Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.
Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Kodek sowie den Hofrat MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin M***** OG, *****, vertreten durch Jeannee Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die Beklagte L***** R*****, vertreten durch ihren Verfahrenshelfer Mag. Matthias Wach, LL.M., Rechtsanwalt in Baden, wegen Räumung (hier: wegen Zwischenantrag auf Feststellung), über den Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 25. Februar 2021, GZ 19 R 1/21i-42, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 18. August 2020, GZ 9 C 253/18t-26, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 2.218,50 EUR (darin 369,75 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin als Käuferin und die Beklagte als Verkäuferin schlossen einen Kaufvertrag über eine Liegenschaft.
[2] Die Klägerin begehrt die Räumung dieser Liegenschaft wegen titelloser Benützung. Eine Bewertung nach § 56 Abs 2 JN wurde von ihr nicht vorgenommen.
[3] Die Beklagte wendete die Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Wucher ein und stellte einen Zwischenantrag auf Feststellung, dass der von den Streitteilen abgeschlossene Kaufvertrag nichtig und rechtsunwirksam sei. Zur Bewertung ihres Zwischenantrags führte sie aus:
Das angerufene Gericht ist für die Entscheidung über die Rechtsunwirksamkeit des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrags [...] auch sachlich zuständig. Der gemäß § 60 Abs 2 JN anhand des Steuerwerts der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft zu bemessende Streitwert liegt unter der Streitwertgrenze für die sachliche Zuständigkeit der Bezirksgerichte in der Höhe von 15.000 EUR.
[4] Die Klägerin beantragte die Zurückweisung des Zwischenantrags wegen sachlicher Unzuständigkeit. Als Streitwert für den Zwischenantrag auf Feststellung sei der dreifache Einheitswert der Liegenschaft von 43.846,29 EUR heranzuziehen.
[5] In der Folge brachte die Beklagte vor, ihr Verweis auf § 60 Abs 2 JN sei ein Fehlverweis. Sie habe vorgebracht, dass der Streitwert für den Zwischenantrag auf Feststellung unter 15.000 EUR liege. Soweit dies das Gericht als unbestimmt bewertet ansehe, gelte für den Zwischenantrag gemäß § 56 Abs 2 JN der Zweifelsstreitwert von 5.000 EUR.
[6] Das Erstgericht wies den Zwischenantrag auf Feststellung zurück. Die Beklagte habe eine wirksame bestimmte Bewertung vorgenommen. Es sei vom Vorbringen der Beklagten auszugehen, die sich auf § 60 Abs 2 JN bezogen und ausgeführt habe, der anhand des Steuerwerts zu bemessende Streitwert liege unter 15.000 EUR. Damit habe die Beklagte – entgegen ihrer nunmehrigen Ansicht – eine wirksame Bewertung des Zwischenantrags auf Feststellung in Höhe des Steuerwerts (dh des dreifachen Einheitswerts) vorgenommen. Dies habe sie zwar nicht in betraglich fixierter Form, jedoch in bestimmbarer Weise getan, sodass ein Rückgriff auf den Zweifelsstreitwert des § 56 Abs 2 JN nicht möglich sei. Die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts sei angesichts des Steuerwerts von 43.846,29 EUR zu verneinen.
[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bemaß den Wert des Entscheidungsgegenstands mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Der Streitwert sei nach den Angaben der Beklagten objektivierbar, was für eine Bewertung ausreichend sei. Eine nachträgliche Änderung sei unzulässig. Die ursprünglich vorgenommene Bewertung sei auch für das Gericht bindend, sodass eine Anwendung des Zweifelstreitwerts gemäß § 56 Abs 2 zweiter Satz JN für den Zwischenantrag auf Feststellung ausscheide. Abgesehen davon wäre die Zuständigkeit des Bezirksgerichts schon deshalb zu verneinen, weil die Streitwerte des Klagsanspruchs und des Feststellungsanspruchs zusammenzurechnen seien und damit jedenfalls 15.000 EUR überstiegen. Der Revisionsrekurs sei mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zulässig, ob es für eine wirksame Bewertung nach § 56 Abs 2 JN ausreiche, dass der Streitwert objektivierbar und bestimmbar sei, oder ob dafür eine ziffernmäßige Angabe erforderlich sei.
[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich der – von der Klägerin beantwortete – Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, dem Antrag auf Zwischenfeststellung Folge zu geben. Bei der Bewertung reiche die Bestimmbarkeit nicht aus, sondern es bedürfe einer ziffernmäßigen Angabe. Diese sei hier nicht erfolgt, weshalb vom Zweifelstreitwert von 5.000 EUR auszugehen sei.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Revisionsrekurs ist zur Klärung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
[10] 1.1. Gemäß § 56 Abs 2 JN hat der Kläger (Antragsteller) den Wert eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstands in der Klage (Antrag) anzugeben. Dies gilt insbesondere auch in Ansehung von Feststellungsklagen. Unterlässt der Kläger eine Bewertung in einer Klage, so gilt der Betrag von 5.000 EUR als Streitwert.
[11] 1.2. Der Kläger ist, soweit keine zwingenden Bewertungsvorschriften bestehen, in seiner Bewertung weitgehend frei (Pesendorfer in Höllwerth/Ziehensack, ZPO Praxiskommentar [2019] § 56 JN Rz 3, Mayr in Rechberger/ Klicka, ZPO5 § 56 JN Rz 5).
[12] 1.3. Gemäß § 60 Abs 2 JN ist als Wert einer grund- oder hauszinssteuerpflichtigen unbeweglichen Sache jener Betrag anzusehen, welcher als Steuerschätzwert für die Gebührenbemessung in Betracht kommt.
[13] 1.4. § 60 Abs 2 JN ist eine zwingende Bewertungsvorschrift (RIS-Justiz RS0046507 [T1]). Wenn allerdings der Streitgegenstand vom Kläger oder Antragsteller selbst geringer als der Steuerwert bewertet wird, so ist das Gericht gemäß § 60 Abs 4 JN an diese Bewertung gebunden (vgl RS0109017).
[14] 2.1. Die Bewertungsvorschrift des § 60 Abs 2 JN gilt auch für obligatorische Ansprüche, denn eine Einschränkung auf Klagen aus einem dinglichen Recht ist der Bestimmung nicht zu entnehmen (Mayr in Rechberger/ Klicka, ZPO5 § 60 JN Rz 3; Gitschthaler in Fasching/ Konecny3 § 60 JN Rz 33; 7 Ob 669/89 = RZ 1990/38, 7 Ob 667/90 = SZ 64/1).
[15] 2.2. Nach der Rechtsprechung (vgl 2 Ob 68/09b; 3 Ob 218/06i) ist § 60 Abs 2 JN bei der Bewertung dann anzuwenden, wenn das Streitinteresse ausschließlich vom Wert der Liegenschaft bestimmt wird (RS0053191). Dies ist zum Beispiel bei einem auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Schenkungs- oder Übergabsvertrags gerichteten Klagebegehren der Fall (1 Ob 571/88; 8 Ob 262/99h), nicht dagegen beim Streit um die grundbücherliche Löschung oder Aufrechterhaltung eines Wegerechts (5 Ob 107/92; 6 Ob 63/05s), bei nachbarschaftsrechtlichen Ansprüchen (7 Ob 19/08g) oder beim Anspruch auf Einräumung eines Notwegs (3 Ob 278/06p). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung, der der Revisionsrekurs keine schlüssigen Argumente entgegenstellt, ist die genannte Bewertungsvorschrift daher auch im vorliegenden Fall anzuwenden.
[16] 2.3. Nach älterer Rechtslage war der in § 60 Abs 2 JN erwähnte „Steuerwert für die Gebührenbemessung“ an § 6 Abs 1 lit b GrEStG 1987 anzuknüpfen, der idF BGBl I 2000/142 festlegte, dass als Wert des Grundstücks das Dreifache des Einheitswerts anzusetzen ist (RS0046526 [T6, T8]). Das GrEStG 1987 in der aktuellen Fassung BGBl I Nr 36/2014 stellt nunmehr in §§ 4 ff auf den Wert der Gegenleistung ab, bei einem Kauf somit auf den Kaufpreis (vgl 5 Ob 101/15m). Der Einheitswert spielt nur mehr in besonderen Fällen eine Rolle (vgl Mayr in Rechberger/ Klicka, ZPO5 § 60 JN Rz 2).
[17] 3.1. Die von der Beklagten vorgenommene Bewertung ist unklar, denn einerseits möchte sie eine Bewertung unter 15.000 EUR vornehmen, andererseits geht sie von der Anwendung des § 60 Abs 2 JN aus, der nach den oben aufgezeigten Grundsätzen über 15.000 EUR liegen würde. Damit liegt keine wirksame Bewertung vor.
[18] 3.2. Mangels Bewertung führt § 60 Abs 2 JN zu einem weit über 15.000 EUR liegenden Betrag, ist doch die Tatsache, dass der im Kaufpreis zum Ausdruck kommende Verkehrswert den Einheitswert der Liegenschaft (hier 14.615,41 EUR) um ein Vielfaches übersteigt, als notorisch anzusehen (vgl 5 Ob 101/15m). Die Beklagte selbst geht von einem Kaufpreis der betreffenden Liegenschaften in Millionenhöhe aus. Die Bewertung nach § 60 Abs 2 JN führt daher jedenfalls zu einem Streitwert von über 15.000 EUR. Für den Zweifelsstreitwert von 5.000 EUR nach § 56 Abs 2 JN ist hier aufgrund des Vorliegens einer zwingenden Bewertungsvorschrift kein Raum.
[19] Das Erstgericht ist daher für den Zwischenantrag auf Feststellung sachlich nicht zuständig, weshalb dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge zu geben ist.
[20] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E132324European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00079.21B.0727.000Im RIS seit
04.08.2021Zuletzt aktualisiert am
04.08.2021