TE Vfgh Erkenntnis 2007/6/20 G111/06 ua, V38/06 ua

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Veröffentlicht am 20.06.2007
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
Stmk Vergabe-NachprüfungsG §18
Stmk Vergabe-PauschalgebührenV. LGBl 71/2003 §1

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit landesrechtlicher Regelungen betreffendPauschalgebühren im Vergabeverfahren unter Hinweis auf dieVorjudikatur zum Bundesvergabegesetz 2002

Spruch

I. Die Wortfolge "§4 Abs1," in Abs1 des §18 des Steiermärkischen Vergabenachprüfungsgesetzes, LGBl. für die Steiermark Nr. 43/2003, war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Steiermark ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

II. §1 Abs1 Z10 der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 15. September 2003 über die Höhe und über die Art der Einhebung der Verwaltungsabgaben in Vergabenachprüfungsverfahren (Vergabe-Pauschalgebührenverordnung), LGBl. Nr. 71/2003, war gesetzwidrig.

Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

III. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist unter der Z2005/04/0199 die Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark (im Folgenden: UVS) vom 21. Juli 2005 anhängig, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ersatz der von ihr für einen Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung hinsichtlich eines Dienstleistungsauftrages im Oberschwellenbereich und für einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung entrichteten Pauschalgebühr in Höhe von € 3.200,-- gemäß §18 Abs5 des Steiermärkischen Vergabe-Nachprüfungsgesetzes, LGBl. 43/2003 (im Folgenden: Stmk. VergNPG), abgewiesen wurde. Begründend habe der UVS ausgeführt, dass die Zuschlagsentscheidung vom Auftraggeber aufgehoben und das Vergabeverfahren widerrufen worden sei, weshalb der daraufhin gestellte Antrag auf Gebührenersatz mangels teilweisen Obsiegens des Beschwerdeführers iSd §18 Abs5 Stmk. VergNPG abzuweisen gewesen sei.

Aus Anlass dieses Verfahrens stellte der Verwaltungsgerichtshof den (unter G111/06, V38/06 protokollierten) Antrag auf Aufhebung von §18 Abs1 und Abs2 zweiter Satz Stmk. VergNPG als verfassungswidrig sowie auf Aufhebung von §1 Abs1 Z10 der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 15. September 2003 über Höhe und über die Art der Einhebung der Verwaltungsabgaben in Vergabenachprüfungsverfahren (Vergabe-Pauschalgebührenverordnung), LGBl. 71/2003 (im Folgenden: Stmk. PG-VO), als gesetzwidrig.

2. Ferner ist beim Verwaltungsgerichtshof unter der Z2006/04/0143 ebenfalls eine Beschwerde gegen einen Bescheid des UVS anhängig, mit dem der Beschwerdeführerin die Entrichtung ausständiger Pauschalgebühren in Höhe von insgesamt € 3.400,-- für die gestellten Anträge auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung sowie auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung aufgetragen wurde. Als Begründung habe der UVS ausgeführt, dass es sich bei der bekämpften Auftragsvergabe um einen Bauauftrag im Unterschwellenbereich handle, wogegen die Beschwerdeführerin - in der Annahme des Vorliegens eines Lieferauftrages - nur € 800,-- als Pauschalgebühr entrichtet habe.

Auch aus Anlass dieses Verfahrens stellte der Verwaltungsgerichtshof den (unter G199/06, V78/06 protokollierten) Antrag auf Aufhebung von §18 Abs1 und Abs2 zweiter Satz Stmk. VergNPG als verfassungswidrig sowie auf Aufhebung von §1 Abs1 Z7 Stmk. PG-VO als gesetzwidrig.

3. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass er diese bei Überprüfung des jeweils in Beschwerde gezogenen Bescheides anzuwenden habe.

4. In der Sache verwies der Verwaltungsgerichtshof auf den Beschluss vom 8. März 2006, B1510/04, mit dem der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit von §18 Abs1 und 2 zweiter Satz Stmk. VergNPG sowie die Gesetzmäßigkeit des §1 Abs1 Z7 Stmk. PG-VO in Prüfung gezogen habe. Der Verwaltungsgerichtshof teile die in diesem Prüfungsbeschluss erhobenen (und auf das Erk. vom 4. März 2006, G154/05, V118/05, gestützten) Bedenken, weshalb die vorliegenden Anträge gemäß Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG zu stellen gewesen seien.

5. Im - mit oben erwähnten Beschluss vom 8. März 2006, B1510/04 - eingeleiteten Verfahren G35/06, V24/06 hob der Verfassungsgerichtshof mit Erk. vom 4. Oktober 2006 die Wortfolge ", 12 Abs1" in §18 Abs1 und den zweiten Satz in §18 Abs2 Stmk. VergNPG als verfassungswidrig und §1 Abs1 Z7 Stmk. PG-VO als gesetzwidrig auf. Diese Aussprüche wurden am 24. November 2006 im LGBl. 136/2006 sowie 137/2006 vom Landeshauptmann bzw. von der Steiermärkischen Landesregierung kundgemacht.

Mit LGBl. 154/2006 wurde das Steiermärkische Vergaberechtsschutzgesetz am 29. Dezember 2006 kundgemacht. Nach dessen §29 tritt dieses Gesetz mit 1. Jänner 2007 in Kraft und das Stmk. VergNPG damit außer Kraft (§30).

6. Die Steiermärkische Landesregierung hat sowohl im Verfahren G111/06 als auch G199/06 von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Die sowohl im Verfahren G35/06, V24/06 als auch für die vorliegenden Prüfungsanträge maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

§18 Stmk. VergNPG in der Stammfassung LGBl. 43/2003 ermächtigt die Landesregierung, Pauschalgebühren vorzuschreiben, und lautet folgendermaßen (die als verfassungswidrig erkannte Wortfolge ist hervorgehoben):

"§18

Gebühren

(1) Für Anträge gemäß den §§4 Abs1, 5 Abs1, 12 Abs1 und 15 Abs1 sowie für Anträge auf Teilnahme am Nachprüfungsverfahren nach §6 Abs2 und 4 ist von der Antragstellerin/dem Antragsteller eine Pauschalgebühr zu entrichten.

(2) Die Höhe der zu entrichtenden Gebühren bestimmt sich nach der Art des durchgeführten Vergabeverfahrens und ist durch Verordnung der Landesregierung festzulegen. Die Höhe der Sätze richtet sich nach den in der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl. II Nr. 324/2002, festgelegten Tarifen. Die Gebührensätze sind entsprechend anzupassen, falls es der mit der Vollziehung dieses Gesetzes verbundene Personal- und Sachaufwand zur Deckung der Kosten der Rechtsschutzeinrichtung erfordert.

(3) Für Anträge auf Teilnahme gemäß §6 Abs2 und 4 ist eine Pauschalgebühr in der Höhe von 50 % von den im Nachprüfungsverfahren erhobenen Sätzen festzulegen.

(4) Die Gebühr ist durch Einzahlung mittels Erlagschein bei Antragstellung zu entrichten. Nach Maßgabe der beim Unabhängigen Verwaltungssenat bestehenden Möglichkeiten kann die Bezahlung auch durch Barzahlung, mittels Bankomatkarte oder Kreditkarte erfolgen.

(5) Vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat obsiegende Antragstellerinnen/Antragsteller haben gegen die Antragsgegnerin/den Antragsgegner Anspruch auf Ersatz der entrichteten Gebühren. Im Falle eines teilweisen Obsiegens hat die Antragstellerin/der Antragsteller nur Anspruch auf Ersatz jenes Teiles der Gebühren, der dem Ausmaß des Obsiegens entspricht.

(6) Die Verwaltung dieser Gebühr obliegt dem Unabhängigen Verwaltungssenat. Die Gebühr fließt dem Land zu."

Die in §18 Abs1 genannten Anträge betreffen Anträge auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung (§4 Abs1), Anträge auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nach Zuschlagserteilung oder Widerruf (§5 Abs1), Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (§12 Abs1) und Feststellungsanträge (§15 Abs1).

Auf Grund der Ermächtigung des §18 Abs2 erließ die Steiermärkische Landesregierung die Stmk. PG-VO, die bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Oberschwellenbereich für Anträge nach den §§4 Abs1, 5 Abs1, 12 Abs1 und 15 Abs1 je eine Gebühr vom € 1.600,-- (bei Bauaufträgen im Unterschwellenbereich je € 2.500,--) vorsieht. Der im maßgeblichen Zeitpunkt in der Stammfassung, LGBl. Nr. 71/2003, geltende §1 Stmk. PG-VO lautet folgendermaßen (die als gesetzwidrig erkannte Bestimmung ist hervorgehoben):

"§1

Gebührensätze

(1) Die von der Antragstellerin/vom Antragsteller für den Antrag gemäß den §§4 Abs1, 5 Abs1, 12 Abs1 und 15 Abs1 Steiermärkisches Vergabe-Nachprüfungsgesetz zu entrichtende Pauschalgebühr beträgt für:

1. Direktvergaben .................................... 200 Euro

2. Verhandlungsverfahren ohne vorherige

    Bekanntmachung betreffend Bauaufträge im

    Unterschwellenbereich ............................. 400 Euro

3. Verhandlungsverfahren ohne vorherige

    Bekanntmachung betreffend Liefer- und

    Dienstleistungsaufträge im Unterschwellenbereich .. 300 Euro

4. Verhandlungsverfahren ohne vorherige

    Bekanntmachung betreffend geistig-schöpferische

    Dienstleistungen im Unterschwellenbereich ......... 350 Euro

5. Nicht offene Verfahren ohne vorherige

    Bekanntmachung betreffend Bauaufträge im

    Unterschwellenbereich ............................. 600 Euro

6. Nicht offene Verfahren ohne vorherige

    Bekanntmachung betreffend Liefer- und

    Dienstleistungsaufträge im Unterschwellenbereich .. 350 Euro

7. Sonstige Verfahren im Unterschwellenbereich

    betreffend Bauaufträge .......................... 2.500 Euro

8. Sonstige Verfahren im Unterschwellenbereich

    betreffend Liefer- und Dienstleistungsaufträge .... 800 Euro

9. Verfahren im Oberschwellenbereich betreffend

    Bauaufträge ..................................... 5.000 Euro

10. Verfahren im Oberschwellenbereich betreffend

    Liefer- und Dienstleistungsaufträge ............. 1.600 Euro.

(2) Die von der Antragstellerin/vom Antragsteller für einen Antrag auf Teilnahme am Nachprüfungsverfahren gemäß §6 Abs2 und 4 Steiermärkisches Vergabe-Nachprüfungsgesetz zu entrichtende Pauschalgebühr beträgt 50 % der in Abs1 festgesetzten Pauschalgebühr."

2. Zur Zulässigkeit:

2.1 Im Verfahren G35/06, V24/06 wurden folgende Bestimmungen als verfassungs- bzw. gesetzwidrig aufgehoben:

-

Im Stmk. VergNPG

-- in §18 Abs1 die Wortfolge "§12 Abs1"

-- in §18 Abs2 der zweite Satz

-

In der PG-VO §1 Abs1 Z7

Im Verfahren G111/06, V38/06 begehrt der Verwaltungsgerichtshof die Aufhebung:

-

Im Stmk. VergNPG

-- in §18 Abs1 der ganze Absatz

-- in §18 Abs2 der zweite Satz

-

In der PG-VO §1 Abs1 Z10

Im Verfahren G199/06, V78/06 begehrt der Verwaltungsgerichtshof die Aufhebung:

-

Im Stmk. VergNPG

-- in §18 Abs1 der ganze Absatz

-- in §18 Abs2 der zweite Satz

-

In der PG-VO §1 Abs1 Z7

2.2 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Aufhebung des ganzen Abs1 des §18 sowie Abs2 zweiter Satz Stmk. VergNPG beantragt. In §18 Abs1 ist die Gebührenpflicht für eine ganze Reihe von Anträgen normiert. In den Anlassverfahren des Verwaltungsgerichtshofes sind aber gemäß seinen Ausführungen in den Anträgen Pauschalgebühren für Nachprüfungsanträge vor Zuschlagserteilung sowie für Anträge auf einstweilige Verfügung angefallen, sodass offensichtlich nicht der ganze §18 Abs1 präjudiziell ist, sondern nur die solche Anträge betreffenden Wortfolgen (§4 Abs1 und §12 Abs1).

2.3 Da der Verfassungsgerichtshof mit Erk. vom 4. Oktober 2006, G35/06, V24/06, aber bereits die Wortfolge ", §12 Abs1" im Abs1 des §18 und den zweiten Satz des §18 Abs2 Stmk. VergNPG aufgehoben hat, waren die Gesetzesprüfungsanträge in diesem Umfang zurückzuweisen. Präjudiziell und von der Aufhebung mit Erk. vom 4. Oktober 2006 nicht erfasst ist somit lediglich die Wortfolge "§4 Abs1," in §18 Abs1 Stmk. VergNPG.

Im Verordnungsprüfungsverfahren zu V38/06 ist der Antrag auf Aufhebung des §1 Abs1 Z10 PG-VO zulässig. Hingegen ist der zu V78/06 gestellte Antrag auf Aufhebung des §1 Abs1 Z7 PG-VO im Hinblick auf die Aufhebung dieser Bestimmung im Verfahren zu V24/06 unzulässig.

Zur Zulässigkeitsfrage ist noch zu bemerken, dass der Antrag des Verwaltungsgerichtshofs zu G199/06, V78/06 in der Zeit zwischen der Beschlussfassung des Verfassungsgerichtshofs zu G35/06, V24/06 und der Zustellung des Erkenntnisses eingelangt ist.

Da die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes im oben beschriebenen Umfang zulässig.

3. In der Sache:

        Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erk. vom 4. März

2006, G154/05, V118/05, die Wortfolge "und 175 Abs1" in §177 Abs1

sowie die Wortfolge "Bauaufträge ... 2500 €" in der fünftletzten

Zeile des Anhanges X des Bundesvergabegesetzes, BGBl. I 99/2002, für

verfassungswidrig sowie die Wortfolge "Bauaufträge ... 2500 €" in der

fünftletzten Zeile des §1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes, BGBl. II 324/2002, für gesetzwidrig erklärt. Er begründete dies wie folgt:

"2.1 Die Festsetzung einer Pauschalgebühr in gleicher Höhe für jeden der in §177 Abs1 BVergG genannten Anträge ist unsachlich:

[...]

Die Bedenken richteten sich [...] dagegen, dass die (im Anlassverfahren präjudizielle) Pauschalgebühr für Bauaufträge im Unterschwellenbereich vom Antragsteller nicht nur einmal (etwa für einen Nachprüfungsantrag gemäß §163 Abs1 BVergG), sondern in gleicher Höhe auch für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung sowie für jeden weiteren Antrag auf Verlängerung der einstweiligen Verfügung (solche werden oft befristet gewährt und können ohne Verlängerung noch vor Entscheidung in der Hauptsache ablaufen) und weiters noch für einen allenfalls nachfolgenden Feststellungsantrag zu entrichten ist. Im Anlassfall etwa hatte der Beschwerdeführer auch den Feststellungsantrag gemäß §175 Abs1 BVergG in gleicher Höhe wie den bereits vergebührten Nachprüfungsantrag, der durch den späteren Widerruf der angefochtenen Ausschreibung durch den Auftraggeber unzulässig wurde, erneut zu vergebühren. Der Gerichtshof nahm in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig an, dass diese mehrfache Gebührenpflicht für Anträge betreffend dieselbe Vergabe in keinem auch nur annähernden Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensaufwand, der zur Entscheidung über die Anträge erforderlich ist, steht.

Die Vergebührung eines Feststellungsantrages nach §175 Abs1 BVergG kann mit der Vergebührung eines Nachprüfungsantrages und eines Antrages auf Erlassung oder Verlängerung einer einstweiligen Verfügung kumulieren. Verstärkt kommt es zu einer Kumulierung beim Widerruf der Ausschreibung, der nicht ganz selten bei ein und derselben Auftragsvergabe mehrfach erfolgt, was dann zu mehreren Vergabekontrollverfahren und damit zu einem neuerlichen Anfallen der Pauschalgebühr führt.

Zu einer weiteren Kumulierung führt auch das System gesondert anfechtbarer Entscheidungen. Der Gerichtshof teilt zwar die Ansicht der Bundesregierung, dass das System gesondert anfechtbarer Entscheidungen regelmäßig zu einer raschen Abwicklung von Rechtsschutzverfahren im Vergabewesen dient. Er folgt auch dem Argument der Bundesregierung, dass die jeweils angefochtenen Entscheidungen einen eigenen Verfahrensgegenstand betreffen, sodass im Prinzip auch eine Vergebührung jedes der Anträge an sich sachlich ist.

Der Umstand, dass Entscheidungen des Auftraggebers aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht bloß gemeinsam mit der Anfechtung der Zuschlagsentscheidung bekämpft werden können, ändert aber nichts daran, dass der Antragsteller mehrfach hohe Pauschalgebührensätze bei derselben Auftragsvergabe zu entrichten hat, ohne dass die Multiplizierung der Gebühr einer vergleichbaren Multiplizierung des Aufwandes gegenübersteht, weil bei jedem weiteren Verfahrensschritt in der Regel auf vorherige Verfahrensschritte zumindest teilweise zurückgegriffen werden kann, was sich etwa zeigt, wenn auf ein Nachprüfungsverfahren ein Feststellungsverfahren folgt. Gerade im Unterschwellenbereich stehen die kumulierten Gebühren häufig in einem groben Missverhältnis zu der erwarteten Gewinnspanne, sodass die Gebühren im Ergebnis zu einer Beeinträchtigung der Effizienz des Rechtsschutzes führen. Auch erhöht sich das Nutzenäquivalent, also das wirtschaftliche Interesse des Unternehmers an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens, nicht mit der Notwendigkeit mehrfacher Antragstellung.

2.2 Die Bundesregierung versucht dieses System damit zu rechtfertigen, dass es der Hintanhaltung völlig aussichtsloser oder mutwilliger Anträge diene.

Nun ist dem Gesetzgeber an sich überlassen, ein Gebührensystem so zu gestalten, dass dem rechtspolitisch legitimen Ziel der Schaffung einer angemessenen Verfahrensbarriere Rechnung getragen wird. Dabei darf aber nicht gleichzeitig das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit und der Effizienz des Rechtsschutzes verletzt werden.

Die Bundesregierung versucht das Bedenken ferner zu entkräften, indem sie auf die Möglichkeit eines Gebührenersatzes im Falle des Obsiegens verweist. Der Verfassungsgerichtshof bestätigt seine bereits in seinem Prüfungsbeschluss vertretene Auffassung, dass ein möglicher Gebührenersatz weder die Unsachlichkeit einer jedenfalls vorläufig zu bestreitenden (und allenfalls auch endgültig zu tragenden) Gebühr zu rechtfertigen vermag, noch die durch eine hohe Verfahrensgebühr beeinträchtigte Effektivität des Rechtsschutzes wiederherstellt. Ein verfassungswidriges Gebührensystem wird nicht dadurch verfassungsmäßig, dass die Gebühr letztlich unter Umständen von einer anderen Partei zu tragen ist.

Im Übrigen tritt der den Rechtsschutz beeinträchtigende Effekt einer Gebühr bereits mit der vorläufigen Entrichtung der hohen Gebühren ein. Jeder Bieter und Rechtsschutzwerber hat - nicht nur bei aussichtslosen oder mutwilligen Prozessführungen - ein Verfahrensrisiko zu kalkulieren. Der Erfolg eines Rechtsmittels ist fast nie mit absoluter Gewissheit vorhersehbar, sodass jeder Rechtsmittelwerber das Risiko der Tragung auch der Gebühr der (allenfalls obsiegenden) Gegenpartei in Betracht zu ziehen hat. Dabei wird er das Gebührenrisiko und den möglichen Nutzen (erzielbare Gewinnspanne) gegeneinander abwägen. Gerade bei Vergaben im Unterschwellenbereich, an denen sich auch kleinere Unternehmen beteiligen, wird diese Abwägung bei sorgfältiger kaufmännischer Überlegung zum Verzicht auf einen (vielleicht durchaus aussichtsreichen) Rechtsschutz führen.

Der Umstand, dass es Fälle gibt, in denen der Antragsteller die ausgelegte Pauschalgebühr nicht ersetzt erhält, obwohl er nicht als Unterliegender anzusehen ist, verstärkt nur noch die Wirkung der Gebührenhöhe. Soweit die Bundesregierung meint, dass derartige Konstellationen nicht vorkommen, sei darauf hingewiesen, dass beim Verfassungsgerichtshof derartige Fälle anhängig sind.

Die Möglichkeit des Ersatzes einer vorläufig zu bestreitenden hohen Verfahrensgebühr verhindert also nicht deren Wirkung als Verfahrensbarriere, selbst bei aussichtsreichen Anträgen von der Inanspruchnahme des Rechtsschutzes abzuhalten.

Auch das von der Bundesregierung zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2004, 2004/04/0081, vermag ihren Prozessstandpunkt nicht zu stützen. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof seine verfassungsrechtliche Beurteilung ausdrücklich aus der Sicht des zugrunde liegenden Verfahrens vorgenommen und die Existenz einer Gebührenersatzregelung lediglich als einen (für die Frage der Effizienz des Rechtsschutzes) weiteren hinzutretenden Aspekt gewürdigt, nicht aber als einzig entscheidenden Umstand gewertet.

2.3 Zum Vorbringen der Bundesregierung, dass die Einnahmen aus der Entrichtung von Pauschalgebühren den Aufwand des BVA im Jahr 2005 nur zu einem Drittel gedeckt haben, sei darauf hingewiesen, dass es keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz gibt, wonach Rechtsschutz nur dann gewährt werden muss, wenn die Parteien dessen Kosten zu tragen gewillt sind. Im Gegenteil: Das gesetzgeberische Anliegen der Deckung des durchschnittlichen Verfahrensaufwandes darf jedenfalls nicht dazu führen, dass die Effektivität des Rechtsschutzes beeinträchtigt wird.

3. Die Bedenken haben sich als gerechtfertigt erwiesen. Die Kumulierung und Multiplizierung der (hohen) Gebühren ist unsachlich und behindert die Effizienz des Rechtsschutzes."

Ferner hat der Verfassungsgerichtshof mit Erk. vom 11. Oktober 2006, G124/06, V44/06, ausgesprochen, dass u.a. die Wortfolge "Liefer- und Dienstleistungsaufträge ... 1600 €" in der letzten Zeile des §1 der Verordnung der Bundesregierung betreffend die Gebühren für die Inanspruchnahme des Bundesvergabeamtes gesetzwidrig war und dabei insbesondere auf das Erk. vom 4. März 2006 verwiesen.

Der Verfassungsgerichtshof vermag dem Verwaltungsgerichtshof nicht entgegenzutreten, wenn er davon ausgeht, dass die Grundsätze des Erk. vom 4. März 2006, G154/05, V118/05, auch im vorliegenden Fall anzuwenden sind: Auch die angefochtenen Regelungen stehen aufgrund der mehrfachen Gebührenpflicht für Anträge betreffend dieselbe Vergabe in keinem auch nur annähernden Verhältnis zum jeweiligen Verfahrensaufwand und können die Effizienz des Rechtsschutzes beeinträchtigen. Da sich sohin die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes als zutreffend erwiesen haben, war - nach Außerkrafttreten des Stmk. VergNPG - auszusprechen, dass die Wortfolge "§4 Abs1," in §18 Abs1 Stmk. VergNPG verfassungswidrig und §1 Abs1 Z10 PG-VO gesetzwidrig war.

4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes bzw. der Steiermärkischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 und Art140 Abs5 B-VG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Vergabewesen, Gebühr, Rechtsschutz, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:G111.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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