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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan mangels Auseinandersetzung mit dem insbesondere in der Beschwerdeverhandlung vorgebrachten FluchtvorbringenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Paktia, stellte am 5. Jänner 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, seinen Heimatstaat aus Furcht vor den Taliban verlassen zu haben. Mit Bescheid vom 15. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt erneut vor, aus Furcht vor den Taliban, insbesondere aus Angst um sein Leben, "weil die Taliban viele Jugendliche mitgenommen und in den Krieg geschickt hätten", geflohen zu sein.
3. Das im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündete Erkenntnis fertigte das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag des Beschwerdeführers vom 9. Oktober 2020 am 15. Februar 2021 schriftlich aus und hält darin beweiswürdigend fest, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung, insbesondere nicht wegen der vorgebrachten Blutfehde und auch nicht durch die Taliban, "die sich als Paschtunen im Besonderen den Konventionen der Blutfehde verpflichtet sehen", drohen werde. Auch eine asylrelevante westliche Orientierung liege nicht vor. In der rechtlichen Würdigung führt das Bundesverwaltungsgericht sodann mit näherer Begründung aus, dass dem Beschwerdeführer – selbst bei Wahrunterstellung der vorgebrachten Fluchtgründe – eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei. Denn der Beschwerdeführer sei gesund, alleinstehend und im erwerbsfähigen Alter, verfüge zudem über eine jahrelange Schulausbildung und habe Berufserfahrung als Mechaniker. Es sei daher anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar sei.
4. Gegen das schriftlich ausgefertigte Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichthof, beantragt wird. Die Beschwerde rügt unter anderem, dass der Beschwerdeführer die Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sich mit diesem Vorbringen allerdings in keiner Weise auseinandergesetzt habe.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu dem aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgenden Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen ausgesprochen hat, müssen die für die angefochtene Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus ihrer Begründung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (vgl jeweils mwN VfSlg 20.267/2018; VfGH 13.12.2017, E940/2017; 23.2.2021, E4376/2020 ua).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es zur Gänze, sich mit einem maßgeblichen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, nämlich der Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt zu sein, auseinanderzusetzen. Dieses Fluchtvorbringen hat der Beschwerdeführer insbesondere in der mündlichen Verhandlung deutlich zum Ausdruck gebracht. Dass das Bundesverwaltungsgericht ein ergänzendes Fluchtvorbringen bezüglich einer Blutfehde, das der Beschwerdeführer erst auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegeben hat, für unglaubwürdig hält, kann eine Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen der drohenden Zwangsrekrutierung nicht ersetzen oder überflüssig machen.
Indem das Bundesverwaltungsgericht es somit unterlassen hat, zur Gefahr einer drohenden Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch die Taliban Feststellungen zu treffen und den ermittelten Sachverhalt einer Beweiswürdigung zu unterziehen, fehlt es sowohl an einer schlüssigen Begründung, warum diesbezüglich keine asylrelevante Verfolgung vorliegt, als auch an einem nachvollziehbaren Ausgangspunkt für die Prüfung, ob – bei Wahrunterstellung dieses Vorbringens – eine innerstaatliche Fluchtalternative (auch) in dieser Hinsicht besteht (vgl zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative, wenn eine asylrelevante Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30. August 2018, S 120 f.; vgl auch – im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten – VfGH 25.2.2020, E4682/2019).
Das angefochtene Erkenntnis wird damit rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen nicht gerecht und ist daher mit Willkür belastet (siehe nur VfGH 13.12.2017, E940/2017 mwN).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E1690.2021Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021