Index
E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §38Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des O A, in P, vertreten durch Mag.a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2020, Zl. W241 2163235-4/11E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-18/20 über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2019, EU 2019/0008 (Ro 2019/14/0006), vorgelegten Fragen ausgesetzt.
Begründung
1 Mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 17. Februar 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) in der Sache den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
2 Am 9. Mai 2017 stellte der Revisionswerber einen (ersten Folge-) Antrag auf internationalen Schutz und brachte dazu unter anderem erstmals vor, er sei seit acht Jahren bisexuell und es drohe ihm deshalb in Afghanistan Verfolgung. Diesen Folgeantrag wies das Verwaltungsgericht mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 11. Juli 2017 in der Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner Bisexualität keinen glaubhaften Kern aufweise.
4 Am 25. Juli 2017 stellte der Revisionswerber einen weiteren (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz und machte in weiterer Folge zum Beweis für die von ihm bereits in seinem ersten Folgeantrag vorgebrachte Bi- bzw. Homosexualität Zeugen als „neue Beweismittel“ namhaft und legte dazu verschiedene Urkunden vor.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. September 2020 wies das Verwaltungsgericht in der Sache - ohne Durchführung einer Verhandlung - den weiteren Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung fest, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe in seinem dritten Antrag auf internationalen Schutz kein neues Vorbringen erstattet, sondern stütze sich auf dasselbe Vorbringen wie im zweiten Verfahren, das keinen glaubhaften Kern aufweise. Der neuerliche Antrag könne daher zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen wie jener in der unbekämpft gebliebenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 11. Juli 2017. Diese Entscheidung sei weiterhin maßgeblich. Dem Beweisantrag des Revisionswerbers auf Einvernahme von ihm erstmals namhaft gemachte Zeugen zu seiner sexuellen Orientierung entsprach das Verwaltungsgericht ebenso wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht.
7 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 9. Dezember 2020, E 3984/2020-5, die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
8 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, über die der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet hat.
9 Mit dem im Spruch genannten Beschluss vom 18. Dezember 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?
Falls Frage 1. bejaht wird:
2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?
3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“
10 Der Beantwortung dieser Fragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union kommt für die Behandlung der vorliegenden Revision ebenfalls Bedeutung zu. Es liegen daher die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, weshalb das Revisionsverfahren auszusetzen war (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0100, mwN).
Wien, am 12. Juli 2021
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010050.L00Im RIS seit
31.08.2021Zuletzt aktualisiert am
08.11.2021