TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/21 W105 1431257-2

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Veröffentlicht am 21.01.2021
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Entscheidungsdatum

21.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W105 1431257-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2017, Zl. 810712300/171055005, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (BF), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 12.07.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Dieser Antrag wurde mit Bescheid des – damals zuständigen - Bundesasylamtes vom 23.11.2012 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG, jeweils iVm § iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, abgewiesen und die Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG ausgesprochen.

3.       Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.10.2015, Zl. W116 1431257-1/9E, stattgegeben, dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukommt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der BF habe glaubhaft darlegen können, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als Vorbeter bzw. Imam für Regierungsbeamte und Polizisten von den Taliban bedroht und aufgefordert worden sei, dies zu unterlassen und für sie zu arbeiten. Der BF habe von den Taliban zwei Drohbriefe erhalten, wobei der zweite eine Verurteilung nach der Scharia und die Ankündigung einer Bestrafung beinhaltet habe. Auch nach der Ausreise hätten sich die Taliban nach dem BF erkundigt. Die Furcht des BF, von den Taliban aufgegriffen und getötet zu werden, sei begründet und nachvollziehbar, zumal die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und speziell in der Herkunftsprovinz Nangarhar derartige kriminelle Handlungen begünstige. Vom afghanischen Staat sei kein effektiver Schutz vor Verfolgung durch die Taliban zu erwarten, da kein funktionierender Polizei- oder Justizapparat bestehe, der tatsächliche Machtbereich der afghanischen Regierung kaum über die Grenzen der Hauptstadt Kabul reiche und die Taliban besonders in Nangarhar aktiv seien. Da die Taliban auch über ein über das ganze Land gut ausgebautes Netzwerk verfügen, stehe dem BF keine innerstaatliche Fluchtalternative offen und ihm sei Asyl zu gewähren.

4.       Am 24.10.2017 wurde der BF hinsichtlich der vom BFA in Erwägung gezogenen Aberkennung des Status des Asylberechtigten aufgrund der Annahme, dass der BF sich in Afghanistan aufgehalten und dort eine Heiratsurkunde beantragt habe, einvernommen. Dabei gab der BF im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll: Er besitze einen Konventionsreisepass und sei seit elf Jahren traditionell verheiratet, mit seiner Frau habe er vier Kinder. Seine Familie lebe weiterhin im Distrikt XXXX in der Provinz Nangarhar. Der BF habe seine Frau und seine Kinder das letzte Mal vor einem Jahr in Pakistan gesehen. Er habe sich – entgegen der Angaben seiner Frau vor der Österreichischen Botschaft in Islamabad – nicht in Afghanistan aufgehalten, sondern sei nur in Pakistan gewesen. Seine Ehefrau habe mit seinem Bruder in Afghanistan eine Heiratsurkunde beantragt und diese nach Pakistan mitgenommen, wo der BF seinen Fingerabdruck darauf angebracht habe. Seine Frau habe die Heiratsurkunde besorgt, während der BF schon in Pakistan gewesen sei und sei dafür zweimal von Pakistan zurück nach Afghanistan gereist. Der BF habe sich nicht in Afghanistan aufgehalten, ohne Reisepass könne er nicht einmal nach Afghanistan gelangen.

5.       In der Folge wurde dem BF mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 06.12.2017 der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.10.2015, Zl. W116 1431257-1/9E, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF von Amts wegen aberkannt und festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im angefochtenen Bescheid unter Darlegung näherer Erwägungen zu Spruchpunkt I. ausgeführt, für die belangte Behörde stehe fest, dass der BF freiwillig über Pakistan nach Afghanistan gereist sei und mit seiner Frau eine Heiratsurkunde bei afghanischen Behörden beantragt habe. Deshalb könne nicht weiterhin davon ausgegangen werden, dass der BF eine Person von großem Interesse für die Taliban sei und ihm Verfolgung im Herkunftsstaat drohe. In der rechtlichen Beurteilung folgert die belangte Behörde daraus, dass sich der BF unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt habe, indem er eine Heiratsurkunde bei afghanischen Behörden beantragt habe, und somit der BF den Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verwirkliche. Die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses im Herkunftsstaat erfülle nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Aberkennungstatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK, sofern nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird (VwGH 24.10.1996, Zl. 96/20/0587). Dem BF war die Status des Asylberechtigten abzuerkennen, da er sich freiwillig unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt habe.

6.       Gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des Bescheides vom 06.12.2017 richtet sich die vorliegende Beschwerde der damaligen rechtsanwaltlichen Vertretung des BF vom 04.01.2018, in welcher der BF zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen geltend machte, dass sich der BF entgegen der Feststellungen der belangten Behörde nicht in Afghanistan aufgehalten habe, sondern vielmehr lediglich in XXXX , Pakistan, bei einem Bekannten gewesen sei. Dort habe der BF seine Ehefrau getroffen, welche selbständig zum Zwecke der Ausstellung der Heiratsurkunde nach Afghanistan zurückgereist sei. Ausnahmsweise sei dem BF gestattet worden, seinen Fingerabdruck in Pakistan auf die Heiratsurkunde zu setzen; zum Beweis dafür werde mit der Beschwerde eine beglaubigte Erklärung des Distriktchefs von XXXX mit beglaubigter Übersetzung vorgelegt, die dies belege und vom Bruder des BF beigeschafft worden sei.

Zudem gehe das BFA fälschlicherweise davon aus, dass die Beantragung einer Heiratsurkunde eine Unterschutzstellung im Sinne von Art 1 Abschnitt C Z 1 GFK bewirken würde. Anders als durch Beantragung eines Reisepasses, der das Versprechen des Ausstellungsstaates auf diplomatische Protektion und konsularischen Schutz mit sich bringe, ist mit der Beantragung einer Heiratsurkunde nicht der Wille verbunden, die Beziehungen zum Herkunftsstaat zu normalisieren. Der BF habe sie beantragt, um vielmehr sämtliche Beziehungen zu Afghanistan zu beenden und seine Familie nach Österreich zu holen. Der kurzfristige Aufenthalt im Herkunftsstaat würde auch keine freiwillige Unterschutzstellung darstellen, da aus dem faktischen Aufenthalt im Herkunftsstaat nicht abgeleitet werden könne, dass der BF das durch die Flucht zertrennte Staatsangehörigenband reaktivieren möchte.

Am 09.07.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt, dass der BF Rechtsanwalt XXXX mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt hat. Am 11.11.2020 wurden aktuelle Lohnzettel des BF dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

7. Auf erfolgtes Parteiengehör übermittelte der Beschwerdeführer die Stellungnahme vom 23.12.2020, in welcher er zentral auf die seitens UNHCR notifizierten Risikoprofile betreffend Afghanistan verwies, welchen er nachwievor zuzurechnen sei und verneinte er für seinen Fall auch das Vorliegen einer sogenannten innerstaatlichen Fluchtalternative.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der oben dargelegte Verfahrensgang.

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und stammt aus der Provinz Nangarhar. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.10.2015, Zl. W116 1431257-1/9E, wurde dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes zukommt; der Flüchtlingsstatus wurde ihm mit Bescheid des BFA vom 06.12.2017 – nicht rechtskräftig – wieder aberkannt.

Der BF flog im April 2016 nach Pakistan, hielt sich auch für kurze Zeit in Afghanistan auf und beantragte eine afghanische Heiratsurkunde, die ihm auch ausgestellt wurde.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten, erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Zuerkennung und Aberkennung des Status des Asylberechtigten ergeben sich unzweifelhaft aus dem Inhalt des dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsaktes.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF, seiner Herkunft sowie seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit gründen auf den im gesamten Verfahren gleichbleibenden und glaubhaften Angaben des BF. Dass der BF verheiratet ist und vier Kinder hat, ergibt sich ebenso aus seinen Angaben vor dem BFA sowie aus der Einsicht in das Verfahren seiner Ehefrau XXXX . Diese Feststellungen wurden auch den vorangegangenen Entscheidungen des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes zugrunde gelegt.

Dass der BF 2016 nach Pakistan flog und sich auch kurz in Afghanistan aufhielt, um sich eine afghanische Heiratsurkunde ausstellen zu lassen, beruht auf den folgenden Erwägungen:

Der BF beantragte in Österreich ein dreißigtägiges Visum für Pakistan, welches er in XXXX , Pakistan, noch einmal verlängerte. Dies ist aus den Kopien des Konventionsreisepasses des BF, welche im Akt einliegen, ersichtlich und entspricht auch den Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vom 24.10.2017. Der BF bestreitet jedoch – sowohl in der Einvernahme vor dem BFA als auch in der Beschwerde – im Zuge seines Aufenthalts in Pakistan auch in Afghanistan gewesen zu sein.

Die belangte Behörde leitete das Aberkennungsverfahren gegen den BF ein, da seine Ehefrau vor der österreichischen Botschaft in Islamabad im Zuge ihres Einreiseantrags nach § 35 AsylG angab, die Ehe zwischen dem BF und ihr sei vor drei Monaten registriert worden, als der BF aus Österreich gekommen sei. Weder in der niederschriftlichen Einvernahme noch in der Beschwerde konnte der BF Umstände nahelegen, die erklären, wieso seine Frau vor der Botschaft behaupten sollte, dass er sich in Afghanistan aufgehalten habe, wenn dies nicht zutreffe.

Auf Vorhalt der belangten Behörde in der Einvernahme vom 24.10.2017, dass sich der Fingerabdruck des BF auf der vom Supreme Court in Nangarhar ausgestellten Heiratsurkunde und dies dafür spreche, der BF sei in Afghanistan gewesen, erklärte der BF, dass er seinen Fingerabdruck erst im Nachhinein in Pakistan auf das Papier gegeben habe. Seiner Ehefrau sei die Urkunde ausgestellt und gesagt worden, der BF solle in Pakistan (mittels Fingerabdruck) unterschreiben. Auch wenn diese Darstellung nicht gänzlich außerhalb der Lebenserfahrung liegt und es durchaus vorstellbar ist, dass die Heiratsurkunde in Abwesenheit des BF in Afghanistan ausgestellt wurde, sprechen weitere Umstände des Falles dafür, dass sich der BF in Afghanistan aufhielt.

Wie die belangte Behörde korrekt anführte, wurde die Heiratsurkunde genau in der Zeit ausgestellt, als der BF ein Visum für Pakistan hatte. Es erscheint merkwürdig, dass die Ehefrau des BF, die in Nangarhar wohnt, just dann die Heiratsurkunde beantragt, wenn der BF in Pakistan ist. Zumal der BF angesprochen auf diesen Aspekt angab, dass seine Frau während seines Aufenthaltes in Pakistan zweimal zurück nach Afghanistan gefahren sei und sein Bruder sie unterstützt habe, um die Heiratsurkunde zu bekommen. Wenn die Ausstellung der Urkunde in Abwesenheit des BF möglich ist, hätte sie dies schon lange davor machen können und nicht genau zu der Zeit, wenn der BF auf Besuch in Pakistan ist, um seine Familie nach langer Zeit wiederzusehen. Der BF konnte keine weitere Erklärung liefern, wieso seine Frau nicht früher das Dokument beantragte und blieb vollkommen unkonkret in seinen Angaben. Auf Frage des BFA, wieso seine Frau die Heiratsurkunde erst beantragte, als der BF schon in Pakistan gewesen sein soll, sagte der BF bloß: „Meine Frau hat die Dokumente organisiert, nicht ich.“

Aufgrund dieser Erwägungen steht für das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der BF sich in Afghanistan aufhielt, um die Heiratsurkunde mit seiner Ehefrau zu beantragen, und dass seine Angaben als nicht richtig zu werten sind. Der BF konnte keine nachvollziehbaren Erklärungen liefern, wieso seine Frau vor der österreichischen Botschaft falscherweise behauptet haben soll, dass er in Afghanistan gewesen sei, und wieso seine Frau zur Zeit seines Besuches Pakistan zweimal wieder verlassen habe, um die Heiratsurkunde in Abwesenheit des BF ausstellen zu lassen. Zumal ist den Angaben seiner Frau vor der österreichischen Botschaft in Islamabad mehr Glauben zu schenken, da der BF dazu neigt, Schutzbehauptungen in den Raum zu stellen.

Unter anderem sagte der BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 24.10.2017, er könne gar nicht in Afghanistan gewesen sei, da dies ohne afghanischen Reisepass nicht möglich sei. Dies steht aber – wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid (S. 61) treffend ausführte – mit seinen sonstigen Angaben, dass seine Frau ihn im April 2016 in Pakistan getroffen habe und in dieser Zeit zweimal zwischen Afghanistan und Pakistan gereist sei, nicht in Einklang, da die Ehefrau auch ohne Reisepass nach Pakistan und wieder zurück nach Afghanistan gekommen ist. Ebenso als Schutzbehauptung, die der Glaubwürdigkeit des BF schadet, ist zu werten, dass er erst auf mehrmaliges Nachfragen des BFA zur Ausstellung der Heiratsurkunde angab, dass seine Frau während seines Aufenthaltes in Pakistan zweimal zurück nach Afghanistan gereist sei. Zuvor sagte er bloß, dass seine Frau die Urkunde in Afghanistan besorgt, sie nach Pakistan gebracht und er dort seinen Fingerabdruck darauf hinterlassen habe; er erwähnte erst auf spezifische Nachfrage, wieso seine Frau die Dokumente genau zu dem Zeitpunkt, als er in Pakistan auf Besuch gewesen sei, besorgt habe, dass sie von Pakistan nach Afghanistan gereist sei, um die Dokumente zu holen.

Auch das von der rechtsfreundlichen Vertretung des BF vorgelegte Schreiben, in dem Personen bestätigen, dass der BF seinen Fingerabdruck in Pakistan auf die Heiratsurkunde gegeben habe, ändert nichts an der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes. Es wird darin nämlich nur von vier Zeugen angegeben, dass sie bei der Abgabe des Fingerabdrucks in Pakistan dabei gewesen seien. Es handelt sich nicht um ein Dokument von dem die Heiratsurkunde ausstellenden Gericht; es wird somit nicht vom Gericht bestätigt, dass es die Urkunde in Abwesenheit des BF ausgegeben und der Ehefrau den Auftrag gegeben hat, der BF solle in Pakistan unterschreiben. Allein dies wäre jedoch für das Bundesverwaltungsgericht relevant. Insbesondere kann den Angaben der „Zeugen“ kein Glauben geschenkt werden, da der BF im Rahmen der Einvernahme überhaupt keine Angaben zu anwesenden Zeugen in Pakistan gemacht hat und in allen seinen Angaben sehr unkonkret blieb, obwohl er vom BFA über die Folgen eines möglichen Aufenthalts in Afghanistan (Aberkennung des Schutzstatus) aufgeklärt wurde. Es ist somit nicht nachvollziehbar, dass der BF nicht jegliche Informationen zu den Geschehnissen in Pakistan preisgegeben hätte.

In Gesamtbetrachtung ist der Ansicht der belangten Behörde, dass den Angaben der Ehefrau des BF mehr Glauben zu schenken ist und sich der BF für die Ausstellung der Heiratsurkunde in Afghanistan aufgehalten hat, zu folgen. Der BF konnte nicht glaubhaft darlegen, dass er sich tatsächlich nur in Pakistan aufgehalten hat, und machte Angaben, die an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln lassen.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einem aktuellen Auszug des Strafregisters. Die Feststellungen, dass der BF erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig ist, gründen auf seinen Angaben und den von ihm dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Lohnzetteln, aufgrund des Gehaltes ergibt sich die Selbsterhaltungsfähigkeit des BF.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 7 Abs. 1 AsylG ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) lautet:

"C. Dieses Abkommen wird auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie

1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder

2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder

3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz ihres neuen Heimatlandes genießt; oder

4. sich freiwillig in dem Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder

5. wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

Die Bestimmungen der Ziffer 5 sind nicht auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Flüchtlinge anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr Heimatland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen;

6. staatenlos ist und die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.

Die Bestimmungen der Ziffer 6 sind jedoch auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Personen nicht anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr früheres Aufenthaltsland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen."

Artikel 11 der Statusrichtlinie (2011/95/EU) hat die Regelung des Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK wortgleich übernommen.

3.1. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde die Aberkennung des Status des Asylberechtigten damit begründet, dass der BF in seinen Herkunftsstaat Afghanistan gereist sei, eine Heiratsurkunde von den afghanischen Behörden beantragt habe und sich somit freiwillig wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt habe. Deshalb sei der Aberkennungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK verwirklicht worden und dem BF der Status des Asylberechtigten abzuerkennen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits in zahlreichen Entscheidungen mit Fragen des Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK auseinandergesetzt, wobei es fast immer um die Ausstellung oder Verlängerung von Reisepässen durch den Heimatstaat ging. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt dazu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses "in der Regel - sofern nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird - als eine der Formen angesehen werden muss, mit denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewährt" (VwGH 25.11.1994, 94/19/0032; 29.10.1998, 96/20/0820). Für einen "entgegenstehenden Sachverhalt" kamen im Wesentlichen nur Behauptungen in Frage, die die Freiwilligkeit der Beantragung der Ausstellung oder Verlängerung des Reisepasses in Frage stellten (siehe dazu ausführlich VwGH 15.05.2003, 2001/01/0499).

Im selben Erkenntnis (15.5.2003, 2001/01/0499) vertrat der Verwaltungsgerichtshof zum Asylgesetz 1997 die Ansicht, dass die erfolgreiche Beantragung der Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses des Heimatstaates auch dann zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft führen kann, wenn im Heimatstaat selbst weiterhin die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung besteht und eine Rückkehr dorthin nicht beabsichtigt ist. In Abkehr zur Judikatur zu den Vorgängerbestimmungen des § 7 Asylgesetz 1997 hielt er aber fest, dass neben den Voraussetzungen des tatsächlichen Erhaltes des Schutzes und der Freiwilligkeit auch - unter dem Gesichtspunkt des Wunsches einer Normalisierung der Beziehungen zum Herkunftsstaat - das Erfordernis eines auf die Unterschutzstellung als solche abzielenden Willens maßgeblich ist. Dem Betroffenen sei die Gelegenheit zu geben, die neuerliche Erfüllung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft darzutun, wenn die Unterschutzstellungsabsicht im Entscheidungszeitpunkt wieder aufgegeben wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hält vor dem Hintergrund der insoweit unverändert gebliebenen GFK, deren Art. 1 Abschnitt C Z 1 wortgleich in die Statusrichtlinie aufgenommen wurde, auch für das AsylG 2005 an den eben wiedergegebenen Aussagen dieses Erkenntnisses fest, so dass für die Annahme einer Unterschutzstellung die Freiwilligkeit, der tatsächliche Schutzerhalt und die Unterschutzstellungsabsicht vorliegen müssen (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0046).

Im gegenständlich angefochtenen Bescheid, mit welchem dem BF der Status des Asylberechtigten aberkannt wurde, führt die belangte Behörde unter Anführung von diversen Judikaten des Verwaltungsgerichtshofes zur Beantragung bzw. Verlängerung von Reisepässen in Herkunftsstaaten von in Österreich Asylberechtigten aus, dass sich der BF durch die Beantragung der Heiratsurkunde (bzw. deren Ausstellung) in Afghanistan wieder unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt habe. Das BFA setzt folglich die Beantragung einer Heiratsurkunde jener eines Reisepasses gleich.

Diese Rechtsansicht ist jedoch nicht zutreffend:

Wie in der Beschwerde richtigerweise ausgeführt wird, sind mit der Ausstellung eines Reisepasses Pflichten des Staates gegenüber dem Inhaber des Reisepasses verbunden. Der Staat, der einen Reisepass ausstellt, gewährt demjenigen Staatsbürger diplomatischen und konsularischen Schutz gegenüber Staaten, für die der Reisepass gilt. Im Umkehrschluss legt die Beantragung eines Reisepasses daher nahe, dass der Antragssteller den Schutz des Staates – zumindest in diplomatischer und konsularischer Hinsicht – in Anspruch nehmen möchte.

Demgegenüber kann aus der Beantragung der Ausstellung einer Heiratsurkunde jedoch nicht abgeleitet werden, dass der Staat dem Antragssteller einer solchen Schutz gewährt. Die Eingehung einer Ehe – und folglich auch die Ausstellung einer Heiratsurkunde – steht nicht bloß Staatsbürgern des jeweiligen Staates offen. Auch legte der BF durch die Beantragung der Heiratsurkunde keineswegs den Willen an den Tag, die Beziehungen zu Afghanistan wieder zu normalisieren. Wie für das Bundesverwaltungsgericht feststeht, kam der BF nur für kurze Zeit nach Afghanistan, um explizit die Heiratsurkunde zu beantragen, damit in weiterer Folge seine Frau und Kinder im Verfahren nach § 35 AsylG nach Österreich kommen können. Zudem ist der wesentliche Unterschied zwischen der Beantragung einer Heiratsurkunde und eines Reisepasses, dass eine Heiratsurkunde lediglich die bestehende Ehe zwischen zwei Personen bestätigt, es entstehen daraus keine Schutzpflichten des Ausstellungsstaates einer Heiratsurkunde, insbesondere keine Verpflichtungen gegenüber den vom Inhaber dieses Dokuments bereisten Staaten.

Die Ausstellung einer Heiratsurkunde kann folglich entgegen der Ansicht des BFA nicht mit jener eines Reisepasses gleichgesetzt werden und bewirkt auch keine Unterschutzstellung des BF im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK. Zu verweisen ist diesbezüglich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.03.1997, 95/01/0151, in dem der Verwaltungsgerichtshof unter Heranziehung der hier miteinbezogenen Kriterien zum Schluss kam, dass die Ausstellung eines Führerschein des Herkunftsstaates keine Unterschutzstellung des Antragstellers darstellt.

Auch unter Berücksichtigung des UNHCR-Handbuchs (Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 2011) kann auf kein anderes Ergebnis geschlossen werden. Nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union sind die sich aus der GFK ergebenden Anforderungen bei der Auslegung der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigen. In diesem Rahmen sind die vom UNHCR herausgegebenen Dokumente angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH 23.5.2019, C-720/17, Rn 57).

Das UNHCR-Handbuch erläutert in Absatz 121, dass eine (erfolgreiche) Reisepassbeantragung darauf schließen lasse, dass der Flüchtling die Absicht habe, erneut den Schutz des Landes seiner Staatsangehörigkeit in Anspruch zu nehmen, es sei denn, er könne Beweise vorbringen, die diese Annahme widerlegen. Andererseits könne die Beschaffung von Dokumenten von den Behörden seines Heimatlandes, - z.B. die Beschaffung von Geburts- oder Heiratsurkunden und die Inanspruchnahme ähnlicher Dienste - allein nicht als erneute Inanspruchnahme des Schutzes angesehen werden. Es wird folglich auch im UNHCR-Handbuch klar zwischen der Beantragung bzw. Ausstellung eines Reisepasses und anderen Dokumente von Behörden des Herkunftsstaates unterschieden. Wie bereits ausgeführt, stellt die im gegenständlichen Fall erfolgte Ausstellung einer Heiratsurkunde keine Unterschutzstellung dar. Es mangelt beim BF insbesondere auch am Willen, die Beziehungen zu Afghanistan zu normalisieren und sich unter den Schutz des Landes zu stellen.

Aufgrund der dargelegten Erwägungen wurde der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK nicht erfüllt.

Anhaltspunkte für die Verwirklichung von sonstigen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG kamen im gesamten Verfahren nicht hervor.

Der Beschwerde war folglich stattzugeben und dem BF kommt aufgrund der Behebung des Bescheides weiterhin der Status des Asylberechtigten zu.

3.2. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Vor dem Hintergrund, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid bereits aufgrund der Aktenlage aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aberkennungstatbestand Asylaberkennung Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung EuGH Rechtsanschauung des VwGH Rückkehrentscheidung behoben Unterschutzstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W105.1431257.2.00

Im RIS seit

25.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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