TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/13 W233 2178291-2

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Veröffentlicht am 13.01.2021
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Entscheidungsdatum

13.01.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W233 2178291-1/60E

W233 2178291-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst in 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2017, ZI.: 1079037604 -150904921, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.10.2019 und am 02.12.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird stattgegeben, gemäß § 9 BFA-VG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 1 Z 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte 21.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) mit Bescheid vom 24.10.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.07.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 23.11.2017 fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger Tatsachenfeststellungen und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.04.2018, GZ: W233 217829-1/12E wurde die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A) I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt A) II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.04.2019 erteilt (Spruchpunkt A) III.). Das Kostenbegehren des Beschwerdeführers wurde gemäß § 17 VwGVG iVm § 74 Abs. 2 AVG als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt A) IV.).

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat der vom Bundesamt dagegen eingebrachten Revision stattgegeben und die vom Bundesverwaltungsgericht gewährte Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer behoben.

6. Im fortgesetzten Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 19.12.2018 (schriftlich ausgefertigtem am 23.01.2019) die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatus als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 1 Z 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

7. Aufgrund der dagegen eingebrachten Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat der Verwaltungsgerichtshof mit Entscheidung vom 10.04.2019, Ra 2019/18/0058, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Ausspruch der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgehoben.

8. In Fortsetzung des Verfahrens fand am 02.10.2019 eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, im Zuge dessen auch drei Zeugen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich gehört wurden.

Mit Eingabe vom 08.01.2020 legte der Beschwerdeführer u.a. eine Kopie der ihm von der Bezirkshauptmannschaft XXXX am 19.12.2019 erteilten „Rot-Weiß-Rot-Karte-plus“ vor.

9. In der Folge hat das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15.01.2020, GZ: W233 217829-1/46E, der Beschwerde dahingehend stattgegeben, dass die gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und der Ausspruch über die Frist zur freiwilligen Ausreise ersatzlos behoben wurden.

10. Mit Bescheid vom 04.06.2020 hat die Bezirkshauptmannschaft XXXX nach amtswegiger Wiederaufnahme des Verfahrens den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte-plus“ abgewiesen.

Die dagegen eingebrachte Beschwerde hat das Landesverwaltungsgericht XXXX mit Erkenntnis vom 20.07.2020, GZ: XXXX als unbegründet abgewiesen.

11. Über Antrag des Beschwerdeführers vom 24.08.2020 bzw. des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2020 wurde das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.01.2020, GZ: W233 2178291-1/46E abgeschlossene Verfahren des Beschwerdeführers mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.09.2020, GZ: W233 2178291-2/4E wieder aufgenommen.

In Folge dieser Wiederaufnahme fand am 02.12.2020 eine weitere mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , wurde am XXXX geboren, ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppen der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Distrikt XXXX in der Provinz Herat, wo er bis zu seinem 15. Lebensjahr bis Dezember 2010 mit seiner Familie gelebt hat. Er hat dort acht Jahre die Grundschule besucht. Nach dem Tod seines Vaters hat der Beschwerdeführer Ende Dezember 2010 alleine Afghanistan verlassen und ist in den Iran verzogen. Nachdem auch seine Mutter und seine Geschwister in den Iran übersiedelt waren, hat sich der Beschwerdeführer mit seiner Familie in Teheran, im Stadtteil XXXX aufgehalten, wobei dieser Aufenthalt von den iranischen Behörden nicht legalisiert war. Im Iran hat der Beschwerdeführer zwei Jahre als Hilfsarbeiter am Bau und danach zwei Jahre als Verkäufer von Plastikgeschirr gearbeitet und somit seinen Lebensunterhalt bestritten.

Der Beschwerdeführer verfügt in Afghanistan weder über Familienmitglieder noch unterhält er Kontakt zu Afghanistan. Seine Mutter und seine Geschwister halten sich in Iran, in der Stadt Teheran auf.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Antragstellung auf internationalen Schutz am 21.07.2015 durchgehend in Österreich auf. Er hat in Österreich den Lehrberuf Koch erlernt und am 29.10.2019 die Lehrabschlussprüfung bestanden. Er hat das Bildungsziel der Berufsschule für den Lehrberuf Koch erreicht und damit die Berufsschulpflicht in diesem Lehrberuf erfüllt. Seine Kenntnisse der deutschen Sprache wurden in seinem Jahres- und Abschlusszeugnis der vierten Fachklasse für den Lehrberuf Koch im Schuljahr 2019/2020 mit „Befriedigend“ beurteilt. Zudem hat der Beschwerdeführer am 24.08.2018 an einem Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen und verfügt über ein ÖSD-Zertifikat über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau B 1.

Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über eine unbefristete Anstellung als Koch in einem Hotel. Der Beschwerdeführer hat aus dieser Tätigkeit einen Rechtsanspruch auf eine Entlohnung im Sinne des Kollektivvertrages.

Im Zuge seines Aufenthalts in Österreich engagiert sich der Beschwerdeführer ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr seiner Aufenthaltsgemeinde.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über soziale Kontakte in seiner Heimatgemeinde, der Freiwilligen Feuerwehr und an seiner Arbeitsstätte.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten wurde im Rechtsmittelweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.04.2018, GZ:

W233 2178291-1/12E, jener auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2018, GZ: W233 2178291-1/28E, negativ entschieden.

Der Beschwerdeführer hat seinen bislang im Bundesgebiet verbrachten Aufenthalt äußerst positiv genutzt und war von Beginn an außerordentlich bemüht, in Österreich Fuß zu fassen und sich zu integrieren. Neben seiner bereits im Mai 2016 begonnen und inzwischen abgeschlossenen Berufsausbildung als Koch und seines damit einhergehenden erfolgreichen Berufsschulbesuches hat der Beschwerdeführer auch Deutschkurse und einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Darüber hinaus engagiert sich der Beschwerdeführer seit Anfang 2018 als aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr XXXX .

Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner am 06.12.2019 bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX eingereichten Antragstellung auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ in Täuschungsabsicht gehandelt hätte, sind nicht erkennbar.

Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitskonstellation, des Lebensverlaufs seit seiner Einreise und seinen Zukunftsperspektiven ist von einer positiven Prognose auszugehen. Es liegt ein aufrechtes Privatleben in Österreich vor. Eine Rückkehrentscheidung würde einen ungerechtfertigten Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers darstellen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionsbekenntnis und Muttersprache des Beschwerdeführers stützen sich auf seine diesbezüglich glaubwürdigen Aussagen im Verfahren.

Dass er aus dem Distrikt XXXX der afghanischen Provinz Herat stammt und dort acht Jahre lang die Schule besucht hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben. Auch dass er dort bis zu seinem 15. Lebensjahr mit seiner Familie gelebt und nach dem Tod seines Vaters in den Iran übersiedelt ist, kann auf die Angaben des Beschwerdeführers gestützt werden.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Iran gründen sich ebenso auf seine eigenen Angaben.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan über keine Familienmitglieder verfügt und dort auch mit sonst niemanden in Kontakt steht, kann ebenso auf Grund seiner eigenen Angaben getroffen werden.

Die Feststellungen zur Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf seinen glaubwürdigen Angaben. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren Unterlagen über seine Ausbildung im Lehrberuf Koch bzw. über seinen erfolgreichen Lehrabschluss und seinen erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung in der Berufsschule vorgelegt. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer zahlreiche Empfehlungsschreiben, ÖSD Zeugnisse über die Kompetenz der deutschen Sprache – zuletzt auf dem Niveau B1 – und ein Zeugnis über die Teilnahme an einem Wert- und Orientierungskurs vorgelegt. Zudem werden die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers auch durch die Aussage von zwei Zeugen aus dem Umfeld seiner Berufstätigkeit gestützt.

Die Feststellungen in Bezug auf seine unbefristete Anstellung als Koch in einem Hotel und dem daraus resultierenden Rechtsanspruch auf eine Entlohnung im Sinne des Kollektivvertrages werden aufgrund des von ihm im Verfahren vorgelegten Arbeitsvertrages getroffen.

Die Feststellung in Bezug auf sein ehrenamtliches Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr gründen sich auf seine eigenen Angaben, die durch die Vorlage entsprechender Bescheinigungen und der Zeugenbefragung des Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr XXXX gestützt werden.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich über soziale Kontakte in seiner Heimatgemeinde, bei der Freiwilligen Feuerwehr und an seiner Arbeitsstätte verfügt, stützt sich auf seine Angaben, die durch die Vorlage zahlreicher Empfehlungsschreiben und die Aussage von drei Zeugen gestützt wird.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer unbescholten ist, kann aufgrund einer Nachschau in das Strafregister getroffen werden.

Die Feststellungen in Hinblick auf die negativen Entscheidungen über seine Anträge auf Zuerkennung des Asylstatus bzw. des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, stützten sich auf die in seinem Akt einliegenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen bislang im Bundesgebiet verbrachten Aufenthalt äußerst positiv genutzt und von Anfang an außerordentlich bemüht war, in Österreich Fuß zu fassen und sich zu integrieren, kann anhand einer Gesamtbetrachtung seiner vielfältigen persönlichen, beruflichen und ehrenamtlichen Schritte, seinen guten Deutschkenntnissen, seiner Unbescholtenheit und schließlich aufgrund seines engagierten Gesamteindrucks vor dem Bundesverwaltungsgericht getroffen werden. Hinsichtlich der sozialen Integration des Beschwerdeführers war zunächst zu berücksichtigen, dass dieser hervorragend in sein berufliches Umfeld eingebunden ist. Die vorgelegten Empfehlungsschreiben seines Arbeitgebers bzw. seiner ArbeitskollegInnen und des Bürgermeisters der Markgemeinde XXXX , in seiner Eigenschaft als Gesellschaftsvertreter der XXXX Hotelerrichtungs- und Betriebsgesellschaft, bestätigen, dass er in seinem beruflichen Umfeld integriert und beliebt ist. Der Beschwerdeführer wird als engagierter und qualifizierter Mitarbeiter und als geschätzter Kollege bezeichnet.

Im Zuge dieser Gesamtbetrachtung wurde auch auf den Umstand Bedacht genommen, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von 15 Jahren seinen Herkunftsstaat verlassen und dort über keine Familienangehörigen mehr verfügt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Antragstellung auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nicht in Täuschungsabsicht gehandelt hat, stützt sich zum einen darauf, dass zum Zeitpunkt dieser Antragstellung die Datensätze über den Beschwerdeführer vom dafür zuständigen Bundesamt noch nicht bereinigt waren, weshalb der Niederlassungsbehörde, der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht mit welchem eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan auf Dauer für unzulässig erklärt wurde, behoben hat, nicht bekannt war. Dieser Umstand kann dem Beschwerdeführer deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden. Hätte das Bundesamt anlässlich der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes die im IZR über den Beschwerdeführer gespeicherten Daten zeitnah korrigiert, hätte die BH XXXX als Aufenthaltsbehörde erkannt, dass die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ im Fall des Beschwerdeführers nicht vorliegen. Nun verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass dem Beschwerdeführer als Antragsteller eine Mitwirkung in diesem Verfahren offen gestanden wäre und er die Aufenthaltsbehörde auf den Umstand der Behebung seiner ihm vom Bundesverwaltungsgericht erteilten Berechtigung durch den Verwaltungsgerichtshof hätte hinweisen können. Allerdings hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 02.12.2020 glaubhaft dargelegt, dass er die Rechtsfolge einer Behebung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Verwaltungsgerichtshof nicht erkannt habe. Diese Rechtfertigung des Beschwerdeführers ist angesichts der komplexen Natur des Asylgesetzes bzw. des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes nachvollziehbar, noch dazu, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 02.12.2020 glaubhaft dargelegt hat, dass er die Formulare für diese Antragstellung von seinem Anwalt zugeschickt erhalten und diese gemeinsam mit seiner Chefin ausgefüllt habe, da er dabei Verständnisschwierigkeiten gehabt habe. Demnach ist diese vom Beschwerdeführer indizierte Antragstellung auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nicht mit jenen Fällen vergleichbar, in denen sich ein Antragsteller z.B. missbräuchlich auf das Bestehen einer Ehe zur Erlangung einer aufenthaltsrechtlichen Berechtigung stützt. Denn in solchen Fällen hat der Verwaltungsgerichtshof klar ausgeführt, dass ein solches Verhalten jedenfalls eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstelle (vgl. für viele VwGH 24.11.2009, 2007/21/0011). Im Fall des Beschwerdeführers hat dieser die Aufenthaltsbehörde über die Bewilligungsvoraussetzung des Verfügens über eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für einen Zeitraum von 12 Monaten nicht getäuscht. Weder hat der Beschwerdeführer die Ausstellung des von ihm beantragten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ durch Fälschung einer Urkunde, ein falsches Zeugnis oder durch eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeiführt oder sonstwie erschlichen. Wie bereits oben ausgeführt, hat das Bundesamt als zuständige Behörde nach Behebung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Verwaltungsgerichtshof gegenüber dem Beschwerdeführer weder die Einleitung eines Entziehungsverfahrens der Aufenthaltsberechtigungskarte eingeleitet noch den im IZR über den Beschwerdeführer gespeicherten Datensatz entsprechend korrigiert. Eine Täuschungsabsicht des Beschwerdeführers hat auch das Verwaltungsgericht XXXX in seiner Entscheidung vom 20.07.2020 über seine Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 04.06.2020 betreffend die Abweisung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nicht angenommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Rückkehrentscheidung

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

§ 55 AsylG 2005 lautet:

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

§ 57 AsylG 2005 lautet:

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

[…]"

§ 58 AsylG 2005 lautet:

"§ 58 (1) Z. 2: Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

[…]"

Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

§ 50 (1) FPG: Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

§ 52 (1) [...]

(2) Z. 2: Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

[...]

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

[...]

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

[...]

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 AsylG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstige nahe Angehörige in Österreich.

Neben einem schützenswerten Familienleben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art 8 Abs 2 EMRK).

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua gegen Lettland).

Der unbescholtene Beschwerdeführer lebt seit fünf Jahren und sechs Monaten durchgehend im österreichischen Bundesgebiet und hat sich in diesem Zeitraum von Beginn an um eine umfassende Integration bemüht. In dieser Zeit entwickelte der Beschwerdeführer auch ein schützenswertes Privatleben in Österreich, von welchem sich das erkennende Gericht insbesondere im Rahmen der abgehaltenen mündlichen Verhandlungen zu überzeugen vermochte.

Der Beschwerdeführer hat die vergangenen fünf Jahre und sechs Monate in Österreich erfolgreich genutzt, um sich in vielerlei Hinsicht in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Er nimmt intensiv am sozialen Leben teil und verfügt in Österreich über zahlreiche soziale Kontakte. Die vorgelegten Beweismittel - darunter zahlreiche Unterstützungsschreiben und die Aussagen von drei Zeugen - belegen die Integration des Beschwerdeführers in der österreichischen Gesellschaft.

Seit seiner Einreise besuchte der Beschwerdeführer regelmäßig Deutschkurse. Seine Deutschkenntnisse sind mittlerweile außerordentlich gut. Von diesen konnte sich der erkennende Richter in der mündlichen Verhandlung auch ein persönliches Bild machen, indem er Fragen problemlos auf Deutsch beantwortete. Neben seinen ausgezeichneten sprachlichen Fähigkeiten hinterließ der Beschwerdeführer zudem einen überaus positiven, engagierten und höflichen Gesamteindruck. Er hat seine bereits im Mai 2016 begonnene Lehre zum Koch erfolgreich abgeschlossen und ist im Entscheidungszeitpunkt in seinem ehemaligen Lehrbetrieb in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis als Koch beschäftigt. Zudem hat er seine ÖSD Deutschprüfung B1 positiv abgeschlossen und an einem Werte- und Orientierungskurs gemäß Integrationsgesetz teilgenommen. Darüber hinaus engagiert sich der Beschwerdeführer ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr seiner Aufenthaltsgemeinde und nimmt im Rahmen dieser Tätigkeit aktiv an Lösch- und Rettungseinsätzen und an Fortbildungskursen teil.

Aufgrund seiner berufsspezifischen Ausbildung, seiner unbefristeten Anstellung, seiner Zielstrebigkeit und seines bemerkenswerten Engagements und der damit einhergehenden guten Leistung sowie aufgrund der bereits weit fortgeschrittenen Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers kann davon ausgegangen werden, dass dieser seinen Lebensunterhalt in naher Zukunft unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen bestreiten können wird.

Festzuhalten ist auch, dass der Beschwerdeführer über die gesamte Zeit hindurch unbescholten geblieben und strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, wobei die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag (vgl VwGH 25.2.2010, 2010/0018/0029).

Auch die mit der noch relativ kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet korrelierende Bindung des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat wiegt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes vor den oben dargestellten mannigfaltigen integrativen Leistungen des Beschwerdeführers und sozialen Bindungen nicht derart schwer, dass deshalb ein überwiegendes Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich zu verneinen wäre. Vielmehr würden die Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund seiner bisher unternommenen, überaus erfolgreichen Anstrengungen und des sich daraus entwickelten, schützenswerten Privatlebens in Österreich schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Im gegenständlichen Fall kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit nicht genützt hätte, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Das Gegenteil ist der Fall: Er bemühte sich während seines fünf Jahre und sechs Monate dauernden Aufenthalts - wie oben ausgeführt - überaus intensiv und sehr erfolgreich umfassend zu integrieren. Zudem vermag das Verhalten des Beschwerdeführers nicht nahezulegen, dass von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch ihn auszugehen ist. Er hat einen entsprechend hohen Grad der Integration in Österreich.

Berücksichtigt man all diese Aspekte, so überwiegen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt die aus den erwähnten Umständen in ihrer Gesamtheit erwachsenden privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet und an der Fortführung seines bestehenden Privat- und Familienlebens in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt in diesem besonderen Einzelfall als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind.

Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides war daher stattzugeben und festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig erklärt wird.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 leg. cit. vorliegt.

Wie weiter oben ausgeführt, befindet sich der Beschwerdeführer in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis und hat leitet daraus einen Rechtsanspruch auf eine Entlohnung laut Kollektivvertrag der Lohngruppe 3a im Ausmaß von € 1.750,- ab. Im vorliegenden Fall besteht somit im Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit, mit deren Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze erreicht (und überschritten) wird.

Die Voraussetzungen gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sind im gegenständlichen Fall daher gegeben, weshalb dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen war.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen; der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

4.3. Zu Spruchteil B):

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Bei der Frage, ob dem Beschwerdeführer in nunmehr unionsrechtskonformer Interpretation des § 8 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, waren neben der zitierten Judikatur beweiswürdigende Erwägungen ausschlaggebend. Bei der Beurteilung, ob die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, war eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen, in deren Zuge sich das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls an den oben zitierten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes (und des Verfassungsgerichtshofes) orientiert hat.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Integration Interessenabwägung Privatleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W233.2178291.2.00

Im RIS seit

25.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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