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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Bangladesch mangels Auseinandersetzung mit den Länderberichten zur Situation HomosexuellerSpruch
I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr wird stattgegeben.
II. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch. Er stellte am 29. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 21. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 2. Februar 2021 als unbegründet ab. In der rechtlichen Beurteilung der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es dem Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht gelungen sei, eine in seinem Herkunftsstaat bestehende konkrete Bedrohungssituation aus politischen oder sexuellen Gründen für seine Person glaubhaft zu machen. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes seien auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu, die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt. Eine Gegenschrift hat es nicht erstattet.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages – unter Verweis auf seine Beweiswürdigung – eine den Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat betreffende konkrete Bedrohungssituation aus "sexuellen Gründen" als nicht glaubhaft. In der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang aus, dass "das sexuelle Fluchtvorbringen [...] soweit es sich auf das Geschehen in Bangladesch bezog" unglaubwürdig und widersprüchlich sei bzw dass diesem Vorbringen "wenig Glaubwürdigkeit zuzumessen [sei], soweit es sich dabei um eine (bereits erfolgte, seinerzeitige) Verfolgung in Bangladesch drehte". Es müsse "aber auch konstatiert werden, dass der BF offensichtlich den Umgang zu einem homosexuellen Kreis in Österreich gefunden hat und Kontakt zu einem homosexuellen Österreicher hatte", was sich "aus den vorgelegten Bestätigungen" ergebe. Im Zusammenhang mit der Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers betreffend eine Beziehung mit einem Österreicher hält das Bundesverwaltungsgericht daneben fest, dass es sich dabei um "keine gesicherte Beziehung, sondern [um] sexuelle Freundschaft" handle. Zudem seien dem Bundesverwaltungsgericht "Unterlagen vorgelegt [worden], aus denen homosexuelle Kontakte in Österreich hervorgehen".
3.2. Laut den vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Länderfeststellungen stellt sich die Situation von Menschen mit homosexueller Orientierung in Bangladesch wie folgt dar:
"Homosexuelle Handlungen sind illegal und können nach §377 des 'Bangladesh Penal Code, 1860' (BPC) mit lebenslangem Freiheitsentzug (ILGA 3.2019), mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe, bestraft werden (ILGA 3.2019; vgl AA 21.6.2020). Traditionell tendiert die Bevölkerung zu einer gemäßigten Ausübung des Islam, die Sexualmoral ist allerdings konservativ (ÖB 9.2020). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intersex) berichteten, dass die Polizei das Gesetz als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen sowie feminine Männer, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, zu schikanieren (USDOS 11.3.2020; vgl AA 21.6.2020).
Homosexualität ist gesellschaftlich absolut verpönt und wird von den Betroffenen nicht offen gelebt. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen (ÖB 9.2020; vgl HRW 14.1.2020). Jedes Jahr wird über dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet (FH 2020). Bei einem durch das Human Rights Forum Bangladesh (HRFB) eingereichten Bericht beim UN-Ausschuss gegen Folter vom 29.6.2019 wurden für den Zeitraum 2013 bis 2018 insgesamt 434 Beschwerden wegen schikanöser Behandlungen oder Misshandlungen angeführt. Davon betrafen 294 Fälle Angriffe gegen Angehörige sexueller Minderheiten (HRFB 22.6.2019)."
3.3. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass das Bundesverwaltungsgericht insbesondere angesichts seiner eigenen Feststellungen zur homosexuellen Orientierung des Beschwerdeführers jede Auseinandersetzung mit der Frage unterlässt, ob der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund der vom Bundesverwaltungsgericht erkennbar nicht in Zweifel gezogenen Homosexualität Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl VfGH 27.2.2020, E3349/2019; 22.9.2020, E423/2020; 10.3.2021, E4058/2020). Im Zuge einer derartigen Prüfung hätte sich das Bundesverwaltungsgericht des Näheren mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt, ob – weil für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht nur jene Gründe maßgeblich sind, die den Antragsteller zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (siehe zur Verfolgung von Homosexuellen in Bangladesch VwGH 23.2.2021, Ra 2020/18/0500) – dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe, oder ob eine solche Verfolgung gegebenenfalls im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei, aufzugreifen sei.
Indem das Bundesverwaltungsgericht diese nähere Prüfung der Situation des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat im Hinblick auf Verfolgungshandlungen gegenüber Menschen mit homosexueller Orientierung unterlässt, bleibt seine Begründung vor dem Hintergrund seiner eigenen Feststellungen widersprüchlich und die Entscheidung aus der Begründung nicht nachvollziehbar, womit das Erkenntnis mit Willkür belastet ist (siehe etwa VfGH 23.9.2019, E50/2019).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr ist stattzugeben.
3. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E959.2021Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021