Entscheidungsdatum
11.05.2021Norm
B-VG Art130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch seinen Richter
HR Dr. Pichler über vorliegende Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 und Art 132 Abs 2 B-VG wegen Verletzung in Rechten infolge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 26.11.2018 des A, geb. ***, vertreten durch Rechtsanwalt B in ***, ***, insbesondere wegen Verbringung des Beschwerdeführers am 26.11.„20187“ – gemeint wohl richtiger Weise „26.11.2018“ in die Betreuungseinrichtung *** und die dortige Anhaltung vom 26.11. bis 30.11.2018, unter Abstandnahme der Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß der Bestimmung des § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG idgF, erwogen wie folgt und somit zu Recht erkannt:
1. Die Überstellung des am *** geborenen ghanesischen Beschwerdeführers A, von ***, ***, seine Verbringung und seine Unterbringung in der Betreuungseinrichtung *** im Zeitraum vom 26.11.2018 bis 30.11.2018 erfolgten ohne entsprechende gesetzliche Grundlage und erweisen sich diese Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen des Verstoßes gegen Art 1 Abs 2 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit sowie gegen Art 5 Abs 1 EMRK als
r e c h t s w i d r i g.
2. Die unterlegene Partei, die NÖ Landesregierung, welcher diese als rechtswidrig qualifizierten, hoheitlichen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die die Maßnahmen setzenden Organe zuzurechnen sind, hat sohin gemäß der Bestimmung des § 35 Abs 1 und 2 VwGVG idgF der obsiegenden Partei, A, z.H. RA B, die in der VwG-Aufwandersatz-Verordnung (BGBl II 2013/517 idgF) vorgesehenen Kosten für den Ersatz der Eingabegebühr in Höhe von 30 Euro, weiters den Ersatz des Schriftsatzaufwandes des Beschwerdeführers als obsiegende Partei in Höhe von 737,60 Euro sowie den Betrag von 922 Euro als Ersatz des Verhandlungsaufwandes des Beschwerdeführers ebenso als obsiegende Partei, binnen der angemessenen Frist von acht Wochen zu ersetzen.
3. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I.
Der zum Zeitpunkt der Erhebung der Maßnahmenbeschwerde minderjährige A ist Staatsangehöriger von Ghana und stellte am 10.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, welches Begehr mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2018 als unbegründet abgewiesen wurde.
Dieser Beschwerdeführer wurde gemäß § 5 Abs 1 Z 1 NÖ Grundversorgungsgesetz in die Grundversorgung aufgenommen und war er bis zum 26.11.2018 in einer Betreuungseinrichtung für Asylwerber in *** untergebracht.
An diesem Tag erfolgte die Verlegung dieses zu diesem Zeitpunkt minderjährigen Beschwerdeführers gemeinsam mit weiteren Jugendlichen in die Betreuungseinrichtung ***.
Mit Schriftsatz vom 04.01.2019 brachte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde ein, die sich einerseits gegen die Art und Weise der Verbringung in die Betreuungseinrichtung *** wendet und andererseits per se sich gegen die Unterbringung in dieser Betreuungseinrichtung richtet.
Diese Beschwerde wurde nach Durchführung von drei mündlichen Verhandlungen mit Beschluss des LVwG NÖ vom 28.07.2020 als unzulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss vom 28.07.2020, dem Rechtsvertreter zugestellt am 30.07.2020, wurde seitens des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers Beschwerde gemäß Art 144 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof erhoben.
Dieser Verfassungsgerichtshofbeschwerde wurde seitens des Höchstgerichtes mit Erkenntnis vom 10.03.2021 zu Zl. *** gefolgt und ist zu Recht erkannt worden, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich hinsichtlich der Verbringung in die Betreuungseinrichtung *** in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG und darüber hinaus durch den angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Unterbringung in der Betreuungseinrichtung *** im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art 1 B-VG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) verletzt worden ist.
Aus den Entscheidungsgründen und der geäußerten Rechtsauffassung des Höchstgerichtes erhellt zweifelsfrei, dass die Rechtsfrage des Vorliegens eines der Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde zugängigen hoheitlichen individuellen Aktes im Wege einer Gesamtbetrachtung - bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt – zu beurteilen ist und auch nicht von der im Rahmen der Beweiswürdigung ausgegangenen Annahme einer freiwilligen Verbringung in die neue Betreuungseinrichtung nach *** ausgegangen werden könne, entgegen der Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich es sich bei der Unterbringung nach dem NÖ Grundversorgungsgesetz unbestrittener Weise in Teilbereichen um eine öffentliche Aufgabe gehandelt habe, zu der die Niederösterreichische Landesregierung durch die gesetzlichen Vorschriften verpflichtet sei.
Darüber hinaus bedürfe es nachvollziehbarer Feststellungen dergestalt, um darüber entscheiden zu können, ob das Verhalten der tätig gewordenen Personen der Niederösterreichischen Landesregierung zuzurechnen sei.
Dahingehend hat nunmehr – ausgehend von vorliegender – obig auszugsweise der Begründung nach zitierter Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, unter Wertung und Würdigung des gesamten Akteninhaltes, auch unter Bedachtnahme des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nicht mehr in Österreich aufhältig und für die Behörde oder das Landesverwaltungsgericht für eine Ladung nicht greifbar ist, unter Abstandnahme der Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß der Bestimmung des spruchzitierten § 24 VwGVG, unter Zugrundelegung der aktenkundigen Ergebnisse des Beweisverfahrens, erwogen wie folgt:
Vorliegende Maßnahmenbeschwerde erweist sich als
b e r e c h t i g t .
I.
Gegenständlich gewählte Art und Weise der verwaltungsbehördlichen Anordnung der Verbringung des Jugendlichen in concreto ist als Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ihrer Ausgestaltung nach im Wege einer Gesamtbetrachtung zu werten.
Unter Wertung und Würdigung des im Zuge des Beweisverfahrens erhobenen Sachverhaltes, der eingeholten Zeugenaussagen, den eigenen Angaben des Beschwerdeführers sowie des Umstandes der Beiziehung von Sicherheitsorganen vom einseitig seitens der Behörde kurzfristig, ohne Ankündigung, geplanten Termins der Verbringung des minderjährigen Beschwerdeführers in die Betreuungseinrichtung ***, musste objektiv aus der Sicht des Betroffenen der Eindruck entstehen, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung durch ihn mit unmittelbarer zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (vgl. VfSlg. 10.976/1986 u.a.).
Da sohin der vorliegende, als erwiesen anzusehende, Sachverhalt im Wege einer Gesamtbetrachtung zu beurteilen ist (vgl. VfSlg. 18.836/2008 u.a.), ist von unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu sprechen und in materiell-rechtlicher Hinsicht nach Prüfung der Rechtmäßigkeit in der Sache selbst zu entscheiden.
II.
Die gegenständlich einseitig, kurzfristig angeordnete, im Beisein zweier uniformierter Polizeibeamten gegen den Willen des Beschwerdeführers erfolgte Verlegung in die Betreuungseinrichtung *** erweist sich somit als rechtswidrig.
Die vorliegende Verbringung Jugendlicher, unter denen sich auch der Beschwerdeführer befand, in ein Gebäude, das von einem Zaun mit Stacheldraht-Bewehrung umgeben war, mit strikten, zeitlich rigiden Ausgangsbeschränkungen, mit mangelhaften hygienischen und sanitären Zuständen, wie sie auch seitens der Niederösterreichischen Kinder- und Jugendanwaltschaft aktenkundig als solche mangelhaft beschrieben sind, die Verbringung in eine solch genannte Betreuungseinrichtung, die ganz offensichtlich lediglich auf einer Anordnung des zuständigen Landesrates der NÖ Landesregierung beruht, dieses Vorgehen, die Art und die konkreten Umstände der Verbringung nach ***, welche einer anzuwendenden gesetzlichen Grundlage entbehrt, war sohin als behördliches Handeln betreffend den Beschwerdeführer vom Zeitpunkt des Inkenntnissetzens der Verlegung mit dem objektiv nachvollziehbaren Eindruck eines Befolgungsanspruches sowie der Art der Anhaltung und Unterbringung nach als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt rechtlich zu qualifizieren.
III.
Auch unter Bedachtnahme auf die Feststellungen und der statuierten Rechtsansicht des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 10.03.2021 erfolgte gegenständliches, in Zusammenschau der belangten Behörde zurechenbares Handeln ohne taugliche gesetzliche Grundlage, lediglich basierend auf Weisung und Wunsch des zuständigen Landesrates.
IV.
Unbestrittener Weise handelt es sich bei der Unterbringung nach dem NÖ Grundversorgungsgesetz um eine öffentliche Aufgabe, zu der die Niederösterreichische Landesregierung durch die gesetzlichen Vorschriften verpflichtet ist (vgl. VfGH vom 10.03.2021, E 2735/2020-22).
Auch wenn gegenständlich die Niederösterreichische Landesregierung für die Erfüllung der Leistungen aus der Grundversorgung sich entsprechend der Bestimmung des § 1 Abs 4 NÖ GVS-G privater Einrichtung bediente, ist rechtlich zu würdigen, dass der Vollzug des NÖ Grundversorgungsgesetzes, auf Basis dessen die Unterbringung von Asylwerbern erfolgt, obwohl großteils als Teil der Privatwirtschaftsverwaltung erfolgt, diese gesetzliche Bestimmung nach § 17 Abs 2 NÖ GVS-G – Ausnahmetatbestände – normiert, die hoheitlich vollzogen werden und sohin als mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbare hoheitliche Akte zu qualifizieren sind.
Der zum Zeitpunkt der gesetzter behördlichen Maßnahmen minderjährige Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt im Stand des offenen, noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens.
Der am *** geborene A war zum Zeitpunkt seiner Verbringung und Unterbringung in *** Asylwerber und sohin Fremder ab Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutz oder eines Asylantrages bis zum rechtskräftigen Abschluss zur Einstellung oder zur Gegenstandslosigkeit des Asylverfahrens, dies unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 17 Abs 2 NÖ GVS-G – bescheidmäßige Entscheidung – somit hoheitlich unterworfen – betreffend der diesen Personen grundsätzlich zustehenden, gemäß § 4 Abs 2 Z 1 leg. cit. taxativ aufgelisteten, zustehenden Leistungen.
Gleichfalls unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes, der Ergebnisse des Beweisverfahrens in gegenständlicher Verwaltungssache, stellt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fest, dass das NÖ Grundversorgungsgesetz nicht bloß privatwirtschaftlich vollzogen wird, sondern auch hoheitliche, mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbare, Elemente ausbildet, gegenständlich relevant die konkrete Ausgestaltung der Unterbringung, die Verbringung von Jugendlichen in die Einrichtung nach einem durch Weisungen von Mitarbeitern der NÖ Landesregierung vorgegebenen Auftrages.
In Zusammenschau mit den im Zuge des Beweisverfahrens, unter Wahrheitspflicht getätigten zeugenschaftlichen Angaben, Aussagen von Auskunftspersonen, medialer, der Richtigkeit nach unwidersprochener Berichterstattung in Hinblick auf das politische Agieren des zuständigen Landesrates, dessen Anordnungen, ist davon auszugehen und rechtlich zu würdigen, dass die mit der Verlegung und der darauffolgenden Unterbringung des, damals im offenen Asylverfahren befindlichen minderjährigen Beschwerdeführers, die gesetzten Maßnahmen – beruhend offensichtlich auf Anordnung des zuständigen Mitgliedes der NÖ Landesregierung – hoheitliche Maßnahmen sind, die der NÖ Landesregierung zuzurechnen sind, insbesondere die Teilaspekte der Überstellung, Verbringung und Unterbringung Minderjähriger in gegenständlichem, ausgewählten Gebäude, welches von der Außenwelt durch einen errichteten Stacheldrahtzaun abgegrenzt war und dort beschäftigte Security-Mitarbeiter rigide Ausgangsbeschränkungen hinsichtlich deren Befolgung kontrollierten.
Es war sohin einerseits von bekämpfbarer unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu sprechen, die rechtswidrig seitens von der belangten Behörde zuzurechnenden Organen gesetzt wurde, die Tätigkeiten auf Anordnung und Weisung des zuständigen Landesrates beruhten, und im Spruch gegenständlichen Umfang als hoheitliches Handeln zu qualifizieren sind, dies insbesondere unter Berücksichtigung obzitierter Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes.
Es war daher vorliegender Beschwerde im spruchgenannten Umfang zu folgen.
V.
Der Kostenausspruch basiert auf den spruchgenannten Bestimmungen der VwG-Aufwandersatzverordnung.
VI.
Zum Ausschluss der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist gemäß Art 133
Abs 4 B-VG iVm § 25a VwGG deshalb nicht zulässig, da vorliegendes Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, da dieses auf der eindeutigen, beispielshaft zitierten Judikatur des zur Anwendung zu bringenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes beruht und gegenständliche Entscheidung sohin kein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung bezüglich der rechtlichen Qualifizierung als Maßnahmenbeschwerde gegeben ist.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Unterbringung; Bundesbetreuungseinrichtung; Minderjährige; Verfassungswidrigkeit; Anhaltung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.2.007.2019Zuletzt aktualisiert am
28.06.2021