Entscheidungsdatum
08.01.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L527 2196424-1/27E
L527 2196428-1/28E
L527 2196426-1/26E
L527 2211711-1/20E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Julia ECKER, Opernring 7/18, 1010 Wien, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2020, Zahl L527 2196424-1/20E, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:
Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 30 Abs 2 VwGG stattgegeben.
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über den Antrag der XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Julia ECKER, Opernring 7/18, 1010 Wien, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2020, Zahl L527 2196428-1/21E, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:
Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 30 Abs 2 VwGG stattgegeben.
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , und des XXXX , geb. XXXX , beide Staatsangehörigkeit Iran, beide vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Julia ECKER, Opernring 7/18, 1010 Wien, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2020, Zahl L527 2196426-1/20E bzw. L527 2211711-1/14E, erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:
Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 30 Abs 2 VwGG stattgegeben.
Text
Begründung:
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Erstantragsteller XXXX , geb. XXXX , L527 2196424-1, ist mit der Zweitantragstellerin XXXX , geb. XXXX , L527 2196428-1, in aufrechter Ehe verheiratet. Der Drittantragsteller XXXX , geb. XXXX , L527 2196426-1, und der Viertantragsteller XXXX , geb. XXXX , L527 2211711-1, sind die leiblichen minderjährigen Söhne des Erstantragstellers und der Zweitantragstellerin.
Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin stellten nach ihrer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 18.01.2016 Anträge auf internationalen Schutz. Der Drittantragsteller wurde in Österreich geboren und stellte am 12.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 18.04.2018, Zahlen XXXX , sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten jeweils ab (Spruchpunkte I und II). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilte jeweils keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aus (Spruchpunkt V) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI).
Der Vierantragsteller wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte am 29.08.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 22.11.2018, Zahl XXXX , sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten jeweils ab (Spruchpunkte I und II). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aus (Spruchpunkt V) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI).
1.2. Die gegen die Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung mit Entscheidungen vom 18.11.2020, Zahlen L527 2196424-1/20E, L527 2196428-1/21E, Zahl L527 2196426-1/20E und L527 2211711-1/14E, teils als unzulässig zurück und im Übrigen als unbegründet ab; die Revision sei gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte insbesondere zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführer (bzw. nunmehr: Antragsteller) in ihrem Herkunftsstaat weder aus Gründen der Religion noch aus anderen Gründen (einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefahr von) intensiven staatlichen Übergriffen oder intensiven Übergriffen von Privatpersonen ausgesetzt gewesen seien und auch für den Fall der Rückkehr bzw. Ausreise in ihren Herkunftsstaat nicht ernstlich Gefahr liefen, intensiven Übergriffen durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen ausgesetzt zu sein. Den Antragstellern würde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische oder psychische Gewalt oder Strafverfolgung oder eine andere aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Verfolgung, Bedrohung oder sonstige Gefährdung drohen. Insbesondere haben sich der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin nicht tatsächlich vom islamischen Glauben abgewandt und seien auch nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert; der christliche Glaube sei nicht wesentlicher Bestandteil der Identität der Erstantragstellers und der Zweitantragstellerin. Die Hinwendung zum Christentum habe sich als eine Scheinkonversion erwiesen, die der Erlangung des Status des Asylberechtigten dienen sollte. Ferner entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Rückkehrentscheidung zwar einen Eingriff in das Privatleben der Antragsteller bewirke; dieser Eingriff sei jedoch mit Blick auf Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt, sodass die Rückkehrentscheidung keine Verletzung von Art 8 EMRK bedeute.
1.3. In der nunmehr erhobenen außerordentlichen Revision begehren die Antragsteller unter anderem, die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend abzuändern, dass ihnen der Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidiär Schutzberechtigten, zuerkannt werde (Revision, S 29).
Die Zulässigkeit der Revision begründen die Antragsteller damit, dass das Bundesverwaltungsgericht von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs im Zusammenhang mit der Beurteilung einer (behaupteten) Konversion zum Christentum, zu Länderfeststellungen und zur Berücksichtigung des Kindeswohls abgewichen sei, sowie mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Zurückweisung von Anträgen nach § 56 AsylG 2005 (Revision, S 6 ff).
Den Antrag, der Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, begründen die Antragsteller damit, dass sie durch die Abschiebung in den Iran gerade jener Gefahr von Eingriffen in ihre Rechte ausgesetzt wären, deren Prüfung Gegenstand des Revisionsverfahrens sei. Eine erzwungene Rückkehr in den Iran brächte das reale Risiko der Gefahr einer Verletzung der Rechte nach Art 3 EMRK, da die Antragsteller befürchten müssten, von Seiten des iranischen Staates Verfolgung aus religiösen Gründen ausgesetzt zu werden. Überdies bestehe das Risiko, aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in existentielle Not zu geraten. Auch wäre mit dem Vollzug der angefochtenen Entscheidungen ein schwerer Eingriff in das in Österreich geführte Privatleben verbunden.
1.4. Im Strafregister der Republik Österreich scheint in Bezug auf den Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin keine Verurteilung auf (L527 2196424/2; L527 2196428/27). Der Dritt- und der Viertantragsteller Beschwerdeführer sind strafunmündig (§ 1 Z 1 in Verbindung mit § 4 Abs 1 JGG) und demnach strafgerichtlich unbescholten.
1.5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl machte von der Möglichkeit, zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung Stellung zu nehmen, nicht Gebrauch (L527 2196424/22, L527 2196428/23; L527 2196424/22; L527 2211711-1/16).
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Akten (verwaltungsbehördliche Akten und verwaltungsgerichtliche Akten). Es wurden keine Einwände, dass die Akten unvollständig oder unrichtig wären, erhoben. Dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Hinweise aufgefallen, dass die Akten unvollständig oder bedenklich wären.
Damit ist der Sachverhalt aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Revision hat gemäß § 30 Abs 1 Satz 1 VwGG keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 30 Abs 2 Satz 1 VwGG hat jedoch bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
Gemäß § 30a Abs 3 VwGG hat das Verwaltungsgericht über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzüglich mit Beschluss zu entscheiden. Nach § 30a Abs 7 VwGG sind Abs 1 bis 6 leg cit nicht anzuwenden, wenn das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss ausgesprochen hat, dass die Revision nicht gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien sowie im Fall des § 29 VwGG dem zuständigen Bundesminister bzw. der Landesregierung eine Ausfertigung der außerordentlichen Revision samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen.
Wenngleich Gruber § 30 VwGG Rz 4, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017) im Hinblick auf § 30a Abs 3 in Verbindung mit Abs 7 VwGG eingehend begründet hat, dass bei außerordentlichen Revisionen keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bestehe, über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abzusprechen, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass das Verwaltungsgericht (auch) in Fällen außerordentlicher Revisionen zur Entscheidung über die aufschiebende Wirkung so lange zuständig ist, bis die Revision dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wird; vgl. etwa VwGH 20.04.2017, Ra 2017/19/0113.
3.2. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erscheint kasuistisch; so auch Gruber § 30 VwGG Rz 5b, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017).
3.2.1. So ist nach zahlreichen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren über einen Antrag auf aufschiebende Wirkung nach § 30 VwGG die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu überprüfen, sondern – wenn das in der Revision selbst erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen ist – zunächst, im Provisorialverfahren, von den Annahmen in der angefochtenen Entscheidung auszugehen. Demnach ist die aufschiebende Wirkung nur zuzuerkennen, wenn der Fehler in der angefochtenen Entscheidung nicht bloß ein potenzieller, sondern ein evidenter ist. Vgl. jeweils mwN z. B. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493, VwGH 25.07.2019, Ra 2019/14/0339, und VwGH 30.05.2019, Ra 2019/22/0104; siehe auch VwGH 05.12.2017, Ra 2017/18/0451.
Noch deutlicher hielt der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 31.01.2020, Ra 2019/06/0277, fest, dass im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erkenntnisses nicht zu beurteilen ist und Mutmaßungen über den voraussichtlichen Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bei der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung außer Betracht zu bleiben haben. Selbst die mögliche Rechtswidrigkeit des Erkenntnisses ist kein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Ist daher das in der Revision erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen, ist bei der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls zunächst von den Annahmen des Verwaltungsgerichts auszugehen. Unter diesen Annahmen sind hiebei die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis zu verstehen, die nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind bzw. die ins Auge springende Mängel nicht erkennen lassen; vgl. mwN VwGH 21.12.2018, Ro 2018/06/0018; siehe auch jüngst VwGH 17.12.2020, Ra 2020/14/0264-14.
In seiner Entscheidung vom 31.01.2020, Ra 2019/06/0277, sprach der Verwaltungsgerichtshof zum wiederholten Male aus, dass der Revisionswerber – um die vom Gesetz geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können – schon im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzulegen hat, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt, es sei denn, dass sich nach Lage des Falls die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres erkennen lassen; vgl. etwa auch VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493, VwGH 08.08.2019, Ra 2019/01/0194, und VwGH 21.12.2018, Ro 2018/06/0018. Worin der unverhältnismäßige Nachteil für ihn gelegen wäre, hat der Revisionswerber in seinem Antrag - unabhängig vom Fehlen eines zwingenden öffentlichen Interesses - zu konkretisieren; vgl. mwN VwGH 04.12.2018, Ra 2018/08/0200.
Demgegenüber erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch schon mehrfach Revisionen die aufschiebende Wirkung zu, ohne zu thematisieren, ob nach dem Akteninhalt von einem offenkundig vorliegenden Fehler des Verwaltungsgerichts bzw. nicht von den Annahmen in der angefochtenen Entscheidung auszugehen sei. Bisweilen erörterte der Verwaltungsgerichtshof auch nicht (näher), ob der Revisionswerber konkret dargelegt habe, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergebe, bzw. wieso sich nach der Lage des Falls die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres erkennen ließen. So scheint der Verwaltungsgerichthof vielfach davon auszugehen, dass mit dem Vollzug eines Erkenntnisses, das einen Titel für eine Außerlandesbringung darstellt, eben mit Blick auf die verfügte Außerlandesbringung in der Regel ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre; vgl. etwa VwGH 08.08.2019, Ra 2019/01/0194, VwGH 02.08.2019, Ra 2019/01/0285, VwGH 30.11.2018, Ra 2018/18/0500, VwGH 06.10.2016, Ra 2016/18/0137, und insbesondere VwGH 15.10.2014, Ra 2014/01/0089. In der zuletzt genannten Entscheidung verwies der Verwaltungsgerichtshof auf VwGH 03.07.2003, 2002/20/0078, in dem in Ansehung verfahrensbeendender Bescheide in Asylsachen ein unverhältnismäßiger Nachteil - durch den Verlust der Stellung als Asylwerber und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen - in der Regel als offenkundig betrachtet wurde.
Hingegen gab der Verwaltungsgerichthof mit Beschluss vom 30.08.2019, Ra 2019/14/0298, dem Antrag, einer Revision gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht statt, weil der Revisionswerber mit seinem Antragsvorbringen keinen unverhältnismäßigen Nachteil im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG dargelegt habe. Mit dem revisionsgegenständlichen Erkenntnis hatte das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren den Antrag auf internationalen Schutz des aus der Volksrepublik China stammenden Revisionswerbers zur Gänze abgewiesen, keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach China festgestellt, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig sei. Das heißt, obwohl das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts einen Titel für die Außerlandesbringung darstellt und für den Revisionswerber zum Verlust der Stellung des Asylwerbers führte, war für den Verwaltungsgerichtshof ein unverhältnismäßiger Nachteil nicht offenkundig. Vgl. ähnlich VwGH 31.01.2019, Ra 2019/20/0022.
3.2.2. Nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs sind unter zwingenden öffentlichen Interessen im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG besonders qualifizierte öffentliche Interessen zu verstehen, die den sofortigen Vollzug des angefochtenen Rechtsakts zwingend gebieten. Dies ist nicht bereits bei jedem öffentlichen Interesse der Fall, sondern es bedarf noch des Hinzutretens weiterer Umstände, um ein zwingendes öffentliches Interesse anzunehmen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn mit dem Aufschub eine konkrete drohende Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen bzw. deren Eigentum verbunden wäre. Daneben lassen sich als relevante Gesichtspunkte die Gefährdung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und des Abgabenanspruchs als solchen sowie die Gefährdung der Versorgungslage breiter Bevölkerungsteile (z. B. mit Wasser oder Energie) erkennen. Vgl. mwN z. B. VwGH 31.01.2020, Ra 2019/06/0277, VwGH 20.02.2018, Ra 2017/05/0293, VwGH 20.03.2013, AW 2013/05/0003, sowie die weiteren Beispiele aus der Judikatur bei Gruber § 30 VwGG Rz 5a, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017).
Zwingende öffentliche Interessen, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch im Falle eines mehrfach straffälligen Revisionswerbers, der Revision gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erhob, mit der dieses im Rechtsmittelweg den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan ausgesprochen und eine 14- tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt hatte. Der Revisionswerber war wegen Vergehen nach dem SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt wurden. Außerdem war er mit - noch nicht rechtskräftigem - Urteil wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 dritter und vierter Fall StGB, des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, § 106 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB in Anwendung des § 19 Abs 1 JGG zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der Verwaltungsgerichtshof entschied, dass vor dem Hintergrund, dass die Suchtgiftdelinquenz ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonderes großes öffentliches Interesse gegeben ist, und in Anbetracht des der genannten noch nicht rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegenden massiven Fehlverhaltens der beantragten Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen. Vgl. VwGH 12.09.2019, Ra 2019/20/0322; vgl. auch VwGH 01.04.2019, Ra 2018/19/0643, angesichts einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wovon zehn Monate bedingt nachgesehen wurden, wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 erster Fall SMG ging der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls von zwingenden öffentlichen Interessen, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstehen, aus. Vgl. ferner VwGH 07.04.2005, AW 2005/18/0101.
Bei der Interessenabwägung, die nach der Prüfung zwingender öffentlicher Interessen vorzunehmen ist, sind alle individuellen und öffentlichen Interessen zu berücksichtigen; vgl. mwN Gruber § 30 VwGG Rz 5b, in: Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 (2017).
Dem gewichtigen öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens kommt bei der Interessenabwägung wesentliche Bedeutung zu; vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/19/0493. In diesem Sinne sprach der Verwaltungsgerichtshof am 30.05.2019, Ra 2019/22/0104, bei der Interessenabwägung nach § 30 Abs 2 VwGG aus, die Revisionswerberin beeinträchtige durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet das große öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, und gab dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht statt.
Ferner gab der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 04.11.2019, Ra 2019/21/0244, dem Antrag, der Revision gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, betreffend insbesondere Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht statt. Der Verwaltungsgerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass die für den Revisionswerber mit dem Abwarten der Entscheidung über die Revision in seinem Herkunftsstaat Türkei verbundenen Konsequenzen - nach der unter Bedachtnahme auf alle Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere auch darauf, dass in Österreich kein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK bestand, vorgenommenen Abwägung der wechselseitigen Interessen - keinen unverhältnismäßigen Nachteil im Sinne des § 30 Abs 2 VwGG darstelle.
In seiner Entscheidung vom 14.11.2019, Ra 2019/19/0475, gab der Verwaltungsgerichthof dem Antrag, einer gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, hingegen statt. Der Revisionswerber hatte unter anderem vorgebracht, er werde bei einer Abschiebung in seinen Herkunftsstaat von seiner in Österreich lebenden Familie und im Besonderen von seinem erst im Jahr 2019 geborenen Sohn getrennt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe sich zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung innerhalb der gesetzten Frist nicht geäußert. Ausgehend davon sei nicht zu erkennen, dass der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.
3.3. Zu den gegenständlichen Verfahren:
3.3.1. Dagegen, der gegen die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2020 erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, spricht zunächst, dass die Sachverhaltsfeststellungen in diesen Entscheidungen nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind und auch keine ins Auge springenden Mängel aufweisen.
Ohne der Entscheidung über die Revision durch den Verwaltungsgerichtshof vorzugreifen, ist darüber hinaus zu beachten, dass das in der Revision erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht von vornherein als zutreffend zu erkennen ist. Ausschließlich für die Zwecke des gegenständlichen Provisorialverfahrens und exemplarisch ist insofern zu bedenken:
? Dem in der Revision (S 8) erstatteten Vorbringen, wonach sich der „Zugang“ des Bundesverwaltungsgerichts bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Konversion nur teilweise an der Rechtsprechung orientiere, steht – nach der Aktenlage – gegenüber, dass das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf Ebene der Sachverhaltsermittlung (vgl. z. B. L527 2196428-1/16, S 20 ff) als auch in der Beweiswürdigung ausführlich auf die – nach der höchstgerichtlichen Judikatur - maßgeblichen Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel einging, jedenfalls nämlich auf das Wissen über die neue Religion (insbesondere L527 2196428-1/21E, S 40 ff), die Frage der Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiere (insbesondere L527 2196428-1/21E, S 39 f, 59 f, 63, 65, 68, 70 f), die Frage einer mit dem Religionswechsel einhergegangenen Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten (insbesondere L527 2196428-1/21E, S 69 f) sowie die Frage einer schlüssigen Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (insbesondere L527 2196428-1/21E, S 43 ff). Vgl. in diesem Sinne auch jüngst zur Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts, Gerichtsabteilung L527, VwGH 22.06.2020, Ra 2020/19/0151, und VwGH 09.12.2020, Ra 2020/19/0295.
? Dem in der Revision (S 18 ff) erstatteten Vorbringen, wonach das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen habe, ausreichend umfassende und aktuelle Länderfeststellungen zu treffen, steht – nach der Aktenlage – gegenüber, dass die entscheidungswesentliche Lage schon seit Jahren unverändert ist (vgl. die Ausführungen zu „Christen“ und „Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen“ im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Iran, Gesamtaktualisierung am 03.07.2018, 14.06.2019, 19.06.2020).
? Dem in der Revision (S 19 f) erstatteten Vorbringen, wonach sich das Bundesverwaltungsgericht mit – vermeintlich – aktuellen Länderinformationen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 10. Iran. Situation der Christen. Stand: 3/2019) hätte auseinandersetzen müssen, steht – nach der Aktenlage – gegenüber, dass dieser von den Antragstellern der Revision angeschlossene Report (!) auf Berichten etwa aus den Jahren 2014, 2016, 2017 und 2018 basiert, so etwa auf dem Bericht „DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts.“, der auch im vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 14.06.2019, Berücksichtigung fand.
? Dem in der Revision (S 19) anhand eines – von den Antragstellern auszugsweise – vorgelegten Berichts „Danish Immigration Service, Iranian Kurds. Consequences of political activities in Iran and KRI“ erstatteten Vorbringen steht – nach der Aktenlage – gegenüber, dass die Antragsteller nicht der Volksgruppe der Kurden angehören.
? Dem in der Revision (S 20) erstatteten Vorbringen, wonach nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, dass die Antragsteller im Iran in eine Lage geraten könnten, in der grundlegende Versorgung zumindest zeitweise nicht ausreichend gewährleistet sei, steht – nach der Aktenlage gegenüber – dass die – bereits vor dem Bundesverwaltungsgericht anwaltlich vertretenen – Antragsteller nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachwiesen, dass ihnen im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde; vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, und VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314.
3.3.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstatte keine Stellungnahme und zeigte somit weder zwingende öffentliche Interessen, die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls entgegenstehen, auf, noch machte es (nicht zwingende) bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende öffentliche Interessen geltend. Tatsächlich kann auch das Bundesverwaltungsgericht keine zwingenden öffentlichen Interessen erkennen; die Antragsteller sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Sehr wohl läuft der (weitere) Aufenthalt der Antragsteller im österreichischen Bundesgebiet jedoch gewichtigen öffentlichen Interessen zuwider. Der unrechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet beeinträchtigt die öffentliche Ordnung, wobei zu bedenken ist, dass das öffentliche Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen von hohem Gewicht ist.
3.3.3. Somit gibt es bedeutsame Argumente gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. In dem gegenständlichen Fall ähnelnden Sachverhaltskonstellationen schien der Verwaltungsgerichtshof diesen aus seiner eigenen Judikatur folgenden Argumenten jedoch bislang kein derart großes Gewicht beizumessen, dass sie der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Ergebnis entgegengestanden wären; vgl. nochmals VwGH 08.08.2019, Ra 2019/01/0194, VwGH 02.08.2019, Ra 2019/01/0285, VwGH 30.11.2018, Ra 2018/18/0500, VwGH 06.10.2016, Ra 2016/18/0137, und VwGH 15.10.2014, Ra 2014/01/0089. Insoweit der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin also geltend machen, dass sie durch die Abschiebung in den Iran gerade jener Gefahr von Eingriffen in ihre Rechte ausgesetzt wären, deren Prüfung Gegenstand des Revisionsverfahrens sei, so hätten sie – nach ihrem Vorbringen – zu befürchten, von Seiten des iranischen Staates Verfolgung aus religiösen Gründen ausgesetzt zu werden, und mit Blick auf das Fehlen entgegenstehender zwingender öffentlicher Interessen gibt das Bundesverwaltungsgericht – der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs folgend – den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung spruchgemäß statt. Den Anträgen des Dritt- und Viertantragstellers war vor diesem Hintergrund – unter Bedachtnahme auf das Lebensalter und das Familienleben – ebenfalls stattzugeben.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung Familienverfahren RevisionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L527.2196428.1.00Im RIS seit
28.06.2021Zuletzt aktualisiert am
28.06.2021