Entscheidungsdatum
08.01.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W192 2223710-5/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , geboren am XXXX , StA. Serbien, vertreten durch Mag. Putscher per Adresse Caritas der Erzdiözese Wien, Mariannengasse 11, 1090 Wien, auf Wiederaufnahme des vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 05.05.2020, G310 2223710-1/3E, abgeschlossenen Verfahrens beschlossen:
A) Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird gemäß § 32 VwGVG abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2019, Zl. 1214416903-190704182, wurde der Antrag der Antragstellerin auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien festgestellt (Spruchpunkt III.), der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.), keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen die Antragstellerin ein vierjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.09.2019, G310 2223710-1/2E, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
1.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.05.2020, G310 2223710-1/3E, wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. als unbegründet abgewiesen (Spruchteil A)). Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wurde insofern Folge gegeben, dass es zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“ (Spruchteil B)). Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids wurde Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben (Spruchteil C)). Eine Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchteil D)).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung – gestützt auf Länderfeststellungen zur Situation in Serbien – festgehalten:
„Die BF wurde 2018 von ihrem Vater zur Ehe gezwungen und nach Einbringung der Scheidung von ihm mit erneuter Zwangsheirat und dem Umbringen bedroht. Auch stehen Misshandlungsvorwürfe durch ihren Ehemann und dessen Familie im Raum.
Serbien gilt als sicherer Herkunftsstaat. Die BF hat im Falle ihrer Rückkehr keine staatlichen oder behördlichen Sanktionen zu befürchten. Sie wird dort weder strafrechtlich noch politisch noch aus anderen Gründen verfolgt. Es ist nicht zu erwarten, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Serbien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein oder in eine unmenschliche oder erniedrigende Lage geraten würde. Zur speziellen Situation der BF ist insgesamt festzuhalten, dass die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Staates jedenfalls gegeben ist.
…
Die BF macht als Fluchtgründe eine Verfolgung durch Privatpersonen, und zwar einerseits wegen der beabsichtigten Scheidung sowie andererseits wegen ihrer Weigerung, erneut dem Willen ihres Vaters entsprechend zu heiraten, geltend. Es kommt somit darauf an, ob der serbische Staat willens und in der Lage ist, sie vor Übergriffen ihrer Familie aus diesen Gründen zu schützen. Dies ist grundsätzlich bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems, an dem der Asylwerber wirksam teilhaben kann, gewährleistet, wenn also der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung der Verfolgungshandlungen, und der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233). Die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden ist grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind, ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat und ob sie unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).
Serbien gilt als sicherer Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs. 5 Z 2 BFA-VG iVm § 1 Z 6 HStV, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der serbischen Behörden spricht, zumal bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten insbesondere auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen Bedacht zu nehmen ist (VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).
Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass der serbische Staat häusliche Gewalt ablehnt und bestrebt ist, sie zu verhindern. Aufgrund der bestehenden Gesetze und Einrichtungen zum Schutz vor häuslicher Gewalt und zur Bestrafung der Täter ist die Schutzwilligkeit der serbischen Behörden nicht zu bezweifeln. Auch wenn bei der Umsetzung noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht, ist auch von einer ausreichenden Schutzfähigkeit für Personen wie der BF auszugehen. Zwar ist häusliche Gewalt ein verbreitetes und ernstzunehmendes Problem in Serbien, doch besteht ein im Großen und Grenzen wirksames System zum Schutz der Betroffenen. Häusliche Gewalt ist bei Strafe verboten. In diesem Zusammenhang ist auf die Reformbestrebungen des serbischen Staates zu verweisen, die bereits zu spürbaren Verbesserungen bei Arbeit der Polizei und beim Schutz vor häuslicher Gewalt geführt haben. Trotz der bestehenden Mängel gibt es keine Hinweise darauf, dass Opfern häuslicher Gewalt systematisch Schutz verweigert würden.
Es ist anzunehmen, dass die BF Zugang zu den in Serbien vorhandenen Schutzmechanismen für Opfer häuslicher Gewalt hat. Sie lebte in einer größeren Stadt, nicht in einer ländlichen, abgelegenen Gegend, wo der Zugang zu Rechtshilfediensten schwieriger ist. Auch die von der BF geäußerte Befürchtung, dass ihr Bruder sie in Österreich aufsuchen und bedrohen könnte, ist nicht geeignet, die Annahme einer fehlenden Schutzfähigkeit ihres Herkunftsstaates zu begründen. Es ist kein konkreter Grund ersichtlich, warum ihr bei erneuten Drohungen ihrer Familie der in Serbien für Opfer häuslicher Gewalt vorgesehene Schutz nicht zuteilwerden würde.
Grundsätzlich hindert es die Asylgewährung, wenn der Asylwerber nicht einmal versucht hat, beim Herkunftsstaat Schutz vor einer möglichen Verfolgung durch nicht staatliche Verfolger zu finden, weil es an der erforderlichen Zurechnung des Verhaltens dieser Verfolger an den Staat fehlt (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Die BF hat bislang nicht versucht, in Serbien Schutz vor einer erneuten Zwangsverheiratung bzw. den Drohungen ihrer Familie zu erhalten. Es ist kein konkreter Grund ersichtlich, warum ihr der dort für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt grundsätzlich vorgesehene Schutz verwehrt werden würde. Selbst ein allfälliges Untätigbleiben einzelner Organwalter würde noch keine generell fehlende Schutzfähigkeit des serbischen Staates belegen, zumal ein solches Verhalten dort nicht geduldet wird und die BF die Möglichkeit hat, sich dagegen zu beschweren. Sie kann sich an eine speziell für Fälle häuslicher Gewalt vorgesehene Einrichtung oder Notfallnummer wenden.
Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die BF, selbst als Angehörige der albanischen Minderheit, nach ihrer Rückkehr nach Serbien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von den dortigen Behörden ausreichend Schutz vor der Verfolgung und der Zufügung ernsthafter Schäden durch Privatpersonen in- oder außerhalb ihrer Herkunftsfamilie erhalten wird. Ein lückenloser Schutz ist weder in Österreich noch in Serbien möglich.“
Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unter der GZ. E 2195/2020-2 nach wie vor dort anhängig.
1.3. Mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 23.12.2020 beantragte die Antragstellerin die Wiederaufnahme des durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.05.2020 abgeschlossenen Verfahrens, da neue Tatsachen bzw. Beweismittel bekannt geworden seien, die im Verfahren von der Antragstellerin ohne Verschulden nicht geltend gemacht werden haben können. Dabei handle es sich um die mit dem Antrag übermittelte Stellungnahme zur Rückkehr eines Opfers der häuslichen Gewalt nach Serbien der Beratungsstelle für Rückkehrende in der Caritas Serbien vom 22.12.2020, die der Rechtsvertretung der Antragstellerin über Ersuchen vom 11.12.2020 am 23.12.2020 im Wege einer E-Mail-Nachricht zugegangen sei. Im Hinblick darauf erweise sich mit dem dadurch erfolgten Eintritt der Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund der gegenständliche Antrag als fristgerecht. Die Eignung der Stellungnahme, ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbeizuführen, liege auf der Hand, da das Bundesverwaltungsgericht im wiederaufzunehmenden Verfahren doch die Bedrohung der erneuten Zwangsheirat sowie des Umbringens festgestellt habe.
Im entsprechenden Schriftsatz wurde weiters die Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht beantragt, weil sie dringlich zur Verhinderung eines schweren Schadens für das Interesse der Wiederaufnahmewerberin bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache erforderlich sei, zumal dem Antrag auf Wiederaufnahme keine aufschiebende Wirkung zukomme.
Aus der übermittelten Stellungnahme der Beratungsstelle für Rückkehrende in der Caritas Serbien vom 22.12.2020 geht hervor, dass nach dortigen Erfahrungen mit zurückgekehrten Frauen - bedrohten Opfern von häuslicher Gewalt - eine direkte Einweisung in ein sicheres Haus in Serbien nach der Rückkehr praktisch unmöglich sei. Solche Schutzmaßnahmen seien leider nur nach einem Vorfall möglich. Die Einweisung in ein sicheres Haus erfolge in Serbien nur durch das zuständige Zentrum für Sozialarbeit auf Anfrage der Polizei oder eines Arztes/einer Ärztin, wobei die akute Gefahr des Opfers erst geprüft werden müsse. Die Prüfung (außer in ganz extremen Fällen mit offensichtlicher dringender Gefahr) dauere etwa 14 Tage. Zudem könnten Frauen in den 17 sicheren Häusern, die es derzeit in Serbien gebe, nicht lange bleiben und es bestehe ein Follow-up Programm für die Zeit danach nicht.
Im Falle der Beschwerdeführerin würde dies heißen, dass für sie das Zentrum für Sozialarbeit der Herkunftsgemeinden zuständig wäre, falls sie noch eine gültige Wohnsitzmeldung in Serbien habe. Dies sei die Gemeinde, wo ihre Familie wohne, die sie bedrohe. Zudem befindet sich das sichere Haus im Areal des städtischen Zentrums für Sozialarbeit der genannten Gemeinde, das allen Bewohnern leicht zugänglich sei, somit auch der Familie der Beschwerdeführerin, sollte sie erfahren, dass diese sich dort befinde.
Falls die Beschwerdeführerin keine gültige Anmeldung bzw. keinen gültigen Personalausweis mehr habe, müsse sie diese bei der örtlichen Polizeistation wieder beantragen, wobei für Rückkehrer ohne gültige Anmeldung vorgesehen sei, dass sie sich vorerst in der Gemeinde anmelden sollten, wo sie zuvor gelebt hätten.
Nach Erachten der Verfasser der Stellungnahme stellten diese (Re-)Integrationsschritte eine enorme Gefahr für die Beschwerdeführerin dar, weil sie unumgänglich mit der Gemeindeverwaltung des Ortes, wo ihre Familie lebe, zu tun haben werde. Ein Untertauchen sei daher nicht möglich. Sollte doch eine Rückkehr nach Serbien angeordnet werden, so würden die Verfasser der Stellungnahme dringend empfehlen, über die serbische Vertretung in Österreich das serbische Ministerium für Arbeit, Beschäftigung, Veteranen und Soziales noch vor der Ausreise einzubeziehen und eine direkte Einweisung in ein sicheres Haus in einer anderen Region von Serbien zu beantragen, sowie ein Monitoring der FRONTEX während der Rückreise/Übergabe zu verlangen.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens und der Gerichtsakten des BVwG.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung des Wiederaufnahmeantrags:
3.1. Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist laut § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
Ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt unter anderem voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403, mwN). Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510, mwN).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs können Tatsachen und Beweismittel im Sinn des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens bereits vorhanden waren und deren Verwertung der Partei jedoch ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde, nicht jedoch, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt. Dieser Wiederaufnahmegrund ermöglicht nicht die neuerliche Aufrollung eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens in Fragen, die im früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können. Der Wiederaufnahmegrund des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel kann von vornherein nur ein Umstand sein, der den Sachverhalt betrifft, der dem das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheid/Erkenntnis zugrunde gelegt wurde. Eine in einem anderen Verfahren geäußerte Rechtsansicht kann niemals einen solchen Wiederaufnahmegrund darstellen. Auch das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen seien, bildet keinen Wiederaufnahmegrund nach dieser Bestimmung (vgl. VwGH 30.04.2019, Ra 2018/10/0064, mwN).
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/18/0403, mwN).
Ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund nur dann tauglich, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0510, mwN).
Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wieder aufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG - die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind - handelt es sich beim "Verschulden" im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff.).
Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wieder aufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wieder aufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, 2001/21/0031; 07.09.2005, 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz. 591, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).
3.2. Für den vorliegenden Fall ist Folgendes festzuhalten:
Die mit dem Antrag vorgelegte Stellungnahme vom 22.12.2020 ist der Vertretung der Antragstellerin am 23.12.2020 zugegangen und es wurde der vorliegende Antrag am selben Tag - somit fristgerecht - gestellt.
Die vorgelegte Stellungnahme vom 22.12.2020 ist erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem BVwG entstanden, was keinen Grund für eine Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens wegen „Hervorkommens“ eines neuen Beweismittels darstellen kann (vgl. zB. VwGH 08.11.1991, 91/18/0101; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 19.03.2003, 2000/08/0105).
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die im neu entstandenen Beweismitteln dargestellten Voraussetzungen und Verfahren für den Zugang in ein sicheres Haus in Serbien bereits vor Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens bestanden haben und es sich somit um neu hervorgekommene Tatsachen handelt.
Allerdings weisen diese Tatsachen keine Eignung auf, im wiederaufzunehmenden Verfahren voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruches anderslautendes Ergebnis herbeizuführen. Zunächst ist festzuhalten, dass den Feststellungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.05.2020, wonach in Serbien häusliche Gewalt bei Strafe verboten ist und ein im Großen und Ganzen wirksames System zum Schutz der Betroffenen besteht, in der vorgelegten Stellungnahme vom 22.12.2020 nicht entgegengetreten worden ist. Diese Stellungnahme hat auch keinerlei Umstände aufgezeigt, wonach gerade der Antragstellerin der für Opfer häuslicher Gewalt vorgesehene Schutz nicht zuteilwerden oder gar verweigert würde.
Aus dem in der Stellungnahme dargestellten Umstand, dass vor Aufnahme in eine Schutzeinrichtung die akute Gefahr des Opfers erst geprüft werden müsse, ist gerade nicht ableitbar, dass die zuständigen serbischen Behörden entgegen den Feststellungen im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht bereit und in der Lage wären, den erforderlichen Schutz vor der behaupteten Bedrohung zu leisten. Vielmehr wird dadurch bestätigt, dass ein Verfahren zur Feststellung eines derartigen Schutzbedarfs eingerichtet ist.
Letztlich wird durch die in der Stellungnahme vom 22.12.2020 enthaltene Empfehlung, vor einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Serbien mit den serbischen Behörden Kontakt aufzunehmen und eine direkte Einweisung in ein sicheres Haus in einer anderen Region von Serbien zu beantragen, auch aufgezeigt, dass die Verfasser der Stellungnahme vom 22.12.2020 von der Schutzbereitschaft und -fähigkeit der serbischen Behörden ausgehen. Es wäre nachhaltig unwahrscheinlich, dass die Verfasser der Stellungnahme vom 22.12.2020 eine solche Empfehlung aussprechen würden, wenn sie deren Umsetzung nicht für realistisch ansehen würden.
Entgegen den Ausführungen im Antrag auf Wiederaufnahme liegt es keineswegs auf der Hand, dass die Stellungnahme vom 22.12.2020 ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis im wiederaufzunehmenden Verfahren herbeizuführen geeignet sei, da das Bundesverwaltungsgericht die Bedrohung der erneuten Zwangsheirat sowie des Umbringens in diesem Verfahren festgestellt habe, weil der Antrag die durch das Bundesverwaltungsgericht getroffene und durch die Stellungnahme vom 22.12.2020 nicht erschütterte Feststellung ausblendet, dass diesbezüglich Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Herkunftsstaat besteht.
Somit konnte kein tauglicher Wiederaufnahmegrund geltend gemacht werden, sodass dem Antrag auf Wiederaufnahme nicht stattzugeben war.
3.3. Angesichts der erfolgten Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag als Hauptsache besteht im vorliegenden Fall keinerlei Notwendigkeit der Gewährung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht als vorläufiger Rechtsschutz.
3.4. Da die Sachlage aufgrund der Aktenlage als erklärt erscheint, konnte eine mündliche Erörterung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben. Im vorliegenden Fall liegen keine widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft. Vielmehr ist die hier zu beantwortende Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt, rechtlicher Natur. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde vom Rechtsvertreter der Antragstellerin auch nicht gestellt. Dem Entfall der Verhandlung stehen im Ergebnis weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053). Im Übrigen ergeht die vorliegende Entscheidung im Rahmen der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des § 69 AVG bzw. § 32 VwGVG.
Schlagworte
häusliche Gewalt staatliche Schutzfähigkeit staatliche Schutzwilligkeit staatlicher Schutz Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund ZwangseheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W192.2223710.5.00Im RIS seit
28.06.2021Zuletzt aktualisiert am
28.06.2021