TE Vwgh Erkenntnis 1953/3/25 1304/51

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Veröffentlicht am 25.03.1953
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Index

DE-33 Bewertungsrecht Deutschland
yy41 Rechtsvorschriften die dem §2 R-ÜG StGBl 6/1945 zuzurechnen sind
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
33 Bewertungsrecht

Norm

BAO §24 Abs1 litd
BewG 1934 §22 Abs2
BewG 1955 §21 Abs2 idF 1963/145

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsidenten Dr. Heiterer - Schaller und die Räte Dr. Ondraczek, Dr. Schirmer, Dr. Koprivnikar und Dr. Schimetschek als Richter, im Beisein des Ministeraloberkommissärs Dr. Hückel als Schriftführer, über die Beschwerde der HM in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27. April 1951, Zl. GA VI - 2296 - 1950, betreffend Zurechnungsfortschreibung, nach der am 14. November 1952 durchgeführten öffentlichen Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Walter Macher, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Beschwerdeführerin hatte als Erbin des am 1. März 1946 verstorbenen RM die Liegenschaft EZ. 2428, Grundbuch M (Einfamilienhaus mit Garten), erworben; auf Grund der Einantwortungsurkunde vom 4. November 1948 war mit Beschluss des Bezirksgerichtes Liesing vom 4. Februar 1949 ihr Eigentum im Grundbuch einverleibt worden.

Mit Bescheid vom 4. Mai 1949 hat daß Finanzamt der Beschwerdeführerin diese Liegenschaft auf den 1. Jänner 1947 zugerechnet und von diesem Zeitpunkt an auch zur Grundsteuer herangezogen. Die Beschwerdeführerin legte gegen diesen Bescheid Berufung ein und brachte neben anderen Einwendungen, die nicht mehr Gegenstand dieser Beschwerde sind, vor, ein gewisser JN habe während der Zeit der Verlassenschaftsabhandlung ohne ihre Zustimmung Besitz von der Liegenschaft ergriffen, bewohne das Einfamilienhaus und ziehe die Nutzungen. Die Beschwerdeführerin erhalte dafür kein Entgelt. Der angefochtene Bescheid sei daher aufzuheben und die Festsetzung eines Zeitpunktes für die Zurechnung vorläufig gemäss § 100 der Abgabenordnung (AO) auszusetzen. Nachdem das Finanzamt die Berufung mit Einspruchsbescheid abgewiesen hatte, begehrte die Beschwerdeführerin die Entscheidung der Finanzlandesdirektion und wies sie zur Begründung ihres Anspruches auf § 11 Z. 4 des Steueranpassungsgesetzes und § 8 des Grundsteuergesetzes hin. Ferner führte sie aus, sie habe zwar gegen N ein Räumungsurteil erwirkt, die zwangsweise Räumung sei jedoch infolge Einspruches der Besatzungsmacht unterblieben. Die Finanzlandesdirektion wies die Berufung mit Bescheid vom 27. April 1951 ab und führte zur Begründung aus, bei der Beschwerdeführerin müsse Eigenbesitz im Sinne des § 872 DBGB, der dem § 309 ABGB entspreche, angenommen werden und die Tatsache, dass ein Dritter sich widerrechtlich in die Nutzung des Grundstückes gesetzt habe, ändere daran nichts. Gerade dadurch, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer Räumungsklage durchgedrungen sei, sei erwiesen, dass sie rechtlich Besitzesschutz geniesse. Wenn die zwangsweise Räumung infolge höherer Gewalt nicht durchgesetzt werden könne, sei dadurch die Rechtslage nicht beeinträchtigt. Da eine Ungewissheit für die Zurechnung der Liegenschaft überhaupt nicht bestehe, bleibe für die Anwendung des § 100 AO kein Raum.

In der gegen diesen Bescheid der Finanzlandesdirektion beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Beschwerde wiederholt die Beschwerdeführerin im wesentlichen die Ausführungen im Verwaltungsverfahren. In der Verhandlung vor dem Gerichtshof brachte die Beschwerdeführerin noch vor, sie habe den Besitzer N inzwischen auch auf Zahlung eines Mietzinses für das von ihm benützte Einfamilienhaus geklagt, habe auch ein Urteil gegen ihn erwirkt, die Zwangsvollstreckung auf Grund des Urteiles habe jedoch gleichfalls wegen Einspruches der Besatzungsmacht unterbleiben müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 214 AO ist der Einheitswert eines Grundstückes gesondert festzustellen und im Feststellungsbescheid u.a. die Feststellung darüber zu treffen, wem das Grundstück steuerlich zuzurechnen ist (§ 216 Abs. 1 Z. 2 AO). Wenn eine Aenderung in der Zurechnung eintritt, ist eine Fortschreibung des Einheitswertes nach § 225 a AO vorzunehmen. Diese Zurechnungsfortschreibung findet auf den Beginn des Kalenderjahres statt, der dem die Aenderung begründenen Ereignis folgt (§ 22 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes vom 16. Oktober 1934, DRGBl. I S. 1035). Nach § 218 Abs. 1 AO finden auf die Einheitswertbescheide und somit auch auf die Zurechnungsfortschreibungsbescheide die allgemeinen Vorschriften über Steuerbescheide sinngemäss Anwendung. Nach § 100 Abs. 1 AO kann das Finanzamt die Steuer vorläufig festsetzen oder die Festsetzung gegen oder ohne Sicherheitsleistung aussetzen, wenn ungewiss ist, ob oder inwieweit die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuerschuld eingetreten sind, insbesondere, ob jemandem ein Gegenstand gehört, oder ob ein Recht verwirklicht werden kann. Aus dem Zusammenhalt dieser Gesetzesbestimmung mit § 218 AO ergibt sich demnach, dass auch ein Zurechnungsfortschreibungsbescheid vorläufig erlassen werden und dass die Erlassung eines Zurechnungsfortschreibungsbescheides ausgesetzt werden kann.

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin zunächst beantragt, den vom Finanzamt endgültig erlassenen Zurechnungsfortschreibungsbescheid aufzuheben und in weiterer Folge von der Erlassung eines Fortschreibungsbescheides gemäss § 100 Abs. 1 AO vorläufig abzusehen. Der erste dieser Anträge ist der weitergehende. Zu seiner Begründung hat die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass ihr nach den steuerlichen Vorschriften die Liegenschaft nicht zuzurechnen sei.

Ein Wirtschaftsgut ist grundsätzlich dem Eigentümer zuzurechnen. Das Steueranpassungsgesetz hat aber in § 11 eine Anzahl von Tatbeständen aufgestellt, die eine Zurechnung eines Wirtschaftsgutes an eine von dessen Eigentümer verschiedene Person nicht nur zulassen, sondern ausdrücklich vorschreiben. Es steht nun mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens jedenfalls nicht im Einklang, dasselbe Wirtschaftsgut für denselben Stichtag mehreren verschiedenen Personen je zur Gänze zuzurechnen. Wenn einer der besonderen Tatbestände des § 11 Z. 1 bis 4 des Steueranpassungsgesetzes vorliegt, ist also das Wirtschaftsgut der Person zuzurechnen, bei der der betreffende Tatbestand des § 11 des Steueranpassungsgesetzes gegeben ist. Dies spricht überdies für den Bereich des Grundsteuerrechtes § 7 Abs. 3 des Grundsteuergesetzes mittelbar aus, wenn er anordnet, daß dann, wenn auf Grund des § 11 des Steueranpassungsgesetzes der Steuergegenstand bei der Einheitsbewertung einem anderen als dem Eigentümer zugerechnet worden ist, dieser andere an Stelle des Eigentümers Steuerschuldner ist.

Die Beschwerdeführerin hat nun vorgebracht, es habe sich während der Verlassenschaftsabhandlung eine andere Person der Liegenschaft bemächtigt und sie in Besitz genommen. Wann dies geschehen ist, hat sie nicht angegeben. Die belange Behörde hat Ermittlungen über diesen Zeitpunkt deshalb unterlassen, weil nach ihrer Ansicht diese Besitzergreifung durch N für die Frage der Zurechnung der Liegenschaft an die Beschwerdeführerin überhaupt belanglos war. Auf diesem Wege kann ihr der Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht folgen.

Nach § 11 Z. 4 des Steueranpassungsgesetzes werden Wirtschaftsgüter, die jemand in Eigenbesitz hat, dem Eigenbesitzer zugerechnet. Eigenbesitzer ist, wer ein Wirtschaftsgut als ihm gehörig besitzt. Diese Begriffsbestimmung des Steueranpassungsgesetzes deckt sich mit der des § 872 DBGB. Da zur Zeit der Erlassung des Steueranpassungsgesetzes sich dessen Geltungsbereich mit dem des DBGB deckte, ist davon auszugehen, dass als „Besitz“ und „besitzen“ der Besitz und die Besitzausübung im Sinne des DBGB zu verstehen sind. Nach § 19 der ersten Verordnung zur Einführung steuerlicher Vorschriften im Lande Oesterreich (DRGBl. I S. 389/1938), durch die u.a. das Steueranpassungsgesetz in Oesterreich mit Wirkung für die einzuführenden sachlichen Reichssteuern in Kraft gesetzt wurde, sind Rechtsvorschriften die in Oesterreich nicht unmittelbar angewendet werden können, sinngemäss anzuwenden. Das DBGB bezeichnet im § 854 als Besitz die tatsächliche Gewalt über eine Sache. Demgegenüber bezeichnet das österreichische ABGB im § 309 die Macht oder Gewahrsame über eine Sache als Inhabung. Hat aber der Inhaber einer Sache den Willen, sie als die seinige zu behalten, so ist er ihr Besitzer. Es ergibt sich demnach, dass der „Eigenbesitz“ des § 11 Z. 4 des Steueranpassungsgesetzes im Wesen mit dem Besitz nach § 309 ABGB übereinstimmt.

Für die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdefahrerin die Liegenschaft zuzurechnen ist, kommt es also darauf an, ob N als °Eigenbesitzer“ der Liegenschaft anzusehen ist. Ein anderer Tatbestand, der die Zurechnung dieser Liegenschaft zum Vermögen der Beschwerdeführerin ausschliessen würde, ist nicht behauptet worden. Nun wird im vorliegenden Fall nicht bestritten, dass N die Liegenschaft in seiner Macht und Gewahrsame hat. Zum „Eigenbesitz“ ist dieser tatsächliche Zustand dann geworden, wenn N die Liegenschaft „als ihm gehörig“ besitzt. Jemand besitzt eine Sache aber nicht nur dann als ihm gehörig, wenn er auf Grund irgend eines Rechtsanspruches zum Besitz (nach österreichischem Recht auch zur Innehabung) berechtigt ist, oder berechtigt zu sein glaubt, sondern schon dann, wenn er mit der Sache wie ein Eigentümer zu schalten und zu walten gewillt, also den rechtlichen Inhalt eines Eigentumsrechtes unter Ausschliessung jeder anderen Person (§ 354 ABGB) auszuüben entschlossen ist. Eigenbesitzer ist also beispielsweise auch der Dieb, wie dies der ehemalige Reichsfinanzhof ausgesprochen hat (siehe RStBl. S. 354/1938). Im vorliegenden Fall kommt es also für die Entscheidung darauf an, ob N nicht nur die gegenständliche Liegenschaft bewohnt, sondern auch ob er dem rechtmässigen Eigentümer den Zutritt zur Liegenschaft verwehrt und ob er ihn auch von der Ausübung sonstiger aus der Sachherrschaft fliessender Nutzungsrechte, z.B. des Rechtes auf Gewährung einer angemessenen Entschädigung für die Benützung der Liegenschaft ausschliesst. Da die Besitzausübung etwas Tatsächliches ist, kommt es auch nicht darauf an, ob der Eigentümer als Ausfluss seines Eigentumsrechtes vor Gericht ein Räumungsurteil gegen den Besitzer und seine Verurteilung zur Zahlung eines angemessenen Benützungsentgeltes erwirkt hat, solange feststeht, dass auch die urteilsmässig festgestellten Ansprüche aus tatsächlichen Gründen undurchsetzbar sind. Im vorliegenden Falle hätte also die belangte Behörde feststellen müssen, ob und in welchem Zeitpunkt N von der Liegenschaft Besitz ergriffen hat und von wann an er gegebenenfalls die Beschwerdeführerin von der tatsächlichen Sachherrschaft ausgeschlossen hat. Da die belangte Behörde in unrichtiger Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen die auf Grund des Parteivorbringens erforderlichen Ermittlungen nicht angestellt hat, musste der angefochtene Bescheid gemäss § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Wien, am 25. März 1953

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1953:1951001304.X00

Im RIS seit

04.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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