Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Dr. Gerhard Horak Mag. Andreas Stolz Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, und deren Nebenintervenientin U***** Versicherungen AG, *****, vertreten durch die WALCH/ZEHETBAUER/MOTTER Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei F***** OY, *****, Finnland, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, wegen 98.706,28 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 10. Dezember 2020, GZ 1 R 142/20x-76, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Eine Absenderin – Versicherungsnehmerin der Nebenintervenientin (Transportversicherer) – beauftragte die Klägerin im Jänner 2016 mit dem Transport von Verbundpackungen von Wolfurt nach Helsinki. Die Klägerin erteilte ihrerseits für diesen Transport einen Subauftrag an die Beklagte zu einem Fixpreis. Die Nebenintervenientin hat als Transportversicherer aufgrund eines Schadensfalls an ihre Versicherungsnehmerin – die Absenderin – 70.000 EUR gezahlt.
[2] Die Klägerin begehrt von der beklagten Frachtführerin im Wege der Drittschadensliquidation die Zahlung von 98.706,28 EUR sA als Schadenersatz, hilfsweise die Feststellung, dass diese ihr für den aus dem Transportschadensfall entstandenen und noch entstehenden Schaden zu haften habe.
[3] Die Nebenintervenientin trat dem Streit auf Seite der Klägerin bei. Die Schadenersatzansprüche der Absenderin gegenüber der Klägerin seien gemäß § 67 VersVG auf sie als deren Transportversicherer übergegangen. Ihr stehe ein Regressanspruch in der Höhe des gezahlten Betrags gegenüber der Klägerin zu.
[4] Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Nebenintervention mangels rechtlichen Interesses.
[5] Das Erstgericht wies die Nebenintervention zurück, das von der Nebenintervenientin angerufene Rekursgericht ließ ihre Nebenintervention zu. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] Mit ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf.
[7] 1. Ein rechtliches Interesse hat ein Nebenintervenient dann, wenn sich die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig auswirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über ein bloß wirtschaftliches Interesse hinausgeht (RS0035724).
[8] Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RS0035638). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse daher gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RS0035724 [T3]).
[9] 2. Nach diesen Kriterien hält sich die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Nebenintervention des Transportversicherers, der der Absenderin deren Schaden im Ausmaß von 70.000 EUR (Versicherungsleistung) ersetzt hat, auf Seite der Klägerin, die im Rahmen der Drittschadensliquidation den Prozess im Interesse der in dieser Höhe geschädigten Nebenintervenientin führt, im Rahmen der Judikatur und ist nicht zu beanstanden:
[10] 3. Nach der Rechtsprechung ist auch im CMR-Haftpflichtprozess die Drittschadensliquidation durch den beauftragten Spediteur oder Frachtführer (hier: Klägerin) nicht nur für den Absender, sondern auch für einen Transportversicherer, der dem Absender dessen Schaden ersetzt, zulässig (7 Ob 216/10f = SZ 2011/54 = RS0126933). In der Transportversicherung sind Frachtführer und Unterfrachtführer regelmäßig regresspflichtige Dritte im Sinn des § 67 Abs 1 VersVG (RS0081390). Die Nebenintervenientin kann als Transportversicherer den gemäß § 67 VersVG auf sie in der Höhe ihrer Versicherungsleistung übergegangenen Schadenersatzanspruch der Absenderin – der Auftraggeberin der Klägerin – gegen diese geltend machen. Obsiegt die Klägerin im Prozess gegen die von ihr beauftragte (Unter-)Frachtführerin, wirkt sich diese Entscheidung unmittelbar auf die Rechtsstellung der Nebenintervenientin aus, deren behaupteter Schadenersatzanspruch im ersiegten Betrag Deckung findet. Dass die Schadenersatzansprüche der Nebenintervenientin aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Absenderin und der Klägerin resultieren und damit aus einem anderen Rechtsverhältnis als dem zwischen Klägerin und Beklagter, nimmt der Nebenintervenientin – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht ihr rechtliches Interesse. Die Klägerin macht als Interessenvertreterin der Auftraggeberin (Absenderin) und damit der Nebenintervenientin im Rahmen der Drittschadensliquidation einen eigenen Anspruch auf Ersatz eines fremden Schadens geltend und kann deshalb auf Leistung entweder an sich selbst oder an den Geschädigten klagen (7 Ob 216/10f; RS0073768; RS0107085; RS0107088). Daraus ergibt sich – nicht korrekturbedürftig vom Rekursgericht erkannt – das rechtliche Interesse der Nebenintervenientin am Obsiegen der Klägerin.
[11] 5. Eine vor Zustellung der Mitteilung nach § 508a Abs 2 Satz 1 ZPO erstattete Beantwortung ist nicht zu honorieren (RS0043690).
Textnummer
E132321European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00092.21M.0623.000Im RIS seit
04.08.2021Zuletzt aktualisiert am
04.08.2021