es ist aus dem vorgelegten Gutachten auch nicht zu entnehmen bzw. nachzuvollziehen, aufgrund welchen Zustandsbildes der Facharzt für Psychiatrie und Neurologie zu dem Ergebnis kam, dass bei der Beschwerdeführerin eine Angststörung vorliegen könnte. Lediglich in der Anamnese für dieses Gutachten schildert die Beschwerdeführerin sehr vage „richtig“ Panikattacken, aus den erhobenen Zustandsbildern, und nur diese sind für eine Gutachtenserstellung von maßgeblicher Relevanz, lassen sich die Symptome der diagnostizierten Angststörung nicht ableiten.

Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Laut ICD-10 F41.0 wird unter Panikstörung Folgendes verstanden: „Das wesentliche Kennzeichen sind wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind. Wie bei anderen Angsterkrankungen zählen zu den wesentlichen Symptomen plötzlich auftretendes Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel und Entfremdungsgefühle (Depersonalisation oder Derealisation). Oft entsteht sekundär auch die Furcht zu sterben, vor Kontrollverlust oder die Angst, wahnsinnig zu werden. Die Panikstörung soll nicht als Hauptdiagnose verwendet werden, wenn der Betroffene bei Beginn der Panikattacken an einer depressiven Störung leidet. Unter diesen Umständen sind die Panikattacken wahrscheinlich sekundäre Folge der Depression.“ (Quelle: https://www.icd-code.de/icd/code/F41.0.html - abgerufen am 17.06.2021)

Zu diesen Symptomen finden sich in dem genannten Gutachten keine Hinweise im erhobenen psychopathologischen Zustandsbild. Daher kann nicht nachvollzogen werden, wie der von der Beschwerdeführerin beigezogene medizinische Sachverständige aus den Fachbereichen Psychiatrie/Neurologie zur Diagnose „Panik Attacke“ gekommen ist.

Das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten vom 24.03.2021 ist daher in diesem – wesentlichen – Punkt weder schlüssig noch nachvollziehbar, weswegen diesem Gutachten nicht gefolgt werden kann.

Ärztliche Atteste, die lediglich Schlussfolgerungen enthalten, aber keinen Befund, aus dem diese Schlussfolgerungen nachvollziehbar ableitbar wären, sind nicht geeignet, Bedenken gegen das vollständige und schlüssige Gutachten eines Amtssachverständigen zu erwecken (VwGH 02.05.2001, 95/12/0260; 22.03.1995, 94/12/0245).

Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 Meter ist somit selbständig möglich. Auch das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist der Beschwerdeführerin ohne fremde Hilfe zumutbar. Ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Festhalten an Haltegriffen ist gewährleistet.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, die folgende Krankheitsbilder umfassen: Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10, sind im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen. Ebenso wenig besteht ein Hinweis auf eine Erkrankung des Immunsystems.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens eines Facharztes für Unfallchirurgie/Orthopädie vom 13.01.2021, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 12.01.2021 und des Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie vom 24.05.2021 beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 20.05.2021 und werden diese Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1      Zur Entscheidung in der Sache:

Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 28.05.2021, der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 100/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

§ 47 Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

„§ 1 ….

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. …….

2. ……

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)……“

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-        anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

-        schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-        fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-        selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

-        vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,

-        laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,

-        Kleinwuchs

-        gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

-        bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.

…“

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob die Antragstellerin dauernd an ihrer Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit der Beschwerdeführerin zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie/Orthopädie vom 13.01.2021, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 12.01.2021 und im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie vom 24.05.2021 beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 20.05.2021, nachvollziehbar verneint, dass im Fall der Beschwerdeführerin – trotz der bei ihr vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen – die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der bei der Beschwerdeführerin objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag die Beschwerdeführerin noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung aufgrund von erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind im Falle der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht gegeben. Eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit liegt ebenso wenig vor, wie entscheidungsmaßgebliche Einschränkungen der Sinnesfunktionen. Es kann im vorliegenden Fall außerdem keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, festgestellt werden.

Was das Vorbringen der Beschwerdeführerin betrifft, dass es für sie mühsam sei, ihre Besorgungen auf einmal zu tragen, und sie mehrfach gehen müsse, weswegen sie einen Behindertenparkplatz benötige, so sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Berechtigung der Zusatzeintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" wie bereits zuvor ausgeführt, entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ankommt, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0258).

Im vorliegenden Fall beruhen die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aber in Bezug auf diesen Teil des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin zu Folge nicht in der Art und Schwere der Gesundheitsschädigung, sondern entscheidend darin, eine für die Beschwerdeführerin als zu schwer empfundene Belastung des Tragens ihrer Besorgungen in Kauf nehmen zu müssen.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Betracht kommt.

3.2.    Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, auf die über Veranlassung der belangten Behörden eingeholten medizinische Sachverständigengutachten, welche jeweils auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhen sowie einer Ergänzung zum orthopädischen Sachverständigengutachten, welche auf alle Einwände und vorgelegten Befunde der Beschwerdeführersin in fachlicher Hinsicht eingehen, und welchen die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers und damit verbunden die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Die Beschwerdeführerin hat keine mündliche Beschwerdeverhandlung beantragt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2243406.1.00

Im RIS seit

05.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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