TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/15 I416 2219274-2

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Veröffentlicht am 15.02.2021
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Entscheidungsdatum

15.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2219274-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, vertreten durch den RA Mag. Christian HIRSCH, Hauptplatz 28, 2700 Wiener Neustadt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.12.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 17.07.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen mit der Unterdrückung durch seinen Vater und extreme Islamisten in Marokko begründete.

2.       Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.07.2011, Zl. XXXX , wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Zudem wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

3.       Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2015, GZ: I406 1420393-1/44E, wurde die erhobene Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. abgewiesen, das Verfahren jedoch zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) zurückverwiesen.

4.       Gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erhob der Beschwerdeführer Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.01.2016, Zl. XXXX , wurde die Revision zurückgewiesen.

5.       Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.12.2017, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (Spruchpunkt IV.). Gegen ihn wurde ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

6.       Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.02.2018, GZ: I408 1420393-2/2Z, wurde der erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2018, GZ: I408 1420393-2/38E, wurde die Beschwerde nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen abgewiesen.

7.       Am 13.05.2019 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, dass er vor etwa einem Jahr erfahren habe, dass seine Mutter aufgrund ihrer Konversion zum Christentum von Familienmitgliedern umgebracht worden sei. Sie habe bei einer christlichen Familie gearbeitet und habe der Beschwerdeführer dadurch eine Bibel erhalten. Eines Tages sei er von seinem Bruder geschlagen worden, da er aus der Bibel gelesen habe. Seine Familienmitglieder hätten nun in Erfahrung bringen können, dass der Beschwerdeführer konvertiert sei und sich in Österreich befinde. Da seine Familie islamistisch religiös sei, würde er bei einer Rückkehr nach Marokko von seiner Familie getötet werden.

8.       Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 15.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben.

9.       Am 21.05.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde statt, in welcher er angab, im Erstverfahren nicht alle seine Fluchtgründe vorgebracht zu haben. Sein Vater hätte mit Waffen gehandelt und ihn gezwungen, Waffen zu transportieren. Er sei von seinem Vater bedroht und geschlagen worden. Seine Mutter hätte bei einer christlichen Familie gearbeitet und hätte der Beschwerdeführer von dieser Familie eine Bibel erhalten. Er habe nunmehr in Europa vieles über das Christentum erfahren und sei konvertiert. Er hätte vor einem Monat erfahren, dass seine Mutter, da man bei ihr ein Kreuz gefunden hätte, von der Familie umgebracht worden sei.

10.      Mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 21.05.2019 hob die belangte Behörde den faktischen Abschiebeschutz gemäß §12a Abs. 2 AsylG auf und wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.05.2019, GZ: I414 2219274-1/3E, für rechtmäßig erklärt.

11.      Mit Dokumentenvorlage vom 26.08.2019 brachte der Beschwerdeführer mit E-Mail seiner damaligen Rechtsberatung einen Befundbericht des Krankenhauses XXXX vom 03.07.2019, ein Schreiben des Gefangenenseelsorgers vom 05.07.2019 sowie einen MRT-Bericht des XXXX Diagnosezentrums vom 19.07.2019 ein.

12.      Mit E-Mail seiner damaligen Rechtsberatung vom 02.10.2019 legte der Beschwerdeführer einen Taufschein, ausgestellt von der Pfarre XXXX am 27.09.2019, vor.

13.      Am 27.12.2019 langte bei der belangten Behörde ein Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Duldungskarte nach § 46a Abs. 4 FPG gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG ein, welchen er einerseits mit einer religiösen Verfolgung in Marokko sowie andererseits mit seinem Familienleben in Österreich begründete.

14.      Am 01.10.2020 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde, in welcher der Beschwerdeführer zu Protokoll gab, er habe in der Einvernahme vom 21.05.2019 die Wahrheit gesagt und werde in Marokko aufgrund seiner Konversion zum Christentum mit dem Tod bedroht. Er wolle in Österreich ein normales Leben führen, für seine Kinder in Österreich da sein und seine Verlobte heiraten. Des Weiteren wurden dem Beschwerdeführer zahlreiche Fragen zur behaupteten Konversion sowie seinem Familienleben in Österreich gestellt.

15.      Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 30.12.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.05.2019 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

16.      Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines nunmehrigen Rechtsvertreters vom 18.01.2021 das Rechtsmittel der Beschwerde und monierte unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung.

17.      In weiterer Folge legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht mit 28.01.2021 zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird zum maßgeblichen Sachverhalt erhoben und wird ergänzend festgestellt:

Der Beschwerdeführer, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2011 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte unter Angabe der Aliasidentität XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, erstmalig am 17.07.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, seit 2008 von extremen Islamisten unterdrückt worden zu sein. Er habe in eine Moschee gehen, beten und sich einen Bart wachsen lassen müssen und sei von diesen sehr oft geschlagen worden. Auch sein Vater habe Druck auf ihn ausgeübt und die gleichen Forderungen gestellt. Zudem habe man ihm gesagt, er habe in Europa eine bessere Zukunft und könne dort mehr verdienen.

Sein Asylantrag wurde vom Bundesasylamt am 25.07.2011 negativ entschieden und wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die Abweisung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten am 21.10.2015 als unbegründet ab. Zugleich verwies das erkennende Gericht das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an die belangte Behörde zurück. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Seit Juni 2014 verwendet der Beschwerdeführer die Identität XXXX , geb. XXXX , StA Marokko.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.12.2017 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt. Gegen ihn wurde ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2018 wurde die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Am 13.05.2019 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag und begründete diesen mit einer Verfolgung aufgrund seiner Konversion zum Christentum. Er untermauerte seinen Wechsel der Glaubenszugehörigkeit mit der Vorlage eines am 27.09.2019 ausgestellten Taufscheins. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.12.2020 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Im bereits rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren gab es keine Hinweise für seine tatsächliche Konversion und wurde insbesondere seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft bzw. ein Glaubenswechsel im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2015 nicht behandelt. Die Konversion wurde zudem erst während seines Aufenthaltes in Österreich nach Rechtskraft des Erkenntnisses vom 21.10.2015 vollzogen.

Damit liegt in Bezug auf die mit dem verfahrensgegenständlichen Folgeantrag vom 13.05.2019 behaupteten Fluchtgründe im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes vor.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang sowie die weiteren Feststellungen ergeben sich zu großen Teilen aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Zudem wurde Einsicht genommen in die rechtskräftigen und zudem Amtswissen darstellenden Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2015, GZ: I406 1420393-1/44E, und vom 06.09.2018, GZ: I408 1420393-2/38E.

Seine Staatsangehörigkeit ergibt sich aus den vorliegenden Akteninhalten sowie dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2015, GZ: I406 1420393-1/44E, wonach er seit dem Jahr 2014 gleichbleibend zu Protokoll gab, marokkanischer Staatsangehöriger zu sein.

Sämtliche Feststellungen zum ersten Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich gründen auf dem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2015, GZ: I406 1420393-1/44E.

Die Feststellungen zum nachfolgenden Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ergeben sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2018, GZ: I408 1420393-2/38E.

Die Folgeantragstellung sowie das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren wurden einerseits dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 30.12.2020 sowie andererseits dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.05.2019, GZ: I414 2219274-1/3E, entnommen. Das Protokoll der Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahme vom 01.10.2020 liegt dem erkennenden Gericht vor.

Nach Durchsicht des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2015, GZ: I406 1420393-1/44E, mit welchem die Abweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz rechtskräftig wurde, kam klar hervor, dass eine etwaige Konversion bzw. die Verfolgung aus Gründen der Religion zum damaligen Zeitpunkt nicht behandelt wurde.

Insbesondere führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vom 01.10.2020 an, dass er in Marokko nicht getauft wurde und sein Glaubenswechsel erst nach seiner Ankunft in Österreich vollzogen wurde. Dass der Beschwerdeführer tatsächlich in Österreich getauft wurde, ergibt sich aus dem vorgelegten Taufschein, welcher durch die rk. Pfarre XXXX am 27.09.2019 ausgestellt wurde.

Nachdem der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren erstmals eine drohende religiöse Verfolgung in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner Konversion zum Christentum vorbrachte und der Glaubenswechsel durch die Taufe in Österreich auch offiziell wurde, war aufgrund des Vorbringens entscheidungsrelevanter neuer Fluchtgründe die Feststellung zur wesentlichen Änderung der Sachlage zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des Bescheides

Zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

Zur Rechtslage:

Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Letzteres betrifft die amtswegige oder aufsichtsbehördliche Bescheidänderung oder -aufhebung. Die §§ 69 und 71 AVG normieren die Rechtsinstitute der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die hier nicht zur Anwendung kommen.

Der tragende Grundsatz der Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl VwGH vom 24. Mai 2016, Ra 2016/03/0050, Rz 7). "Sache" einer rechtskräftigen Entscheidung ist dabei stets der im Bescheid enthaltene Ausspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgebenden Sachverhalt zum Ausdruck kommt, und der Rechtslage, auf die sich die Behörde bei ihrem Bescheid gestützt hat (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2018/07/0487).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl. VwGH 23.09.2020, Ra 2020/14/0175).

Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag vorlagen, sind nicht geeignet, einen maßgeblich geänderten Sachverhalt im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG zu begründen (vgl. VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0263; 27.5.2019, Ra 2018/14/0292; 13.5.2019, Ra 2018/18/0506; 29.3.2019, Ra 2018/20/0539).

Ist Sache der Entscheidung der Rechtsmittelbehörde nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, darf sie demnach nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist oder nicht, und hat dementsprechend - bei einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache - entweder (im Falle des Vorliegens entschiedener Sache) das Rechtsmittel abzuweisen oder (im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung) den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).

Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt gemäß Abs. 1 das Vorliegen eines der "Berufung" nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, dh eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, da das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.10.2015, GZ: I406 1420393-1/44E, zum vorangegangenen Asylverfahren in formelle Rechtskraft erwachsen ist.

Wie bereits unter Punkt II.1. und II.2. näher ausgeführt, brachte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren den neuen Fluchtgrund der Verfolgung aus Gründen der Religion vor, nachdem er während seines Aufenthaltes in Österreich zum Christentum konvertiert ist. Wenn die belangte Behörde dazu im Bescheid ausführt, dass seinem neuen Fluchtvorbringen kein glaubhafter Kern innewohnt und auch die empfangene Taufe nicht ausreichen würde, um von einer nachhaltigen Hinwendung zum Christentum zu sprechen, ist dazu auszuführen, dass jeder der Pfarrer im Rahmen einer Taufe die dahingehenden Vorgaben der österreichischen Bischofskonferenz zu berücksichtigen hat. Da die mittels Taufschein nachgewiesene Konversion – unabhängig von einer im Administrativverfahren zu prüfenden inneren Überzeugung - zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahren noch nicht bestanden hat, liegt eine Sachverhaltsänderung vor und sind seine Angaben im gegenständlichen Verfahren somit dazu geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken.

Die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache hätte somit nicht erfolgen dürfen, sondern hätte sich die belangte Behörde – wie sie es im Rahmen ihrer Beweiswürdigung nämlich ohnehin getan hat – mit dem neuen Vorbringen bzw. dem neuen Beweismittel auch inhaltlich auseinandersetzen müssen und eine meritorische Entscheidung treffen müssen.

Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens - wie bereits ausgeführt - lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag durch das Bundesverwaltungsgericht hätte den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (vgl. VwGH 19.10.2016, Ro 2016/12/0009). Über den in der Beschwerde gestellten Antrag auf Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz kann daher nicht entschieden werden.

Die Zurückweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG erfolgte daher nicht zu Recht und war der Bescheid somit zu beheben.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Nachdem bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Beschwerdegründe Beschwerdeinhalt Christentum entschiedene Sache ersatzlose Behebung Fluchtgründe Folgeantrag geänderte Verhältnisse geändertes Beschwerdebild Identität der Sache Kassation Konversion Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe res iudicata Sachverhalt Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I416.2219274.2.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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