Entscheidungsdatum
21.01.2021Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
I405 2162602-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.11.2020, Zl. 821210105-200120246, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird insofern stattgegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf sechs (6) Jahre herabgesetzt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein algerischer Staatsangehöriger, reiste zu einem unbestimmten Zeitpunkt unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein und stellte erstmals am 05.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sein Verfahren wurde in der Folge eingestellt, da sich der BF unbekannten Aufenthaltes begab.
2. Am 16.05.2017 wurde der BF wegen illegalen Aufenthaltes festgenommen und wurde über ihn die Schubhaft verhängt, woraufhin er am selben Tag einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz stellte.
3. Mit Bescheid des BFA vom 24.05.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 16.05.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien abgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung nach Algerien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Des Weiteren wurde gegen den BF ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen und es festgestellt, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt IV. und V.) Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und schließlich festgestellt, dass der BF ab dem 03.04.2013 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verloren habe (Spruchpunkt VI. und VII.).
4. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2017, Zl. I403 2162602-1/12E, als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs am 08.08.2017 in Rechtkraft.
5. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 30.01.2020, Zl. XXXX , wurde über den BF wegen den §§ 27 Abs. 2a und 27 Abs. 3 SMG die Untersuchungshaft verhängt und mit Urteil vom 16.03.2020, Zl. XXXX , wurde er wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, § 27 Abs. 1 Ziffer 1 achter Fall SMG und § 27 Abs. 1 Ziffer 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 (fünfzehn) Monaten, rechtskräftig am 16.03.2020, verurteilt.
6. Der BF wurde am 26.02.2020 und 16.11.2020 durch das BFA zwecks Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilung niederschriftlich einvernommen.
7. Am 01.09.2020 ehelichte der BF eine ungarische Staatsangehörige, welche in Österreich die Freizügigkeit in Anspruch nimmt.
8. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 25.11.2020, Zl. 731809500/190578276, wurde gegen den BF ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm ein Durchsetzungsaufschub nicht gewährt (Spruchpunkt II.) sowie einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
9. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 23.12.2020, worin Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht wurden.
10. Mit Schriftsatz vom 14.01.2021, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 15.01.2021, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Algerien. Seine Identität steht fest.
Der BF reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 05.09.2012 und am 16.05.2017 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Sein letzter Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 24.05.2017 negativ entschieden. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abgewiesen und erwuchs diese Entscheidung am 08.08.2017 in Rechtskraft.
Am XXXX .2020 ehelichte der BF eine ungarische Staatsangehörige in Wien, weshalb ihm die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG zukommt. Der BF weist mit seiner Gattin seit dem XXXX 2019 eine gemeinsame Meldeadresse auf.
Der BF ist gesund und arbeitsfähige. Er geht in Österreich keiner sozialversicherungspflichten Beschäftigung nach. Vor seiner Verhaftung ging er einer unerlaubten geringfügigen Verkaufstätigkeit auf einem Markt nach und handelte zudem bis zu seiner Festnahme im Jänner 2020 mit Drogen. Der BF verfügt über rudimentäre Sprachkenntnisse und freundschaftliche Kontakte. Darüber hinaus konnten keine Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in Österreich in sozialer, sprachlicher und kultureller Hinsicht festgestellt werden.
Der BF ist in Österreich vorbestraft.
Der BF wurde erstmals mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 03.04.2013, Zl. XXXX , wegen §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG, §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG § 15 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.
Des Weiteren wurde er mit weiterem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 20.03.2015, Zl. XXXX , wegen § 12 3. Fall StGB §§ 127, 129 Z 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monate, davon sechs Monate auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt, rechtskräftig verurteilt.
Zuletzt wurde er mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 16.03.2020, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, § 27 Abs. 1 Ziffer 1 achter Fall SMG und § 27 Abs. 1 Ziffer 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 (fünfzehn) Monaten, rechtskräftig am 16.03.2020, verurteilt. Er wurde aus der Freiheitsstrafe am 29.11.2020 bedingt entlassen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz und in die eingeholten strafgerichtlichen Urteile. Zusätzlich wurden noch Auskünfte aus dem Strafregister der Republik Österreich, dem Zentralen Melderegister, dem Grundversorgungssystem, dem Zentralen Fremdenregister sowie vom Sozialversicherungsträger eingeholt.
Der BF bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.
Die belangte Behörde hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid. Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen.
2.2. Zur Person des BF:
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Staatsangehörigkeit, seinem Gesundheitszustand und seiner Arbeitsfähigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des BF vor der belangten Behörde. Die belangte Behörde hat diese Feststellungen korrekt und nachvollziehbar gewürdigt. Aus dem Beschwerdevorbringen sind keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des BF aufgekommen.
Die Identität des BF steht aufgrund einer Personsfeststellung durch das BK vom 10.11.2013 fest.
Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich lassen sich dem vorliegenden Verwaltungsakt und der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister entnehmen. Darüber hinaus ergeben sich die Feststellungen bezüglich der Anträge des BF auf Asyl und Erteilung eines Aufenthaltstitels sowohl aus den Angaben des BF vor dem BFA in Zusammenschau mit einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister.
Die Feststellung zum Familienleben des BF bzw. seiner Ehe mit einer ungarischen Staatsangehörigen ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des BF vor der belangten Behörde und der im Akt aufliegenden Heiratsurkunde.
Die Feststellung zu seiner unerlaubten Verkaufstätigkeit auf einem Markt ergibt sich aus den Angaben des BF. Die Feststellung über seine rudimentären Sprachkenntnisse und seine freundschaftlichen Kontakte ergeben sich aus seinen Angaben vor der belangten Behörde. Der BF legte jedoch keinerlei Nachweise über Deutschkurse oder -prüfungen vor und behauptete solche Umstände auch nicht. Aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass der BF im Bundesgebiet berücksichtigungswürdige sprachliche, soziale und kulturelle Anbindungen erfahren hat und wurde dies in der Beschwerde auch nicht substantiiert behauptet. Etwaige Bescheinigungsmittel wurden darüber hinaus nicht vorgelegt.
Die rechtskräftigen Verurteilungen des BF sowie seine Entlassung aus der Haft gründen sich einerseits auf die Einsichtnahme in das Strafregister der BF sowie auf das eingeholte Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.03.2020, Zl. 082 E Hv 24/20d.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Zur Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Vorauszuschicken ist, dass dem BF durch seine Eheschließung mit einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, die Stellung als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zukommt. Gegenständlich ist daher der persönliche Anwendungsbereich von § 67 FPG eröffnet.
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).
Im gegenständlichen Fall hält sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet auf noch hat er das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das einen zumindest fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 53a NAG). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.
Bei der vom BF zu erstellenden Gefährdungsprognose steht seine strafgerichtliche Verurteilung, aber auch sein übriges, im Bundesgebiet gesetztes, Verhalten im Mittelpunkt. Der BF wurde zuletzt wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall SMG, der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, § 27 Abs. 1 Ziffer 1 achter Fall SMG und § 27 Abs. 1 Ziffer 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 (fünfzehn) Monaten, rechtskräftig seit 16.03.2020, verurteilt. So hat er in Wien vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar Marihuana und Haschisch, jeweils beinhaltend den Wirkstoff Delta 9 THC in einer Reinsubstanz von zumindest 0,4% und den Wirkstoff THC in einer Reinsubstanz von zumindest 4,6%, anderen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, und zwar etwa 200 Personen über einen längeren Zeitraum von Juli 2017 bis Jänner 2020. Als erschwerend wertete das Gericht die einschlägigen Vorstrafen. Zuvor wurde er mit Urteil vom 20.03.2015, Zl. XXXX , zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon ein Monat unbedingt, verurteilt, nachdem er für einen anderen „Aufpasserdienste“ geleistet hatte, während dieser in ein Auto eingebrochen war. Das strafrechtliche Verhalten des BF setzte jedoch bereits im Jahr 2013 an. Er wurde erstmals mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 03.04.2013, Zl. XXXX , für schuldig befunden, vorschriftswidrig Suchtgift gewerbsmäßig anderen durch Verkauf überlassen zu haben (bzw. dies versucht zu haben) und Suchtgift zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen zu haben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist (VwGH 20.08.2013, 2013/22/0082). Auch ist das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität (vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung strafbarer Handlungen und des Schutzes der Gesundheit anderer) - selbst wenn nur eine diesbezügliche Verurteilung vorliegt - besonders hoch zu bewerten (vgl dazu VwGH 24.04.2007, 2006/21/0113).
Das beschriebene gravierende Fehlverhalten des BF, nämlich das kontinuierliche strafrechtliche Verhalten insbesondere aufgrund des Suchtgifthandels über mehrere Jahre hinaus, lässt darauf schließen, dass der BF mit erheblicher krimineller Energie ausgestattet ist, weshalb im Ergebnis auch davon auszugehen war, dass der BF – wenngleich er seit 29.11.2020 bedingt aus der Haft entlassen wurde – eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt und eine relevante Minderung oder gar ein Wegfall der vom BF ausgehenden Gefährdung erst nach einem längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit angenommen werden kann (vgl VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0262).
Im Hinblick auf die verkaufte Suchtgiftmenge, die Art des Suchtgiftes sowie auch die hinzutretende Eigentumskriminalität bei eigener Suchtmittelabhängigkeit, dem langen Tatzeitraum sowie auch dem übrigen Verhalten des BF im Bundesgebiet (Nachgehen einer unerlaubten Tätigkeit, Missachtung seiner Ausreiseverpflichtung, mangelnde Mitwirkung in seinem Asylverfahren) kann zum Entscheidungszeitpunkt trotz der bereits erfolgten bedingten Entlassung aus der Haft am 20.11.2020 noch nicht von einem Wegfall oder einer erheblichen Minderung der Gefährdung ausgegangen werden, weshalb auch die Gegenwärtigkeit der Gefährdung der öffentlichen Interessen an einer Verhinderung von Suchtmitteldelikten gegeben ist.
Insoweit in der Beschwerde ausgeführt wird, dass vom BF keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehe, er nicht mehr mit Drogen gehandelt habe, nachdem er 2018 mit seiner nunmehrigen Gattin einen gemeinsamen Haushalt gegründet habe, widerspricht dies den Feststellungen des Urteils des Landesgerichts XXXX vom 16.03.2020, demzufolge er zuletzt am 13.01.2020 anderen Suchtgift durch gewinnbringenden Verkauf überlassen hat.
Auch die im Lichte des § 9 BFA-VG gebotene Abwägung der privaten und familiären Interessen des BF mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen konnte eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht rechtfertigen.
Es besteht unbestritten ein Familienleben des BF mit seiner Gattin und ist das Interesse des BF am Weiterbestehen zu berücksichtigen. Dazu muss aber festgehalten werden, dass der BF vor der belangen Behörde selbst ausführte, dass er sein Familienleben in Ungarn fortsetzen könne. Die Gattin des BF befindet sich zwar seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet, jedoch verfügt sie ebenfalls über Familienangehörige in Ungarn und wird es ihr und dem BF möglich sein, dass sie sich durch Annahme einer Erwerbstätigkeit in Ungarn ihre Existenz sichern können. In der Beschwerde wurden auch keine Gründe vorgebracht, die gegen das Fortsetzten des Familienlebens in Ungarn sprechen. Selbst wenn die Gattin des BF in Österreich verbleiben sollte, ist es dem BF auch zumutbar, während der Dauer des Aufenthaltsverbots die Kontakte zu seiner Ehefrau durch Besuche in Ungarn, Telefonate und andere Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail) zu pflegen.
Hinsichtlich des Privatlebens des BF ist zu konstatieren, dass er während seiner Aufenthalte im Bundesgebiet keine signifikanten Sozialkontakte geknüpft hat, zumal weder Wohnsitzmeldung noch Anmeldebescheinigung vorliegen und er nur tageweise Gelegenheitsarbeiten verrichtete. Zudem kann hinsichtlich seiner Aufenthaltsdauer in Österreich nicht festgestellt werden, wie lange er sich wirklich im Bundesgebiet aufgehalten hat, zumal er in Österreich bis Dezember 2019 nicht gemeldet war. Dass der BF sprachlich oder beruflich in Österreich verankert wäre, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Er hat lediglich Gelegenheitsarbeiten als Gemüseverkäufer auf dem Markt verrichtet, wobei diese Tätigkeit auch nicht erlaubt war. Hinsichtlich seiner Sprachkenntnisse ist anzumerken, dass er zwar über rudimentäre Kenntnisse verfügt, jedoch hat er weder einen Sprachkurs besucht noch eine qualifizierte Sprachprüfung abgelegt. Hinsichtlich seiner freundschaftlichen Kontakte ist zu konstatieren, dass diese auch aus Ungarn aufrechterhalten werden können, etwa durch Besuche in Ungarn oder verschiedenen Kommunikationsmittel.
Es bedarf im Hinblick auf die Art und Weise der vom BF verübten Straftaten eines ausreichenden Zeitraumes der Beobachtung des Wohlverhaltens des BF um sicherzustellen, dass er nicht neuerlich das von ihm gezeigte Verhalten im Bundesgebiet setzen wird und damit weiters gewährleistet ist, dass er keine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich mehr hervorrufen wird. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren erscheint in Anbetracht der bisherigen Dauer des Aufenthalts des BF in Österreich, den sich daraus ergebenden Beziehungen zum Bundesgebiet und den noch vorhandenen Bindungen zum Herkunftsstaat und der bereits erfolgten bedingten Haftentlassung im Ergebnis als unverhältnismäßig. Es konnte mit einer Befristung von sechs Jahren das Auslangen gefunden werden.
Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das BVwG einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, wobei in der Beschwerde die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen sind.
Aufgrund der wiederholten Straffälligkeit des BF und seiner fehlenden Verankerung im Inland ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich war. Daher ist weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG zu beanstanden. Die Beschwerde ist somit auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet.
4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist (VwGH 16.12.2019, Ra 2018/03/0066; 17.10.2019, Ra 2016/08/0010; ua.). Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs. 7 BFA-VG erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn – wie im vorliegenden Fall – deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs. 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).
Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist – aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Bundesverwaltungsgericht knappe zwei Monate liegen – die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Das Beschwerdevorbringen erwies sich, wie unter der „Beweiswürdigung“ ausgeführt, als unsubstantiiert. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und es waren auch keine Beweise aufzunehmen. Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Angemessenheit Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung - Entfall Diebstahl Durchsetzungsaufschub EU-Bürger EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Haft Haftstrafe Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Unionsbürger Verbrechen Verhältnismäßigkeit Wiederholungsgefahr WiederholungstatenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I405.2162602.2.00Im RIS seit
24.06.2021Zuletzt aktualisiert am
24.06.2021