TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/13 W248 2193826-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.01.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.01.2021

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


W248 2193826-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. NEUBAUER über den Antrag vom 11.01.2021 des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.01.2020 abgeschlossenen Verfahrens XXXX :

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

1        Verfahrensgang:

XXXX , geb. XXXX (im Folgenden: Wiederaufnahmewerber), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in die Republik Österreich ein und stellte am 06.04.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, den Namen XXXX zu führen, aus Afghanistan zu stammen und am XXXX geboren zu sein. Zuvor wurde er am 02.02.2016 in Griechenland und am 04.04.2016 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt. Er stellte am 05.04.2016 in Ungarn einen Asylantrag.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Wiederaufnahmewerber anlässlich seiner Erstbefragung am 07.04.2016 im Wesentlichen an, sein Vater arbeite im Büro des Bundespräsidenten, und die Taliban hätten verlangt, dass sein Vater seinen Job kündige, ansonsten würden sie den Wiederaufnahmewerber umbringen. Deshalb sei er geflüchtet.

Am 21.03.2017 erfolgte eine Einvernahme vor dem BFA, in welcher der Wiederaufnahmewerber zu seinen Fluchtgründen angab, er sei von Seiten der Taliban bedroht worden. Das erste Mal hätten sie seinen Vater angerufen und zu ihm gesagt, er solle ihnen Informationen über den Präsidentenpalast geben. Der Vater des Wiederaufnahmewerbers habe ihnen aber nichts gesagt und habe sich nichts dabei gedacht, bis eine Woche später der Bruder des Wiederaufnahmewerbers verschwunden sei. Eine Woche nach dem Verschwinden des Bruders des Wiederaufnahmewerbers sei ein normal gekleideter Mann in die Moschee in XXXX gekommen und habe dem Mullah einen Zettel gegeben, den der Mullah dem Vater des Wiederaufnahmewerbers aushändigen solle. Vier Älteste aus der Gegend des Wiederaufnahmewerbers seien in der Früh um 04:30 an einem Sonntag in der Moschee beten gewesen. Der Mullah habe denen diesen Zettel gegeben, weil sie aus der Gegend des Wiederaufnahmewerbers gewesen seien und sie den Vater des Wiederaufnahmewerbers gekannt hätten. Sie hätten gesehen, dass dieser Zettel ein Drohbrief von den Taliban gewesen sei. Der Vater des Wiederaufnahmewerbers habe sich den Drohbrief angeschaut und habe entschieden, bevor dem Wiederaufnahmewerber etwas geschehe, dass er ihn wegschicken werde. Sie seien dann alle nach XXXX umgesiedelt, und der Wiederaufnahmewerber sei dann ausgereist.

Mit Bescheid des BFA vom 20.03.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Wiederaufnahmewerbers auf internationalen Schutz vom 06.04.2016 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Zugleich wurde dem Wiederaufnahmewerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat nicht zuerkannt und wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde - nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung - mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.01.2020, XXXX als unbegründet abgewiesen. Im genannten Erkenntnis setzte sich das Bundesverwaltungsgericht beweiswürdigend eingehend mit dem Vorbringen des Antragstellers auseinander und erkannte dessen Ausführungen auf Grund von Unplausibilitäten und Widersprüchen als nicht glaubhaft. In der mündlichen Verhandlung am 10.01.2020 gab der Wiederaufnahmewerber u.a. an, dass sich sein Vater in XXXX , Pakistan, befinde und dort wegen Herzproblemen ärztlich behandelt werde.

Bereits vor der mündlichen Verhandlung am 10.01.2020 war der Wiederaufnahmewerber während des laufenden Asyl- bzw. Beschwerdeverfahrens im Bundesgebiet wiederholt straffällig geworden und war bereits mehrmals von inländischen Landesgerichten rechtskräftig verurteilt worden, wie nachfolgend angeführt:

?        Am 30.01.2017 wurde erstmals eine Anzeige wegen Körperverletzung in einer Asylunterkunft erstattet.

?        Am 13.06.2017 wurde eine Anzeige wegen § 27 SMG erstattet.

?        Mit Urteil eines Landesgerichts vom 24.07.2017, rechtskräftig mit 24.07.2017, wurde der Wiederaufnahmewerber wegen des Vergehens des teilweise versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 achter Fall, 27 Abs 2a SMG, § 15 StGB, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Ziffer 1 erster und zweiter Fall SMG, wegen des Vergehens des versuchten unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 achter Fall SMG, § 15 StGB, unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 27 Abs 2a SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate bedingt, mit Probezeit von 3 Jahre verurteilt (Jugendstraftat).

?        Der Wiederaufnahmewerber befand sich daraufhin von 22.06.2017 bis 24.07.2017 in einer Justizanstalt in Strafhaft. Nach Haftentlassung wurde am 04.01.2018 eine neuerlich Anzeige wegen nicht rechtmäßigen Aufenthalts in einem Asylquartier durch eine PI gegen ihn erstattet, da er im Asylquartier ohne Anmeldung Unterkunft genommen habe.

?        Am 28.09.2018 wurde der Wiederaufnahmewerber wegen unerlaubten Fernbleibens aus einer Sozialeinrichtung bei einer PI zur Anzeige gebracht.

?        Der Wiederaufnahmewerber wurde durch ein Landesgericht am 15.01.2018, rechtskräftig mit 19.01.2018, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen bedingt, unter einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

?        Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 26.09.2019, rechtskräftig mit 26.09.2019, wurde der Wiederaufnahmewerber wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a SMG und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 15 StGB, 27 Abs 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Dabei wurde sein Alter von unter 21 Jahren als mildernd gewertet, als erschwerend hingegen, dass er die Tat während der offenen Probezeit und während anhängiger weiterer Verfahren begangen hatte.

?        Von 04.04.2019 bis 03.12.2019 befand sich der Wiederaufnahmewerber in einer Justizanstalt und wurde er daraufhin am 03.12.2019 aufgrund eines Schubhaftbescheides des BFA vom 29.11.2019 in Schubhaft überstellt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019, XXXX , wurde die Beschwerde des Wiederaufnahmewerbers gegen den Schubhaftbescheid als unbegründet abgewiesen und gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

?        Zudem wurde gegen den Wiederaufnahmewerber am 28.03.2019 ein aufrechtes Waffenverbot verhängt.

Am 30.01.2020 stellte der Wiederaufnahmewerber einen Folgeantrag, den er damit begründete, dass die Stellung eines Folgeantrages die einzige Möglichkeit für ihn sei, in Österreich zu bleiben. Neue Fluchtgründe habe er nicht.

Mit Bescheid des BFA vom 17.02.2020, Zl. XXXX , wurde der Folgeantrag abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde mit Erkenntnis vom 13.03.2020, XXXX abgewiesen.

Am 11.01.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens XXXX gemäß § 32 VwGVG mit der Begründung ein, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen seien, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten. Konkret hätten sich „mittlerweile … neue Ereignisse ergeben, welche sowohl das Vorbringen des Wiederaufnahmewerbers stützen“ würden „als auch die daraus hervorgegangene Verschlechterung der Sicherheitssituation in Kabul eine Neubewertung durch das Bundesverwaltungsgericht erforderlich machen“ würde. Der Vater des Wiederaufnahmewerbers sei „in Ausübung seiner Tätigkeit in der Nähe von Kabul durch die Taliban angegriffen und erschossen“ worden. Es liege daher „jedenfalls ein tauglicher Wiederaufnahmegrund“ vor, „der geeignet [sei], ein im Hauptinhalt des Spruchs der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.01.2020 anderslautendes Erkenntnis herbeizuführen“. Der Wiederaufnahmewerber habe am 26.12.2020 Kenntnis über „das neue Beweismittel“ erlangt, sodass der am 11.01.2021 gestellte Wiederaufnahmeantrag innerhalb der Frist von 2 Wochen ergehe (und somit rechtzeitig sei). Ein Beweismittel wurde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht vorgelegt.

Neben dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellte der Wiederaufnahmewerber auch einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht, da nach den Bestimmungen des VwGVG einem Antrag auf Wiederaufnahme keine aufschiebende Wirkung zukomme bzw. dem Antragsteller bis zur Entscheidung über die Wiederaufnahme keine Rechtsposition eingeräumt werde, die ihn vor einer drohenden Überstellung nach Afghanistan schützen würde. Der Wiederaufnahmewerber sei daher akut gefährdet, in seinen in Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC garantierten Rechten verletzt zu werden. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sei daher mangels nationaler Rechtsschutzmechanismen aufgrund des unionsrechtlichen effet utile zwingend geboten.

2        Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2.1      Feststellungen:

Der Wiederaufnahmewerber reiste illegal in das Bundesgebiet ein, ist afghanischer Staatsangehöriger und sohin Fremder Sinne der Diktion des FPG.

Er stellte am 06.04.2016 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde vom BFA mit Bescheid vom 20.03.2018, Zl. XXXX , abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.01.2020, XXXX abgewiesen. Diese Entscheidung wurde nicht bekämpft.

Auch ein Folgeantrag vom 30.01.2020 blieb erfolglos (Bescheid des BFA vom 17.02.2020, Zl. XXXX ; Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.03.2020, XXXX ).

Es kann nicht festgestellt werden, ob der Vater des Wiederaufnahmewerbers von den Taliban getötet wurde. Am 10.01.2020 war der Vater des Wiederaufnahmewerbers jedenfalls noch am Leben, sodass der Vorfall, mit welchem der Wiederaufnahmewerber seinen Antrag begründet, sich – wenn überhaupt – erst nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens, auf welches sich der Antrag auf Wiederaufnahme bezieht, ereignet hat.

2.2      Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Zahlen XXXX .

Die Feststellung, dass nicht festgestellt werden kann, ob der Vater des Wiederaufnahmewerbers von den Taliban getötet wurde, gründet sich darauf, dass der Wiederaufnahmewerber mit seinem Wiederaufnahmeantrag keinerlei Beweismittel vorgelegt oder angeboten hat, mit denen sich diese bloße Behauptung begründen ließe.

Die Feststellung, dass der Vater des Wiederaufnahmewerbers am 10.01.2020, sohin im Zeitpunkt des Abschlusses des Verfahrens, auf welches sich der Antrag auf Wiederaufnahme bezieht, noch am Leben war und daher die Tötung des Vaters durch die Taliban – wenn überhaupt – erst nach diesem Zeitpunkt erfolgt sein kann, ergibt sich aus den Angaben des Wiederaufnahmewerbers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.01.2020, wo er selbst angegeben hat, sein Vater befinde sich in Pakistan und werde dort wegen Herzproblemen ärztlich behandelt.

2.3      Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

In welcher Erledigungsform das Verwaltungsgericht über Wiederaufnahmeanträge zu entscheiden hat, ist gesetzlich nicht ausdrücklich angeordnet. Der allgemeinen Systematik des VwGVG folgend ist jedoch davon auszugehen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge in Beschlussform zu erfolgen haben (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren², § 32 VwGVG Rz 13 mwN.).

2.3.1   Zu A) Abweisung des Wiederaufnahmeantrages:

§ 32 VwGVG lautet:

„Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1.         das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2.         neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3.         das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4.         nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.“

Nach dem die Wiederaufnahme eines Verwaltungsverfahrens betreffenden § 69 Abs. 1 Z 2 AVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) oder neu hervorgekommene Beweismittel - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen. Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die erst nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (zu § 69 AVG, der aufgrund der klaren Anordnung des § 17 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG nicht anzuwenden ist, dessen Tatbestand der „Neuerungen“ aber § 32 VwGVG entspricht, sodass die diesbezüglich zu § 69 AVG ergangene Judikatur des VwGH auch für § 32 VwGVG gilt [vgl.

dazu RV 2009 BlgNR XXIV. GP

7; Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 32 VwGVG Rz 19; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2, § 32 VwGVG Anm. 7], vgl. VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; 17.02.2015, Ra 2014/09/0029, u.a.).

Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist ("nova reperta"), nicht aber wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt ("nova causa superveniens"; zu § 69 Abs 1 lit b AVG vgl. auch VwGH 04.02.1970, 1532/69; 13.12.1984, 83/08/0252).

Im konkreten Fall steht fest, dass die nunmehr im Wiederaufnahmeantrag behauptete, aber durch nichts belegte Tötung des Vaters des Wiederaufnahmewerbers durch die Taliban – wenn überhaupt – erst nach der rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens XXXX stattgefunden haben kann, hat doch der Wiederaufnahmewerber selbst am 10.01.2020, somit am Tag der Entscheidung im Verfahren XXXX angegeben, sein Vater befinde sich an einem näher bezeichneten Ort in Pakistan und werde dort wegen Herzproblemen medizinisch behandelt. Es handelt sich somit bei der angeblichen Tötung des Vaters des Wiederaufnahmewerbers durch Taliban nicht um "nova reperta", sondern vielmehr um "nova producta" (zu den Begriffen und zu deren Unterscheidung vgl. Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 32 VwGVG Rz 20 mwN.), die – wie gezeigt – nicht zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führen können.

Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage nach der Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrages in diesem Zusammenhang erübrigt sich, weil der als Wiederaufnahmeantrag bezeichnete Schriftsatz vom 11.01.2021 einen Tatbestand, der sich unter die Bestimmung des § 32 Abs. 1 VwGVG subsumieren ließe, zur Gänze vermissen lässt.

Der Antrag auf Wiederaufnahme muss daher abgewiesen werden.

Da unverzüglich in der Sache entschieden wird, ist dem ebenfalls gestellten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht die Grundlage entzogen, sodass sich eine Entscheidung über diesen Antrag schon aus diesem Grund erübrigt.

2.3.2   Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

einstweilige Anordnung nova producta Unionsrecht Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W248.2193826.3.00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten