TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/15 I416 2218683-3

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Veröffentlicht am 15.02.2021
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Entscheidungsdatum

15.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2218683-3/4E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch die RA Dr. Martina SCHWEIGER-APFELTHALER, Graf-Starhemberg-Gasse 39/12, 1040 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.12.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 06.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen zu Protokoll, dass sein Vater in Nigeria Imam sei und sich die Familie zum Islam bekenne. Er habe jedoch eine - inzwischen verstorbene - christliche Frau geheiratet und sei zum Christentum konvertiert. Aufgrund dessen sei er mit gewalttätigen Handlungen durch seinen Vater sowie fremde Personen konfrontiert worden, sodass er aus Nigeria fliehen habe müssen. Außerdem seien sein Friseurgeschäft sowie verschiedene Unterschlüpfe angegriffen und teilweise zerstört worden.

2.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2019, Zl. XXXX , wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Die belangte Behörde erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

3.       Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2019, GZ: XXXX , wurde die erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

4.       Am 14.02.2020 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und gab befragt zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung an, dass seine Familie und der Pfarrer seiner Kirche von Boko Haram getötet worden seien und ihn die terroristische Gruppe bei seiner Rückkehr nach Nigeria töten würde. Er sei gemeinsam mit einem Freund im Jahr 2014 in einem Lager der Boko Haram festgehalten worden, aus welchem er – wohl im Gegensatz zu seinem Freund - nach etwa zwei Wochen fliehen habe können. Im November 2019 sei dieser Freund zum Vater des Beschwerdeführers gegangen und habe dabei von der Konversion des Beschwerdeführers erfahren. Zwei Wochen später hätten sein Freund und andere Mitglieder der Boko Haram das Elternhaus des Beschwerdeführers niedergebrannt sowie seinen Vater und seine Brüder getötet, dies aufgrund der Flucht des Beschwerdeführers und seiner Konversion.

5.       Mit Bescheid vom 30.04.2020, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 14.02.2020 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Zudem erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus Gründen des § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die belangte Behörde gewährte ihm keine Frist für eine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

6.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.07.2020, GZ: XXXX , wurde die erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und erwuchs dieses Erkenntnis in Rechtskraft.

7.       Am 30.09.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und führte in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag an, er habe vor etwa drei Monaten durch Freunde Kontakt zu seiner Mutter gehabt, welche ihm vom Tod seines Vaters durch Boko Haram erzählt habe. Sie habe ihm zudem mitgeteilt, dass Mitglieder der Boko Haram nach wie vor nach ihm suchen würden. Außerdem fühle er sich seit etwa drei Monaten homosexuell und habe einen Freund in Österreich. Er befürchte somit bei einer Rückkehr nach Nigeria von der Boko Haram oder wegen seiner Homosexualität getötet zu werden.

8.       Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 12.10.2020 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und seinen faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben.

9.       Am 30.11.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde statt, in welcher der Beschwerdeführer seine in der Erstbefragung vom 30.09.2020 angeführten Gründe näher ausführte und ergänzende Angaben zu seinem homosexuellen Freund machte.

10.      Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 30.12.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 30.09.2020 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und erteilte dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz (Spruchpunkt III.).

11.      Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner ausgewiesenen Rechtsvertreterin vom 19.01.2021 das Rechtsmittel der Beschwerde und monierte Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtige rechtliche Beurteilung.

12.      Beschwerde und Bezug habender Akt langten beim Bundesverwaltungsgericht am 22.01.2020 ein.

13.      Mit Unzuständigkeitsanzeige vom 25.01.2021 erklärte die Leiterin der Gerichtsabteilung I410 ihre Unzuständigkeit und wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird zum maßgeblichen Sachverhalt erhoben und wird ergänzend festgestellt:

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2018 in das Bundesgebiet ein und stellte erstmalig am 06.11.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit einer Verfolgung durch seinen Vater als Imam sowie andere Muslime aufgrund seiner Konversion zum Christentum begründete.

Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde von der belangten Behörde am 09.04.2019 negativ beschieden und wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde am 18.07.2019 als unbegründet ab, da der Beschwerdeführer seinen geltend gemachten Fluchtgrund nicht glaubhaft machen konnte.

Mit Bescheid vom 30.04.2020 wies die belangte Behörde den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 14.02.2020 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und erließ gegen ihn unter anderem eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot in der Dauer von einem Jahr. Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 01.07.2020 als unbegründet ab.

Am 30.09.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen zweiten Folgeantrag auf internationalen Schutz und begründete diesen einerseits mit einer Verfolgung durch die Boko Haram sowie andererseits mit seiner neu entdeckten Homosexualität. Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.12.2020 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Im bereits rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren gab es keine Hinweise für eine Homosexualität des Beschwerdeführers und hat sich der Wechsel seiner sexuellen Orientierung nach seinen Angaben erst nach dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2019 während seines Aufenthaltes in Österreich bemerkbar gemacht.

Damit liegt in Bezug auf die mit dem verfahrensgegenständlichen Folgeantrag vom 30.09.2020 behaupteten Fluchtgründe im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes vor.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang sowie die weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, in welchem die Aktenteile zu den vorangegangenen Asylverfahren enthalten sind, und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Seine Staatsangehörigkeit ergibt sich aus dem vorliegenden Behördenakt.

Sämtliche Feststellungen zum ersten Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich gründen auf dem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2019, GZ: XXXX , wohingegen die Feststellungen zum zweiten Asylverfahren des Beschwerdeführers dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.07.2020, GZ: XXXX entnommen wurden.

Die gegenständliche Folgeantragstellung sowie das nunmehrige Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wurden dem vorliegenden Akteninhalt, insbesondere den Protokollen der Erstbefragung vom 30.09.2020 sowie der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 30.11.2020 entnommen.

Aus dem Erkenntniss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2019, mit welchem die Abweisung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz rechtskräftig wurde, geht eindeutig hervor, dass eine mögliche Verfolgung aus Gründen der sexuellen Orientierung zum damaligen Zeitpunkt mangels etwaigem Vorbringen nicht thematisiert wurde.

Dahingehend führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vom 30.11.2020 erstmals an, dass er seine Homosexualität erst kurz nach Abschluss des vorherigen Asylverfahrens bemerkt habe und ergibt sich aus dem im Akt enthaltenen Aktenvermerk der belangten Behörde vom 18.12.2020 (AS 133), dass ein Telefonat mit dem potentiellen Freund – wobei der belangten Behörde seit diesem Zeitpunkt auch der Name der Person bekannt war - stattgefunden und dieser eine Beziehung mit dem Beschwerdeführer bestätigt hat. Wenn die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung dahingehend ausführt, dass sein Vorbringen aus mehreren Gründen unglaubwürdig sei und diese im Detail anführt, so nimmt sie damit bereits eine inhaltliche Beurteilung eines neuen relevanten Sachverhaltes vor.

In der Zusammenschau ist sohin den Ausführungen der belangten Behörde nicht beizutreten, dass der Beschwerdeführer, gegenüber den im Vorverfahren eingebrachten Fluchtgründen, keine neuen Fluchtgründe und sohin keinen neuen entscheidungserheblichen Sachverhalt vorgebracht hat.

Nachdem der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren erstmals eine drohende Verfolgung in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner sexuellen Orientierung vorbrachte, war aufgrund des Vorbringens entscheidungsrelevanter neuer Fluchtgründe die Feststellung zur wesentlichen Änderung der Sachlage zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des Bescheides

Zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides):

Zur Rechtslage:

Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Letzteres betrifft die amtswegige oder aufsichtsbehördliche Bescheidänderung oder -aufhebung. Die §§ 69 und 71 AVG normieren die Rechtsinstitute der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die hier nicht zur Anwendung kommen.

Der tragende Grundsatz der Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl VwGH vom 24. Mai 2016, Ra 2016/03/0050, Rz 7). "Sache" einer rechtskräftigen Entscheidung ist dabei stets der im Bescheid enthaltene Ausspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgebenden Sachverhalt zum Ausdruck kommt, und der Rechtslage, auf die sich die Behörde bei ihrem Bescheid gestützt hat (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2018/07/0487).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl. VwGH 23.09.2020, Ra 2020/14/0175).

Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag vorlagen, sind nicht geeignet, einen maßgeblich geänderten Sachverhalt im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG zu begründen (vgl. VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0263; 27.5.2019, Ra 2018/14/0292; 13.5.2019, Ra 2018/18/0506; 29.3.2019, Ra 2018/20/0539).

Zur Beurteilung der Identität der Sach- und Rechtslage unter dem Gesichtspunkt des § 68 Abs. 1 AVG ist jener Bescheid (bzw. jenes Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem inhaltlich über den Antrag entschieden wurde, nicht der Bescheid (bzw. das Erkenntnis), mit dem ein Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde (vgl. VwGH 19.10.1995, Zl. 93/09/0502).

Ist Sache der Entscheidung der Rechtsmittelbehörde nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, darf sie demnach nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist oder nicht, und hat dementsprechend - bei einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache - entweder (im Falle des Vorliegens entschiedener Sache) das Rechtsmittel abzuweisen oder (im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung) den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).

Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt gemäß Abs. 1 das Vorliegen eines der "Berufung" nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, dh eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus.

Vergleichsmaßstab im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers anlässlich seines verfahrensgegenständlichen zweiten Folgeantrages auf internationalen Schutz vom 30.09.2020 ist sohin das rechtskräftige Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2019, Zl. XXXX , heranzuziehen, mit welchem sein erster Antrag auf internationalen Schutz vom 06.11.2018 nach inhaltlicher Prüfung als unbegründet abgewiesen wurde.

Wie bereits unter Punkt II.1. und II.2. näher ausgeführt, brachte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren den neuen Fluchtgrund der Verfolgung aus Gründen der sexuellen Orientierung vor, nachdem er während seines Aufenthaltes in Österreich seine Homosexualität entdeckt habe.

Somit begründete der Beschwerdeführer seinen neuen Antrag mit anderen Gründen als jenen, die er in seinem ersten Asylverfahren geltend gemacht hatte. Da diese behauptete Tatsache zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahren noch nicht bestanden hat, liegt eine Sachverhaltsänderung vor und sind seine Angaben im gegenständlichen Verfahren somit dazu geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung zu bewirken. Im Verfahren kamen auch keine Hinweise darauf hervor, dass sich der Beschwerdeführer bereits in Nigeria seiner homosexuellen Neigungen bewusst war.

Soweit dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid vorgeworfen wird, er habe keine Details zu seinem angeblichen Freund bekannt geben können, ist der Einvernahme auch nicht zu entnehmen, dass er unter Setzung einer Frist – somit nach Absprache mit dessen Freund - aufgefordert worden wäre, eine ladungsfähige Adresse dieser Person anzugeben, um eine Einvernahme zu ermöglichen. Vielmehr rief der potentielle Freund des Beschwerdeführers – unter Angabe seines richtigen Namens - bei der belangten Behörde selbst an und bestätigte in diesem Telefonat seine Beziehung zum Beschwerdeführer. Es ist somit aufgrund der Aktenlage nicht von einem mangelnden glaubhaften Kern in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer gleichgeschlechtlichen Beziehung mit einem Mann und der damit zusammenhängenden Beurteilung der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers auszugehen.

Da das neue Vorbringen des Beschwerdeführers auch nicht ungeeignet erscheint, zu einem anderen Verfahrensergebnis zu führen, hätte es sohin einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit der neuen Tatsachen bedurft. Insofern erweist sich der bekämpfte Bescheid sohin als rechtswidrig.

Die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache hätte somit nicht erfolgen dürfen, sondern hätte sich die belangte Behörde mit dem neuen Vorbringen bzw. dem neuen Beweismittel auch inhaltlich auseinandersetzen müssen.

Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens - wie bereits ausgeführt - lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag durch das Bundesverwaltungsgericht hätte den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (vgl. VwGH 19.10.2016, Ro 2016/12/0009). Über den in der Beschwerde gestellten Antrag auf Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz kann daher nicht entschieden werden.

Die Zurückweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG erfolgte daher nicht zu Recht und war der Bescheid somit zu beheben.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Nachdem bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Beschwerdegründe Beschwerdeinhalt entschiedene Sache ersatzlose Behebung Fluchtgründe Folgeantrag geänderte Verhältnisse geändertes Beschwerdebild Homosexualität Identität der Sache Kassation Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung res iudicata Sachverhalt sexuelle Orientierung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I416.2218683.3.00

Im RIS seit

30.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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