TE Vfgh Erkenntnis 2021/6/24 E2176/2021

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Veröffentlicht am 24.06.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §9, §10, §55, §57, §58
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
BFA-VG §9
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Somalia; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Änderung der Umstände für die Zuerkennung des Schutzstatus bzw die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger. Er lebte bis zu seiner Ausreise in Mogadischu. Am 23. Februar 2011 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dieser Antrag wurde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 10. September 2012 rechtskräftig abgewiesen. Hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gab schließlich das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 6. April 2016, W103 1422257-3, dem Antrag statt und erteilte dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 6. April 2017.

Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht neben der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere mit der persönlichen Situation des Beschwerdeführers, der einem Clan mit minderem Status zugehöre und nicht auf entsprechende Unterstützung zählen könne. Auch seine Kernfamilie könne ihn nicht unterstützen.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2017 verlängerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) die befristete Aufenthaltsberechtigung antragsgemäß bis zum 6. April 2019.

2. Anlässlich eines neuerlichen Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 8. Februar 2019 leitete das BFA von Amts wegen ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein. Mit Bescheid vom 7. August 2019 erkannte das BFA den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), entzog die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.), wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab (Spruchpunkt III.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt IV.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V.) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt VI.). Ferner setzte es eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.).

Mit Erkenntnis vom 19. April 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis IV. als unbegründet ab (Spruchpunkt A) I.), hinsichtlich der Spruchpunkte V. bis VII. gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt, stellte fest, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, und erteilte dem Beschwerdeführer für die Dauer von zwölf Monaten einen Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" (Spruchpunkt A) II.). Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis IV. wie folgt:

"Im vorliegenden Fall liegen nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keinerlei Umstände vor, welche ein Refoulement der beschwerdeführenden Partei in den Herkunftsstaat als unzulässig erscheinen ließen, zumal weder landesweit eine objektiv extreme Gefahrenlage in dem geschilderten Sinn herrscht noch eine Gefährdung aus subjektiven, in der Person der beschwerdeführenden Partei gelegenen Gründen anzunehmen ist. Auch aus dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei lässt sich insbesondere keineswegs eine reale Gefahr ableiten, dass etwa eine arbeitsfähige Person in diesem Staat keinerlei Existenzgrundlage vorfinden oder sonst einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könnte (vgl jüngst zu Somalia VwGH 02.02.2021, Ra  2020/14/0488).

Die beschwerdeführende Partei ist nunmehr 38 Jahre alt und hat jedenfalls wie jeder Rückkehrer auch die Möglichkeit, Unterstützung bei Verwandten und Bekannten sowie bei Angehörigen derselben Volksgruppe oder Religionsgemeinschaft zu suchen. Er verbrachte sein ganzes Leben zusammen mit seiner Familie in Mogadischu, wo er ein Lebensmittelgeschäft betrieb. Die beschwerdeführende Partei hat insbesondere auch mehrere Angehörige im Herkunftsstaat, die ihn unterstützen können.

Letztlich stellen sich also die Gefahren für Rückkehrer nach Somalia in hohem Maße als spekulativ dar, und es kann im Sinn der maßgeblichen Rechtsprechung keineswegs von einer realen Gefahr der Verletzung von Bestimmungen der EMRK für Rückkehrer schlechthin, etwa aufgrund einer landesweiten Bürgerkriegs- oder Hungersnotsituation, ausgegangen werden.

Aus diesen Gründen liegen die Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes gemäß §9 Abs1 Z1 zweiter Fall AsylG 2005 vor."

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der ua die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 GRC behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Das Bundesverwaltungsgericht habe Willkür geübt, da es die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bejaht habe, ohne dass dem angefochtenen Erkenntnis Ausführungen zu entnehmen wären, aus denen hervorginge, dass sich an den Umständen, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, etwas geändert hätte bzw dass diese nicht mehr bestünden. Tatsächlich ließe sich den Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis keine wesentliche und nachhaltige Änderung der Umstände entnehmen.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §9 Abs1 Z1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8 Abs1 AsylG 2005) nicht oder nicht mehr vorliegen. Eine Aberkennung gemäß §9 Abs1 Z1 zweiter Fall AsylG 2005 setzt voraus, dass sich die Umstände seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0381; vgl auch VfGH 24.9.2019, E2330/2019; 11.12.2019, E3891/2019). Hat sich der Sachverhalt aber nicht in diesem Sinne verändert, ist es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Entscheidungen nicht zulässig, die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszusprechen (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353; vgl auch VfGH 24.9.2019, E2330/2019; 11.12.2019, E3891/2019).

2.2. Im vorliegenden Fall begründet das Bundesverwaltungsgericht die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten damit, dass keine Umstände vorliegen würden, die ein Refoulement des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat als unzulässig erscheinen ließen, zumal weder landesweit eine objektiv extreme Gefahrenlage herrsche noch eine Gefährdung aus subjektiven, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Gründen anzunehmen sei. Der Beschwerdeführer habe "jedenfalls wie jeder Rückkehrer auch die Möglichkeit, Unterstützung bei Verwandten und Bekannten sowie bei Angehörigen derselben Volksgruppe oder Religionsgemeinschaft zu suchen". Der Beschwerdeführer habe sein ganzes Leben mit seiner Familie in Mogadischu verbracht. Er habe insbesondere auch mehrere Angehörige im Herkunftsstaat, die ihn unterstützen könnten. Letztlich stellten sich also die Gefahren für Rückkehrer nach Somalia "in hohem Maße als spekulativ" dar.

Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt in diesem Zusammenhang aber in keiner Weise, dass diese Rechtsfrage bereits mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig entschieden worden ist. Worin das Bundesverwaltungsgericht allenfalls einen wesentlich geänderten Sachverhalt erblickt, der gemäß §9 Abs1 Z1 zweiter Fall AsylG 2005 Anlass für eine Neubeurteilung bieten kann, wird nicht dargelegt.

Indem das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkennt, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob sich die, die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung begründenden Umstände wesentlich und nicht nur vorübergehend geändert haben, verkennt es die Rechtslage in einem entscheidenden Punkt grundlegend. Folglich belastet es sein Erkenntnis mit Willkür, weshalb das Erkenntnis bereits aus diesem Grund aufzuheben ist.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2176.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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