TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/7 95/19/1458

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Veröffentlicht am 07.03.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des MJ, geboren 1980, vertreten durch die Mutter ZW, beide in W, diese vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. F in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Mai 1995, Zl. 301.509/2-III/11/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 6. Februar 1995 wies der Landeshautpmann von Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "gemäß § 4 Abs. 4" des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. Gemäß dem dazu im Akt erliegenden Rückschein wurde am 13. Februar 1995 der Versuch unternommen, diese Erledigung an den Beschwerdeführer unter seiner Adresse zuzustellen. Es wurde damals eine Verständigung in das Hausbrieffach des Beschwerdeführers eingelegt, wonach die betreffende Sendung beim Postamt 1070 Wien hinterlegt werde und die Abholfrist am 13. Februar 1995 zu laufen beginne.

In der dagegen erhobenen Berufung, die mit 27. Februar 1995 datiert ist, am 1. März 1995 zur Post gegeben wurde und am 3. März 1995 bei der Behörde erster Instanz einlangte, bezog sich der Beschwerdeführer nur auf den Bescheid vom 6. Februar 1995, machte jedoch keine näheren Ausführungen zur Rechtzeitigkeit seiner Berufung.

Diese Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 31. Mai 1995 als verspätet zurück, weil die Zustellung rechtswirksam am 13. Februar 1995 erfolgt und die Berufung erst am 1. März 1995 und daher verspätet eingebracht worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf meritorische Erledigung seiner Berufung verletzt. Die belangte Behörde habe ohne weiteres angenommen, daß die rechtswirksame Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides am 13. Februar 1995 erfolgt sei. Der Beschwerdeführer sei aber mit seiner Mutter zur Zeit der Zustellversuche und der Hinterlegung der Sendung von der Abgabestelle ortsabwesend gewesen. Die am 13. Februar 1995 angeblich durchgeführte Hinterlegung der Sendung habe daher nicht die Wirkung der Zustellung entfaltet. Erst nach der Rückkehr an die Abgabestelle am 15. Februar 1995 sei die zunächst unwirksame Zustellung mit dem Tag nach der Rückkehr an die Abgabestelle, somit am 16. Februar 1995, geheilt worden. Hätte die belangte Behörde Gelegenheit geboten, zu ihrer Annahme der Verspätung der Berufung Stellung zu nehmen, hätte der Beschwerdeführer die obigen Ausführungen machen und Beweise vorbringen können. Der Beschwerdeführer erachte sich daher in seinem Recht auf Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes sowie in seinem Recht auf übersichtliche und nachvollziehbare Darlegung der Entscheidungsgründe und auf Durchführung eines umfassenden und sachgerechten Ermittlungsverfahrens verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Berufungsbehörde grundsätzlich das Risiko einer Bescheidaufhebung dann zu tragen, wenn sie von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist ausgeht, diese Feststellung aber - wie im Beschwerdefall - dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung nicht vorgehalten hat (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048, vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0156, vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010, sowie vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0017). Zwar ist zuzugeben, daß der äußere Tatbestand (Rückschein) der belangten Behörde den Gedanken an eine Gesetzwidrigkeit der Zustellung nicht nahegelegt hat, doch hat die Berufungsbehörde die von ihr angenommene offenbare Verspätung des Rechtsmittels dem Berufungswerber vorzuhalten. Unterläßt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048, und die dort angegebene Rechtsprechung). Hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ihre Annahme von der Verspätung des Rechtsmittels zur Kenntnis gebracht, wäre der Beschwerdeführer in die Lage versetzt worden darzutun, daß er zum Zeitpunkt des Zustellversuches von der Abgabestelle ortsabwesend gewesen und die Wirkung der Zustellung erst zu einem Zeitpunkt eingetreten sei, von dem an gerechnet sich die Einbringung seiner Berufung am 1. März 1995 als rechtzeitig erwiese. Da die Berufungsfrist bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers gemäß § 17 Abs. 3 vierter Satz des Zustellgesetzes erst am 2. März 1995 geendet hätte, wäre die am 1. März erhobene Berufung dann als rechtmäßig zu werten gewesen.

Der belangten Behörde, die die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist dem Beschwerdeführer vor Erlassung des die Berufung zurückweisenden Bescheides nicht vorgehalten hat, ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, bei dessen Vermeidung im Hinblick auf die Darlegungen der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff iVm Art. I Z 1 der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt)Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren BerufungInhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995191458.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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