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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §60Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher, den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher, den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Dr. Wiesinger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Q H, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Mai 2019, G307 1248331-4/8E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der 1998 geborene Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, stellte erstmals im Juli 2003 in Österreich durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz und im Oktober 2007 einen Asylfolgeantrag, die jeweils erfolglos blieben.
2 Am 21. März 2012 wurde dem Revisionswerber von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft erstmals ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ erteilt, der - gemäß den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes - auf Grund von Verlängerungsanträgen zuletzt bis zum 20. März 2024 gültig ist.
3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 6. Juli 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei der unbedingte Strafteil mit einem Monat festgesetzt wurde.
4 Mit Urteil vom 6. März 2017 verurteilte das Bezirksgericht Graz-Ost den Revisionswerber wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten. Die Probezeit in Bezug auf die erste Verurteilung wurde unter einem auf fünf Jahre verlängert.
5 Am 27. April 2018 erfolgte eine Verurteilung des Revisionswerbers durch das Landesgericht für Strafsachen Graz wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 3 erster Fall SMG und § 15 StGB, der Vorbereitung von Suchtgifthandel gemäß § 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten. Vom Widerruf der mit Urteil vom 6. März 2017 bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Unter einem wurde die teilbedingte Nachsicht aus dem Urteil vom 6. Juli 2015 widerrufen.
6 Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. Juli 2018 wurde dem Revisionswerber gemäß § 39 Abs. 1 SMG ein Strafaufschub bis einschließlich 1. Mai 2020 gewährt. Unter einem wurde dem Revisionswerber die Weisung erteilt, sich bestimmten gesundheitsbezogenen Maßnahmen im Sinn des § 11 Abs. 2 SMG zu unterziehen.
7 Im Hinblick auf die genannten Verurteilungen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 13. August 2018 gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG (Spruchpunkt I.). Des Weiteren stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt II.) und verhängte gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III).
8 Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. Mai 2019 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt wurde. Unter einem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
9 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Rückkehrentscheidung aus, der Revisionswerber halte sich aufgrund der „Innehabung“ einer „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Im Hinblick auf die Verurteilungen des Revisionswerbers habe das BFA die Rückkehrentscheidung daher zu Recht „auf § 52 Abs. 4 FPG“ gestützt. Bei der Begründung der Verhängung des Einreiseverbotes verwies das Bundesverwaltungsgericht dann darauf, dass es sich insbesondere bei dem letzten Suchtgiftdelikt um ein „die öffentliche Sicherheit auf dem Gebiet des Fremdenwesens“ besonders schwer gefährdendes und beeinträchtigendes Fehlverhalten des Revisionswerbers handle. Der Revisionswerber habe über rund neun Monate hinweg anderen Suchtgift überlassen und gewinnbringend veräußert. Auch wenn der Revisionswerber bereits erfolgreich eine (stationäre) Therapie absolviert habe, lasse dieser Umstand nicht selbstredend auf ein Wohlverhalten schließen, welches eine Abstandnahme von der Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertige. Zur Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes führte das Bundesverwaltungsgericht noch aus, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes von vier Jahren den Revisionswerber in Österreich entwurzeln würde; eine kürzere als eine zweijährige Dauer sei aber nicht angebracht, weil dem Revisionswerber sonst „sein Fehlverhalten nicht ausreichend vor Augen geführt werden könnte“.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (VfGH 3.10.2019, E 2183/2019-5) fristgerecht eingebrachte - außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
11 Die Revision erweist sich - wie die weiteren Ausführungen zeigen - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichtes unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt.
12 Das BFA ist in seinem Bescheid vom 13. August 2018 noch davon ausgegangen, dass der Revisionswerber am 20. März 2018 bei der zuständigen Niederlassungsbehörde in Bezug auf den ihm davor erteilten Aufenthaltstitel einen Verlängerungsantrag eingebracht hatte, über den bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht entschieden worden sei. Dementsprechend prüfte es das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG. In seiner dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, dass ihm zwischenzeitig, nämlich im Juli 2018, der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ verlängert worden sei.
13 Dem folgte das Bundesverwaltungsgericht der Sache nach, indem es feststellte, dass „der aktuelle [Aufenthaltstitel] bis zum 20.03.2024 gültig“ sei. Davon ausgehend wäre aber für das Bundesverwaltungsgericht nach der in seinem Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage nunmehr § 52 Abs. 4 Z 1 FPG einschlägig und daran die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu messen gewesen.
14 Gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG ist gegen einen rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung (nur) zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Demnach ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen auf Grund eines gültigen Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen - und damit auch die Erlassung eines mit der Rückkehrentscheidung zu verbindenden Einreiseverbots nach § 53 FPG - aufgrund eines Sachverhaltes, der die Versagung des dem Drittstaatsangehörigen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gerechtfertigt hätte, nur zulässig, wenn dieser Sachverhalt erst nach Erteilung des Titels eingetreten oder zwar zuvor eingetreten, der Niederlassungsbehörde aber erst nachträglich bekannt geworden ist (vgl. dazu VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0230, Rn. 12, mwN).
15 Das angefochtene Erkenntnis enthält aber keine Feststellungen dazu, ob die Niederlassungsbehörde - etwa durch einen Strafregisterauszug - zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung des Aufenthaltstitels über die vom Revisionswerber begangenen, nun als Versagungsgrund nach § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG angesehenen Straftaten und die deshalb erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen informiert war. Derartige Feststellungen wären jedoch erforderlich gewesen, weil nach dem oben Gesagten die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes davon abhängt, ob die Erteilung des Aufenthaltstitels in Form der Stattgabe des letzten Verlängerungsantrages in Kenntnis des zur Begründung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme herangezogenen Sachverhalts erfolgt war, zumal keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass dieser Sachverhalt nicht schon damals einen Versagungsgrund dargestellt hätte (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0403, Rn. 19).
16 Schon deshalb war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
17 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 12. Juli 2021
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt VerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019210375.L00Im RIS seit
09.08.2021Zuletzt aktualisiert am
31.08.2021