TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/25 W108 2234048-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.01.2021
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Entscheidungsdatum

25.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
StGB §87 Abs1
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W108 2234048-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX ), geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2020, Zl. 1087965204/200194775, wegen Aberkennung des Status des Asylberechtigten zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang/Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 17.09.2015 im Alter von 19 Jahren einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz (AsylG).

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (belangten Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) vom 26.02.2016, Zl. 1087965204-151382192, wurde diesem Antrag stattgegeben, dem Beschwerdeführer gemäß § 3 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3. Aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers am 12.05.2020 zur Zahl XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten leitete die Behörde ein Aberkennungsverfahren ein.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Absatz 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt V.), ausgesprochen, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ) gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend stützte die Behörde ihre die Flüchtlingseigenschaft aberkennende Entscheidung auf den Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG. Dazu führte sie die Verurteilung des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 12.05.2020 ins Treffen und führte dazu aus, dass der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens im Sinne des § 17 StGB rechtskräftig verurteilt worden sei, weshalb er aus stichhaltigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellen würde. Bei Straftaten, die mit lebenslanger bzw. mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht seien, handle es sich um Schwerkriminalität. Daher sei prima facie bei derartigen Verbrechen von einem besonders schweren Verbrechen iSd § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG auszugehen. Der Beschwerdeführer habe mit einem Messer eine andere Person im Gesicht, am Hals und weiteren Körperteilen verletzt. Er habe somit in Kauf genommen, eine andere Person bewusst am Körper schwer zu verletzen und habe dahingehend einen massiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – eines der höchsten Güter, die die österreichische Rechtsordnung kenne – getätigt. Das erkennende Gericht habe es als erwiesen angesehen, dass es dem Beschwerdeführer geradezu darauf angekommen sei, der anderen Person eine schwere Körperverletzung zuzufügen. In diesem Zusammenhang werde nicht verkannt, dass es bei einem Messerangriff im Hals- und Gesichtsbereich auch zu einem Tötungsdelikt kommen könne und sei davon auszugehen, dass er durch sein Verhalten eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Im Fall des Beschwerdeführers könne daher keine positive Zukunftsprognose erstellt werden.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, in welcher ausgeführt wird, die belangte Behörde hätte das Aberkennungsverfahren einstellen müssen. Gemäß § 60 AVG seien in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dieser Anforderung sei die belangte Behörde nicht nachgekommen, weil die Beweiswürdigung auf einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung beruhe und somit § 60 AVG verletze. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde ohne weitere Ermittlungen zur Straftat zum Ergebnis kommen könne, dass ein besonders schweres Verbrechen iSd VwGH Judikatur vorliege, zumal der VwGH in seiner Judikatur betont habe, dass bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ nach § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 (und § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG) vorliege, eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen sei und insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen seien (z.B. VwGH 23.09.2009, Zl. 2006/01/0626 mwN). Im angefochtenen Bescheid finde sich weder eine Begründung, wie die belangte Behörde zu dem Schluss komme, dass ein objektiv und subjektiv besonders schweres Verbrechen vorliege, welches die Asylaberkennung rechtfertigen würde, noch führe die belangte Behörde aus, inwiefern der Beschwerdeführer eine Gemeingefahr darstelle. Vielmehr werde lediglich aus dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen zitiert und daraus resümiert, dass der Beschwerdeführer gemeingefährlich wäre.

6. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. Das Bundesverwaltungsgericht erhob Beweis durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakten und in die beigeschafften bezughabenden Strafakten des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX .

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Ausführungen oben unter Punkt I. zum Verfahrensgang (Verwaltungsgeschehen)/Sachverhalt werden festgestellt.

Damit steht insbesondere fest, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet straffällig geworden ist.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 12.05.2020, XXXX , rechtskräftig am 16.05.2020, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer wurde schuldig erkannt, am 22.01.2020 eine andere Person absichtlich am Körper schwer zu verletzen versucht zu haben, indem er diese im Zuge eines Streites mit einem Messer mit einer Klingenlänge von 15 cm attackiert habe, wodurch er dieser Person eine Stichverletzung im Hüftbereich, mehrere Schnittwunden im Gesicht und Halsbereich sowie eine Schnittverletzung an der linken Hand zugefügt habe.

Mildernd wurden vom Gericht das umfassende reumütige Geständnis, der bisher ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, gewertet. Erschwerende Gründe lagen nicht vor.

Der Beschwerdeführer wurde überdies gemäß § 369 Abs. 1 StPO schuldig erkannt, der geschädigten Person den Betrag von EUR 3.410,00 zu zahlen; dieser Betrag wurde vom Beschwerdeführer anerkannt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Akten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens, insbesondere aus dem Bescheid und der Beschwerde, und aus dem beigeschafften Akten des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zur Zahl XXXX . Die Feststellungen zur Tat und zur strafgerichtlichen Verurteilung folgen aus den genannten Akten des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX , insbesondere aus dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 12.05.2020, XXXX , sowie aus einer Abfrage im Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-VG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Die Beschwerde wurde fristwahrend erhoben und es liegen auch die anderen Prozessvoraussetzungen vor.

3.3. In der Sache:

3.3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid der Status eines Asylberechtigten abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG vorliegt.

Gemäß dem von der belangten Behörde herangezogenen § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht an. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei auf Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (vgl. etwa VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0418, mwN; auch VwGH 06.10.1999, 99/01/0288). Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ qualifiziert werden können (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109).

§ 87 Abs. 1 StGB („absichtliche schwere Körperverletzung“) lautet: „Wer einem anderen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) absichtlich zufügt, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“

3.3.2. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:

Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid die Ansicht, aus der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 12.05.2020 wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB würden sich ein „besonders schweres Verbrechen“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG und die Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers ergeben.

Zwar ist der belangten Behörde darin zu folgen, dass das vom Beschwerdeführer begangene Delikt der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB – ungeachtet des Umstandes, dass es in der obigen Aufzählung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die typischerweise „besonders schweren Verbrechen“ nicht erwähnt wird – ein „besonders schweres Verbrechen“ darstellen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass es sich dabei um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK handelt (vgl. VwGH Ra 2017/19/0109, mit Verweis auf VwGH 3.12.2002, 99/01/0449).

Das vom Beschwerdeführer verübte Verbrechen, weswegen er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 12.05.2020 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt wurde, stellt jedoch in seiner konkreten einzelfallbezogenen Ausprägung keine außerordentlich schwere Straftat, kein „besonders schweres Verbrechen“ im oben angeführten Sinn, das die Aberkennung rechtfertigen würde, dar.

Die belangte Behörde führte dazu aus, der Beschwerdeführer sei wegen eines Verbrechens im Sinne des § 17 StGB rechtskräftig verurteilt worden, weshalb er aus stichhaltigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellen würde. Der Beschwerdeführer habe mit einem Messer eine andere Person im Gesicht, am Hals und weiteren Körperteilen verletzt. Er habe somit in Kauf genommen, eine andere Person bewusst am Körper schwer zu verletzen, und habe dahingehend einen massiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – eines der höchsten Güter, die die österreichische Rechtsordnung kenne – getätigt. Das Strafgericht habe es als erwiesen angesehen, dass es dem Beschwerdeführer geradezu darauf angekommen sei, der anderen Person eine schwere Körperverletzung zuzufügen. Bei einem Messerangriff im Hals- und Gesichtsbereich könne es auch zu einem Tötungsdelikt kommen und es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer durch sein Verhalten eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Im Fall des Beschwerdeführers könne daher keine positive Zukunftsprognose erstellt werden. Besonders die Schnittwunden im Gesicht und im Halsbereich würden eindeutig die Gefährlichkeit seiner Person bestätigen.

Diese Umstände (der Tat) legen dar, dass der Beschwerdeführer zweifellos eine schwere Straftat verübt hat, zeigen jedoch nicht die außerordentliche Schwere der Tat und keinen besonders qualifizierten Verstoß gegen die Rechtsordnung auf. Daraus ergeben sich weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht besonders verwerfliche Aspekte der Tat und auch keine Hinweise auf besonders schwerwiegende gravierende Verfehlungen, auf eine besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers und auf eine konkrete Wiederholungsgefahr. Auch bei Einsichtnahme in die Strafakten sind ein Tathergang und ein Verhalten des Beschwerdeführers, die eine besondere Verwerflichkeit der Tat und eine besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers ersichtlich machen würden, nicht hervorgekommen. Vielmehr ergibt sich aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft XXXX vom 29.01.2020, dass zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr für die geschädigte Person, mit dem der Beschwerdeführer zur Tatzeit gemeinsam eine Kleinstwohnung in einem Jugendwohnheim in XXXX lebte, bestand, und der Beschwerdeführer in dieser Wohnung, wo die Tat verübt wurde, bis zum Eintreffen der Polizei verblieb. Zudem hat der Beschwerdeführer den gemäß § 369 Abs. 1 StPO als Schadloshaltung oder Genugtuung an das Opfer zu zahlenden Betrag anerkannt und liegen laut dem genannten Strafurteil keine erschwerenden Gründe vor.

Die belangte Behörde hat auch übersehen, dass eine konkrete einzelfallbezogene Prüfung des Vorliegens eines „besonderes schweres Verbrechen“ nicht nur die Tathandlung bzw. Tatumstände zu berücksichtigen hat, sondern auch die Strafbemessungsgründe (Milderungs- und Erschwerungsgründe). Die belangte Behörde ließ diese allerdings nicht erkennbar in die Beurteilung einfließen und begründete nicht, warum angesichts der konkreten Verurteilung und der konkret verhängten Strafe ein „besonders schweres Verbrechen“ im oben genannten Sinne vorliegen sollte. In dieser Hinsicht ist festzuhalten, dass das Strafgericht drei Milderungsgründe berücksichtigte - und zwar das umfassende reumütige Geständnis des Beschwerdeführers, seinen bisher ordentlichen Lebenswandel und den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist -, und kein erschwerender Umstand vorlag. Nach Berücksichtigung der Milderungsgründe verhängte das Strafgericht über den Beschwerdeführer für die im Urteil vom 12.05.2020 genannte Straftat eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten, was bei einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren als relativ gering einzustufen ist. Die nach Auffassung des Strafgerichts schuld- und tatangemessene konkret verhängte Strafe belegt daher, dass die vom Beschwerdeführer begangene Straftat nicht als besonders gravierend anzusehen ist.

Bei einer einzelfallbezogenen Gesamtbeurteilung unter Bedachtnahme auf die Art und die Schwere der Straftat und das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung kann das vom Beschwerdeführer begangene Verbrechen nicht als (objektiv und subjektiv) besonders schwerwiegende, qualifizierte Verfehlung gewertet werden. Es ist auch festzuhalten, dass gegen den Beschwerdeführer lediglich eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung betreffend kein typischerweise als besonders schwer einzustufendes Verbrechen vorliegt.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt somit zur Ansicht, dass der Beschwerdeführer ein Verbrechen begangen hat, dem nach sämtlichen Umständen des Falls keine außerordentliche Schwere anhaftet und das die hohe Schwelle (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0125) eines „besonders schweren Verbrechens“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG nicht erreicht.

Da es bereits an dieser Voraussetzung für die Aberkennung des Asylstatus mangelt, können die Prüfung der Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers und die Vornahme der Güterabwägung unterbleiben. Im Übrigen aber können bei einer Würdigung der konkreten Tatumstände und des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers im Entscheidungszeitpunkt kein eindeutiges negatives Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers, kein besonders hoher Grad einer ablehnenden Einstellung des Beschwerdeführers gegenüber den rechtlich geschützten Werten sowie keine Neigung des Beschwerdeführers, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, erkannt werden.

Es wird allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine allfällige Begehung weiterer Straftaten durch den Beschwerdeführer und seine allfällige weitere Verurteilung durchaus geeignet sein könnten, künftig zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.

3.3.3. Nach den Ausführungen wurde der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG nicht verwirklicht. Dass ein anderer Asylausschlussgrund des § 6 AsylG vorliegen würde, hat die belangte Behörde nicht dargelegt und ist nicht ersichtlich geworden. Es sind auch keine anderen Gründe, die zu einer Aberkennung des Status des Asylberechtigten führen würden, hervorgekommen. Die (in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ausgesprochene) Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG ist somit zu Unrecht erfolgt. Damit können auch die auf der Aberkennung (auf Spruchpunkt I.) rechtlich aufbauenden Absprüche der belangten Behörde (Spruchpunkte II. bis VII.) keinen Bestand mehr haben.

3.4. Ergebnis:

Der Beschwerde ist gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid in allen Spruchpunkten ersatzlos aufzuheben. Dem Beschwerdeführer kommt damit der Status des Asylberechtigten weiterhin zu.

3.5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (§ 21 Abs. 7 BFA-VG; vgl. dazu etwa VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105, 0106, mwN) und bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Aberkennungsverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe besonders schweres Verbrechen Einreiseverbot Einreiseverbot rechtmäßig ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise Frist Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gesamtbetrachtung Gewalttätigkeit Haft Haftstrafe Kassation Körperverletzung objektive Schwere öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat subsidiärer Schutz unzulässige Abschiebung Verbrechen vorsätzliche Begehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W108.2234048.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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