Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art8Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Bestätigung einer Rückkehrentscheidung betreffend den Antrag auf internationalen Schutz eines Staatsangehörigen von Bangladesch, mangelnde Auseinandersetzung mit der neunjährigen (dem Beschwerdeführer nicht zuzurechnenden) Verfahrensdauer bei der InteressenabwägungSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, den Ausspruch, dass die Ausweisung nach Bangladesch zulässig ist und die vier-zehntägige Frist zur Ausreise, abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer stellte am 29. Dezember 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Februar 2012 wurde dieser Antrag abgewiesen. Dieser Bescheid wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. März 2016, W152 1424958-1, aufgehoben und die Sache an das (mittlerweile zuständige) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zurückverwiesen. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass keine Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes stattgefunden habe, zudem hätte es im Hinblick auf einzelne Vorbringen auch Erhebungen vor Ort unter allfälliger Beiziehung eines Vertrauensanwaltes bedurft.
2. Mit Bescheid des BFA vom 5. November 2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 29. Dezember 2011 und der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen, kein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen festgesetzt. Dieser Bescheid wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. September 2017, L525 1424958-2/13E, aufgehoben und die Sache an das BFA zurückverwiesen. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass das BFA keine Ermittlungen vor Ort durchgeführt habe, obwohl die Länderfeststellungen dies in einzelnen Punkten nahegelegt hätten und es daher Erhebungen vor Ort unter Beiziehung eines Vertrauensanwaltes bedurft hätte. Das BFA habe jegliche durch das Bundesverwaltungsgericht aufgetragenen Schritte unterlassen.
3. Mit Bescheid des BFA vom 9. April 2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 29. Dezember 2011 und der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen, kein Aufenthaltstitel gemäß §57 AsylG erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen festgesetzt.
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit vorliegendem Erkenntnis vom 14. Dezember 2020 ab. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreife. Dieses werde jedoch ungeachtet der Dauer seines Aufenthaltes dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß auf Grund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Der Beschwerdeführer hätte sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen.
4.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt weiter aus, dass insbesondere allfällige eingegangene Bindungen nicht schwer wiegen würden, zumal der Beschwerdeführer drei abschlägige erstinstanzliche Asylentscheidungen erhalten habe und schon von daher niemals darauf vertrauen durfte, dass sein Aufenthalt jemals ein dauerhafter sein werde. Daran würden auch die guten Deutschkenntnisse und die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers nichts ändern, weil diese in Relation zum Aufenthalt gesehen werden müssten.
4.2. Der Beschwerdeführer habe den größten Teil seines Lebens in Bangladesch verbracht und durchaus starke familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat, etwa seine Mutter sowie zahlreiche andere nähere Verwandte. Es sei daher davon auszugehen, dass der Grad an Integration im Bundesgebiet gerade noch nicht in einer Weise fortgeschritten sei, dass bei einer Abwägung die Rückkehrentscheidung unzulässig wäre. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Hilfskoch stelle überdies keine relevante Integration am Arbeitsmarkt dar. Damit sei die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich auf Grund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt habe, nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene Beschwerdeführer einen großen Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht und er nach wie vor Familienangehörige dort habe und seine Integration im Bundesgebiet durchschnittlich sei, sei davon auszugehen, dass er mit den Gegebenheiten im Bundesgebiet nicht derart verwurzelt und seiner Heimat entwurzelt ist, dass ihm eine Rückkehr auch unter Berücksichtigung seiner Erkrankungen nicht mehr zugemutet werden könne.
4.3. Im Hinblick auf die Umstände, dass der Beschwerdeführer über Deutschkenntnisse verfüge, nicht in die Grundversorgung einbezogen und Mitglied in einem Schachklub, des Roten Kreuzes und der Kinderhilfe sei, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, in denen trotz langjährigem Aufenthalt und dem Vorliegen von Integrationsschritten die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeenden Maßnahme bejaht worden sei.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. In der Beschwerde wird unter anderem vorgebracht, dass das Bundesverwaltungsgericht wesentliche Umstände der Fluchtgründe und die in den vergangenen neun Jahren erfolgten Integrationsschritte des Beschwerdeführers nicht hinreichend ermittelt und berücksichtigt habe.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
1.1. Dem Bundesverwaltungsgericht ist bei der gemäß Art8 Abs2 EMRK gebotenen Abwägung ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen:
1.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, über gute Deutschkenntnisse verfügt und als Hilfskoch arbeitet und somit seinen Unterhalt erwirtschaftet. Der Beschwerdeführer habe im Bundesgebiet zahlreiche Freunde und sei Mitglied in einem Schachklub, beim Roten Kreuz und bei der Kinderhilfe.
1.3. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine Familienangehörigen verfüge, somit lediglich ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch die aufenthaltsbeendende Maßnahme in Frage komme. Die Dauer des durchgehenden Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit Dezember 2011 werde dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß auf Grund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies müsse dem Beschwerdeführer bewusst gewesen sein, weshalb allfällige eingegangene Bindungen nicht schwer wiegen, zumal er drei abschlägige erstinstanzliche Asylentscheidungen erhalten habe und schon von daher niemals darauf vertrauen durfte, dass sein Aufenthalt jemals ein dauerhafter sein werde.
1.4. Auch die guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers seien in Relation zum Aufenthalt zu sehen. Der Beschwerdeführer habe den größten Teil seines Lebens in Bangladesch verbracht und familiäre Anknüpfungspunkte nach Bangladesch, etwa seine Mutter sowie zahlreiche andere nähere Verwandte. Es sei daher davon auszugehen, dass der Grad an Integration im Bundesgebiet gerade noch nicht in einer Weise fortgeschritten ist, dass bei einer Abwägung die Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer unzulässig wäre. Die Tätigkeit als Hilfskoch würde überdies keine relevante Integration am Arbeitsmarkt darstellen. Im Ergebnis sei daher die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich auf Grund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt habe, nur in geringem Maße gegeben.
1.5. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Begründung nicht auf die Tatsache ein, dass die lange Aufenthaltsdauer nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist. Wie sich aus dem vorliegenden Erkenntnis zum Gang des Verfahrens ergibt, wurden zwei Bescheide des Bundesasylamts bzw des BFA vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben und jeweils zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. Das Bundesverwaltungsgericht lässt dabei außer Betracht, dass die konkrete Verfahrenskonstellation nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gewisse Erwartungen beim Beschwerdeführer weckt, die bei seiner Abwägung zu berücksichtigen sind. Wie sich aus der im Erkenntnis enthaltenen Darstellung der vorangegangenen Verfahren ergibt, trifft den Beschwerdeführer an der langen Verfahrensdauer kein Verschulden. Aus den Entscheidungsbegründungen der Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. März 2016 und vom 4. September 2017 geht hervor, dass die Verfahrensverzögerung vielmehr durch das rechtswidrige Handeln der Behörde verursacht wurde. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt es in der Verantwortung des Staates, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung – ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre – wie hier insgesamt neun Jahre vergehen (vgl VfGH 21.9.2020, E4656/2019; VfGH 25.2.2020, E4087/2019; VfGH 19.9.2014, U2377/2012; VfSlg 19.203/2010). Es musste daher der Umstand, dass nach der behördlichen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers am 29. Dezember 2011 bis zur Erlassung der angefochtenen Entscheidung am 14. Dezember 2020 etwa neun Jahre vergangen sind, den Beschwerdeführer nicht dazu veranlassen, von einem unsicheren Aufenthaltsstatus auszugehen; vielmehr durfte die lange Verfahrensdauer – und insbesondere die Aufhebung von zwei negativen Entscheidungen – die Erwartung wecken, dass nicht zwangsläufig mit einer abweisenden Entscheidung zu rechnen sei (vgl VfGH 25.2.2020, E4087/2019; VfGH 19.9.2014, U2377/2012).
1.6. Ob das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers gegenüber allfälligen öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthalts überwiegt, wird im fortgesetzten Verfahren im Rahmen einer entsprechend differenzierenden Gesamtbeurteilung abzuwägen und zu begründen sein.
2. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, den Ausspruch, dass die Ausweisung nach Bangladesch zulässig ist und die vierzehntätige Frist zur Ausreise, abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Privat- und Familienleben, Rückkehrentscheidung, Verfahrensdauer überlangeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E226.2021Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021