TE Vwgh Beschluss 2021/7/12 Ra 2019/21/0328

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Veröffentlicht am 12.07.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E02100000
E3L E05100000
E3L E19100000
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
EURallg
FrPolG 2005 §66
FrPolG 2005 §66 Abs1
NAG 2005 §27 Abs1
NAG 2005 §51 Abs1 Z1
NAG 2005 §54
NAG 2005 §54 Abs5
NAG 2005 §55 Abs5
VwGG §34 Abs1
VwRallg
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der N P, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 24, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 2019, G314 2222977-1/2E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine serbische Staatsangehörige, heiratete am 20. März 2017 in Serbien einen in Österreich lebenden ungarischen Staatsangehörigen, der seine unionsrechtliche Freizügigkeit ausgeübt hatte. Mit Gültigkeit von 24. April 2017 bis 24. April 2022 wurde der Revisionswerberin eine Aufenthaltskarte als Angehörige eines EWR-Bürgers erteilt.

2        Die Ehe wurde mit Urteil eines serbischen Gerichts vom 7. Mai 2019 rechtskräftig geschieden.

3        Mit Bescheid vom 8. August 2019 wies das von der Niederlassungsbehörde gemäß § 55 Abs. 3 NAG befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Revisionswerberin gemäß § 66 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Es erteilte ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub.

4        Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, ein Weiterbestand des Aufenthaltsrechts nach der Ehescheidung komme gemäß § 54 Abs. 5 Z 1 NAG nicht in Betracht, weil die Ehe nach nicht einmal 26 Monaten geschieden worden sei. Die Revisionswerberin sei geschieden, lebe getrennt von ihrem Ehemann und habe keine Kinder. Ihre Kernfamilie lebe in Serbien, weshalb von keinem Familienleben im Bundesgebiet auszugehen sei. Aufgrund der äußerst kurzen Dauer des Aufenthaltes in Österreich und der privaten Situation könne nicht von einer nachhaltigen Integration ausgegangen werden, die schwerer als das öffentliche Interesse an der „Effektuierung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ wiegen würde. Gegen eine Ausweisung sprechende außergewöhnliche Umstände seien nicht hervorgekommen.

5        In den dagegen erhobenen Beschwerdeschriftsätzen brachte die Revisionswerberin zusammengefasst vor, sie erfülle sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“, zumal sie einen gültigen Reisepass habe, ordnungsgemäß gemeldet, seit 14. Juni 2017 durchgehend beschäftigt, sozialversichert und unbescholten sei. Versagungsgründe lägen keine vor. Da die Revisionswerberin über ein „entsprechendes Einkommen“ verfüge, bestehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung des besagten Aufenthaltstitels. Eine Ausweisung komme somit nicht in Betracht.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. September 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde - ohne Durchführung der beantragten Verhandlung - als unbegründet ab.

7        Das BVwG verneinte mit näherer Begründung, dass der Revisionswerberin nach ihrer Scheidung weiterhin gemäß § 54 Abs. 5 NAG ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zukomme. Bei der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG und § 9 BFA-VG kam es letztlich zum Ergebnis, dass angesichts der erst kurzen Aufenthaltsdauer und der fehlenden familiären Bindungen der Revisionswerberin in Österreich sowie ihrer nach wie vor starken Beziehungen zu Serbien, wo sie den Großteil ihres bisherigen Lebens verbracht und familiäre Bindungen habe, zudem die Landessprache spreche und mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut sei, das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts das persönliche Interesse der Revisionswerberin am Verbleib im Bundesgebiet trotz ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit überwiege. Die Erteilung der von der Revisionswerberin angestrebten „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ setze nach § 55 Abs. 5 NAG aber voraus, dass eine Aufenthaltsbeendigung unterbleibe, was hier eben nicht der Fall sei.

8        Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

9        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11       In der Begründung der Zulässigkeit der Revision wird zunächst die Meinung vertreten, die Revisionswerberin erfülle sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“. Das BVwG habe verkannt, dass auch Drittstaatsangehörigen, die wegen der Scheidung von einem EWR-Bürger ihr Aufenthaltsrecht verloren hätten, ebenso wie Drittstaatsangehörigen, die mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet gewesen seien, nach § 27 NAG ein eigenständiges Niederlassungsrecht zustehe; sonst läge eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.

12       Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0247, unter Rn. 10 bereits klargestellt, dass sich der Anwendungsbereich des § 27 NAG auf die Fälle der in Abs. 1 dieser Bestimmung taxativ aufgezählten Aufenthaltstitel beschränkt und dass (in Bezug auf das hier verfahrensgegenständliche, aus dem Unionsrecht abgeleitete Aufenthaltsrecht) nur die für (ehemalige) Angehörige eines EWR-Bürgers geltende Sondernorm des § 54 Abs. 5 NAG zur Anwendung kommen könne (siehe dazu VwGH 18.2.2021, Ra 2020/21/0495, 0496, Rn. 14, mwN).

13       Soweit die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang weiters vorbringt, eine Ausweisung sei aufgrund der Erwerbstätigkeit der Revisionswerberin und der Erfüllung sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen für den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ nicht zulässig, missversteht sie die Rechtslage.

14       § 66 Abs. 1 FPG enthält zwar die Einschränkung „es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden“. Diese Einschränkung bezieht sich jedoch nur auf EWR-Bürger (und Schweizer Bürger), die ihr Aufenthaltsrecht im Sinn des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG auf ihre Erwerbstätigeneigenschaft stützen können, nicht aber auch auf Personen wie die Revisionswerberin, die - als Drittstaatsangehörige - ihr Aufenthaltsrecht nur gemäß § 54 NAG von einem EWR-Bürger ableiten und vor diesem rechtlichen Hintergrund auch nicht die Voraussetzung erfüllen können, mit Blick auf den angestrebten Aufenthaltsstatus „zur Arbeitssuche eingereist“ zu sein (vgl. dazu VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0147, Rn. 10, mwN). Aus § 55 Abs. 5 NAG ergibt sich aber wiederum nur, dass eine „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ zu erteilen ist, wenn eine Ausweisung nach § 66 FPG trotz Wegfalls der Angehörigeneigenschaft unterbleibt; darauf hat schon das BVwG zutreffend hingewiesen. Aus dieser Bestimmung kann - anders als die Revisiosnwerberin offenbar meint - jedoch nicht abgeleitet werden, die Ausweisung habe zu unterbleiben, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung des genannten Aufenthaltstitels erfüllt wären.

15       Soweit die Revisionswerberin dann noch vorbringt, sie sei „unschuldig“ geschieden worden und ein Festhalten an der Ehe sei ihr aus näher genannten Gründen nicht zumutbar gewesen, womit sie einen Härtefall im Sinn des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG geltend macht, ist ihr zu entgegnen, dass es sich dabei um im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unzulässige Neuerungen handelt (vgl. im Übrigen aus der Judikatur zu „Härtefällen“ nach der genannten Bestimmung VwGH 11.3.2021, Ra 2020/21/0379, Rn. 13, mwN). Das BVwG ist - da auch ein sonstiger Tatbestand des § 54 Abs. 5 NAG unstrittig nicht erfüllt war - somit zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht nach § 54 NAG im Fall der Revisionswerberin nicht (mehr) vorlagen. Damit war eine Ausweisung nach § 66 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 55 Abs. 3 NAG grundsätzlich zulässig.

16       Was die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK (in Verbindung mit § 9 BFA-VG bzw. § 66 Abs. 2 FPG) betrifft, so hat das BVwG ohnehin die zugunsten der Revisionswerberin sprechenden Umstände - insbesondere ihre Erwerbstätigkeit - in seine Beurteilung einbezogen, durfte aber angesichts des erst zweieinhalbjährigen Aufenthalts und des Fehlens familiärer Bindungen in Österreich vom Überwiegen des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen und sogar vom Vorliegen eines insgesamt eindeutigen Falles ausgehen, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von der Revisionswerberin abzusehen.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 12. Juli 2021

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019210328.L00

Im RIS seit

09.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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