TE OGH 2021/7/5 4Ob220/20m

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Veröffentlicht am 05.07.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi sowie die fachkundigen Laienrichter PA DI Dr. Beetz und DI Keschmann als weitere Richter in der Patentrechtssache der Antragstellerin L***** KG, *****, vertreten durch Gassauer-Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin F***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Anwälte Burger und Partner Rechtsanwalt GmbH in Windischgarsten, wegen Nichtigkeit des Patents Nr 516843, über die außerordentliche Revision der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. November 2020, GZ 33 R 42/20v-5, mit dem die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 23. Oktober 2019, GZ N 5/2018-21, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin deren mit 4.430,16 EUR (darin 738,36 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Antragsgegnerin ist Inhaberin eines Patents betreffend ein Verfahren zur Bearbeitung von zumindest zwei Werkstücken, welche auf einem drehbaren Werkstückträger gespannt sind, samt Werkstückträger und Bearbeitungsmaschine hierfür, angemeldet im Juni 2015. Bereits im Jahr 2009 wurde eine derartige Maschine in der Produktionshalle eines Unternehmens, bei dem ein Bewusstsein für die Existenz von Geschäftsgeheimnissen vorhanden ist, aufgestellt. Dort wurden auch Führungen für Schulklassen und dergleichen gemacht. Besucher der Geschäftsleitung, Werkzeugtechniker und Monteure hatten direkten Einblick in die Maschine. Ob für die Teilnehmer eine Geheimhaltungsverpflichtung bestand, konnte nicht festgestellt werden.

[2]       Die Antragstellerin beantragte die gänzliche Nichtigerklärung des Streitpatents und stützte sich im Wesentlichen auf das Fehlen dessen Neuheit, hilfsweise auf das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit und der Ausführbarkeit.

[3]       Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Antrags. Das Streitpatent sei neu und erfinderisch, seine Verfahrensansprüche seien ausführbar.

[4]       Die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts gab dem Antrag in Ansehung des Anspruchs 12 statt und erklärte das Streitpatent in diesem Umfang für nichtig. Im Übrigen wies es den Antrag ab. Die Ansprüche 1 bis 11 und 13 bis 15 des Streitpatents seien neu und erfinderisch und für die Fachperson auch ausführbar.

[5]            Das Berufungsgericht erklärte das gesamte Streitpatent für nichtig. Es bleibe zwar offen, ob Besucher der Produktionshalle in der Lage gewesen wären, die Details der Maschine zu erkennen. Damit könne noch nicht von einer öffentlichen Zugänglichkeit ausgegangen werden. Offenkundigkeit sei aber dadurch hergestellt worden, dass weitere Besucher wie Geschäftspartner des Unternehmens, in dessen Produktionshalle die Maschine aufgestellt war, oder Monteure und potenzielle Kunden das bei der Maschine zum Einsatz kommende Verfahren erkennen und verstehen hätten können, denn diese hätten direkten Einblick in die Maschine gehabt. Damit sei die Maschine der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Dass im Unternehmen ein Bewusstsein für Geschäftsgeheimnisse vorhanden gewesen sei, reiche für die Annahme einer Geheimhaltungspflicht in Bezug auf die Technik der Maschine nicht aus. Die Erfindung sei daher nicht neu, da ihre Technik der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei. Das angefochtene Patent sei daher für nichtig zu erklären.

[6]       Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Antragsgegnerin mit dem Antrag, die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts wiederherzustellen. Das Urteil sei nichtig, weil seine Begründung in sich widersprüchlich sei; das Verfahren sei mangelhaft gewesen, weil Feststellungen der Nichtigkeitsabteilung unzutreffend seien; Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts aus Feststellungen der Nichtigkeitsabteilung seien aktenwidrig; schließlich sei die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts unrichtig, weil es sich bei den Besuchern der Geschäftsleitung nicht um beliebige Dritte, sondern um einen begrenzten Personenkreis handle.

[7]       Die Antragstellerin beantragt mit der ihr vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8]       Die Revision ist zulässig, weil keine jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des „Zugänglichmachens“ iSd § 3 Abs 1 PatG besteht; sie ist aber nicht berechtigt.

[9]       1. Ein nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO mit Nichtigkeit sanktionierter Widerspruch liegt nur vor, wenn einzelne Teile des Spruchs einander logisch ausschließen (RIS-Justiz RS0041306; RS0042171 [T2]; RS0042133). Die Revisionswerberin macht jedoch eine Widersprüchlichkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung geltend, sodass der behauptete Nichtigkeitsgrund nicht vorliegt.

[10]     2. Unter dem Revisionsgrund des Verfahrensmangels bekämpft die Revisionswerberin Feststellungen der ersten Instanz. Beweiswürdigung und Feststellungen der Tatsacheninstanzen sind im Revisionsverfahren allerdings nicht mehr anfechtbar (7 Ob 28/21z, 4 Ob 236/16h uva). Darauf ist daher nicht näher einzugehen.

[11]           3.1. Eine Aktenwidrigkeit liegt bei einem Widerspruch zwischen Prozessakten und tatsächlichen Urteilsvoraussetzungen vor, wobei dieser Widerspruch einerseits wesentlich, andererseits unmittelbar aus den Akten ersichtlich und behebbar sein muss. In der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlussfolgerungen kann keine Aktenwidrigkeit liegen (RS0043421). Nur eine für die Entscheidung erhebliche Aktenwidrigkeit kann im Wege einer außerordentlichen Revision wahrgenommen werden (RS0042155 [T1]). Der Rechtsmittelwerber ist zur Dartuung der abstrakten Eignung des Verfahrensmangels gehalten, wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist (RS0042155 [T2]; RS0042762 [T7, T8]).

[12]     3.2. Hier erblickt die Revisionswerberin eine Aktenwidrigkeit darin, dass in erster Instanz festgestellt wurde, dass Besucher der Geschäftsleitung und andere Personen direkten Einblick in die Maschine gehabt hätten, während das Berufungsgericht von einer uneingeschränkten Möglichkeit zum Einblick in die Maschine ausgegangen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Bewertung in der getroffenen Feststellung Deckung findet. Überdies zeigt die Revisionswerberin nicht auf, warum eine andere Entscheidung zu treffen wäre, wenn lediglich von einem direkten Einblick in die Maschine auszugehen wäre.

[13]           4.1. Die Rechtsrüge wirft die Frage auf, ob durch den direkten Einblick in die Maschine durch Besucher der Geschäftsleitung und andere ein Zugänglichmachen des Patents an die Öffentlichkeit iSd § 3 Abs 1 PatG erfolgt sei. Dazu bringt die Revisionswerberin vor, dass das Berufungsgericht bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu dem Schluss hätte gelangen müssen, dass es sich bei Besuchern der Geschäftsleitung nicht um beliebige Dritte, sondern um einen begrenzten – vom Erfindungsbesitzer kontrollierbare – Personenkreis handle. Außerdem sei in Bezug auf Besucher der Geschäftsleitung keine Weiterverbreitung der technischen Funktionsweise der Maschine an beliebige Dritte erfolgt.

[14]     4.2. Nach § 3 Abs 1 PatG gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benützung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist.

[15]     4.3. Der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird eine (technische) Information, wenn ein beliebiger Fachmann ihren Inhalt erkennen, verstehen und an andere Fachleute weitergeben kann. Öffentlichkeit ist eine unbestimmte Mehrheit von Personen. Aber auch die Unterrichtung einzelner Personen oder eines begrenzten Personenkreises begründet eine Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit, wenn nach dem normalen Verlauf der Dinge angenommen werden kann, dass die relevanten Informationen von den Empfängern an beliebige Interessierte weitergegeben werden. Davon wird regelmäßig auszugehen sein, wenn sie dem Erfinder oder Inhaber der Erfindung gegenüber nicht zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Haben sie keinen Anlass, ihr Wissen geheim zu halten, besteht regelmäßig die nicht fern liegende Möglichkeit, dass die Informierten hierüber sprechen und ihr Wissen damit auch einem größeren Personenkreis zugänglich wird (Melullis in Benkard, EPÜ3 Art 54 Rz 138 f mwN; Moufang in Schulte/Moufang, PatG10 § 3 Rz 24; in diesem Sinn auch Horkel/Poth/Pföstl in Stadler/Koller, PatG § 3 Rz 23; ebenso auch EPA T 2037/18).

[16]     4.4. Nach der Rechtsprechung des Obersten Patent- und Markensenats ist die Zugriffsmöglichkeit einer fachkundigen Allgemeinheit, also eines unbestimmten, wegen der Beliebigkeit seiner Zusammensetzung für den Erfindungsbesitzer nicht mehr kontrollierbaren Personenkreises, entscheidend (OPM Op 2/12, Heizgerät). Ein Zugänglichmachen an die Öffentlichkeit ist dann gegeben, wenn für einen nicht beschränkten Personenkreis eine nicht entfernt liegende, daher nicht bloß theoretische Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht (vgl OBp 2/09, PBl 2010, 117).

[17]           5.1. Nach diesen zutreffenden Grundsätzen hat das Berufungsgericht hier nach dem festgestellten Sachverhalt zu Recht bejaht, dass die Maschine bereits vor dem Anmeldetag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, zumal nicht festgestellt werden konnte, dass sich die Besucher der Geschäftsleitung des Aufstellungsunternehmens sowie die Werkzeugtechniker und Monteure, die direkten Einblick in die Maschine hatten, einer Geheimhaltungspflicht unterworfen hätten. Die Beweispflicht für eine allfällige implizite Geheimhaltungsvereinbarung mit ihnen trägt der Patentinhaber (vgl EPA T 2037/18). Dieser Beweis wurde nicht erbracht.

[18]           5.2. Auf einen in der Revision unter Berufung auf OBp 2/13 und T 1686/06 geltend gemachten Anscheinsbeweis der Geheimhaltungsvereinbarung aufgrund geschäftlicher Kontakte kann sich die Antragsgegnerin nicht berufen, zumal ein derartiger Anscheinsbeweis voraussetzt, dass für den Erfolg des Geschäfts notwendige Informationen von beiden Seiten eingebracht werden (vgl T 1686/06). Solches wurde hier nicht behauptet und festgestellt. Nach den Feststellungen erfolgte vielmehr eine Art „Leistungsschau“ für die Kunden der Geschäftsleitung des die Maschine aufstellenden Unternehmens, nicht hingegen das gegenseitige Einbringen von Informationen zur Entwicklung eines erfolgversprechenden Produkts, zumal dieses doch hier schon entwickelt war.

[19]     5.3. Wenn die Revisionswerberin moniert, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Kontrollierbarkeit der Zusammensetzung des Personenkreises, dem die Maschine zugänglich war, auf den Erfinder statt auf den (in der Rechtsprechung zu Op 2/12 genannten) Erfindungsbesitzer abgestellt hat, so trifft sie damit keinen entscheidungswesentlichen Punkt: Da die Besucher der Produktionshalle mit der dort aufgestellten Maschine keiner Geheimhaltungspflicht unterlagen, war die Verbreitung der Erfindung für niemanden mehr kontrollierbar.

[20]     5.4. In Anbetracht all dieser Umstände ist das Berufungsgericht zutreffend von einer neuheitsschädlichen Offenbarung der Erfindung ausgegangen. Der Revision der Antragsgegnerin ist daher nicht Folge zu geben.

[21]     6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

Leistungsschau,

Textnummer

E132344

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00220.20M.0705.000

Im RIS seit

10.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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