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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kienesberger, über die Revision des A A, in W, vertreten durch Mag. Karlheinz Amann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8-9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Jänner 2021, Zl. W159 2183865-2/26E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 14. Dezember 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 31. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm aufgrund der Vorschriften über das Familienverfahren nach § 34 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. April 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3, § 130 Abs. 2 zweiter Fall, § 15 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt, von der ein Teil in der Dauer von zwölf Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
4 Mit Bescheid vom 7. Juni 2019 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia unzulässig sei (Spruchpunkt V.), legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.) und erließ ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
5 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2019 in Bezug auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen als unbegründet abgewiesen wurde (Spruchpunkt A.I.). Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides wurde hingegen mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in seinen Herkunftsstaat unzulässig sei (Spruchpunkt A.II.). Unter einem behob das BVwG die mit der Rückkehrentscheidung verbundenen Spruchpunkte des Bescheides (Spruchpunkt A.III.) und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
6 Dieses Erkenntnis wurde aufgrund einer dagegen erhobenen Amtsrevision mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 2020, Ra 2019/01/0406, in seinen Spruchpunkten A.II. und A.III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behoben.
7 In weiterer Folge wurde das Erkenntnis des BVwG aufgrund einer ebenfalls erhobenen Parteirevision mit weiterem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. August 2020, Ra 2019/19/0522, auch in seinem Spruchpunkt A.I. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
8 Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Erkenntnis gab das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde des Revisionswerbers gegen Spruchpunkt VII. des erstinstanzlichen Bescheides mit der Maßgabe statt, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herabgesetzt werde; im Übrigen (Spruchpunkte I. - VI. des erstinstanzlichen Bescheides) wurde die Beschwerde abgewiesen (Spruchpunkt A.). Unter einem sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
9 Begründend führte das BVwG aus, dem Revisionswerber wäre im Hinblick auf seine strafrechtliche Verurteilung der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 abzuerkennen gewesen. Nach Wiedergabe der wesentlichen Strafzumessungsgründe im bereits genannten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. April 2019 führte es weiter aus, dass die „Strafbemessung“ zwar „eher im unteren Bereich“ der möglichen Freiheitsstrafe angesiedelt sei, aber der Umstand, dass der Revisionswerber eine „Vielzahl an Spinden“ aufgebrochen habe, auf „eine entsprechende kriminelle Energie“ hindeute.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.
11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das BVwG sei von (näher bezeichneter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es die für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erforderliche Einzelfallprüfung nicht durchgeführt habe.
12 Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsgerichte an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Erfolgte die Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalles wesentlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen, so besteht die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes darin, dass das Verwaltungsgericht jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt und die Feststellungen trifft, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes ermöglichen (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0425, mwN).
13 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Vorerkenntnis vom 20. August 2020, Ra 2019/19/0522, unter anderem aus:
„Die Revision bringt zu Recht vor, dass das BVwG seiner Entscheidung zwar die vom Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte Strafe und die herangezogenen besonderen Milderungs- und Erschwerungsgründe zu Grunde gelegt, jedoch keine vollständige Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Vielmehr hätte das BVwG - gegebenenfalls nach Vorlage des Strafaktes - etwa auch die Höhe des entstandenen Sachschadens und die Gründe für die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe (vgl. die Voraussetzungen des § 43a Abs. 3 iVm. § 43 Abs. 1 StGB) zu berücksichtigen gehabt (vgl. EuGH C-369/17, Rn. 56). Wie das BVwG zu der Prognose gelangt, der Revisionswerber werde sich nicht an den Werten des österreichischen Rechtsstaates orientieren, begründet das Verwaltungsgericht nicht.“
14 Diesen Vorgaben ist das BVwG im Hinblick auf die im Rahmen der Einzelfallprüfung nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 zu treffenden Feststellungen nicht nachgekommen.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. Juli 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010061.L00Im RIS seit
09.08.2021Zuletzt aktualisiert am
31.08.2021