Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §37Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revisionen 1. des C O (hg. Ra 2019/22/0121), und 2. der I O (hg. Ra 2019/22/0122), beide vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 26/3, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. April 2019, 1. VGW-151/058/1308/2019-10 und 2. VGW-151/058/351/2019-10, betreffend Aufenthaltsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien jeweils Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Die Revisionswerber sind - ebenso wie ihre von Dezember 2014 bis Februar 2018 dem Verwaltungs- und technischen Personal der nigerianischen Botschaft in Wien (im Folgenden: Botschaft) angehörende - Mutter nigerianische Staatsangehörige. Sie waren im genannten Zeitraum auf Grund einer zuletzt bis zum 28. Februar 2018 gültigen, vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres ausgestellten (blauen) Legitimationskarte zum Aufenthalt in Österreich berechtigt und besuchten hier die Schule.
2.1. Am 23. Februar 2018 stellten die Revisionswerber beim Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) jeweils einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gemäß § 63 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2.2. Mit Bescheiden vom 31. Oktober (teils auch datiert mit 27. November) 2018 wies die Behörde die Anträge gemäß § 63 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Z 1 bis 4, Abs. 3 bis 5, § 29 Abs. 1 NAG ab. Die Revisionswerber hätten - so die wesentliche Begründung - die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzungen nicht hinreichend nachgewiesen.
2.3. Die Revisionswerber erhoben gegen die Bescheide Beschwerden mit dem wesentlichen Vorbringen, sie hätten die Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen entsprechend nachgewiesen.
Die Revisionswerber legten (zum Teil schon im behördlichen Verfahren) unter anderem folgende Unterlagen vor: Schulzeugnisse bzw. Schulbesuchsbestätigungen; Unterlagen betreffend im Jahr 2013 von der Botschaft beauftragte Instandsetzungsarbeiten am Objekt K*gasse 86 [= U*gasse 40] Haus 13, wo die Revisionswerber auch gemeldet und wohnhaft waren; eine Wohnrechtsvereinbarung der Mutter mit der Botschaft vom Dezember 2014 betreffend die unbefristete Überlassung einer (nicht näher genannten) Unterkunft von 500 m² gegen ein monatliches Entgelt von € 1.850,--; Unterlagen über das Bestehen einer Krankenversicherung; Kontoauszüge betreffend die Revisionswerber vom 7. September 2018 mit Guthaben von € 6.500,-- und € 6.845,06 sowie betreffend den Erstrevisionswerber vom 23. November 2018 mit einem Guthaben von € 6.510,--; eine Gehaltsbestätigung sowie diverse Kontounterlagen betreffend die Mutter; Vereinbarungen der Mutter und der Revisionswerber mit Univ. Prof. Mag. Dr. A T (im Folgenden nur: Dr. T) vom 27. August 2018 betreffend die Übernahme der Pflege und Erziehung der Revisionswerber samt diversen Unterlagen bezüglich Dr. T.
2.4. Mit Verfügung vom 11. März 2019 forderte das Verwaltungsgericht die Revisionswerber auf, alle ihr Vorbringen stützenden Beweise - unter anderem aktuelle Bestätigungen über ihre Aufnahme an einer Schule, Nachweise über ihren Anspruch auf eine ortsübliche Unterkunft, Belege für die Entrichtung der Krankenversicherungsprämien, Nachweise über ihren gesicherten Lebensunterhalt, vor allem auch ihr Einkommen bzw. die Mittelherkunft - vorzulegen, sowie eine Stellungnahme zum bisherigen Aufenthalt mit Blick auf die Kriterien des § 11 Abs. 3 NAG iVm Art. 8 EMRK abzugeben.
Die Revisionswerber legten daraufhin zum Teil nochmals die bereits oben (Punkt 2.3.) genannten Unterlagen vor. Ferner reichten sie unter anderem Schuleinschreibe- bzw. Schulbesuchsbestätigungen für das aktuelle Schuljahr, einen Beleg für die Überweisung der Krankenversicherungsprämien sowie eine notariell beglaubigte Haftungserklärung des Dr. T vom 5. April 2019 samt einer Kontogutschrift über dessen Bezug als Beschäftigter der Wirtschaftsuniversität W für April 2019 von € 5.113,04 nach.
3.1. In zeitgleich beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) geführten Verfahren sprach dieses mit Bescheiden vom 25. Jänner 2019 aus, dass den Revisionswerbern ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) nicht erteilt werde, gegen sie gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen werde, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG festgestellt werde, gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
3.2. Die Revisionswerber erhoben gegen die Bescheide Beschwerden und beantragten unter anderem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. In der Folge kehrten sie am 28. Februar 2019 nach Nigeria zurück.
Das Bundesverwaltungsgericht gab den Beschwerden zunächst mit Teilerkenntnis vom 1. März 2019 insoweit Folge, als es den Ausspruch betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde ersatzlos behob. Mit Erkenntnis vom 17. April 2019 gab es den Beschwerden auch im sonstigen Umfang statt und hob die Bescheide ersatzlos auf.
3.3. In den hier gegenständlichen Verfahren erkundigte sich die zuständige Richterin laut einem Aktenvermerk am 11. April 2019 in der Geschäftsstelle des Bundesverwaltungsgerichts telefonisch über den Stand der dortigen Verfahren und erhielt dabei die Auskunft, dass über die Beschwerden noch nicht entschieden und damit auch nicht bald zu rechnen sei.
4.1. Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen vom 15. April 2019, zugestellt (an die Behörde) am 17. April 2019, wies das Verwaltungsgericht die Beschwerden ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 und Abs. 2 Z 2 und Z 4 NAG als unbegründet ab.
4.2. In den Feststellungen hielt das Verwaltungsgericht unter anderem fest, die Revisionswerber hätten während ihres Aufenthalts in Österreich die Schule besucht und würden bei einem weiteren Aufenthalt den Schulbesuch fortsetzen.
Die Revisionswerber hätten keinen hinreichenden Nachweis über einen Anspruch auf eine ortsübliche Unterkunft erbracht. Sie verfügten seit September 2018 über eine einer öffentlichen Krankenversicherung gleichwertige, alle Risiken abdeckende private Krankenversicherung, für die auch die Prämien entrichtet worden seien. Die Revisionswerber wiesen mit 7. September 2018 Kontoguthaben von € 6.500,-- (Erstrevisionswerber) und € 6.845,06 (Zweitrevisionswerberin) auf, wobei das Geld von ihrer Mutter überwiesen worden sei. Die Revisionswerber hätten trotz Aufforderung nicht nachgewiesen, dass das Geld nach wie vor vorhanden sei und sie darüber frei verfügen könnten. Dr. T, der auch die Pflege und Erziehung in Österreich bis zur Volljährigkeit übernommen habe, habe für die Revisionswerber am 5. April 2019 eine Haftungserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z 15 NAG abgegeben. Ob die Erklärung tragfähig sei, habe vom Verwaltungsgericht nicht geprüft werden können.
Im Übrigen seien die Revisionswerber nicht vorbestraft. Gegen sie bestehe auch kein Einreise- oder Aufenthaltsverbot und keine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz.
4.3. In der Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht - soweit hier von Bedeutung - aus, die Revisionswerber hätten zum Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft Melderegisterauszüge vorgelegt, worin als Anschrift U*gasse 40 Haus 13 aufscheine. In der Wohnrechtsrechtvereinbarung der Mutter mit der Botschaft sei jedoch ein Objekt nicht näher bezeichnet worden, ein Mietvertrag oder Grundbuchsauszug sei nicht angeschlossen worden. Im Übrigen seien lediglich Unterlagen betreffend im Jahr 2013 von der Botschaft beauftragte Bauarbeiten am Objekt K*gasse 86 Haus 13 und eine Bevollmächtigung zur Anmeldung von Strom bzw. Gas vorgelegt worden. Im Hinblick darauf könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Revisionswerber über eine ortsübliche Unterkunft verfügten.
Was die erforderlichen Unterhaltsmittel betreffe, so habe die Tragfähigkeit der Haftungserklärung des Dr. T nicht geprüft werden können, zumal keine ausreichenden Unterlagen vorgelegt worden seien, denen zufolge Dr. T über hinlängliche Unterhaltsmittel verfüge. Es sei lediglich ein Kontobeleg vom 1. April 2019 vorgelegt worden, auf dem eine Überweisung der Wirtschaftsuniversität W - offenbar ein Gehaltsbezug des Dr. T - von € 5.113,04 aufscheine. Dass es sich dabei um ein regelmäßiges Einkommen handle, sei nicht nachgewiesen worden; auch fehlten Unterlagen über die Ausgaben des Dr. T (für Miete, Strom etc.) sowie über allfällige Kreditschulden und Unterhaltspflichten.
4.3. In der rechtlichen Würdigung folgerte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen, die Revisionswerber hätten aktuelle Bestätigungen vorgelegt, wonach sie als Schüler an öffentlichen Schulen aufgenommen seien. Sie erfüllten daher die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung gemäß § 63 Abs. 1 Z 1 NAG iVm § 8 Z 7 NAG-Durchführungsverordnung.
Was die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen betreffe, so seien die Versagungsgründe gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2, und 4 bis 6 NAG aus jeweils näher erörterten Gründen nicht gegeben. Hingegen liege das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 3 NAG vor, zumal gegen die Revisionswerber mit Bescheiden des BFA vom 25. Jänner 2019 eine Rückkehrentscheidung erlassen und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt worden sei.
Was die weiteren Erteilungsvoraussetzungen anbelange, so widerstreite der Aufenthalt der unbescholtenen Revisionswerber nicht öffentlichen Interessen im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG. Die Revisionswerber verfügten zudem über eine alle Risiken abdeckende Krankenversicherung gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG. Indes hätten sie eine ortsübliche Unterkunft nicht entsprechend nachgewiesen und daher die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG nicht erfüllt. Ferner hätten sie das Vorhandensein der erforderlichen Unterhaltsmittel für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts nicht bescheinigt. Zwar hätten sie Kontoauszüge mit Guthaben von € 6.500,-- und € 6.845,06 vorgelegt, sie hätten aber nicht nachgewiesen, dass diese Mittel weiterhin vorhanden seien und sie darüber frei verfügen könnten. Folglich sei die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht erfüllt, woran auch die Haftungserklärung des Dr. T nichts ändern könne, zumal die Tragfähigkeit mangels Vorlage entsprechender Unterlagen nicht habe geprüft werden können.
Die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei (aus näher erörterten Erwägungen) auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten.
5.4. Von der Durchführung einer - von den Parteien nicht beantragten - mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können. Der wesentliche Sachverhalt habe zweifelsfrei festgestellt werden können, es seien auch keine übermäßig komplexen Rechtsfragen zu klären gewesen.
5.5. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6. Gegen diese Erkenntnisse wenden sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden - außerordentlichen Revisionen, in deren Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachstehend näher erörterten Punkten behauptet wird.
Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
7. Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Verbindung der Revisionssachen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die (im Wesentlichen inhaltsgleichen) Revisionen sind aus den nachfolgenden Erwägungen zulässig und auch begründet.
8.1. Die Revisionswerber machen geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht vom Vorliegen des Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 NAG ausgegangen. Im Entscheidungszeitpunkt sei nämlich eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung nicht (mehr) vorgelegen, habe doch das Bundesverwaltungsgericht mit Teilerkenntnis vom 1. März 2019 den Bescheid des BFA, soweit damit einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt worden war, und mit Erkenntnis vom 17. April 2019 auch die Rückkehrentscheidung ersatzlos behoben. Das Verwaltungsgericht habe diesbezügliche Ermittlungen unterlassen und daher einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt. Es habe den Revisionswerbern auch kein Parteiengehör eingeräumt und sie mit der unrichtigen Sachverhaltsannahme überrascht.
8.2. Gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits 18 Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist.
8.3. Das Verwaltungsgericht ging in den angefochtenen Erkenntnissen davon aus, dass - neben den sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 11 Abs. 1 Z 3 NAG - insbesondere auch eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorliege, weil gegen die Revisionswerber mit Bescheiden des BFA vom 25. Jänner 2019 eine Rückkehrentscheidung ohne Fristgewährung für die freiwillige Ausreise erlassen und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde ausgesprochen worden sei.
Demgegenüber lag eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. etwa VwGH 6.3.2019, Ro 2018/03/0029) jedoch nicht (mehr) vor. Das Bundesverwaltungsgericht gab nämlich den Beschwerden der Revisionswerber gegen die Bescheide vom 25. Jänner 2019 bereits mit Teilerkenntnis vom 1. März 2019 insoweit Folge, als es den Ausspruch über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde ersatzlos behob. Die ersatzlose Behebung des - eine frühere (sonst grundsätzlich erst mit der Rechtskraft eintretende [vgl. § 52 Abs. 8 FPG]) Durchsetzbarkeit begründenden - Ausspruchs wirkte ex tunc, was bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen dem Ausspruch über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und seiner Aufhebung im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob er von Anfang an nicht erfolgt wäre (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0087).
Das Verwaltungsgericht durfte daher schon im Hinblick auf das Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2019 nicht davon ausgehen, dass eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorgelegen sei. Auf das weitere Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 2019, mit dem (auch) die Rückkehrentscheidung ersatzlos behoben wurde, kam es nicht mehr an, wobei jenes Erkenntnis im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts (Zustellung der angefochtenen Erkenntnisse an die Behörde am 17. April 2019) nach der Aktenlage auch noch nicht erlassen war (selbst bei sofortiger Bereitstellung des Erkenntnisses vom 17. April 2019 im ERV oder bei elektronischer Übermittlung nach dem ZustG galt es erst mit dem nächsten Werktag als zugestellt; vgl. die §§ 21 Abs. 8 BVwGG, 35 Abs. 6 ZustG; VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0335).
8.4. Zudem verstieß das Verwaltungsgericht - indem es den angefochtenen Erkenntnissen erstmals die unrichtige Tatsachenannahme des Vorliegens durchsetzbarer Rückkehrentscheidungen zugrunde legte - auch gegen das Überraschungsverbot und das - mit diesem in Beziehung stehende - Parteiengehör der Revisionswerber (vgl. VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066). Hätte das Verwaltungsgericht die von ihm getätigte unrichtige Tatsachenannahme den Revisionswerbern vorweg zur Kenntnis gebracht und ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, hätten sie klarstellen können, dass auf Grund des Teilerkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2019 eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung nicht vorlag.
9.1. Die Revisionswerber machen weiters geltend, das Verwaltungsgericht habe keine hinreichenden amtswegigen Ermittlungen zu den von ihm als nicht erfüllt erachteten Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 und Z 4 iVm Abs. 5 NAG angestellt und auch keine mündliche Verhandlung abgehalten, obwohl der Sachverhalt nicht zweifelsfrei festgestanden sei. Die Revisionswerber seien dabei ihrer Mitwirkungspflicht durch Vorlage entsprechender Beweise hinreichend nachgekommen. Ferner hätten sie eine Haftungserklärung des Dr. T vorgelegt und deren Tragfähigkeit hinlänglich bescheinigt. Allfällige Zweifel hätte das Verwaltungsgericht mit den anwaltlich nicht vertretenen Revisionswerbern in einer mündlichen Verhandlung klären oder ihnen eine Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs einräumen müssen.
9.2. Gemäß § 11 Abs. 2 Z 2 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn er einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird. Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG darf der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen, wobei die hierfür maßgeblichen Kriterien in § 11 Abs. 5 NAG näher geregelt sind. Gemäß § 11 Abs. 6 NAG kann der Nachweis der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 und Z 4 NAG auch durch eine Haftungserklärung im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 15 NAG erbracht werden, sofern deren Zulässigkeit beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt ist, was bei der Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ der Fall ist (vgl. § 63 Abs. 1 NAG).
9.3. Gegenständlich ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 und Z 4 NAG nicht erfüllt seien und das Fehlen der Voraussetzungen auch nicht durch die von Dr. T abgegebene Haftungserklärung substituiert werden könne, weil deren Tragfähigkeit - mithin eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Haftenden, neben dem eigenen Unterhalt auch jenen des Fremden ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu bestreiten (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2019/22/0165) - nicht hinreichend nachgewiesen worden sei.
Dem Verwaltungsgericht sind dabei jedoch (im Folgenden näher erörterte) Verfahrensfehler unterlaufen.
10.1. In Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gelten die Grundsätze der Amtswegigkeit und der Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. die §§ 39 Abs. 2, 37 AVG iVm § 17 VwGVG). Das Verwaltungsgericht hat daher von Amts wegen vorzugehen und unabhängig vom Vorbringen und von den Anträgen der Parteien den wahren Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln (vgl. VwGH 11.9.2019, Ro 2018/08/0008).
Das Verwaltungsgericht hat dabei vorerst eine Partei, wenn diese nicht nur ganz allgemein gehaltene, sondern einigermaßen konkrete sachbezogene Behauptungen aufgestellt hat, zur Präzisierung und Konkretisierung des Vorbringens sowie zu entsprechenden Beweisanboten aufzufordern, die dem Verwaltungsgericht nach allfälligen weiteren Ermittlungen die Beurteilung des Vorbringens ermöglichen (vgl. VwGH 20.10.2020, Ra 2019/22/0135).
Beweisanträge bzw. eine Beweisaufnahme von Amts wegen dürfen prinzipiell nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder ein Beweismittel untauglich bzw. an sich nicht geeignet ist, über den erheblichen Gegenstand einen Beweis zu liefern. Solange einem Beweis die grundsätzliche Eignung, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, nicht abgesprochen werden kann, darf von seiner Aufnahme nicht ohne Weiteres abgesehen werden (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/03/0131).
10.2. Was die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG betrifft, so erachtete das Verwaltungsgericht einen Nachweis im Wesentlichen deshalb als nicht erbracht, weil zwar in den Melderegisterauskünften und in den Unterlagen betreffend die im Jahr 2013 von der Botschaft beauftragten Instandsetzungsarbeiten die Anschrift U*gasse 40 [= K*gasse 86] Haus 13 aufschien, in der Wohnrechtsvereinbarung der Mutter mit der Botschaft betreffend die unbefristete Überlassung einer Unterkunft jedoch ein Objekt nicht genannt wurde.
Das Verwaltungsgericht durfte freilich nicht ohne konkrete Anhaltspunkte darauf schließen, dass die genannten Unterlagen in keinem inhaltlichen Zusammenhang stünden und sich insbesondere die Wohnrechtsvereinbarung nicht ebenso auf das - im Verfügungsbereich der Botschaft stehende - Objekt U*gasse 40 [= K*gasse 86] Haus 13 beziehe. Das Verwaltungsgericht hätte daher diesbezügliche Ermittlungen durchführen müssen, um die Hintergründe und Zusammenhänge entsprechend aufzuklären.
Dem ist das Verwaltungsgericht nicht nachgekommen. Es erteilte zwar den Revisionswerbern zunächst mit Verfügung vom 11. März 2019 den Auftrag, sämtliche Unterlagen zum Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft vorzulegen. Diese Aufforderung war aber nur ganz allgemein gehalten, ging auf die konkrete Lage des Falles nicht ein und ließ insbesondere die gebotene Anleitung der damals nicht anwaltlich vertretenen Revisionswerber (vgl. VwGH 11.12.2018, Ra 2018/02/0241) vermissen.
Im Übrigen unterließ das Verwaltungsgericht die von Amts wegen vorzunehmende Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, indem es - soweit dies auch ohne Mitwirkung der Revisionswerber möglich war - nicht alle nötigen Beweisaufnahmen (wie etwa die naheliegende Vernehmung des Dr. T, der nicht nur mit der Pflege und Erziehung der Revisionswerber betraut war, sondern zuletzt auch als deren bevollmächtigter Vertreter fungierte) durchführte, um zu klären, ob den Revisionswerbern im Wege ihrer Mutter eine ortsübliche Unterkunft zur Verfügung stand.
10.3. Was die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG anbelangt, so erachtete das Verwaltungsgericht einen Nachweis als nicht erbracht, weil zwar Kontoauszüge vom 7. September 2018 mit Guthaben von € 6.500,-- und € 6.845,06 vorgelegt und das Geld unstrittig von der Mutter überwiesen worden war, allerdings hätten die Revisionswerber nicht nachgewiesen, dass die Mittel weiterhin vorhanden und für sie frei verfügbar seien.
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass in Ansehung des Erstrevisionswerbers ein weiterer Kontoauszug vom 23. November 2018 mit einem Guthaben von € 6.510,-- vorgelegt wurde, auf den das Verwaltungsgericht nicht einging.
Zudem war das Verwaltungsgericht verpflichtet, die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts soweit durchzuführen, als dies auch ohne entsprechende Mitwirkung der Revisionswerber möglich war (vgl. bereits Punkt 10.2), um zu klären, ob hinreichende finanzielle Mittel im Entscheidungszeitpunkt für die Geltungsdauer der beantragten Aufenthaltstitel vorhanden und für die Revisionswerber verfügbar waren.
10.4. Was die Haftungserklärung des Dr. T betrifft - mit der der Nachweis der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 und Z 4 NAG substituiert werden könnte (nur dann wäre eine diesbezügliche Prüfung erforderlich; vgl. etwa VwGH 13.11.2018, Ra 2017/22/0130) -, so sah sich das Verwaltungsgericht mangels Vorlage entsprechender Unterlagen nicht in der Lage, die Tragfähigkeit der genannten Erklärung zu prüfen.
Das Verwaltungsgericht ließ dabei jedoch außer Acht, dass - wenn es schon Zweifel hegte, ob Dr. T als ordentlicher Universitätsprofessor ein regelmäßiges Einkommen beziehe und ob die Höhe des Einkommens für die Annahme der Tragfähigkeit der Haftungserklärung ausreiche (für April 2019 wurde immerhin ein Nettobezug von € 5.113,04 bescheinigt) - die Revisionswerber vorerst zur Erstattung eines diesbezüglichen Vorbringens bzw. zur Vorlage weiterer Beweise hätten aufgefordert werden müssen.
Im Übrigen ist nochmals auf die Verpflichtung des Verwaltungsgerichts zur amtswegigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts hinzuweisen (vgl. bereits Punkt 10.2), um zu klären, ob die Haftungserklärung die erforderliche Tragfähigkeit aufweise.
11.1. Soweit die Revisionswerber die Verletzung der Verhandlungspflicht rügen, ist auf § 24 VwGVG hinzuweisen, wonach das Verwaltungsgericht auch ohne Antrag einer Verfahrenspartei eine mündliche Verhandlung von Amts wegen durchzuführen hat, wenn es dies für erforderlich hält. Die Abhaltung der Verhandlung steht dabei nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2018/08/0251).
Das Verwaltungsgericht kann von der Verhandlung grundsätzlich nur dann absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung nicht erwarten lässt. Dies ist dann der Fall, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer Verhandlung erforderlich wäre (vgl. VwGH 30.7.2015, Ra 2015/22/0008).
11.2. Davon ausgehend wäre vom Verwaltungsgericht nach Lage des Falls auch eine - wenngleich von den Parteien nicht ausdrücklich beantragte - mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen. Wie die obigen Ausführungen zeigen, lag kein geklärter Sachverhalt vor, vielmehr war die amtswegige Klärung von Tatsachenfragen in mehreren Punkten geboten. Die erforderliche nähere Aufklärung durch Vornahme der in Betracht kommenden Beweisaufnahmen wäre im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durchzuführen gewesen.
12. Insgesamt waren daher die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 26. Juli 2021
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Parteivorbringen Erforschung des ParteiwillensEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019220121.L00Im RIS seit
06.08.2021Zuletzt aktualisiert am
13.09.2021