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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie von Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit aktuellen und verfügbaren Länderinformationen sowie der Sicherheitssituation für KinderSpruch
I. Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird im Umfang der Gebührenbefreiung stattgegeben.
II. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.771,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerden und Vorverfahren
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und lebten bis zu ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat in Kerbala.
2. Die Beschwerdeführer stellten am 14. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Siebtbeschwerdeführer wurde am 28. März 2017 im Bundesgebiet geboren, am 7. April 2017 stellte die Zweitbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin für den Siebtbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.
3. Die Anträge der Beschwerdeführer wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) vom 31. Jänner 2017 bzw betreffend den Siebtbeschwerdeführer am 19. April 2017 jeweils sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Das BFA erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 2. September 2020 abgewiesen.
5. Gegen diese Entscheidung richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerden beantragt.
II. Erwägungen
A. Soweit sich die – zulässigen – Beschwerden gegen die Abweisung der Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richten, sind sie auch begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
2.1. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob sie unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage zu deren Beurteilung einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (vgl zB VfGH 8.6.2020, E3524/2019 ua mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art24 Abs2 GRC bzw ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (VfGH 2.10.2013, U2576/2012 mit Verweis auf EuGH 6.6.2013, Rs C-648/11, MA ua, Rz 56 und 57).
2.2. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine Familie mit fünf minderjährigen Kindern und somit schon deshalb um eine besonders vulnerable und schutzbedürftige Personengruppe. Nach den UNHCR-Erwägungen ("International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq", S 115) vom Mai 2019 ist bei der Prüfung, ob subsidiärer Schutz zuzuerkennen ist, auf eine solche Vulnerabilität besonders Bedacht zu nehmen.
2.3. Mit Blick auf die Lage von Kindern trifft das Bundesverwaltungsgericht zwar die Feststellung, dass über 50 Prozent der Iraker jünger als 18 Jahre seien und dass ein Viertel der Kinder in Armut lebe. Diese Feststellungen gründen sich auf einen Bericht aus 2018. Zudem trifft das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen in Bezug auf den Zugang zu Bildung. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Beschwerdeführer keiner Personengruppe mit speziellem Risikoprofil angehörten, weshalb sich kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergebe, der gemäß §8 Abs1 AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte. Die zum Entscheidungszeitpunkt bereits verfügbare, aber der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde gelegte Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 17. März 2020, die zu Kindern die weiterführende Feststellung enthält, dass Kinder weiterhin Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen seien und auf der einen Seite in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage sowie auf der anderen Seite durch Gewaltakte gegen sie bzw Familienmitglieder stark betroffen seien, findet aber keine Erwähnung (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, S 108).
2.4. In der angefochtenen Entscheidung fehlen Feststellungen hinsichtlich der speziellen Gefährdungslage für Minderjährige im Irak gänzlich. Ebenso wenig erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Tatsache der Minderjährigkeit in der rechtlichen Beurteilung. Damit unterbleibt eine Klärung der Frage, ob den Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Irak eine Verletzung ihrer gemäß Art2 oder 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte droht. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht sein Erkenntnis im angegebenen Umfang mit Willkür belastet (vgl dazu jüngst VfGH 11.12.2020, E1953-1955/2020 mwN). Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auch auf die Entscheidung betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch (s VfSlg 19.855/2014); daher ist auch diese im selben Umfang – wie jene betreffend die Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer – aufzuheben.
B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richten, wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden – soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richten – abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerden abgesehen.
3. Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung ist stattzugeben.
4. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 588,60 enthalten.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3553.2020Zuletzt aktualisiert am
17.12.2021