TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/24 W183 2217604-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.02.2021
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Entscheidungsdatum

24.02.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W183 2217604-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Dr. Martin DELLASEGA und Dr. Max KAPFERER Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.03.2019, Zl. 17-1146813409/170367785, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer verließ im Jahr 2017 Syrien, stellte am 23.03.2017 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 24.03.2017 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 23.01.2019 wurde der Beschwerdeführer von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu seinen Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er vor dem IS geflohen sei und weder von der syrischen Armee noch von der YPG zwangsrekrutiert werden wolle.

Im Rahmen des Administrativverfahrens legte der Beschwerdeführer einen auf ihn lautenden, syrischen Personalausweis und ein Wehrdienstbuch vor.

2.       Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 21.03.2019) wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Syrien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, sondern gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Syrien zulässig ist (Spruchpunkte III. bis V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe keine Bedrohung glaubhaft gemacht und sei die Lage in seiner Herkunftsregion Rojava stabil.

Das BFA stellte dem Beschwerdeführer amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3.       Mit Schriftsatz vom 15.04.2019 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den im Spruch bezeichneten Bescheid. Begründend wurde ausgeführt, dem Beschwerdeführer drohe Zwangsrekrutierung durch die syrische Armee und die YPG.

4.       Mit Schriftsatz vom 17.04.2019 (eingelangt am 16.04.2019) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.10.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bislang zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 20.10.2020).

Am 22.02.2021 wurde eine Strafregisterabfrage durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und hat keinen Asylausschlussgrund gesetzt.

Der Beschwerdeführer ist im Jahr 2017 rechtswidrig aus Syrien ausgereist; er ist nicht im Besitz eines syrischen Reisepasses.

Der Beschwerdeführer stammt aus al-Hasaka.

1.2.    Zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer befindet sich in einem Alter und Gesundheitszustand, der ihn als Soldaten für die syrische Armee interessant macht. Er hat seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet, da er früher von diesem befreit war. Die syrische Armee hat jedoch hohen Bedarf an Rekruten und ist die Rekrutierungspraxis von Willkür geprägt.

Der Beschwerdeführer könnte nur über Grenzübergänge, die in der Hand des syrischen Regimes sind (insbesondere über den Flughafen von Damaskus) sicher und legal in sein Herkunftsgebiet zurückkehren.

Es besteht das reale Risiko, dass der Beschwerdeführer diesfalls am jeweiligen Grenzkontrollposten verhaftet und dem Dienst als Grundwehrdiener der syrischen Armee zugeführt wird. Der Dienst als Grundwehrdiener ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Zwang zur Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen verbunden, im Falle einer Weigerung würde der Beschwerdeführer zumindest mit einer mit Folter verbundenen Gefängnisstrafe bestraft werden.

Eine solche droht dem Beschwerdeführer aber auch, weil er sich dem Dienst als Grundwehrdiener der syrischen Armee entzogen hat, was vom Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen wird.

1.3.    Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Aus der aktuellen Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien vom 18.12.2020 ergibt sich wie folgt:

Zum Wehr- und Reservedienst in den syrischen Streitkräften:

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007).

Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen. (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018)

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Nach Gebietsgewinnen im Sommer 2018 rekrutieren die syrischen Streitkräfte nun vermehr in diesen Gebieten. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt. (DIS 5.2020) Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konflikts erhöht. (FIS 14.12.2018) U.a. finden an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben, Rekrutierungen statt (DIS 5.2020).

Zu Befreiung und Aufschub:

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017). Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020).

Zu Wehrdienstverweigerung:

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 20.11.2019). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018), was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017). Neben anderen Personengruppen sind insbesondere auch Wehrdienstverweigerer bzw. Deserteure Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 19.5.2020; vgl. DIS 5.2020).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen (STDOK 8.2017; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 20.11.2019; vgl. FIS 14.1.2018, DIS 5.2020). Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Alter mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle, wie einem Checkpoint, von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Personals am Kontrollpunkt oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite zu gewärtigen haben, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter (FIS 14.12.2018).

Schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik (USDOS 11.3.2020).

Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle (AA 20.11.2019).

Zur Einreise nach Syrien:

Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen (AA 19.5.2020). Es gab jedoch bereits wieder Lockerungen für Reisen in das Ausland als auch bei der Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wiederaufgenommen (BMEIA 19.8.2020). Es kommt jedoch zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren (AA 19.8.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.8.2020): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278, Zugriff 8.9.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.11.2019): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/21601427/Deutschland___Auswärtiges_Amt%2C_Bericht_über_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_20.11.2019)%2C_20.11.2019.pdf?nodeid=21602084&vernum=-2, Zugriff 26.8.2020

?        BMEIA – Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (19.8.2020): Syrien – Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/syrien, Zugriff 14.9.2020

?        DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria – Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf, Zugriff 24.8.2020

?        DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/Local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf, Zugriff 22.7.2020

?        DRC/DIS – Danish Refugee Council [Dänemark]/The Danish Immigration Service (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Existing Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da&hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D, Zugriff 25.8.2020

?        FIS – Finnish Immigration Service [Finnland ] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020

?        Landinfo [Norwegen] (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 7.9.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asylländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf, Zugriff 12.10.2020

?        PAR – Webseite des Parlaments [Syrien] (12.5.2007): Legislativdekret Nr. 30 von 2007 Militärdienstgesetz, http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=4921&, Zugriff 24.8.2020

?        STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020

?        TIMEP – The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 24.8.2020

?        USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html, Zugriff 22.7.2020

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung; EB) und durch das BFA (EV), der Beschwerdeschriftsatz, die Länderinformation der Staatendokumentation – Syrien vom 18.12.2020 mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten und die Strafregisterabfrage vom 22.02.2021.

2.2.    Zu folgenden Feststellungen wird näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1.  Zur Person des Beschwerdeführers

Aufgrund der beim BFA vorgelegten unbedenklichen Personendokumente (syrische Nationalkarte) steht die Identität des Beschwerdeführers fest. Dies hat auch das BFA seiner Entscheidung unterstellt.

Hinsichtlich der rechtwidrigen Ausreise und hinsichtlich des Fehlens eines syrischen Reisepasses gründen sich die Feststellungen auf die diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellung der Unbescholtenheit gründet sich auf die eingeholte Strafregisterauskunft, ebenso wie die Feststellung fehlender Asylausschlussgründe, die sich auch darauf gründet, dass solche Gründe nicht in Ansatz zu sehen oder hervorgekommen sind.

2.2.2.  Zum Fluchtvorbringen

Die belangte Behörde hat dem angefochtenen Bescheid unterstellt, dass die 2014 erfolgte Befreiung des Beschwerdeführers vom Wehrdienst nach wie vor Gültigkeit hat. Allerdings ergibt sich aus den aktuellen Länderberichten, dass die syrische Armee durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen hat und während des Konfliktes die syrische Regierung das syrische Militärdienstgesetz mehrfach geändert hat, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen. Rekrutierungen finden insbesondere im Rahmen von Kontrollen, etwa bei Straßenkontrollen, Checkpoints, auf Ämtern, an Universitäten, in Spitälern und auch an Grenzübergängen statt. Der Beschwerdeführer wäre im Falle seiner Rückkehr nach Syrien im Zuge seiner Einreise besonders gefährdet, da einerseits aufgrund von COVID-19 zusätzlich verstärkte Einreisekontrollen durchgeführt werden, und es andererseits seine illegale Ausreise, das Fehlen eines Reisepasses, sein wehrdienstfähiges Alter, seine Herkunft aus al-Hasaka und seine ethnische Zugehörigkeit als Kurde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass er am Grenzübergang besonders genau kontrolliert und im Zuge dessen zwangsrekrutiert wird. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass die Rekrutierungspraxis in Syrien von Willkür geprägt ist, und dass es zwar theoretisch noch dieselben Befreiungsgründe gibt, Zwangsrekrutierung jedoch trotzdem stattfindet und eine Befreiung somit keine tatsächliche Garantie dafür bietet, nicht von der syrischen Armee zwangsrekrutiert zu werden.

Dass der Beschwerdeführer bis dato in Syrien keinen Wehrdienst geleistet hat, ergibt sich aus dessen Angaben vor dem Bundesamt sowie dem vorgelegten Militärdienstbuch; das Bundesamt hat weder die mangelnde Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Ausführungen festgestellt noch ergibt sich aus der Aktenlage ein Grund, an diesen Ausführungen zu zweifeln. Somit sind diese Ausführungen der Entscheidung zu unterstellen.

Die Feststellung, dass eine Rückkehr nach Syrien nur über den Flughafen von Damaskus sicher und legal möglich ist, ergibt sich aus den aktuellen Länderberichten bzw. aus dem Umstand, dass die Behörde eine andere Möglichkeit nicht aufgezeigt hat. Auch aus den aktuellen Berichten der UNOCHA (OCHA, 2.4.2020, Syrian Arab Republic: COVID-19. Humanitarian Update No. 04. (https://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/syrian-arab-republic-covid-19-update-no-04-2-april-2020); OCHA, 23.12.2020, Syrian Arab Republic: COVID-19. Humanitarian Update No. 22 (https://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/syrian-arab-republic-covid-19-humanitarian-update-no-22-23-december-2020)) ergibt sich, dass der informelle Grenzübergang Fishkabour/Semalka in kurdisches Gebiet aktuell für den zivilen Personenverkehr (humanitäres Personal ausgenommen – im gegenständlichen Fall nicht relevant) geschlossen ist. Der Beschwerdeführer hat daher nur die Möglichkeit, über Damaskus einzureisen, so das syrische Regime auf ihn zugreifen kann und ist daher dieses als Verfolger zu prüfen.

2.2.3.  Zur Situation in Syrien

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den unter Punkt 1.3. genannten Länderberichten samt den darin zitierten Quellen. Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Auch die belangte Behörde hat diese Länderberichte ihrer Entscheidung unterstellt und wurde diesen auch in der Beschwerde betreffend den hier entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder – im Falle der Staatenlosigkeit – der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen. Dies ist im vorliegenden Fall zweifellos Syrien.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren.

In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird ausgeführt, dass drohende Bestrafung wegen der Weigerung der Teilnahme an einem von der Völkergemeinschaft verurteilten Kriegseinsatz dann zur Asylgewährung führen könne, wenn dem jeweiligen Asylwerber eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde (siehe etwa VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt darüber hinaus ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen – etwa gegen die Zivilbevölkerung – auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009). Dies ist auch in Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich festgehalten. Daher wäre eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.

3.2.    Dies ist nach den Feststellungen der Fall. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer unmittelbar nach der Einreise festgenommen und – so er nicht wegen Wehrdienstverweigerung zu einer langjährigen, potentiell mit Folter verbundenen Gefängnisstrafe, die indiziert, dass man ihm wegen der Fahnenflucht eine oppositionelle Gesinnung unterstellen würde, verurteilt werden würde – dem Wehrdienst in der syrischen Armee zugeführt werden würde. Es besteht das reale Risiko, dass der Beschwerdeführer im Rahmen dieses Dienstes zu menschen- und völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen und im Falle einer Weigerung mit zumindest einer mit Folter verbundenen Anhaltung bzw. Haft bestraft werden würde. Daher liegt nach der oben dargestellten Judikatur des VwGH jedenfalls eine dem Beschwerdeführer objektiv drohende asylrelevante Verfolgung vor.

3.3.    Da die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül die sichere und legale Erreichbarkeit des ins Auge gefassten Gebietes erfordert (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063) und eine sichere und legale Rückkehr der beschwerdeführenden Partei nach Syrien nur über den Flughafen von Damaskus möglich wäre, dieser aber in der Hand des Regimes ist und dieses der Verfolger der beschwerdeführenden Partei ist, kommt eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht.

3.4.    Da darüber hinaus keine vom Beschwerdeführer verwirklichte Asylausschluss- oder -endigungsgründe festzustellen waren, ist der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben, diesem der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und auszusprechen, dass dem Beschwerdeführer somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.5.    Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 – der diesbezüglich § 24 Abs. 4 VwGVG vorgeht (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017) – kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig und in einem ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren erhoben wurde, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes immer noch aktuell und vollständig ist und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilt.

Das ist hinsichtlich des entscheidungsrelevanten Sachverhalts hier der Fall, da dieser bereits von der Behörde ermittelt wurde; es waren daher nur Rechtsfragen zu klären.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die für die Lösung des Falles relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter A) dargestellt und ist dieser gefolgt; es ist daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Desertion Einberufung Einziehung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Militärdienst politische Gesinnung unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung völkerrechtswidrige Militäraktion Wehrdienst Wehrdienstverweigerung Wehrpflicht wohlbegründete Furcht Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W183.2217604.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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