TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/26 W146 2229283-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.2021
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Entscheidungsdatum

26.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W146 2229283-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2020, Zl. 315852700/191294098, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 9 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4, 10 Abs. 1 Z 5, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 4 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine, reiste legal in Österreich ein und stellte am 31.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2016 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen und der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt. Des Weiteren wurde Ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 bis zum 29.12.2017 erteilt.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich die Bedingungen in den Krankenhäusern in der Ukraine verschlechtern würden und davon auszugehen sei, dass die notwendigen Therapien für die Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsland nicht oder nur unzureichend gegeben seien.

Mit Bescheid vom 07.03.2018 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung auf Antrag vom 11.12.2017 bis zum 29.12.2019 verlängert.

Am 27.11.2019 stellte die Beschwerdeführerin neuerlich einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs 4 AsylG.

Am 22.01.2020 wurde die Beschwerdeführerin ausführlich niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Verlängerung ihrer befristeten Aufenthaltsberechtigung einvernommen.

Dabei gab sie an, sich nunmehr in der medizinischen Nachbehandlung nach einer Chemotherapie zu befinden und alle drei bis sechs Monate einen Nachkontrolltermin wahrnehmen zu müssen. Sie nehme Medikamente und die Regelblutung sei nach der Chemotherapie ausgeblieben. Gegen eine Rückkehr in die Ukraine spreche die mangelnde Vertrauenswürdigkeit in die ukrainischen Ärzte, da es nach einer erstmaligen Behandlung in Österreich nach der Rückkehr in die Ukraine wieder zu einem Wachstum des Krebses gekommen sei. Sie wohne alleine im XXXX , sei arbeitssuchend und bekomme von der Caritas finanzielle Unterstützung. Sie habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Die Eltern seien bereits verstorben, ein Bruder, zwei Cousinen und zwei Cousins sowie eine Tante väterlicherseits würden in der Ukraine leben. Mit der Tante stehe sie in Kontakt.

Die Beschwerdeführerin wurde in der niederschriftlichen Einvernahme über mögliche Aberkennungsgründe unterrichtet und wurde sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass weitere Ermittlungen erfolgen, jedoch weitere Einvernahmen zur Sachverhaltsklärung keine Voraussetzung sind.

Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerdeführerin der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2016, Zl 315852700/150325441, zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 AsylG von Amts wegen aberkannt. Die mit Bescheid vom 29.12.2016, Zl 315852700/150325441, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtige wurde gemäß § 9 Abs 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem § 46 FPG in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen, die zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Bei einer Rückkehr sei es der Beschwerdeführerin möglich die Nachbehandlung in der Ukraine fortzusetzen, zumal ihre Chemotherapie bereits abgeschlossen worden sei. Die Beschwerdeführerin sei nicht stationär im Krankenhaus aufhältig, erscheine alle 3 oder 6 Monate zur Kontrolle. In der Ukraine seien ein Bruder, zwei Cousins und Cousinen sowie eine Tante wohnhaft.

Die Beschwerdeführerin lebe allein in einer Wohnung und habe ein gutes Verhältnis zur Vermieterin. Sie erhalte monatlich 365 Euro von der Caritas. Die Beschwerdeführerin suche Arbeit und besuche das AMS. Die Beschwerdeführerin sei bis dato in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sie habe einen Deutschkurs B2 besucht.

Gegen diesen ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass umfassende, entscheidungswesentliche Ermittlungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin unterblieben und mangelnde Feststellungen zur medizinischen Versorgung in der Ukraine getroffen worden seien.

Am 05.03.2020 wurde der Akt seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Am 28.07.2020 wurde ein Abtretungs-Bericht vom 27.07.2020 betreffend die Beschwerdeführerin übermittelt.

Am 30.07.2020 wurde die Verständigung von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Beschwerdeführerin wegen §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG übermittelt.

Am 22.09.2020 ersucht das Bundesverwaltungsgericht um Übermittlung aller aktuellen Befunde der Beschwerdeführerin.

Am 21.10.2020 gab die Beschwerdeführerin die Vollmachtsauflösung bekannt, gab eine Stellungnahme ab und übermittelte medizinische Befunde und Integrationsunterlagen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Ukraine, stammt aus XXXX und bekennt sich zum orthodoxen Glauben.

Der Beschwerdeführerin wurde mit rechtskräftigen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2016 der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, die zuletzt mit Bescheid vom 07.03.2018 verlängert wurde.

Die Beschwerdeführerin hat die Ukraine mit dem Bestreben verlassen in Österreich eine medizinische Behandlung zu erhalten. Die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten erfolgte im Zusammenhang mit dem beeinträchtigten Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten liegen im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr vor. Die von der belangten Behörde ursprünglich angenommenen Umstände, welche zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führten, nämlich die medizinische Behandlung aufgrund ihres damaligen aktuellen Gesundheitszustandes sowie die in diesem Zusammenhang bestehende medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in der Ukraine, liegen nicht mehr vor.

Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Zugang zu medizinischer Behandlung findet bzw. dass bei einer Rückkehr für sie aufgrund ihrer Erkrankung keine Lebensgefahr besteht oder dass sie in einen qualvollen Zustand versetzt werden würde.

Die Beschwerdeführerin wäre im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine nicht im Recht auf Leben gefährdet, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Die Beschwerdeführerin würde im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat in keine existenzgefährdende Notlage geraten noch würde ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin – insbesondere unter Berücksichtigung des beeinträchtigten Gesundheitszustandes – an keinen dermaßen schweren, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leidet, welche eine Rückkehr in die Ukraine iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

Die Beschwerdeführerin hält sich seit 08.12.2014 im Bundesgebiet auf.

Die Beschwerdeführerin befindet sich in einem guten Allgemeinzustand, die vorgelegten aktuellsten Laborbefunde sind in Ordnung. Der AFP Wert ist leicht erhöht. Als Therapie wird im Patientenbrief Oleovit D3 Tropfen (gegen einen Vitamin D3 Mangel) sowie im Bedarfsfall Xanor 0,5 mg Tabl (gegen Angst und Nervosität) empfohlen. Im Zeitraum von März bis April 2015 unterzog sich die Beschwerdeführerin einer Chemotherapie. Aktuell befindet sich die Beschwerdeführerin in einer medizinischen Nachbetreuung.

Die Beschwerdeführerin ist ledig, kinderlos und verfügt über keine Verwandten oder Familienangehörigen im Bundesgebiet.

Die Beschwerdeführerin bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Sie spricht Deutsch auf B1 Niveau, hat einige AMS-Kurse besucht und an mehreren Kursen des „FIT Zentrum XXXX “ – Frauen in Technik und Handwerk teilgenommen. Die Beschwerdeführerin geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Die Beschwerdeführerin ist im erwerbsfähigen Alter und arbeitsfähig.

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten, jedoch wurde ein Ermittlungsverfahren gegen sie wegen des Verdachtes von strafbaren Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz geführt, welches jedoch eingestellt wurde. Vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab sie an, Cannabis geraucht zu haben.

Die Beschwerdeführerin lebte den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Ukraine. In der Ukraine hat die Beschwerdeführerin elf Jahre die Grundschule besucht, auf der Kunstuniversität studiert und anschließend im Marketingbereich gearbeitet.

Die Familienangehörigen der Beschwerdeführerin halten sich unverändert im Herkunftsstaat auf. Zu ihrer Tante im Herkunftsstaat steht die Beschwerdeführerin in Kontakt.

Der Beschwerdeführerin ist eine Rückkehr in die Ukraine zumutbar. Die Beschwerdeführerin kann im Herkunftsstaat durch ihre zahlreichen Angehörigen bei der Finanzierung ihres Lebensunterhaltes, allenfalls privat zu tragender Behandlungskosten, sowie im Alltagsleben unterstützt werden.

Die Beschwerdeführerin hat im Verfahren nicht vorgebracht, bei einer Rückkehr in die Ukraine einem höheren Risiko einer Covid-19 Ansteckung als in Österreich ausgesetzt zu sein und ist ein solches bei Vergleich der Erkrankungszahlen beider Länder auch nicht zu erkennen: Österreich 460.000 Erkrankungen bei 8,9 Mio. Einwohnern, Ukraine 1,4 Mio. Erkrankungen bei 44 Mio. Einwohnern. (Quelle: John Hopkins Coronavirus Resource Center, Zugriff 25.02.2021).

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman.

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Nach der „Revolution der Würde“ auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats- und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlich an den Führungsfiguren (AA 22.2.2019).

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie „Diener des Volkes“, in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet. Die Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 22.2.2019). Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, Binnenvertriebene, Roma, Behinderte, sexuelle Minderheiten und Gefängnisinsassen. Die Ombudsperson kann auch Ermittlungen wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einleiten und ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 13.3.2019).

Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in Verfassung und Gesetzen ausdrücklich vorgesehen. Tatsächlich werden Frauen jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert (AA 22.2.2019). 2018 wurden Demonstrationen von LGBTIoder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört (AA 22.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Durch den bewaffneten Konflikt kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wurde im Dezember 2017 angenommen. Es gibt jedoch kaum ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal (ÖB 2.2019).Frauen und Mitglieder von Minderheitengruppen können am politischen Leben in der Ukraine teilnehmen. Diese Rechte werden jedoch durch Faktoren wie den Konflikt im Osten, Analphabetismus und das Fehlen von Ausweisdokumenten (häufig bei Roma) geschmälert. Das Gesetz über Kommunalwahlen schreibt eine 30%-Quote für Frauen auf Parteilisten vor, die jedoch nicht wirksam durchgesetzt wird. Die gesellschaftliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten beeinträchtigt ihre Fähigkeit, sich an politischen Prozessen und Wahlprozessen zu beteiligen (FH 4.2.2019).

Versammlungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht generell, aber einfachgesetzlich haben die Behörden breite Möglichkeiten das Demonstrationsrecht einzuschränken. 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI- oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört. Die Polizei schützte zwar den 2018 Kiew Pride-Marsch mit tausenden Beamten, kleinere Veranstaltungen von Minderheiten oder oppositionellen Gruppen wurden jedoch nicht immer ausreichend geschützt (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen. Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsgruppen und internationale Organisationen kritisieren jedoch ein Gesetz vom März 2017, das für zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten, die sich mit Antikorruptionsangelegenheiten befassen, gewisse Offenlegungserfordernisse vorsieht. Dies wird weithin als Einschüchterungsmaßnahme gesehen. Menschenrechtsorganisationen berichten von einer wachsenden Anzahl ungeklärter Angriffe auf Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft (mehr als 50 Angriffe binnen 12 Monaten), die ihrer Ansicht nach ein Klima der Straflosigkeit geschaffen hätten, weil die Regierung diese nicht ordentlich untersucht habe. Es gibt Vorwürfe gegen die Regierung, diese würde Aktivisten als Vergeltungsmaßnahme für ihre Tätigkeit strafrechtlich verfolgen (USDOS 13.3.2019).Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Nach dem Ende der Ära Janukowitsch sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen mit einer Vielzahl sozialer, politischer, kultureller und wirtschaftlicher Zielsetzungen entstanden oder wiederbelebt worden. Viele von ihnen können die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Regierungsebenen beeinflussen. Ein klar gegen Russland gerichtetes Gesetz gegen „ausländische Agenten, die unter dem Einfluss eines Aggressorstaats agieren“, wurde im September 2018 vorgelegt. Seitens der Zivilgesellschaft gibt es Bedenken, dass dieses Gesetz generell NGOs mit ausländischen Geldgebern treffen könnte. Gewalt gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft nahm im Jahr 2018 zu. Zu den Bedrohten gehören Aktivisten, die sich gegen Korruption oder für die Rechte von LGBTIPersonen einsetzen (FH 4.2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Meinungsfreiheit vor, auch für Pressevertreter. Die Behörden respektieren diese Rechte jedoch nicht immer. Mit einigen Ausnahmen können Personen in Gebieten, die unter staatlicher Kontrolle stehen, die Regierung im Allgemeinen öffentlich und privat kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse erörtern, ohne Angst vor offiziellen Repressalien zu haben. Die Gesetze verbieten Aussagen, welche die territoriale Integrität des Landes bedrohen, Kriege fördern, Rassen- oder Religionskonflikte auslösen oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen gemäß dieser Gesetze. Die Regierung setzte Maßnahmen um Informationen, Medien oder einzelne Journalisten zu verbieten bzw. zu blockieren, wenn diese als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachtet werden oder Positionen geäußert haben, die nach Ansicht der Behörden die Souveränität und territoriale Integrität des Landes untergraben. Die betrifft vor allem Medien russischer Herkunft oder pro-russischer Ausrichtung. Unabhängige Medien sind aktiv und bringe eine weite Bandbreite an Meinungen zum Ausdruck. In Privatbesitz befindliche Medien - die erfolgreichsten gehören einflussreichen Oligarchen - transportieren oft die Ansichten ihrer Eigentümer, günstige Berichterstattung für ihre Verbündeten und Kritik an politischen und geschäftlichen Rivalen. Unabhängige Medien haben Schwierigkeiten zu konkurrieren. Problematische Praktiken wirken sich weiterhin auf die Medienfreiheit aus, darunter Selbstzensur, günstige Berichterstattung gegen Geld („Jeansa“) und verzerrte Berichterstattung in Medienunternehmen, deren Eigentümer enge Verbindungen zur Regierung oder zu politischen Oppositionspartnern haben. Gewalt gegen Journalisten ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beklagen mangelnde Gegenmaßnahmen der Regierung. 2018 wurden bis September Angaben zufolge 22 Angriffe und 24 Drohungen gegen Journalisten gemeldet, verglichen mit 19 Angriffen und 22 Drohungen im selben Zeitraum 2017. Besonders betroffen ist Berichterstattung, welche als nicht ausreichend patriotisch empfunden wird. Rufmordklagen gegen Journalisten werden von Personen des öffentlichen Interesses immer wieder eingesetzt oder angedroht, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Berichten zufolge hat sich die Freiheit des Internet in der Ukraine zum zweiten Mal in Folge verschlechtert, weil die Behörden stärker gegen Meinungsbekundungen von Social MediaNutzern vorgehen, die als kritisch gegenüber der Position der Ukraine im Donbass-Konflikt wahrgenommen werden. Einer Medienbeobachtungsgruppe zufolge haben die Behörden 2017 gegen 40 Benutzer oder Administratoren von Social-Media-Plattformen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil ihre Inhalte die verfassungsmäßige Ordnung des Landes untergraben oder die nationale Sicherheit gefährdet hätten; 37 von ihnen wurden vor Gericht gestellt. Besonders “separatistische“ oder „extremistische“ Aktivitäten wurden 2018 besonders geahndet; User wurden festgenommen zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt (USDOS 13.3.2019). Das unabhängige Institute of Mass Information registrierte von Januar bis November 2018 201 Verletzungen der Medienfreiheit. Von diesen Vorfällen betrafen 28 Gewalt sowie 27 Drohungen und Einschüchterungen. Die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden der Ukraine versagen manchmal beim Schutz der Rechte von Journalisten (FH 4.2.2019).

Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei von 2015 gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren sind mehrere politische Parteien entstanden. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten, und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.2.2019).

Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert (AA 22.2.2019). Laut Befragungen sind 68,2 Prozent der Ukrainer christlich-orthodox. Davon gehören 26,5 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partiartchats (UOC-KP), 12 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Partiartchats (UOC-MP), 1,1 Prozent zur ukrainisch-autokephalen Kirche (UAOC) und 24,3 Prozent bezeichnen sich als „schlicht orthodox“. 7,8 Prozent der Ukrainer sind griechischkatholisch, 1,3 Prozent jüdisch, 1 Prozent römisch-katholisch, 0,8 Prozent protestantisch und 0,2 Prozent muslimisch. Weitere 7 Prozent identifizieren sich als „Christen“ und 12,6 Prozent geben an, dass sie keiner religiösen Gruppe angehören (USDOS 29.5.2018). Kleinere religiöse Gruppen berichten jedoch weiterhin von einer gewissen Diskriminierung. Im Oktober 2018 erhielten ukrainisch-orthodoxe Kleriker die Erlaubnis der religiösen Behörden in Istanbul, dem historischen Sitz der östlichen orthodoxen Kirche, zur Errichtung einer eigenen autokephalen Kirche außerhalb der kanonischen Gerichtsbarkeit der russisch-orthodoxen Kirche. Im Dezember wurde diese neue orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet, um die bestehenden Denominationen zu vereinigen. Der Kreml und die Kirchenführer in Moskau lehnen diesen Schritt entschieden ab. Es gibt Berichte, dass der ukrainische Geheimdienst aus Furcht vor Provokationen russisch-orthodoxe Kirchen und Priesterheime durchsuchte und Kleriker, die als loyal zu Moskau gelten, zum Verhör vorgeladen wurden. Diese Auseinandersetzung hindert jedoch die meisten Menschen nicht wesentlich daran, den Glauben ihrer Wahl zu praktizieren (FH 4.2.2019).

Bewegungsfreiheit

Die Bewegungsfreiheit ist in der Ukraine generell nicht eingeschränkt; im Osten des Landes jedoch ist diese aufgrund der Kampfhandlungen faktisch eingeschränkt (FH 4.2.2019).

Die Ausreisefreiheit wird (vorbehaltlich gesetzlicher Einschränkungen) von der Verfassung jedermann garantiert (Art. 33 Absatz 1). Ausreisewillige ukrainische Staatsangehörige müssen über einen Reisepass verfügen, der auf Antrag und gegen Gebühr ausgestellt wird. Bei Ausreise zur ständigen Wohnsitznahme im Ausland ist zudem zuvor ein gebührenpflichtiger Sichtvermerk des Staatlichen Migrationsdienstes (DMSU) einzuholen und dem Zoll eine Bestätigung des zuständigen Finanzamts vorzulegen, dass sämtliche steuerlichen Verpflichtungen erfüllt wurden. Weitergehende Verpflichtungen sind seit 1. Oktober 2016 entfallen. Die ukrainischen Grenzschutzbehörden kontrollieren an der Grenze, ob ein gültiger Reisepass und gegebenenfalls ein Visum des Ziellandes vorliegen, der Ausreisende in der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben ist oder andere Ausreisehindernisse bestehen. Ausgereist wird vornehmlich auf dem Landweg. Derzeit liegen keine Erkenntnisse vor, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 22.2.2019).

Grundversorgung

Die makroökonomische Lage stabilisiert sich nach schweren Krisenjahren auf niedrigem Niveau. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen, die Wirtschaftsentwicklung weiter erheblich beeinträchtigenden, Umstände, wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von geschätzten 3,4% erzielt; die Inflation lag bei rund 10%. Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 22.2.2019).

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kindern bleibt daher karg. Die Ukraine gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig. In den von Separatisten besetzten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk müssen die Bewohner die Kontaktlinie überqueren, um ihre Ansprüche bei den ukrainischen Behörden geltend zu machen (AA 22.2.2019).

Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EURaum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP im Jahr 2013 auf 18,5% im Jahr 2015 und danach weiter auf 17,8%. Die ist vor allem auf Reduktion von Sozialleistungen, besonders der Pensionen, zurückzuführen. Das Wirtschaftsministerium schätzte den Schattensektor der ukrainischen Wirtschaft 2017 auf 35%, andere Schätzungen gehen eher von 50% aus. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde für Jänner 2019 mit 1.853 UAH beziffert (ca. 58 EUR), ab 1. Juli 2019 mit 1.936 UAH (ca. 62 EUR) und ab 1. Dezember 2019 mit 2.027 (ca. 64,5 EUR) festgelegt. Alleinstehende Personen mit Kindern können in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Diese wird für Kinder unter 18 Jahren (bzw. StudentInnen unter 23 Jahren) ausbezahlt. Die Zulage orientiert sich am Existenzminimum für Kinder (entspricht 80% des Existenzminimums für alleinstehende Personen) und dem durchschnittlichen Familieneinkommen. Diese Form von Unterstützung ist mit einer maximalen Höhe von 1.626 UAH (ca. 50,8 EUR) für Kinder im Alter bis zu 6 Jahren, 2.027 UAH (ca. 63,3 EUR) für Kinder im Alter von 6 bis 18 Jahren bzw. 1.921 UAH (ca. 60 EUR) für Kinder im Alter von 18 bis 23 Jahren pro Monat gedeckelt. Außerdem ist eine Hinterbliebenenrente vorgesehen, die monatlich 50% der Rente des Verstorbenen für eine Person beträgt; bei zwei oder mehr Hinterbliebenen werden 100% ausgezahlt. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Hinzu kommt ein Zuschuss bei der Geburt oder bei der Adoption eines Kindes sowie die o.g. Beihilfe für Alleinerziehende. Der Geburtenzuschuss beträgt derzeit in Summe 41.280 UAH (ca. 1.288 EUR). Davon werden 10.320 UAH (ca. 322,15 EUR) in den zwei bis drei Monaten nach Geburt/Adoption ausgezahlt, die restliche Summe in gleichen Zahlungen von 860 UAH (ca. 26,85 UAH) monatlich im Laufe der folgenden drei Jahre. Laut geltenden ukrainischen Gesetzen beträgt die Dauer des Mutterschutzes zwischen 126 Tagen (70 Tage vor und 56 Tage nach der Geburt) und 180 Tagen (jeweils 90 Tage vor und nach der Geburt). Für diese Periode bekommen die Mütter ihren Lohn hundertprozentig ausbezahlt. In den nächsten drei Karenzjahren bekommen die Mütter keine weiteren Auszahlungen außer dem o.g. Geburtenzuschuss bzw. den finanziellen Zuschüssen für Alleinerziehende. Gesetzlich ist grundsätzlich ebenfalls die Möglichkeit einer Väterkarenz vorgesehen, wobei diese in der Praxis weiterhin kaum in Anspruch genommen wird. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70%. Die gesetzlich verpflichtende

Pensionsversicherung wird durch den Pensionsfonds der Ukraine verwaltet, der sich aus Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aus Budgetmitteln und diversen Sozialversicherungsfonds speist. Im Oktober 2017 nahm das ukrainische Parlament eine umfassende Pensionsreform an, die vor allem auch von internationalen Geldgebern zur Reduzierung des großen strukturellen Defizits gefordert wurde. Darin enthalten ist vor allem eine Anhebung der Mindestpension, welche von knapp zwei Drittel aller Pensionisten bezogen wird, um knapp 700 UAH (ca. 22 EUR). Ebenfalls vorgesehen ist eine automatische Indexierung der Mindestpension sowohl an die Inflationsrate, wie auch an die Entwicklung des Mindestlohns. Weiters wurde für arbeitende Pensionisten der Beitrag zur staatlichen Pensionsversicherung von 15% zur Gänze gestrichen. Das Pensionsantrittsalter wurde bei 60 Jahren belassen, die Anzahl an Beitragsjahren zur Erlangung einer staatlichen Pension wurde jedoch von 15 auf 25 Jahre erhöht und soll sukzessive bis 2028 weiter auf 35 Jahre steigen. Ebenfalls abgeschafft wurden gewisse Privilegien z.B. für öffentliche Bedienstete, Richter, Staatsanwälte und Lehrer. Im Jahr 2017 belief sich die Durchschnittspension auf 2.480,50 UAH (ca. 77 EUR), die durchschnittliche Invaliditätsrente auf 1.996,20 UAH (ca. 62,31 EUR) und die Hinterbliebenenpension auf 2.259,99 UAH (ca. 70,55 EUR). Viele Pensionisten sind dementsprechend gezwungen, weiter zu arbeiten. Private Pensionsvereinbarungen sind seit 2004 gesetzlich möglich. Die Ukraine hat mit 12 Millionen Pensionisten (knapp ein Drittel der Gesamtbevölkerung) europaweit eine der höchsten Quoten in diesem Bevölkerungssegment, was sich auch im öffentlichen Haushalt widerspiegelt: 2014 wurden 17,2% des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine für Pensionszahlungen aufgewendet (ÖB 2.2019; vgl. UA 27.4.2018).

Medizinische Versorgung

Das ukrainische Spitalswesen ist derzeit nach einem hierarchischen Dreistufenplan organisiert: die Grundversorgung wird in Rayonskrankenhäusern bereitgestellt. Das Rückgrat des ukrainischen Spitalswesens stellen die Distriktkrankenhäuser dar, die sich durch Spezialisierung in den verschiedenen medizinischen Disziplinen auszeichnen. Die dritte Ebene wird durch überregionale Spezialeinrichtungen und spezialisierte klinische und diagnostische Einrichtungen an den nationalen Forschungsinstituten des ukrainischen Gesundheitsministeriums gebildet. Ursprünglich als Speerspitze der Gesundheitsversorgung für komplizierte Fälle konzipiert, sind die Grenzen zwischen Einrichtungen der zweiten und dritten Ebene in letzter Zeit zunehmend verschwommen. Auch die laufende Dezentralisierungsreform dürfte in Zukunft Auswirkungen auf die Struktur des ukrainischen Gesundheitssystems haben. Aufgrund der dafür nötigen, jedoch noch nicht angenommenen Verfassungsänderung, bleibt diese Reform jedoch vorerst unvollendet, die Zusammenlegung von Gemeinden erfolgt bislang auf freiwilliger Basis. Von einigen Ausnahmen abgesehen ist die technische Ausstattung ukrainischer Krankenhäuser als dürftig zu bezeichnen. Während die medizinische Versorgung in Notsituationen in den Ballungsräumen als befriedigend bezeichnet werden kann, bietet sich auf dem Land ein differenziertes Bild: jeder zweite Haushalt am Land hat keinen Zugang zu medizinischen Notdiensten. Die hygienischen Bedingungen, vor allem in den Gesundheitseinrichtungen am Land, sind oftmals schlecht. Aufgrund der niedrigen Gehälter und der starken Motivation gut ausgebildeter MedizinerInnen ins Ausland zu gehen, sieht sich das ukrainische Gesundheitssystem mit einer steigenden Überalterung seines Personals und mit einer beginnenden Ausdünnung der Personaldecke, vor allem auf dem Land und in Bereichen der medizinischen Grundversorgung, konfrontiert. Von Gesetzes wegen und dem ehemaligen sowjetischen Modell folgend sollte die Bereitstellung der jeweils nötigen Medikation – mit der Ausnahme spezieller Verschreibungen im ambulanten Bereich – durch Budgetmittel gewährleistet sein. In der Realität sind einer Studie zufolge in 97% der Fälle die Medikamente von den Patienten selbst zu bezahlen, was die jüngst in Angriff genommene Reform zu reduzieren versucht. Dies trifft vor allem auf Verschreibungen nach stationärer Aufnahme in Spitälern zu. 50% der PatientInnen würden demnach aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten eine Behandlung hinauszögern oder diese gänzlich nicht in Anspruch nehmen. In 43% der Fälle mussten die PatientInnen entweder Eigentum verkaufen, oder sich Geld ausleihen, um eine Behandlung bezahlen zu können. In der Theorie sollten sozial Benachteiligte und Patienten mit schweren Erkrankungen (Tbc, Krebs, etc.) von jeglichen Medikamentenkosten, auch im ambulanten Bereich, befreit sein. Aufgrund der chronischen Unterdotierung des Gesundheitsetats und der grassierenden Korruption wird das in der Praxis jedoch selten umgesetzt (ÖB 2.2019). Patienten müssen in der Praxis die meisten medizinischen Leistungen und Medikamente informell aus eigener Tasche bezahlen (BDA 21.3.2018).

Ende 2017 wurde eine umfassende Reform des ukrainischen Gesundheitssystems auf die Wege gebracht. Eingeführt wird unter anderem das System der „Familienärzte“. Patienten können in dem neuen System direkt mit einem frei gewählten Arzt, unabhängig von Melde- oder Wohnort, eine Vereinbarung abschließen und diesen als Hauptansprechpartner für alle gesundheitlichen Belange nutzen. Ebenfalls ist eine dringend nötige Modernisierung der medizinischen Infrastruktur in ländlichen Regionen vorgesehen, und ein allgemeiner neuer Zertifizierungsprozess inklusive strikterer und transparenterer Ausbildungsanforderungen für Ärzte vorgesehen. Weiters sind ukrainische Ärzte nunmehr verpflichtet, internationale Behandlungsprotokolle zu befolgen. Die Umsetzung der Reform schreitet nur schrittweise voran und wird noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Im Zuge der Gesundheitsreform wurde im März 2018 ein Nationaler Gesundheitsdienst gegründet, der in Zukunft auch als zentrales Finanzierungsorgan für alle (öffentlichen und privaten) ukrainischen Gesundheitsdienstleister dienen und die Implementierung der Gesundheitsreform vorantreiben soll. Über die Hälfte aller in der medizinischen Grundversorgung tätigen Institutionen haben bereits neue Verträge mit dem Nationalen Gesundheitsdienst abgeschlossen (ÖB 2.2019).

Der Nationale Gesundheitsdienst hat die Funktion einer staatlichen, budgetfinanzierten Einheitskrankenversicherung übernommen. Zugleich wurde ein modernes, IT-gestütztes e-HealthSystem (Ärzte/Patienten-Register, Erfassung abrechnungsfähiger Dienstleistungen/Verschreibungen von erstattungsfähigen Arzneien etc.) eingeführt. Das noch im Aufbau begriffene System umfasst derzeit ca. 700 medizinische private und kommunale Einrichtungen mit ca. 24 Mio. Patienten sowie mehr als 17 Mio. einzelne Patientenverträge mit ihren Familienärzten, und deckt damit etwa die Hälfte aller Einrichtungen der primären medizinischen Fürsorge ab. Es ermöglicht derzeit bereits mehr als 40% der ukrainischen Bevölkerung freie Hausarztwahl sowie einen geregelten Zugang zu erstattungsfähigen Arzneien (derzeit mehr als 300 gelistete Arzneien) (AA 22.2.2019). Die Gesundheitsreform sieht eine Rückerstattung der Kosten für eigens gelistete Medikamente für Herzkreislauf-Erkrankungen, Asthma und Typ 2 Diabetes vor, die bei teilnehmenden Apotheken und mit einem entsprechenden Rezept teils auch kostenlos oder stark vergünstigt erworben werden können. Die Verfügbarkeit dieses Angebots ist zwar vorerst weiterhin von den an diesem Programm teilnehmenden Apotheken abhängig, allgemein scheint dieses System jedoch in der Praxis gut zu funktionieren (ÖB 2.2019; Liste der Medikamente siehe unter: MOZ o.D.).

Soweit die Gesundheitsreform noch nicht umgesetzt ist, ist der Beginn einer Behandlung in der Regel auch weiterhin davon abhängig, dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft. Neben dem öffentlichen Gesundheitswesen sind in den letzten Jahren auch private Krankenhäuser beziehungsweise erwerbswirtschaftlich geführte Abteilungen staatlicher Krankenhäuser gegründet worden. Die Dienstleistungen der privaten Krankenhäuser sind außerhalb des Nationalen Gesundheitsdienstes jedoch für die meisten Ukrainer nicht bezahlbar. Gebräuchliche Medikamente werden im Land selbst hergestellt. Die Apotheken halten teilweise auch importierte Arzneien vor (AA 22.2.2019).

In den unter Kontrolle der ukrainischen Regierung stehenden Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk leidet die medizinische Versorgung unter kriegsbedingten Engpässen: so wurden einige Krankenhäuser beschädigt und/oder verloren wesentliche Teile der Ausrüstung; qualifizierte Ärzte sind nach Westen gezogen. Im Donezker Gebiet gibt es zurzeit nur eingeschränkte psychiatrische Betreuung, da das entsprechende Gebietskrankenhaus vollständig zerstört wurde und bisher nur die Einrichtungen für Kinder und Tuberkulosekranke wieder hergerichtet werden konnten. Das Gebietskrankenhaus des Luhansker Gebiets musste sämtliche Ausrüstung zurücklassen und konnte sich nur provisorisch in Rubishne niederlassen. Eine qualifizierte Versorgung auf sekundärem Niveau (oberhalb der Versorgung in städtischen Krankenhäusern) ist dort zurzeit nicht gegeben (AA 22.2.2019).

Rückkehr

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Um neue Dokumente zu beantragen, müssen sich Rückkehrer an den Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich – wie bei anderen Personengruppen auch – Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 22.2.2019).

Covid-19:

Dem aktuellen Wissensstand nach verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf (Quelle: WHO).

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang sowie die getroffenen Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin (Staatsangehörigkeit, Herkunft und religiöses Bekenntnis), zu ihrer Herkunft und zu ihren Familienverhältnissen in der Ukraine ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, insbesondere aus dem Einvernahmeprotokoll vom 22.01.2020.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen (ambulante Patientenbriefe, Laborbefunde). Aus dem zuletzt vorgelegten ambulanten Patientenbrief vom 15.09.2020 ergibt sich die Therapie mit den in den Feststellungen genannten Medikamenten. Dass es sich bei diesen Medikamenten um Arzneien gegen einen Vitamin D3 Mangeln bzw gegen Nervosität und Angst handelt, hat sich aus einer Internetrecherche ergeben. Die Nachbehandlung ergibt sich aus einer vorgelegten Terminbestätigung.

Das Datum der Antragstellung auf internationalen Schutz ergibt sich ebenso aus der Aktenlage wie die Feststellungen rund um die Schutzzuerkennung und die erteilten, jeweils befristeten, Aufenthaltsberechtigungen.

Auch das Bundesverwaltungsgericht kommt zur Überzeugung, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in keine ausweglose Situation geraten würde und sich die Lage für sie im Falle einer Rückkehr derart geändert hat, dass die Voraussetzungen für die Erteilung von subsidiären Schutz nicht mehr vorliegen.

Eine Durchsicht des Akteninhaltes ergibt, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren über einen im Jahr 2015 gestellten Antrag auf internationalen Schutz individuelle Rückkehrbefürchtungen geltend gemacht hat. Die Beschwerdeführerin hat die Ukraine im Jahr 2014 verlassen, um sich im Bundesgebiet einer medizinischen Behandlung zu unterziehen. Ihr wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine reale Gefahr aufgrund der medizinischen Versorgung und der sozialen Absicherung in ihrem individuellen Fall bestehe.

Die belangte Behörde begründete die Aberkennung des subsidiären Schutzes damit, dass die Chemotherapie abgeschlossen sei und sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin massiv verbessert habe. Aus einer vergleichenden Analyse der Länderberichte der Staatendokumentation im Bescheid vom 29.12.2016 und dem angefochtenen Bescheid ist ersichtlich, dass sich die medizinische Situation in der Ukraine seit der Zuerkennung am 29.12.2016 nachhaltig und dauerhaft verbessert hat. So ergibt sich im Vergleich der eingeführten Länderberichte, dass sich zum Zeitpunkt der Schutzzuerkennung die Bedingungen in den Krankenhäusern verschlechterten. Im Vergleich dazu ergibt sich aus den aktuellen Länderberichten, dass die medizinische Versorgung in Ballungsräumen als befriedigend bezeichnet werden kann. In den Gebieten der Zentral- und Westukraine ist eine ausreichende Gesundheitsversorgung vorhanden. Die medizinische Versorgung ist in der Regel nach kostenlos und flächendeckend, wenn auch viele Leistungen bzw. Medikamente selbst bezahlt werden müssen. Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, auch innere und psychische Krankheiten behandelt werden können, existieren sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal. Die Beschwerdeführerin stammt aus XXXX , einer Millionenstadt am Schwarzen Meer und das administrative Zentrum der Oblast XXXX .

Die medizinische Versorgung entspricht jedoch nicht immer westeuropäischem Standard. Ende 2017 wurde eine umfassende Reform des ukrainischen Gesundheitssystems auf die Wege gebracht. Eingeführt wird unter anderem das System der „Familienärzte“. Patienten können in dem neuen System direkt mit einem frei gewählten Arzt, unabhängig von Melde- oder Wohnort, eine Vereinbarung abschließen und diesen als Hauptansprechpartner für alle gesundheitlichen Belange nutzen. Ebenfalls ist eine dringend nötige Modernisierung der medizinischen Infrastruktur in ländlichen Regionen vorgesehen und ein allgemeiner neuer Zertifizierungsprozess inklusive strikterer und transparenterer Ausbildungsanforderungen für Ärzte vorgesehen. Weiters sind ukrainische Ärzte nunmehr verpflichtet, internationale Behandlungsprotokolle zu befolgen. Die Umsetzung der Reform schreitet nur schrittweise voran und wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Im März 2018 wurde ein Nationaler Gesundheitsdienst gegründet, der in Zukunft auch als zentrales Finanzierungsorgan für alle (öffentlichen und privaten) ukrainischen Gesundheitsdienstleister dienen und die Implementierung der Gesundheitsreform vorantreiben soll. Neben dem öffentlichen Gesundheitswesen sind in den letzten Jahren auch private Krankenhäuser bzw. gewerblich geführte Abteilungen staatlicher Krankenhäuser gegründet worden. Daraus ist eindeutig erkennbar, dass sich die Lage rund um die medizinische Versorgung in der Ukraine seit dem Zeitpunkt der Schutzzuerkennung im Jahr 2016 nachhaltig geändert hat. Auch ist eine weitere Besserung in den nächsten Jahren zu erwarten.

Die Beschwerdeführerin führte in ihrer Einvernahme aus, dass die Chemotherapie, welcher sie sich unterzogen hat, bereits abgeschlossen ist und sie sich nunmehr nur mehr medizinischen Nachkontrollen unterziehen muss. Dies ergibt sich ebenso aus dem vorgelegten Patientenbrief vom 15.09.2020. Das von der Beschwerdeführerin im Vorverfahren vorgebrachte Krebsleiden wurde durch die Chemotherapie behandelt. Es liegen keine fachärztlichen Unterlagen, welche eine Verschlimmerung der Erkrankung belegen, vor. Im Gegenteil ist aus dem Patientenbrief vom 15.09.2020 erkennbar, dass sich die Beschwerdeführerin in einem guten Allgemeinzustand befindet, der Laborbefund in Ordnung ist, jedoch der AFP Wert immer leicht erhöht ist. Eine angedachte neuerliche Chemotherapie lässt sich aus den Befunden nicht erkennen, sondern ergibt sich lediglich ein weiterer Termin für eine Befundbesprechung. Auch lässt sich aus dem Patientenbrief entnehmen, dass die vorgeschlagenen Medikamente zur Therapie nicht das (ehemalige) Krebsleiden betreffen. Bei den Medikamenten handelt es sich um Arzneien gegen einen Vitamin D3 Mangel sowie gegen Angst und Nervosität.

Da die Chemotherapie abgeschlossen ist, sich aus den Laborbefunden keine neuerliche Krebserkrankung ableiten lässt und die Beschwerdeführerin auch keine Befunde vorlegen konnte, die eine neuerliche Krebserkrankung diagnostizieren, ist davon auszugehen, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Kontrollen lediglich dazu dienen, den aktuellen Gesundheitszustand zu überwachen und nicht dazu, dass die Erkrankung behandelt wird. In diese Bild passt auch der vorgelegte ambulante Patientenbrief vom 26.11.2019, wonach die Beschwerdeführerin sich zwar engmaschigen Kontrollen unterziehen muss, jedoch eine Chemotherapie erst dann notwendig ist, wenn es zu einem Tumorrückfall kommt. Auch ergibt sich aus dem Patientenbrief vom 15.09.2020 keine medikamentöse Behandlung aufgrund der Krebserkrankung. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich, dass die medizinischen Nachkontrollen keine Therapie, sondern lediglich Kontrollen sind, welchen sich die Beschwerdeführerin auch in der Ukraine unterziehen kann, zumal sich aus den Länderberichten ergibt, dass die medizinische Grundversorgung für die Bevölkerung in der Ukraine gewährleistet ist. Soweit im Patientenbrief vom 26.11.2019 ausgeführt wird, dass die Beschwerdeführerin im Falle eines Tumorrückfalles eine moderne Chemotherapie benötige, welche in der Ukraine nicht verfügbar sei, ist festzuhalten, dass der behandelnde Arzt besondere Fachkenntnis auf dem Gebiet der Medizin besitzt. Es bestehen jedoch keine Hinweise, dass er länderkundliches Fachwissen in Bezug auf das Gesundheitswesen in der Ukraine besitzt, weshalb festzuhalten ist, dass mit dieser Aussage den behördlichen Feststellungen nicht auf gleichem fachlichem Niveau entgegengetreten wurde. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch festzuhalten, dass der Arzt davon spricht, dass die Behandlung, welche die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr der Tumorerkrankung benötige, in der Ukraine nicht verfügbar sei. Dabei handelt es sich offensichtlich nicht um eine Behandlung bis zur Rückkehr der Erkrankung. Darüber hinaus besteht im Fall eines Tumorrückfalles für die Beschwerdeführerin jederzeit die Möglichkeit, für eine Behandlung in Österreich legal mit einem Visum einzureisen. Dies hat sie bereits im Jahr 2014 so gehandhabt.

Der subsidiäre Schutz wurde ihr unter anderem auch aufgrund der mangelnden sozialen Absicherung im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung gewährt. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass sich aus den Länderberichten zwar ergibt, dass von Gesetzes wegen und dem ehemaligen sowjetischen Modell folgend die Bereitstellung der jeweils nötigen Medikation – mit der Ausnahme spezieller Verschreibungen im ambulanten Bereich – durch Budgetmittel gewährleistet sein sollte. In der Realität sind einer Studie zufolge in 97% der Fälle die Medikamente von den Patienten selbst zu bezahlen, was die jüngst in Angriff genommene Reform zu reduzieren versucht. Dies trifft vor allem auf Verschreibungen nach stationärer Aufnahme in Spitälern zu. In der Theorie sollten sozial Benachteiligte und Patienten mit schweren Erkrankungen (Tbc, Krebs, etc.) von jeglichen Medikamentenkosten, auch im ambulanten Bereich, befreit sein. Aufgrund der chronischen Unterdotierung des Gesundheitsetats und der grassierenden Korruption wird das in der Praxis jedoch selten umgesetzt. Doch es ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin keine medikamentöse Behandlung aufgrund ihrer inzwischen geheilten Krebserkrankung benötigt.

Auch aus dem soeben Erwähnten ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin, welche – abgesehen von medizinischen Kontrollen – keine medizinische Behandlung braucht und keine Medikamente gegen ihre seinerzeitige Tumorerkrankung einnimmt, inzwischen ausreichend gesund ist, sodass ihr eine Rückkehr in die Ukraine möglich ist, zumal sich auch die medizinische Versorgung in der Ukraine verbessert hat.

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin unter derartigen gesundheitlichen Beschwerden leidet, welche einer Rückkehr in die Ukraine entgegenstehen würde oder sie in ihrem Alltags- oder Erwerbsleben massiv einschränken würde. Auch aus den vorgebrachten Beschwerden rund um die Regelblutung (Ausbleiben) ergeben sich keine Erkrankungen, die einer Rückkehr in die Ukraine entgegenstehen würden.

Aus dem in diesem Zusammenhang stehende Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie bereits zwischen 2004 und 2006 in Österreich behandelt worden sei, sie sich danach in der Ukraine in medizinische Versorgung begeben habe und es danach zu einem neuen Krebswachstum gekommen sei, kann keine höhere Gefahr einer neuerlichen Erkrankung im Falle einer Rückkehr in die Ukraine erkannt werden. Die Beschwerdeführerin unterzog sich zwischen 2006 und 2014 einer medizinischen Nachsorge in der Ukraine. Erst als festgestellt wurde, dass die Tumorerkrankung zurückgekehrt ist, reiste sie in das Bundesgebiet um die Tumorerkrankung zu bekämpfen. Daraus ergibt sich, dass das Ziel einer regelmäßigen Nachkontrolle, die Erkennung einer allfälligen neuerlichen Tumorerkrankung, auch in der Ukraine gegeben ist. Eine Rückkehr der Tumorerkrankung kann mit einem Verbleib im Bundesgebiet (und allfälliger medizinischen Kontrolluntersuchungen) nicht verhindert werden. Dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine einer im Vergleich zu in Österreich erhöhten Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Erkrankung ausgesetzt ist und in weiterer Folge dermaßen schwer und akut lebensbedrohlich erkranken würde, ist nicht ersichtlich.

Aufgrund dieser Ausführungen sowie vor dem Hintergrund, dass sich die Beschwerdeführerin bereits zwischen 2006 und 2014 einer Behandlung in der Ukraine (als Nachversorgung) unterzogen hat, ist davon auszugehen, dass die für die Beschwerdeführerin notwendige medizinische Behandlung (regelmäßige Kontrollen infolge einer erfolgreich überwundenen Tumorerkrankung) in der Ukraine vorhanden und zugänglich ist.

Die Feststellungen zu Personenstand und den fehlenden Familienangehörigen im Bundesgebiet gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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