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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art8Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Bestätigung einer Rückkehrentscheidung betreffend den Antrag auf internationalen Schutz eines Staatsangehörigen von Bangladesch, mangelnde Auseinandersetzung mit der neunjährigen (dem Beschwerdeführer nicht zuzurechnenden) Verfahrensdauer bei der InteressenabwägungRechtssatz
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) aus, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über keine Familienangehörigen verfüge, somit lediglich ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch die aufenthaltsbeendende Maßnahme in Frage komme. Auch die guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers seien in Relation zum Aufenthalt zu sehen. Der Beschwerdeführer habe den größten Teil seines Lebens in Bangladesch verbracht und familiäre Anknüpfungspunkte nach Bangladesch, etwa seine Mutter sowie zahlreiche andere nähere Verwandte. Es sei daher davon auszugehen, dass der Grad an Integration im Bundesgebiet gerade noch nicht in einer Weise fortgeschritten ist, dass bei einer Abwägung die Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer unzulässig wäre. Die Tätigkeit als Hilfskoch würde überdies keine relevante Integration am Arbeitsmarkt darstellen. Im Ergebnis sei daher die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich auf Grund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt habe, nur in geringem Maße gegeben.
Das BVwG geht in seiner Begründung nicht auf die Tatsache ein, dass die lange Aufenthaltsdauer nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen ist. Wie sich aus dem vorliegenden Erkenntnis zum Gang des Verfahrens ergibt, wurden zwei Bescheide des Bundesasylamts bzw. des BFA vom BVwG aufgehoben und jeweils zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. Das BVwG lässt dabei außer Betracht, dass die konkrete Verfahrenskonstellation nach der Rsp des VfGH gewisse Erwartungen beim Beschwerdeführer weckt, die bei seiner Abwägung zu berücksichtigen sind. Wie sich aus der im Erkenntnis enthaltenen Darstellung der vorangegangenen Verfahren ergibt, trifft den Beschwerdeführer an der langen Verfahrensdauer kein Verschulden. Aus den Entscheidungsbegründungen der Beschlüsse des BVwG vom 11.03.2016 und vom 04.09.2017 geht hervor, dass die Verfahrensverzögerung vielmehr durch das rechtswidrige Handeln der Behörde verursacht wurde. Nach der Rsp des VfGH liegt es in der Verantwortung des Staates, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem Beschwerdeführer die lange Dauer des Asylverfahrens anzulasten wäre - wie hier insgesamt neun Jahre vergehen. Es musste daher der Umstand, dass nach der behördlichen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers am 29.12.2011 bis zur Erlassung der angefochtenen Entscheidung am 14.12.2020 etwa neun Jahre vergangen sind, den Beschwerdeführer nicht dazu veranlassen, von einem unsicheren Aufenthaltsstatus auszugehen; vielmehr durfte die lange Verfahrensdauer - und insbesondere die Aufhebung von zwei negativen Entscheidungen - die Erwartung wecken, dass nicht zwangsläufig mit einer abweisenden Entscheidung zu rechnen sei.
Schlagworte
Asylrecht, Privat- und Familienleben, Rückkehrentscheidung, Verfahrensdauer überlangeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E226.2021Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021