TE Vwgh Erkenntnis 2021/7/12 Ra 2020/17/0022

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Veröffentlicht am 12.07.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
34 Monopole
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
B-VG Art130 Abs4
GSpG 1989 §52 Abs1
GSpG 1989 §53 Abs1
GSpG 1989 §54 Abs1
GSpG 1989 §54 Abs2
VStG §25 Abs1
VStG §25 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §50

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Berger, die Hofrätin Dr. Koprivnikar sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 21. Jänner 2020, LVwG-S-1027/001-2018, betreffend Einziehung nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen; mitbeteiligte Partei: U s.r.o. in B, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 26. März 2018 sprach die belangte Behörde gemäß § 54 Glücksspielgesetz - GSpG die Einziehung von fünf näher bezeichneten Glücksspielgeräten aus, die anlässlich einer am 7. September 2016 in einem näher bezeichneten Lokal durchgeführten Kontrolle nach dem GSpG vor Ort vorläufig beschlagnahmt und mit Bescheid vom 7. Oktober 2016 behördlich beschlagnahmt worden waren.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der dagegen erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Partei statt und hob den angefochtenen Bescheid auf (Spruchpunkt 1.). Weiters sprach es aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.).

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht u.a. aus: „Ausgehend davon, dass mit [...] Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 09.07.2018, Zl. LVwG-S-2930/001-2016, die Beschlagnahme aufgehoben wurde, zumal nicht einmal ein hinreichender Verdacht gegen den Verstoß gegen eine oder mehrere Bestimmungen des Glücksspielgesetzes (GSpG) festgestellt werden konnte und sich auch keine weiteren Sachverhaltselemente auftaten, die zu einer anders lautenden Beurteilung führen würden, lagen die Voraussetzungen für die Einziehung nach § 54 Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG) mangels Verstoßes gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG) nicht vor und war der Einziehungsbescheid daher bereits aus diesem Grund aufzuheben.“

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen. Die belangte Behörde erstattete eine „Revisionsbeantwortung“, in der sie sich den Ausführungen des Amtsrevisionswerbers anschloss und Kostenersatz beantragte. Die mitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5        1. In der Amtsrevision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur amtswegigen Ermittlungspflicht der Verwaltungsgerichte abgewichen, weil es die Aufhebung ausschließlich auf den mit dem Vorerkenntnis aufgehobenen Beschlagnahmebescheid stütze, ohne das Vorliegen der Voraussetzung für eine Einziehung selbständig zu prüfen. Weiters habe das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis auch nicht ordnungsgemäß begründet, weil dieses entgegen näher zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine formal abgegrenzte Sachverhaltsdarstellung sowie keine Beweiswürdigung enthalte, sodass die nachprüfende Rechtskontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt werde.

6        Die Revision erweist sich aus den in der Amtsrevision genannten Gründen als zulässig; sie ist auch begründet:

7        Das GSpG, BGBl. Nr. 620/1989 idF BGBl. I Nr. 62/2019, lautet (auszugsweise):

Beschlagnahmen

§ 53. (1) Die Behörde kann die Beschlagnahme der Glücksspielautomaten, der sonstigen Eingriffsgegenstände und der technischen Hilfsmittel anordnen, und zwar sowohl wenn der Verfall als auch wenn die Einziehung vorgesehen ist, wenn

1.   der Verdacht besteht, dass

a)   mit Glücksspielautomaten oder sonstigen Eingriffsgegenständen, mit denen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, fortgesetzt gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 verstoßen wird, oder

b)   durch die Verwendung technischer Hilfsmittel gegen § 52 Abs. 1 Z 7 verstoßen wird oder

2.   fortgesetzt oder wiederholt mit Glücksspielautomaten oder sonstigen Eingriffsgegenständen gemäß Z 1 lit. a gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 verstoßen wird oder

3.   fortgesetzt oder wiederholt durch die Verwendung technischer Hilfsmittel gegen § 52 Abs. 1 Z 7 verstoßen wird.

[...]

Einziehung

§ 54. (1) Gegenstände, mit denen gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 verstoßen wird, sind zur Verhinderung weiterer Verwaltungsübertretungen gemäß einer oder mehrerer Bestimmungen des § 52 Abs. 1 einzuziehen, es sei denn der Verstoß war geringfügig.

(2) Die Einziehung ist mit selbständigem Bescheid zu verfügen. Dieser ist all jenen der Behörde bekannte Personen zuzustellen, die ein Recht auf die von der Einziehung bedrohten Gegenstände haben oder ein solches geltend machen und kann, soweit die Einziehung betroffen ist, von ihnen mit Beschwerde angefochten werden. Kann keine solche Person ermittelt werden, so hat die Zustellung solcher Bescheide durch öffentliche Bekanntmachung zu erfolgen.

(3) Eingezogene Gegenstände sind nach Rechtskraft des Einziehungsbescheides binnen Jahresfrist von der Behörde nachweislich zu vernichten.

(4) § 54 Abs. 1 gilt auch für vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes beschlagnahmte Gegenstände.“

8        2.1. Gemäß der Verweisungsbestimmung des § 38 VwGVG gilt im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig von Parteivorbringen und -anträgen der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist. Betreffend die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist festzuhalten, dass gemäß Art. 130 Abs. 4 erster Satz B-VG (siehe auch § 50 VwGVG) in Verwaltungsstrafsachen das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst entscheidet, woraus folgt, dass in Verwaltungsstrafverfahren dem Verwaltungsgericht in jedem Fall auch die Befugnis und Verpflichtung zu allenfalls erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zukommt (vgl. VwGH 27.11.2018, Ra 2018/17/0157).

9        Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist die Einziehung nach § 54 GSpG unabhängig von einer Bestrafung eines Beschuldigten und hängt gemäß § 54 Abs. 1 GSpG von der Verwirklichung eines objektiven Tatbilds nach § 52 Abs. 1 GSpG ab. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht ist daher verpflichtet, nach Durchführung eines amtswegigen Ermittlungsverfahrens nähere Feststellungen zum Vorliegen der Verwirklichung des objektiven Tatbildes nach § 52 Abs. 1 GSpG zu treffen (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/17/0033; 24.9.2020, Ra 2019/17/0041, jeweils mwN).

10       2.2. Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht den Einziehungsbescheid jedoch ohne Durchführung eines solchen Ermittlungsverfahrens und ohne nähere diesbezügliche Feststellungen im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, dass die Beschlagnahme mit seinem Erkenntnis vom 9. Juli 2018 aufgehoben worden sei.

11       Das Verwaltungsgericht hat dabei also offenbar angenommen, eine Einziehung setze begrifflich die Rechtswidrigkeit einer Beschlagnahme nach § 53 GSpG voraus. Nach der hg. Rechtsprechung ist eine Beschlagnahme nach § 53 Abs. 1 GSpG bereits dann zulässig, wenn ein ausreichend substantiierter Verdacht vorliegt, dass mit Glücksspielgeräten oder sonstigen Eingriffsgegenständen, mit denen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, fortgesetzt oder wiederholt gegen Bestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG verstoßen wird. Nicht erforderlich ist dabei, dass die Übertretung des Gesetzes zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bereits erwiesen ist. Der nach § 53 Abs. 1 GSpG erforderliche Verdacht bezieht sich vielmehr auf den Umstand, dass mit Glücksspielautomaten oder Glücksspielapparaten fortgesetzt in das Glücksspielmonopol eingegriffen wurde oder wird. Dieser Verdacht muss - im Fall der Erhebung einer Beschwerde gegen den Beschlagnahmebescheid - im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über diese Beschwerde vorliegen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 24.9.2020, Ra 2020/17/0082, mwN).

Demgegenüber hängt die Einziehung nach § 54 GSpG, welche unabhängig von einer Bestrafung eines Beschuldigten ist, von der (tatsächlichen) Verwirklichung eines objektiven Tatbildes nach § 52 Abs. 1 GSpG ab, weshalb das Verwaltungsgericht im Einziehungsverfahren nach dem GSpG die Verpflichtung trifft, nach Durchführung eines amtswegigen Ermittlungsverfahren nähere Feststellungen zum Vorliegen der Verwirklichung des objektiven Tatbildes zu treffen (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur nochmals VwGH 24.9.2020, Ra 2020/17/0082, mwN).

Der Umstand, dass sich eine gemäß § 53 Abs. 1 GSpG angeordnete Beschlagnahme als rechtswidrig erweist oder erwiesen hat, führt daher nicht dazu, dass eine gemäß § 54 Abs. 2 GSpG verfügte Einziehung desselben Gegenstandes rechtswidrig wäre, haben doch beide Sicherungsmaßnahmen unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen. So kann sich beispielsweise die Beschlagnahme von Glücksspielgeräten im hiefür maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt mangels Vorliegens eines ausreichend substantiierten Verdachtes im oben genannten Sinn als rechtswidrig erweisen und die sodann verfügte Einziehung dieser Geräte aufgrund der Ergebnisse des weiteren Ermittlungsverfahrens, weil ein Tatbild des § 52 Abs. 1 GSpG in objektiver Hinsicht verwirklicht ist, dennoch gerechtfertigt sein.

Im vorliegenden Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis in Verkennung der Rechtslage nähere Feststellungen zur Verwirklichung eines Tatbildes des § 52 Abs. 1 GSpG nicht getroffen.

Schon im Hinblick darauf erweist sich das angefochtene Erkenntnis als inhaltlich rechtswidrig, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

12       3.1. Für das fortgesetzte Verfahren wird noch darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine ordnungsgemäß begründete verwaltungsgerichtliche Entscheidung aus drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elementen besteht: 1. den im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellungen, 2. der Beweiswürdigung und 3. der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei über die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. neuerlich VwGH 27.11.2018, Ra 2018/17/0157, mwN).

13       3.2. Eine solche Gliederung ist im angefochtenen Erkenntnis nicht erkennbar. Den unter diesen Gesichtspunkten ununterscheidbaren Erwägungen im angefochtenen Erkenntnis ist nicht zweifelsfrei zu entnehmen, welche - (zweckmäßigerweise) im Indikativ abzufassenden - Tatsachenfeststellungen, die auf Basis welcher Beweiswürdigung getroffen wurden, das Verwaltungsgericht einer rechtlichen Beurteilung unterzog (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2017/09/0012).

14       4. Ein Aufwandersatz für die von der belangten Behörde eingebrachte Revisionsbeantwortung findet gemäß § 47 Abs. 4 VwGG nicht statt.

Wien, am 12. Juli 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020170022.L00

Im RIS seit

05.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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