TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/16 W123 2237101-1

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Veröffentlicht am 16.02.2021
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Entscheidungsdatum

16.02.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z1
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §54 Abs1
NAG §54 Abs5 Z4
NAG §55 Abs1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W123 2237101-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, vertreten durch RA Mag. Karlheinz AMANN, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.10.2020, Zl. 236054204/200148655, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben vom 26.03.2020 verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) den Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme (Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot) mit der gleichzeitigen Möglichkeit, innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung eine Stellungnahme abzugeben.

2. Mit E-Mail vom 06.04.2020 erstattete der Beschwerdeführer, vertreten durch RA Dr. XXXX , eine Stellungnahme und brachte vor, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2001 oder 2002 in Österreich lebe. Der Beschwerdeführer habe 2004 den ersten Aufenthaltstitel erhalten und dann im Jahr 2009 die Daueraufenthaltskarte befristet mit 13.09.2019. Der Beschwerdeführer arbeite derzeit bei einer Abbruchfirma, die ihm auch eine Wohnung zur Verfügung stelle. Der Beschwerdeführer möchte weiterhin im Bundesgebiet bleiben, da er bereits seit 18 Jahren hier lebe, sozial integriert sei und seinen Freundeskreis in Österreich habe.

3. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

4. Mit Schriftsatz vom 16.11.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde und brachte zusammenfassend vor, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2009 ein unbefristetes Daueraufenthaltsrecht gemäß § 54a NRG erworben habe. Eine Ausweisung sei daher lediglich zulässig, wenn sein Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle. Daher sei § 55 Abs. 3 NRG – entgegen der Ansicht der belangten Behörde – im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zum durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet führte der Beschwerdeführer aus, dass er während der 18 Jahren und zwei Monate seines Aufenthaltes im Bundesgebiet lediglich während 8 ½ Monaten nicht in Österreich gewesen sei. Das entspreche 3,5 % der gesamten Dauer seines Aufenthaltes.

Der Beschwerdeführer sei am 26.09.2002 adoptiert und der Adoptionsvertrag mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals von 23.06.2003 bewilligt worden. Bis zu seinem Tod am 22.12.2016 habe der Adoptivvater des Beschwerdeführers in Österreich gewohnt und habe der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt zu ihm gehabt. Die Ehegattin des verstorbenen Wahlvaters wohne nach wie vor in Österreich und habe der Beschwerdeführer immer noch einen intensiven und familiären Kontakt zu ihr. Es bestehe ein Mutter-Sohn gleiches Verhältnis.

Zur schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit brachte der Beschwerdeführer vor, dass eine Verurteilung keinen absoluten Grund für eine Ausweisung darstelle. Die belangte Behörde habe das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers zu beurteilen. Ferner hätte die belangte Behörde zu berücksichtigen gehabt, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien die verhängte Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Monaten zur Gänze unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen habe. Die belangte Behörde habe auch unberücksichtigt gelassen, dass sich der Beschwerdeführer seit August 2002 in Österreich befinde und bis Oktober 2019, sohin über 17 Jahre, nicht straffällig geworden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität und ist kosovarischer Staatsangehöriger.

1.2. Der Beschwerdeführer war erstmals 2002 in Österreich gemeldet (vgl. 16.09.2002-29.10.2004). Ab diesem Zeitpunkt bis zum heutigen Tag verbrachte der Beschwerdeführer die überwiegende Zeit seines Aufenthaltes in Österreich.

1.3. Am 26.09.2002 schlossen Herr XXXX als Wahlvater und der Beschwerdeführer als Wahlkind einen Adoptionsvertrag. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 23.06.2003, Zl. XXXX , wurde der schriftliche Vertrag vom 26.09.2002 bewilligt. Die Annahme wurde gemäß § 179a AGBG mit dem 26.09.2002 wirksam.

1.4. Am 22.10.2004 heiratete der Beschwerdeführer am Standesamt in Wien XXXX die polnische Staatsangehörige XXXX (gebürtige XXXX ). Die Gattin des Beschwerdeführers war erstmals von 03.12.2003-13.03.2009 in Österreich gemeldet, letztmalig vom 30.07.2018-18.01.2019. Seit 18.01.2019 verfügt die Ehegattin des Beschwerdeführers über keinen Wohnsitz mehr im Bundesgebiet. Die Ehegattin des Beschwerdeführers und die gemeinsamen Kinder leben derzeit in Polen und besuchen immer wieder den Beschwerdeführer in Wien.

1.5. Dem Beschwerdeführer wurde am 19.11.2009 eine Daueraufenthaltskarte mit Gültigkeit vom 13.09.2009-13.09.2019 ausgestellt.

1.6. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 07.11.2019, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung und des Vergehens der versuchten Nötigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

1.7. Der Beschwerdeführer war erstmals am 09.01.2004 als („Angestellter“) gemeldet. In weiterer Folge war der Beschwerdeführer bei verschiedenen Firmen beschäftigt. Seit dem 22.09.2020 ist der Beschwerdeführer bei der XXXX GmbH beschäftigt.

1.8. Der Beschwerdeführer besuchte im Kosovo die Grundschule. Im Kosovo leben die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers, die der Beschwerdeführer einmal jährlich im Sommer besucht. In Österreich leben die beiden Onkel zweiten Grades des Beschwerdeführers, mit denen er in Kontakt steht.

Der Wahlvater des Beschwerdeführers ist am 22.12.2016 verstorben. Der Beschwerdeführer pflegt zur Ehegattin des verstorbenen Wahlvaters einen intensiven Kontakt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz.

2.2. Die Feststellungen zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in den Stellungnahmen vom 27.03.2020 und vom 06.04.2020 bzw. dem Beschwerdeschriftsatz sowie aufgrund des unbestrittenen Inhaltes des angefochtenen Bescheides.

2.3. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid handelt es beim gegenständlichen Adoptionsvertrag um einen „echten“, da dieser mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals am 23.06.2003 rechtlich bewilligt wurde. Bereits durch diesen Vertrag konnte der Beschwerdeführer eine besondere Bindung zu Österreich, insbesondere zu seinem Adoptivvater herstellen. An dieser Bindung ändert auch das Ableben des Adoptivvaters nichts, da der Beschwerdeführer glaubhaft machen konnte, dass er zur Ehegattin seines verstorbenen Wahlvaters eine intensive und familiäre („Mutter-Sohn“) Beziehung pflegt (vgl. AS 303).

Zum Aufenthalt in Österreich ist festzuhalten, dass aus der ZMR-Auskunft hervorgeht, dass der Beschwerdeführer seit dem 16.09.2002 im Bundesgebiet gemeldet ist, wobei Meldeunterbrechungen aufscheinen. Wie im Beschwerdeschriftsatz jedoch zutreffend ausgeführt, sind diese Meldeunterbrechungen angesichts des seit 2002 bestehenden überwiegenden Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet als vernachlässigend zu qualifizieren.

Schließlich ist auch für das Bundesverwaltungsgericht – trotz der strafrechtlichen Verurteilung vom 07.11.2019 – durch einen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet von keiner schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit auszugehen, da der Beschwerdeführer lediglich zu einer dreimonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde und sich somit – wie im Beschwerdeschriftsatz zutreffend dargelegt – den Großteil seines Aufenthaltes in Österreich wohl verhalten hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Als Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gilt ein Fremder, der weder EWR-Bürger noch Schweizer Bürger ist.

Als begünstigter Drittstaatsangehöriger gilt gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 FPG der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in
§ 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gemäß § 54 Abs. 5 NAG erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG erfüllen und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 1); die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 2); ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird (Z 3); es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann (Z 4) oder ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang - solange er für nötig erachtet wird - ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf ( Z 5).

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Kosovo und somit Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Durch seine Ehe mit einer EWR-Bürgerin, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hatte, erlangte er den Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG und ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht.

3.2. § 55 NAG lautet:

„(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG sind auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind und für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen.

Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen.

§ 54 Abs. 5 NAG lautet auszugsweise: „Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 erfüllen“.

3.3. § 66 FPG lautet:

„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

3.4. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Die belangte Behörde stützt sich im Spruchpunkt I. auf die Tatbestände des § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG und kommt zum Schluss, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 51 NAG und § 53a NAG nicht erfüllen würde (vgl. AS 266).

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist gegenständlich unbestritten, dass der Beschwerdeführer ein Daueraufenthaltsrecht in Form der Daueraufenthaltskarte (mit Gültigkeit vom 13.09.2009 bis 13.09.2019) bereits erworben hat (vgl. den Wortlaut des § 66 Abs. 1 FPG: „oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht [§§ 53a, 54a NAG] erworben haben“). Zudem bleibt nach § 54 Abs. 5 NAG das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn diese nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und Z 2 erfüllen. Der Beschwerdeführer erfüllt auch diese Voraussetzungen, da er derzeit in Österreich Arbeitnehmer ist und für sich über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt (vgl. AJ-WEB Auskunftsverfahren; AS 167 ff).

Wie richtiger Weise im Beschwerdeschriftsatz ausgeführt, ist aber gemäß § 66 Abs. 1 FPG im vorliegenden Fall eine Ausweisung gegen einen begünstigten Drittstaatsangehörigen nur (mehr) zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Nach § 66 Abs. 2 FPG hat aber jedenfalls die belangte Behörde (insbesondere) die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, den Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindung zum Herkunftsstaat des begünstigten Drittstaatsangehörigen zu berücksichtigen.

Die belangte Behörde kommt in ihrer Interessenabwägung iSd Art. EMRK zum Ergebnis, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich dem Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mehr Gewicht einzuräumen sei (vgl. AS 266 ff).

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist gegenständlich von keiner Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bei einem Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auszugehen: Wenngleich zu Lasten des Beschwerdeführers die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung vom 07.11.2019 heranzuziehen ist, ist diese jedoch bereits dadurch maßgeblich zu relativieren, dass der Beschwerdeführer lediglich zu einer dreimonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde und sich während seines sonstigen Aufenthaltes in Österreich stets wohlverhielt (vgl. dazu bereits oben, 2.3.). Überdies fällt bei einer Gegenüberstellung iSd Art. 8 EMRK das Privat- und Familienleben, wie auch die berufliche Sozialisation zugunsten des Beschwerdeführers aus. Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2002 überwiegend im Bundesgebiet gemeldet und wurde bereits am 26.09.2002 adoptiert (rechtskräftig am 23.06.2003). Der Beschwerdeführer verbrachte somit einen Großteil seines Lebens in Österreich mit seinen Adoptiveltern (bzw. seit dem Tod des Wahlvaters nunmehr mit seiner „Ersatzmutter“). Der Beschwerdeführer stand (und steht) zudem die überwiegende Zeit seines Aufenthaltes in Beschäftigungsverhältnissen und verfügt auch über sonstige Familienangehörige in Österreich (vgl. oben, Feststellungen).

3.5. Zusammenfassend ist daher nicht zu erkennen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Daher war der Beschwerde stattzugeben und Spruchpunkt I. aufzuheben.

Der Vollständigkeit ist darauf hinzuweisen, dass durch die Aufhebung des Spruchpunkt I. auch Spruchpunkt II. obsolet geworden ist, womit auch dieser Spruchpunkt als aufgehoben gilt.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung – ungeachtet des Parteienantrages – unterbleiben konnte.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2237101.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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