Entscheidungsdatum
23.02.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W233 2237053-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.11.2020, Zl. 230418006 - 201009254 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger Georgiens, stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 29.04.2002 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er unter Angabe seiner Personendaten und seinen wesentlichen Verfolgungsgründen polizeilich erstbefragt.
2. Am 17.05.2002 wurde der BF vom Bundesasylamt zu seinen persönlichen Verhältnissen sowie zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates einvernommen.
3. Mit Bescheid vom 27.08.2002, Zl. 02 11.631-BAT, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des BF gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Georgien gemäß § 8 AsylG 1997 als zulässig (Spruchpunkt II.).
4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 25.09.2002 fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
5. Mit Bescheid vom 17.10.2002. Zl. 231-822/0-IX/27/02 hat der Unabhängige Bundesasylsenat die Berufung des BF gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 AsylG 1997 iVm § 57 Abs. FPG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Georgien nicht zulässig ist (Spruchpunkt II.) und dem BF gemäß § 15 AsylG 1997 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.10.2003 erteilt (Spruchpunkt III.).
6. Mit Bescheiden des Bundesasylamts vom 30.10.2003, 13.09.2004, 26.09.2005, 20.08.2008, 11.10.2011, 07.09.2012, 09.10.2013 sowie mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 15.10.2014 und 20.10.2016 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF jeweils verlängert.
7. Nach einer niederschriftlichen Einvernahme des BF durch das Bundesamt vom 19.12.2018, in Rahmen dessen der BF nochmals zu den Gründen des Verlassens seines Herkunftsstaates, der aktuellen (persönlichen) Situation im Herkunftsstaat und zu seinem Leben in Österreich befragt wurde, hat das Bundesamt mit Bescheid vom 20.12.2018, Zl. 230418006-2387475, dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.10.2020 erteilt.
8. Am 15.10.2020 fand erneut eine niederschriftliche Einvernahme des BF durch das Bundesamt statt, um das Vorliegen der Voraussetzungen für eine weitere Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung zu prüfen.
9. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid vom 02.11.2020 hat das Bundesamt dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG aberkannt (Spruchpunkt I.), ihm die erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) und festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
10. Der BF erhob im Wege seiner Vertretung mit Schriftsatz vom 16.11.2020 fristgerecht Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
11. Die Beschwerdevorlage langte am 19.11.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Geschäftsabteilung W233 zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der BF ist Staatsangehöriger von Georgien. Er führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF ist in der Stadt XXXX in Georgien geboren und aufgewachsen. Der BF hat in Georgien studiert und dort zunächst als Bauleiter gearbeitet und zuletzt eine Tankstelle betrieben bis er im Jahr 2002 in Richtung Europa ausgereist ist.
In Georgien leben keine nahen Familienangehörigen des BF. Die Eltern des BF sind bereits verstorben.
Der BF spricht Georgisch, Russisch und Deutsch.
Der BF hat nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 29.04.2002 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.
Der Unabhängige Bundesasylsenat hat mit Bescheid vom 17.10.2002 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Georgien nicht zulässig sei und ihm bis zum 16.03.2003 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Diese befristete Aufenthaltsberechtigung wurde mehrmals und zuletzt vom Bundesamt bis zum 16.10.2020 verlängert.
In Österreich verfügt der BF weder über Familienmitglieder noch Verwandte.
Der BF unterhält in Österreich kaum soziale Kontakte. Der BF verfügt über Kenntnisse der Deutschen Sprache und hat einen Integrationskurs mit Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 abgeschlossen. Seit seiner Einreise war der BF dreimal für einen kurzen Zeitraum von insgesamt zweieinhalb Monaten als Leiharbeiter erwerbstätig. Der BF ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.
Der BF ist aufgrund von Nierensteinen in medizinischer Behandlung. Davon abgesehen ist er gesund und arbeitsfähig.
1.2. Zu den Gründen der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
Dem BF wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 17.10.2002 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, aufgrund der nicht auszuschließenden Gefahr von Übergriffen durch Mitarbeiter des Sicherheitsministeriums bzw. der Polizei, nachdem der BF im Jahr 2001 Augenzeuge eines Mordes durch Mitarbeiter des Sicherheitsministeriums wurde und aufgrund seiner belastenden Zeugenaussage selbst in deren Visier geraten ist, woraufhin er seine Zeugenaussage widerrufen musste und anschließend von der Polizei festgehalten und geschlagen wurde.
Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Situation in Georgien kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.12.2018 wesentlich und nachhaltig verändert haben.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Georgien
Seit 17.02.2016 gilt Georgien gemäß § 1 Z 12 der Herkunftsstaaten-Verordnung als sicherer Herkunftsstaat.
Auszug aus den Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation über Georgien aus dem COI-CMS (generiert am 09.02.2021):
„COVID-19
Letzte Änderung: 01.12.2020
Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg der positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020; vgl. WOM 30.11.2020). COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 30.11.2020a).
Tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen werden von der Regierung auf der Webseite https://stopcov.ge/en/ veröffentlicht (StopCoV.ge o.D.).
Aufgrund der steigenden Zahlen wurden mit Wirkung vom 28.11.2020 unter anderem folgende Beschränkungen landesweit, vorerst bis 31.1.2021, in Kraft gesetzt: Während der nächtlichen Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr sind öffentliche und private Verkehrsbewegungen, einschließlich zu Fuß gehen, sowie der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht gestattet. Der öffentliche Überlandverkehr einschließlich Bahn, Bus und Kleinbus ist ganztägig eingestellt. Reisen in Kleinfahrzeugen (einschließlich Taxis) sind – außerhalb der nächtlichen Ausgangssperre - zulässig. Es herrscht eine Tragepflicht von Gesichtsmasken im Freien sowie in allen geschlossenen öffentlichen Räumen. Personen über 70 Jahren wird empfohlen, zu Hause zu bleiben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Für die Großstädte Tiflis, Batumi, Kutaissi, Rustawi, Poti, Sugdidi und Telawi sowie die Wintersportorte Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia gelten zusätzlich u.A. folgende Einschränkungen: Der innerstädtische öffentliche Verkehr ist vollständig eingestellt. Geschäfte sind geschlossen, mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Apotheken, Hygieneprodukten und Kiosken für Printmedien. Agrarmärkte, Schönheitssalons, Friseurläden und Zentren für ästhetische Medizin sind weiterhin in Betrieb. Kindergärten sind geschlossen, Schulen und Universitäten bieten ausschließlich Fernlehre an (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Für die Periode Neujahr-Weihnachten (24.12.2020 bis 15.1.2021) werden einzelne Beschränkungen gelockert (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Die Einschränkungen von Linienflügen nach Georgien wurden mit 1.11.2020 gelockert, seither sind auch wieder Linienflüge nach Tiflis ex Wien erlaubt (GCAA 21.10.2020). Diese Flüge werden Stand Ende November 2020 ein Mal wöchentlich von Georgian Airways durchgeführt (F24 30.11.2020; vgl. VIE 30.11.2020)
Bei der Einreise aus dem Ausland müssen sich georgische Staatsangehörige sowie ihre Familienangehörigen für 8 Tage in Selbstisolation begeben, wenn sie an der Grenzübertrittsstelle einen negativen PCR-Test nicht älter als 72 Stunden vorweisen können. Sollte ein solcher Test nicht vorgewiesen werden, wird eine obligatorische Quarantäne verhängt (MoF o.D.; vgl. StopCoV.ge o.D.) und die Person wird in eine Quarantänezone verbracht (StopCoV.ge o.D.). In den Wintersportorten Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia werden Hotels ausschließlich als Quarantäne- oder COVID-Unterkünfte betrieben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).
Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die Georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).
Politische Lage
Letzte Änderung: 01.12.2020
In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 10.3.2020).
Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl für maximal zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 10.3.2020).
Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60% gegen ihren Konkurrenten Grigol Vashadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakashvili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabishvili (OSCE/ODIHR 29.11.2018). Am 1.12.2018 demonstrierten rund 25.000 Menschen in Tiflis und warfen der von der Regierungspartei unterstützten neuen Präsidentin Zurabishvili Wahlbetrug vor und forderten vorgezogene Parlamentswahlen (Standard 2.12.2018).
Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019).
Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).
Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020); vgl. Jam 26.11.2020.
Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weit verbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020).
In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020); vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020).
Laut Gesetz muss die Zentrale Wahlkommission bis spätestens 19. Dezember 2020 das endgültige Wahlergebnisse bekannt geben und das neue Parlament muss spätestens zehn Tage nach der offiziellen Bekanntgabe der Wahlergebnisse zusammentreten. Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann – um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020).
Stand Ende November 2020 ist es weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben. Im Extremfall könnte die politische Krise nur durch vorgezogene Neuwahlen im Frühling 2021 gelöst werden (Jam 26.11.2020).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. (EDA 23.3.202013.8.2019; vgl. BMEIA 13.5.2020). Die Kriminalität ist gering (MSZ 25.5.2020; vgl. EDA 23.3.2020).
Die EU unterstützt durch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung. 2009 wurde der Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM) geschaffen, der Risiko- und Sicherheitsfragen der Gemeinden in den abtrünnigen Regionen Abchasiens und Südossetens erörtern soll (EC 30.1.2019).
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 02.09.2020
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (USDOS 11.3.2020).
Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z.B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter des Gesetzes werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 19.10.2019).
Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (USDOS 11.3.2020) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.202013.3.2019).
Das 2018 geschaffene Büro der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) nahm seine Arbeit am 1.11.2019 auf (HRW 14.1.2020). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS 22.8.2019; vgl. HRW 14.1.2020).
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 02.09.2020
Artikel 7 der georgischen Verfassung verpflichtet den Staat zu Anerkennung und Schutz der universellen Menschenrechte; sie sind direkt anwendbares Recht für Staat und Bürger. Einzelne Menschenrechte sind explizit in eigenen Verfassungsartikeln aufgeführt. Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Auch Staatsanwaltschaft und Gerichte, die in Georgien an Unabhängigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen haben, werden zunehmend zur Wahrung individueller Rechte in Anspruch genommen. Darüber hinaus können lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen ohne jede staatliche Behinderung ermitteln und öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden vom georgischen Staat weitgehend geachtet und gestärkt. Gesellschaftlich sind diese Rechte aber noch nicht weit genug akzeptiert, sodass Minderheiten und Andersdenkende in der Gesellschaft mit faktischer Benachteiligung rechnen müssen. Vereinzelt kommt es auch zu gewalttätigen Handlungen. Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und im Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann (AA 19.10.2019)
Im Jahr 2019 wurde das Anti-Diskriminierungsgesetz und der Arbeitnehmerschutz verbessert. Sexuelle Belästigung wurde als Vergehen in relevante Gesetze aufgenommen. Die Justiz erfüllte 2019 nicht die Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Verfahrensrechte für Opfer haben sich nicht verbessert (HRC 2020). Die Straffreiheit bei Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 14.1.2020).
Minderheitengruppierungen haben Schwierigkeiten die Grundrechte von Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie die Meinungsfreiheit auszuüben. Es kommt dabei zur Anwendung übermäßiger Gewalt seitens der Strafverfolgungsbehörden (HRC 2020).
Grundversorgung
Letzte Änderung: 02.09.2020
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (AA 19.10.2019), wobei zwei Drittel der Lebensmittel importiert werden (KP 16.6.2020). Die staatliche Sozialhilfe liegt bei GEL 180 (ca. EUR 60) im Monat, bei Rentnern bei GEL 200 [ca. EUR 70]. Die soziale Absicherung erfolgt in aller Regel durch den Familienverband. Eine große Rolle spielen die Geldtransfers der georgischen Diaspora im Ausland (AA 19.10.2019).
Trotz der beachtlichen wirtschaftlichen Entwicklung seit 2003 sind große Teile der georgischen Bevölkerung unterbeschäftigt oder arbeitslos. Knapp 22 % der Georgier leben in Armut. Vor allem die Bewohner der ländlichen Bergregionen sind betroffen, aber auch städtische Arbeitslose sowie zumeist in Isolation lebende Binnenvertriebene und Alleinerzieherinnen. Ländliche Armut führt meist zu Landflucht oder Emigration. Die Rücküberweisungen von saisonalen und permanenten Auslandsmigranten machen mit rund 11,8% einen nennenswerten Anteil des Bruttoinlandsprodukts aus (ADA 11.2018).
Die Arbeitslosenquote betrug 2018 12,7% (2017: 13,9%) (GeoStat 17.5.2019). Laut der Daten des nationalen Statistikamtes von 2018 sind 63,9% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig (Geostat 17.5.2019; vgl. GT 21.10.2019). Die Arbeitslosenrate ist im ländlichen Raum (2018: 5,8%) geringer als im städtischen Raum (2018: 19,3%) (Geostat 17.5.2019). Die hohe Zahl Erwerbstätiger in ländlichen Gegenden ist mit den gering vergüteten Jobs im Agrarsektor zu erklären. Viele Pensionisten sind noch erwerbstätig, da die Pension alleine zum Überleben nicht ausreicht. Dagegen ist die Arbeitslosigkeit unter 15-25-Jährigen recht hoch. Die meisten Erwerbstätigen befinden sich im Alter von 40 bis 60 Jahren (IOM 2020). Es wird davon ausgegangen, dass sich die Zahl der ca. 220.000 Arbeitslosen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie mindestens verdoppeln wird (KvP 20.4.2020)
Zu Jahresbeginn 2020 nahm eine Agentur zur Beschäftigungsförderung (Employment Support Agency), die im Ministerium für Binnenflüchtlinge aus den besetzten Gebieten, Arbeit, Gesundheit und Soziales angesiedelt ist (MOH 24.12.2019; vgl. KP 1.2020, GT 21.10.2019). Die neue Agentur soll u.a. durch Fortbildungen, Umschulungen, Beratung und Karriereplanung die Beschäftigung im Land fördern (KP 1.2020). Die Agentur soll auch legale Arbeitsmigration fördern (GT 21.10.2019; vgl. KP 1.2020). Eine Priorität der Agentur ist es, Arbeitsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Personen zu erschließen (GT 21.10.2019).
Die meisten Arbeitsplätze gibt es im Groß- und Einzelhandel sowie in Autowerkstätten und im Kleinwarengeschäft, in der Industrie und im Bauwesen (IOM 2019). Das Durchschnittseinkommen (nominal) der unselbständig Beschäftigten lag im ersten Quartal 2019 bei den Männern bei GEL 1.294 [rund EUR 400] und bei den Frauen bei GEL 876 [rund EUR 270] (GeoStat 2019).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wird ein Rückgang des BIP um 5,5% im Jahr 2020 prognostiziert. Der Tourismus (ca. 20% der Wirtschaftsleistung) und Überweisungen aus dem Ausland werden am stärksten betroffen sein (ChH 4.6.2020). Der Wert des Georgischen Lari kann sich trotz der Wirtschaftskrise einigermaßen halten (KP 16.6.2020).
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 02.09.2020
Das Sozialsystem in Georgien umfasst die folgenden finanziellen Zuschüsse:
• Existenzhilfe
• Re-Integrationshilfe
• Pflegehilfe
• Familienhilfe
• Soziale Sachleistungen
• Sozialpakete
Menschen unterhalb der Armutsgrenze können zum Beispiel mit einer Unterstützung von GEL 10-60 pro Familienmitglied rechnen. Der Sozialdienst ist für Personen unterhalb der Armutsgrenze verantwortlich. Der staatliche Fond zum Schutz und Unterstützung für Opfer von Menschenhandel hilft schutzbedürftigen Personen, wie z.B. Opfern häuslicher Gewalt, Personen mit Einschränkungen, Alten und Waisen. Dabei bietet er: Kinderheime, Pflegeheime für Personen mit Einschränkungen, Unterkünfte für Opfer von Menschenhandel, Krisenzentren und Unterkünfte für Opfer häuslicher Gewalt (IOM 2019). Eine Arbeitslosenunterstützung gibt es nicht (IOM 2019). Laut einer Erklärung des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden vom Staat 150 GEL an Personen bezahlt, die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben und zuvor Einkommenssteuer bezahlt hatten (Fortuna 13.4.2020).
Familien, die unter der Armutsgrenze leben, können um Sozialhilfe ansuchen. Dafür muss der Vertreter der Familie zunächst ein Ansuchen für sich und alle übrigen Familienmitglieder stellen, um in das staatliche Register für besonders schutzbedürftige Familien aufgenommen zu werden. Danach besucht ein Vertreter des Sozialamtes die Familie vor Ort, wobei in der „Familiendeklaration“ der sozio-ökonomische Stand der Familie festgestellt wird. Mittels eines Punktevergabesystems wird die Bedürftigkeit festgestellt. Bis zu einem Wert von 57.000 Punkten besteht der Anspruch auf finanzielle Unterstützung wie folgt: GEL 60 für Alleinstehende; ab zwei Personen erhält das älteste Familienmitglied GEL 60 und alle anderen GEL 48 pro Monat. Ausschlussgründe sind insbesondere die Arbeitsaufnahme eines Familienmitgliedes, Gefängnishaft, Militärdienst oder ein Auslandsaufenthalt von mehr als drei Monaten. Die Sozialhilfe kann nicht gleichzeitig mit der staatlichen „Haushaltsunterstützung“ oder der monatlichen Zahlung an Flüchtlinge bezogen werden (SSA o.D.a.).
Es gibt ein staatliches Pensionssystem. Bezugsberechtigt sind Männer über 65 und Frauen über 60 Jahre. Für die Registrierung der Pension ist ein Antrag beim zuständigen Sozialamt (Social Service Centre) nötig. Die Entscheidung fällt innerhalb von zehn Tagen. Personen, die bereits aus dem Ausland eine Pension beziehen, sind vom georgischen Pensionssystem ausgeschlossen (IOM 2019).
Die staatliche Alterspension (universal) beträgt GEL180 pro Monat. Die Leistungen werden ad hoc angepasst. Eine Invaliditätsleistung als Sozialhilfe beträgt GEL 180 pro Monat für eine Invalidität erster Stufe und GEL 100 für eine zweiter Stufe, wobei die Leistungen ad hoc angepasst werden (US-SSA 3.2019).
Seit dem 1.1.2019 ist das kumulierte Pensionssystem für Beschäftigte unter 40 Jahren verpflichtend, d.h., sie werden automatisch registriert. Für Selbständige und Personen über 40 Jahren ist die Aufnahme in das Programm freiwillig. Dieses System gilt sowohl für Mitarbeiter des öffentlichen als auch des privaten Sektors. Das System wird nach einem 2+2+2-Schema arbeiten. Jeder Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Staat leisten einen Beitrag von je 2% des Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers auf ein individuelles Pensionskonto. Selbständige müssen eine Einlage von 4% ihres Einkommens leisten und der Staat schießt weitere 2% zu. Das neue Pensionsgesetz sieht keine Aufhebung des bestehenden Pensionssystems vor. Am 1.1.2018 stiegen die staatlichen Pensionen um GEL 20 und beliefen sich auf GEL 200 pro Monat (Agenda.ge 3.1.2019).
Angesichts der Tatsache, dass Georgien bislang nur eine Pensionsersatzrate von 18% aufweist und über 44% der Erwerbstätigen Selbständige sind, insbesondere in der einkommensschwachen Landwirtschaft, bestehen Zweifel am Funktionieren des neuen Systems (OCM 14.12.2018).
Das Recht auf Mutterschaftskarenz- und Pflegeurlaub gewährleistet 730 Tage Freistellung, von denen 183 Tage bezahlt sind. Bei Geburtskomplikationen oder der Geburt von Zwillingen werden 200 Tage bezahlt. Das Mutterschaftsgeld, auch im Falle einer Adoption, beträgt maximal GEL 1.000 (SSA o.D.b, vgl. US-SSA 3.2019).
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 02.09.2020
Im Jahr 2013 wurde das Universal Health Care (UHC) Program eingeführt. Es ist ein staatlich geleitetes, hauptsächlich staatlich finanziertes, allgemeines Gesundheitssystem mit überwiegend privaten medizinischen Institutionen. Diese staatliche Krankenkasse soll den finanziellen Zugang zur medizinischen Grundversorgung für alle Georgier sicherstellen, die noch nicht durch private Versicherungen oder über den Arbeitgeber versichert sind. Da Versicherte bei bestimmten Leistungen einen Teil der Kosten selbst bezahlen müssen, spricht man von einem co-payment System. Über die UHC sind grundsätzlich alle georgischen Staatsbürger automatisch krankenversichert. Eingeschlossen sind alle Bewohner der de facto unabhängigen Republiken Abchasien und Südossetien, denen der georgische Staat neutrale Identitäts- und Reisepapiere ausstellt. Offiziell anerkannte Staatenlose haben ebenfalls Anrecht auf UHC. Nur einen Teil der Leistungen erhält, wer vor dem 1.1.2017 eine private Krankenversicherung besaß oder über den Arbeitgeber krankenversichert war. Seit 1.5.2017 wird bei der Kostenübernahme zudem nach Einkommen differenziert. Personen mit hohem Einkommen sind von der UHC ausgeschlossen. Personen mit mittlerem Einkommen erhalten nur einen Teil der Leistungen. Für sozial schwache Gruppen, Kinder und Rentner bleiben die Leistungen wie gehabt bestehen (SEM 21.3.2018; vgl. MedCOI 2019).
Im Notfall wendet sich ein georgischer Bürger an eine beliebige medizinische Einrichtung. Alle medizinischen Einrichtungen sind an der UHC beteiligt. Für geplante stationäre Behandlungen
wendet man sich mit einem gültigen Ausweis und einer Überweisung eines Allgemeinmediziners an die Abteilung Social Service Agency. Die Social Service Agency betreibt eine Hotline unter der Nummer 1505. Die Social Service Agency stellt einen Gutschein (Voucher) oder einen „Letter of Garantee“ (dt. Garantiebrief) über die von ihr berechneten Kosten für die beantragte medizinische Dienstleistung aus (SEM 21.3.2018; vgl. MedCOI 2019).
Das staatliche Gesundheitssystem (UHC) umfasst ambulante und stationäre Behandlung für Begünstigte verschiedener Alters- und Sozialgruppen, wie folgt:
• Offen für alle Staatsbürger, sowie Asylsuchende (während des Verfahrens) und Personen mit Flüchtlingsstatus
• Stationäre und ambulante Behandlung sind vollständig gedeckt
• Behandlung von HIV und TB ist kostenfrei, sowie Insulin für Diabetespatienten
• Dialyse ist ebenfalls gewährleistet
• Für Drogenabhängige ist ein staatlich gefördertes Methadon-Ersatzprogramm kostenfrei verfügbar. Lediglich eine einmalige Registrierungsgebühr von GEL 70 muss entrichtet werden.
• Kosten für die Behandlung von Kindern bis zu 5 Jahren ist teilweise gedeckt, abhängig von der Krankheit.
Kontaktinformationen erhält man beim Ministerium für Gesundheit (Ministry of Health). Informationen über Anbieter finden sich hier: http://cloud.moh.gov.ge/Default.aspx?languagePair=en-US (IOM 2019)
Hat man Anrecht auf die gesamten Leistungen der UHC, werden Kosten in den drei Bereichen Notfallbehandlung, stationäre Behandlung und ambulante Behandlungen ganz oder zum Teil übernommen. Eine Kostenübernahme von 100% bedeutet in den meisten Fällen, dass der Staat der medizinischen Institution einen fixen Betrag zurückerstattet. Für die Berechnung dieses Betrags analysiert der Staat, wie viel die Dienstleistung in der Vergangenheit kostete und nimmt davon einen tiefen Durchschnittswert. Kommt die Behandlung teurer, muss der Patient die Differenz selber bezahlen (SEM 21.3.2018; vgl. MedCOI 2019, IOM 2019). Ambulante und einige stationäre Notfallbehandlungen werden zu 100% übernommen (SEM 21.3.2018; vgl. IOM 2019). Behandlungen spezialisierter Ärzte nach Überweisung durch den Hausarzt werden zu 70-100% übernommen, einige Notfallbehandlungen zu 100% (IOM 2019). Von den stationären Behandlungen werden spezifische Operationen und die stationäre Nachbetreuung zu 100% übernommen. Andere Leistungen werden zu 70% übernommen (SEM 21.3.2018). Notwendige Operationen werden zu 70% übernommen (IOM 2019). Divergierende Angaben gibt es beim Thema Chemotherapie und Geburten. So werden laut SEM onkologische Behandlungen und Geburten zu 100% übernommen (SEM 21.3.2018), laut IOM hingegen werden bei Chemotherapie 80% bis zu Gesamtkosten von GEL 12.000, und bei Geburten Kosten nur bis zu GEL 500 bzw. bei Kaiserschnitten nur bis zu GEL 800 übernommen (IOM 2019).
Bei Kostenübernahmen von weniger als 100% kommt der Patient für den Rest auf. Für Pensionisten zahlt der Staat zusätzlich monatlich GEL 100 für drei Monate, erstattet bei den Bürgerämtern (IOM 2019).
Medizinische Einrichtungen gibt es landesweit, jedoch mit stark voneinander abweichender Qualität. In der Hauptstadt Tiflis und weiteren städtischen Zentren (Kutaissi, Batumi) bieten private Einrichtungen umfassende und moderne Behandlungen an; staatliche Einrichtungen, wie sie primär in den ländlichen Regionen anzutreffen sind, haben deutlichen Rückstand an technischer und personeller Ausstattung. Für manche überlebensnotwendigen Eingriffe und Maßnahmen ist daher allein eine Behandlung in Tiflis möglich. Medikamente werden weitgehend importiert, zumeist aus der Türkei und Russland, aber auch aus EU-Ländern (AA 19.10.2019).
Georgische Staatsbürger sind automatisch versichert. Allerdings ist eine Registrierung notwendig, um alle Leistungen des Programms beanspruchen zu können. In diesem Zusammenhang sollten Rückkehrer die 15-05 Hotline des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales anrufen oder sich direkt an die nächstgelegene Poliklinik oder Krankenhaus wenden (IOM 2019).
Alle Kliniken in Georgien sind privatisiert. Obwohl die allgemeine Krankenversicherung nicht alle Bereiche abdeckt, können georgische Staatsbürger zu jeder Zeit jede Klinik aufsuchen, jedoch müssen die Leistungen dann bezahlt werden. Vorzugsweise sollten Termine vereinbart werden. Bei Notfällen ist eine Behandlung ohne Termin mit Wartezeiten möglich. Patienten können einen Termin vereinbaren, für die staatliche Versicherung muss der Hausarzt kontaktiert werden, welcher eine Überweisung zu spezialisierten Ärzten verfassen kann. Große Apotheken stellen eine Vielzahl von Medikamenten. Die Verfügbarkeit gewisser Medikamente kann anhand ihrer Handelsbezeichnung online oder telefonisch überprüft werden: Medical Information Service http: //www.mis.ge/ka/FindDrug.jsp?Clear=True TEL: +995 032 2 252233. Die meisten Medikamente werden nicht vom staatlichen Programm erfasst. Daher müssen die Patienten die Kosten für diese selbst tragen. Für einige Medikamente ist eine Verschreibung nötig. In diesem Fall, sollte zunächst ein zuständiger Arzt aufgesucht werden, um von diesem das Rezept zu erhalten (IOM 2019).
Für Behandlungskosten, die von Patienten selber getragen werden müssen, kann bei der zuständigen Kommission des Ministeriums um Kostenersatz angesucht werden. Dazu muss das erforderliche Formular ausgefüllt werden. Als Beilagen müssen neben den gesicherten Personalien des Antragstellers (Kopie des Reisepasses oder Personalausweises) auch die im laufenden Jahr angefallenen Rechnungen und vorhandenen Kalkulationen, bzw. im Falle der Beantragung von Kostenersatz für Medikamente die Originalrechnung, vorgelegt werden. Zusätzlich ist noch der soziale Status des Antragstellers (Pensionisten, sozial bedürftige Personen, Binnenvertriebene, Personen mit eingeschränktem Status) und die entsprechenden Zeugnisse vorzulegen. Die Kommission entscheidet dann (mindestens zweimal im Monat) über eine allfällige Finanzierung der vorgelegten Kosten, wobei hier keine generelle Festlegung über die Höhe der Rückerstattung besteht und diese Entscheidungen individuell, von Fall zu Fall, getroffen werden (VB 31.5.2018).
Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurden in Georgien bereits frühzeitig und konsequent umgesetzt und somit konnte die Ausbreitung weitgehend unter Kontrolle gehalten (EE 6.4.2020; vgl. ES 3.4.2020, EN 21.5.2020, ChH 4.6.202). Die Infektions- und Sterblichkeitsraten konnten niedrig gehalten werden (CEIP 8.7.2020). Die Pandemie war für das Gesundheitssystem stets bewältigbar, allerdings zu einem hohen wirtschaftlichen Preis (EN 21.5.2020; vgl. ChH 4.6.202) Georgien weist Stand Ende Mai 2020 die niedrigste COVID-19- Todesrate in Europa auf (drei Todesfälle pro einer Million Einwohner). Tests sind ausreichend verfügbar und es gibt keine Hinweise auf eine Untererfassung der Krankheits- und Todesfälle (EN 21.5.2020). Allerdings waren in Folge des strengen Lockdowns Behandlungen für andere Krankheiten nur eingeschränkt verfügbar (IOM 24.4.2020).
Die EU hat das wegen der COVID-19-Pandemie verhängte Einreiseverbot gegen Georgien sowie 14 weitere Drittstaaten ab 1. Juli aufgehoben, wobei die genaue Umsetzung den Mitgliedsstaaten obliegt. Hauptkriterium für eine Aufhebung der Beschränkungen war, dass die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vorangegangenen 14 Tagen mindestens so niedrig wie im EU-Durchschnitt war. Zudem muss es bei den Infektionen einen „stabilen oder sich verringernden Trend“ geben und die Maßnahmen der jeweiligen Regierungen auf die Pandemie müssen gewissen Standards entsprechen. Die Länderliste soll alle zwei Wochen aktualisiert werden (Standard 30.6.2020).
Rückkehr
Letzte Änderung: 02.09.2020
Rückkehrer und Rückkehrerinnen, die Unterstützung benötigen, sind bislang vor allem auf Familie und Freunde angewiesen. Internationale Organisationen bieten ebenfalls Unterstützung an. Das Ministerium für Binnenvertriebene, Arbeit, Gesundheit und Soziales koordiniert das staatliche Reintegrationsprogramm (State Reintegration Programme). Hier wird Beratung und auch finanzielle Hilfe zur Reintegration in den Arbeitsmarkt (auch Hilfe zur Selbständigkeit) und bei Bedarf auch Erst- bzw. Zwischenunterkunft zur Verfügung gestellt. Staatliche Repressalien gegen Rückkehrer sind nicht bekannt. Auch die Tatsache einer Asylantragstellung im Ausland ist für die Behandlung durch staatliche Stellen ohne Bedeutung. Georgien hat Rückübernahme- Abkommen mit der EU und weiteren europäischen Ländern geschlossen (AA 19.10.2019).
Um die Reintegration der zurückgekehrten georgischen Migranten zu unterstützen, wurden GEL 650.000 (ca. EUR 216.460) aus dem Staatshaushalt 2018 bereitgestellt, die an förderungswürdige NGOs verteilt werden. Um den Wiedereingliederungsprozess der zurückgekehrten georgischen Migranten zu unterstützen, sollen die NGOs für das gesamte Staatsgebiet folgende Dienstleistungen für die Begünstigten erbringen: Bereitstellung von medizinischer Behandlung und Medikamenten, Finanzierung einkommensgenerierender Projekte, Unterstützung der beruflichen Weiterbildung/Umschulung und Qualifizierung der Begünstigten und die Bereitstellung von temporären Unterkünften (SCMI 9.3.2018). Am staatlichen Programm sind jene teilnahmeberechtigt, die georgische Bürger oder staatenlos sind und über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen; sich mehr als ein Jahr illegal im Ausland aufgehalten haben oder im Ausland um Asyl angesucht haben, und seit weniger als einem Jahr in Georgien sind (MRA o.D.).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden alle Grenzübergänge geschlossen und sind nur für georgische Staatsbürger, die ins Heimatland zurückreisen, passierbar (USEMB 1.7.2020). Der Flugverkehr soll ab 1.8.2020 wieder aufgenommen werden (GCAA 26.6.2020; vgl. Agenda 25.6.2020a). Die Wiedereröffnung der Landgrenzen ist von bilateralen Abkommen mit den Nachbarstaaten abhängig (N/LS 28.5.2020). Alle Personen, die nach Georgien einreisen, müssen zwei Wochen in Quarantäne, bzw. Selbstisolation (Agenda 30.6.2020; vgl. 1TV 30.6.2020, GE-GOV o.D.), für die der Staat die Kosten übernimmt (Jam 8.7.2020). Gemäß Angaben des Gesundheitsministeriums wird der Quarantänemechanismus noch lange bestehen bleiben (1TV 30.6.2020).“
1.4. Zur allgemeinen Situation betreffend COVID-19
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Mit Stichtag vom 12.02.2021 werden von der World Health Organization (WHO) sowie von der „Johns Hopkins University“ in Georgien 264.158 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 3.321 diesbezüglicher Todesfall bestätigt wurden.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur georgischen Staatsangehörigkeit sowie zu seinem Namen und Geburtsdatum gründen sich auf die Angaben des BF, ebenso wie die Feststellungen zu seinem Familienstand.
Auch die Feststellungen zu seiner Ausbildung und seinem Berufsleben in Georgien können aufgrund der eigenen Angaben des BF vor dem Bundesamt getroffen werden.
Die Feststellung, dass in Georgien keine (nahen) Familienmitglieder des BF leben, gründet auf den Angaben des BF vor dem Bundesamt, wonach seine Eltern bereits verstorben seien und er nur einen „Bruder“ habe, der in Frankreich wohnt, und bei dem es sich eigentlich um einen ehemaligen Mitarbeiter und nahe Bezugsperson handelt.
Der Tag der Einreise und Antragstellung auf internationalen Schutz stützt sich auf den in seiner Erstbefragung dokumentierten Zeitpunkt. Dass sich der BF seit seiner Einreise durchgehend im österreichischen Bundesgebiet aufhält, kann aufgrund einer Nachschau im Zentralen Melderegister festgestellt werden.
Die Feststellungen in Bezug auf die Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenats und der mehrmaligen Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberichtigung, gründen sich auf die im Akt des BF einliegenden Bescheide.
Die Feststellungen zu Kenntnissen der Deutschen Sprache ergeben sich daraus, dass der BF vor dem Bundesamt auf Deutsch einvernommen wurde sowie aus dem vorgelegten Zeugnis der Integrationsprüfung mit Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 (AS 141).
Die Feststellung in Bezug darauf, dass der BF in Österreich über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte verfügt und auch kaum soziale Kontakte pflegt kann aufgrund seiner eigenen Angaben vor dem Bundesamt getroffen werden. Die Feststellung, dass der BF seit seiner Einreise in Summe nur zweieinhalb Monate erwerbstätig war und Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, kann durch die dem Akt beigelegten Auszüge des Sozialversicherungsträgers sowie des Betreuungsinformationssystems getroffen werden.
Dass der BF im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten ist, ist durch Einsichtnahme in einen aktuellen Strafregisterauszug ersichtlich.
Dass der BF grundsätzlich gesund und arbeitsfähig ist, aber aufgrund von Nierensteinen in Behandlung ist, kann aufgrund seiner eigenen Angaben festgestellt werden. Dass er als 56-jähriger gesunder Mann keiner an COVID-19 zu erkrankenden Risikogruppe angehört, stützt sich darauf, dass er an keiner Vorerkrankung, insbesondere weder an einer pulmonalen oder kardialen noch einer Infektion der unteren Atemwege, leidet.
2.2. Zu den Gründen der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
Die Feststellung, wonach sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit dem letzten Ausspruch über die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.12.2018 nicht wesentlich und nachhaltig verändert haben, ergibt sich wie folgt:
Bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom 20.12.2002 führte der Unabhängige Bundesasylsenat aus, dass im Falle einer Rückkehr des BF nach Georgien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass dieser Opfer von Übergriffen, einerseits durch Angehörige des georgischen Sicherheitsministeriums (falls er seine Zeugenaussage nicht zurückzieht) und andererseits durch Angehörige der Miliz (falls er seine Zeugenaussage zurückzieht), wird und diese Übergriffe das Ausmaß einer erniedrigenden Behandlung iSd Art 3 EMRK erreichen.
Hinsichtlich der Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheiden vom 30.10.2003, 13.09.2004, 26.09.2005, 20.08.2008, 11.10.2011, 07.09.2012, 09.10.2013, vom 15.10.2014, 20.11.2016 und 20.12.2018 verwies das Bundesamt jeweils auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung und auf § 58 Abs. 2 AVG, wonach eine nähere
Begründung bei einer vollinhaltlichen Stattgabe des Antrags des BF unterbleiben kann.
Bezüglich der Aberkennung des subsidiären Schutzes mit im Spruch genannten Bescheid vom 02.11.2020 führt das Bundesamt aus, dass sich die subjektive Lage des BF geändert habe und dieser im Falle der Rückkehr keiner Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt wäre. Das Bundesamt stützt seine Entscheidung dabei sowohl auf den Umstand, dass Georgien gemäß § 1 Z 12 Herkunftsstaaten-Verordnung seit Februar 2016 als sicherer Herkunftsstaat gilt als auch auf die Unglaubwürdigkeit des BF, da dieser während der Einvernahme widersprüchliche Aussagen getätigt und frühere Aussagen insoweit widerrufen hat, als er nunmehr behauptet, keinen Bruder zu haben und es sich bei der zuvor als solcher bezeichneten Person um einen ehemaligen Mitarbeiter handle, der mit ihm Augenzeuge des Mordes wurde. Dies hat das Bundesamt zum Anlass genommen, die weiteren Aussagen des BF – nämlich, dass die Mörder noch im Ministerium tätig seien und er im Falle einer Rückkehr weiterhin in Gefahr wäre – als unglaubwürdig zu werten. Dabei übersieht das Bundesamt, dass der Unabhängige Bundesasylsenat anlässlich der Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Georgien davon ausgegangen ist, dass die Gefährdungssituation des BF einzig und allein dadurch begründet sei, dass er Zeuge eines Mordes geworden sei bzw. aufgrund der Angaben des BF nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Mitarbeiter des Geheimdienstes ihn aus irgendeinem anderen Grund bedrohen würden als eben wegen des Umstandes, dass er Zeuge eines Mordes geworden sei. Deshalb könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF nach einer Rückkehr nach Georgien Opfer von Übergriffen – einerseits (dh. für den Fall, dass er als Zeuge aussagt) von Angehörigen des Sicherheitsministeriums bzw. Personen aus dem Kreis der organisierten Kriminalität, andererseits (dh. wenn er dies nicht tut) von Angehörigen der Miliz – werde und dass derartige Übergriffe zumindest das Ausmaß einer erniedrigenden Behandlung iSv Art. 3 EMRK erreichen würden (vgl. S 4f des Bescheides des UBAS vom 17.02.2002). Diese Einschätzung der Rückkehrsituation wurde in der Folge mehrmals mit der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung zuletzt mit Bescheid des Bundesamts vom 20.12.2018 rechtskräftig bestätigt. Im angefochtenen Bescheid setzt sich das Bundesamt mit dieser rechtskräftig festgestellten Gefährdungssituation des BF (Zeuge eines Mordes, Bedrohung durch Mitarbeiter des Geheimdienstes) nicht auseinander, sondern stützt die Aberkennung allein darauf, dass der BF anlässlich seiner letzten Befragung widersprüchliche Angaben zu seinem „Bruder“ tätigte. Diese Argumentation greift allerdings zu kurz, da damit eine maßgebliche Änderung des Sachverhalts nicht aufgezeigt wird.
Da Georgien bereits seit 17.02.2016 – und somit auch schon zum Entscheidungszeitpunkt der zuletzt erfolgten Verlängerung durch das Bundesamt vom 20.12.2018 – als sicherer Herkunftsstaat gilt, stellt diese Tatsache schon deshalb in gegenständlicher Angelegenheit keine Änderung der maßgeblichen Umstände dar.
Selbiges gilt für die in Georgien stattgefundenen Fortschritte im Justizwesen und dem Rückgang von Amtsmissbrauch innerhalb der Sicherheitsbehörden seit dem Regierungswechsel im Jahr 2012, da beides bereits im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 19.12.2018 thematisiert wurde (AS 105), das Bundesamt aber dennoch von einer Gefährdung des BF ausgegangen ist, da dessen Aussage, dass er wüsste, dass die Täter weiterhin im Amt seien (AS 109), offenbar als glaubwürdig gewertet wurde.
Auch in der Einvernahme vom 15.10.2020 gab der BF an, dass er wüsste, dass die Mörder noch im Amt seien, wobei er nicht gewillt war, darzulegen, von wem er diese Information hat (AS 175). Aufgrund seiner widersprüchlichen Angaben hinsichtlich einer Person, die zuerst sein Bruder, später aber lediglich ein Mitarbeiter, der „wie ein Bruder“ für ihn gewesen sein soll (AS 171), ist das Bundesamt von der Unglaubwürdigkeit des BF ausgegangen und hat daraufhin das Vorliegen einer Gefährdung im Herkunftsstaat verneint.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts sind die widersprüchlichen Aussagen des BF zu seinem „Bruder“ nicht geeignet, dem BF die Glaubwürdigkeit hinsichtlich der damit nicht in Zusammenhang stehenden Angaben zur aufrechten Beschäftigung der Mörder im Ministerium abzusprechen. Insbesondere da der BF sowohl in der Einvernahme vom 19.12.2018 als auch in der Einvernahme vom 15.10.2020 angab, dass die Mörder noch im Ministerium tätig sind, ist es nicht ersichtlich wieso das Bundesamt dieser Aussage zunächst Glauben schenkte und zwei Jahre später die im Wesentlichen gleichlautende Aussage des BF – aufgrund einer zuvor getätigten und davon völlig losgelösten Aussage – als unglaubwürdig wertet. Demnach kann auch nicht festgestellt werden, dass seit der letzten Entscheidung durch das Bundesamt vom 20.12.2018 wesentlich und nachhaltig veränderte Umstände vorliegen.
2.3. Zur maßgeblichen Situation in Georgien
2.3.1. Die Feststellung, dass Georgien ein sicherer Herkunftsstaat ist, ergibt sich aus § 1 Z 12 der Herkunftsstaaten-Verordnung, wonach Georgien seit 17. Februar 2016 als sicherer Herkunftsstaaten gilt.
2.3.2. Die weiteren Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation in Georgien stützen sich auf die zitierten Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation über Georgien aus dem COI-CMS (generiert am 09.02.2021).
Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Derartigen Länderberichten ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl. VfGH 12.12.2019, E 3369/2019; 12.12.2019, E 2692/2019; 4.3.2020, E 4399/2019 jeweils mwN; vgl. auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 u.a.). Der BF ist diesen Informationen in seiner Beschwerde auch nicht entgegengetreten.
Aus den im Verfahren herangezogenen Länderinformationen ergibt sich im Wesentlichen, dass die Sicherheitslage in Georgien stabil ist und seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 von den zuvor stattgefundenen Amtsmissbräuchen im Sicherheitsbereich, keine Rede mehr ist. Auch eine Bestechlichkeit von Polizisten ist nicht mehr zu verzeichnen, auch wenn diese in Ihrer Rolle als Gesetzeshüter oft als zurückhaltend oder untätig wahrgenommen werden. Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem. Im November 2019 nahm das 2018 geschaffene State Inspector‘s Office seine Arbeit auf, zu dessen Hauptaufgaben unter anderem die unparteiische Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, zählen. Hinsichtlich der allgemeinen Menschenrechtslage in Georgien können den Länderinformationen (wie bereits dem Länderinformationsblatt vom 07.06.2018) erhebliche Fortschritte insbesondere im Justizwesen und im Strafvollzug entnommen werden, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann.
Die Grundversorgung der georgischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gilt als gewährleistet und es besteht eine staatliche Sozialhilfe. Georgien hat seit 2003 eine beachtliche wirtschaftliche Entwicklung erlebt, dennoch sind große Teile der Bevölkerung unterbeschäftigt oder arbeitslos und wird im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie von einer Verdoppelung der Arbeitslosenzahl ausgegangen. Zu Jahresbeginn 2020 nahm eine Agentur zur Beschäftigungsförderung ihre Tätigkeit auf, die primär Arbeitsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Personen erschließen soll. Unterstützung für Rückkehrer und Rückkehrerinnen wird von internationalen Organisationen angeboten. Das staatliche Reintegrationsprogramm (State Reintegration Programme) stellt Beratung und finanzielle Hilfe zur Reintegration in den Arbeitsmarkt (auch Hilfe zur Selbständigkeit) und bei Bedarf auch Erst- bzw. Zwischenunterkunft zur Verfügung. Um den Wiedereingliederungsprozess der zurückgekehrten georgischen Migranten zu unterstützen, stellen vom Staat geförderten NGOs medizinische Behandlung und Medikamente bereit, finanzieren einkommensgenerierende Projekte, unterstützen Begünstigte bei der beruflichen Weiterbildung/Umschulung und stellen temporäre Unterkünfte bereit.
Georgien verfügt seit 2013 über ein staatlich geleitetes, hauptsächlich staatlich finanziertes, allgemeines Gesundheitssystem mit überwiegend privaten medizinischen Institutionen, das den finanziellen Zugang zur medizinischen Grundversorgung für alle Georgier sicherstellen soll.
In Bezug auf die auch in Georgien vorherrschende COVID-19 Pandemie ist in den aktuellen Länderinformationen festgehalten, dass es im Herbst 2020 landesweit zu unkontrollierten Übertragungen kam, woraufhin entsprechende Maßnahmen, wie eine nächtliche Ausgangssperre, eine weitgehende Schließung des Handels und die Einstellung des öffentliche Überlandverkehrs sowie des innerstädtischen Verkehrs in den Großstädten, getroffen wurden. Der Flugverkehr findet eingeschränkt statt. Wie den Statistiken der WHO und der John Hopkins University zu entnehmen ist, sind die Neuinfektionen in Georgien seit Jahresbeginn stark rückläufig und sind die in Zusammenhang mit COVID-19 verzeichneten Todesfälle in Relation zur Gesamtzahl der Bevölkerung im internationalen Vergleich weiterhin gering.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
3.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes lauten (auszugsweise) wie folgt:
„§ 8 (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der a