Entscheidungsdatum
02.03.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W119 2151738-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Jemen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.2.2017, Zahl: 1075536606 - 150761390/BMI-BFA_SZB_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein jemenitischer Staatsangehöriger, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.6.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 1.7.2015 gab er zunächst im Wesentlichen an, Staatsangehöriger des Jemen, ledig, in XXXX in Saudi-Arabien geboren und sunnitischen Glaubens zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Araber an, habe sechs Jahre die Grundschule und zwei Jahre die Hauptschule besucht und sei Arbeiter gewesen. Die Eltern seien beide verstorben und er habe keine Geschwister. Zuletzt habe er in XXXX im Jemen gelebt und die Heimat Ende Februar 2015 legal mit dem Flugzeug von XXXX aus nach Istanbul verlassen.
Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, wegen des Krieges und der ganzen Situation im Jemen gebe es dort keine Gesetze mehr. Jeden Tag sei jemand anderer Chef, es gebe keine Sicherheit. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.
In der Folge langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder belangte Behörde) die Kopie des jemenitischen Reisepasses sowie eines Ausweises des Beschwerdeführers ein.
Am 25.1.2017 wurde der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und legte zunächst folgende Dokumente vor: ÖSD Zertifikat A 1 vom 17.8.2016 sowie drei Arztbriefe. Dabei erklärte er, nunmehr gesund zu sein, jedoch habe man ihm im Juni 2016 Nierensteine operativ entfernt.
Die in der Erstbefragung protokollierten Angaben korrigierte er dahingehend, dass seine Mutter lebe und sein Geburtsdatum das im Spruch erstgenannte sei. Zudem habe er nicht in XXXX , sondern in XXXX gelebt. Der Beschwerdeführer sei ledig, kinderlos, in XXXX in Saudi-Arabien geboren, Staatsangehöriger des Jemen, Araber und sunnitischer Moslem. Doppelstaatsbürgerschaft habe er keine.
Bis zu seiner Ausreise habe er ihn XXXX gelebt, seinen Reisepass hätte er wie alle anderen Dokumente auf der Fahrt von der Türkei nach Griechenland verloren. Im Alter von sechs oder sieben Jahren sei er mit seinen Eltern von Saudi-Arabien in den Jemen gekommen, sein Vater stamme ursprünglich aus XXXX , die Mutter aus Hadermut. Von 1994 bis 2002 habe der Beschwerdeführer in XXXX die Schule besucht, von Beruf sei er im Jemen Brunnenbauer gewesen und habe monatlich ca. $ 1000 bis $ 1200 verdient.
Bezüglich seiner Fluchtgründe habe sich nichts geändert. Den Entschluss zur Ausreise hätte er im November 2014 gefasst, ausgereist sei er Ende Februar 2015 legal mit dem Flugzeug nach Istanbul.
Durch seine Arbeit habe der Beschwerdeführer den gesamten Jemen kennengelernt, weil er an vielen Stellen Wasserbohrungen durchgeführt habe. Im November 2014 hätte ihn sein Arbeitgeber mit seiner Gruppe zu einem Projekt in einer näher genannten Ortschaft in Saada geschickt. Dort seien sie von den Stämmen empfangen worden und hätten einen Monat gearbeitet. Während dieser Zeit seien sie von einem Mann der Huthis beobachtet worden, der mehrmals versucht habe, den Beschwerdeführer zu einem Glaubenswechsel von sunnitisch zu schiitisch zu überreden. Deshalb sei es zu einem Streit gekommen, in dem der Beschwerdeführer das schiitische Oberhaupt dieser Person beschimpft habe. Daraufhin wäre er mit dem Maschinengewehr auf den Rücken geschlagen und aufgefordert worden, höflich zu sein. Der Beschwerdeführer habe eine große Zange in der Hand gehabt und diesem Mann auf das Bein geschlagen, der daraufhin zurückgetreten sei und seine Waffe entsichert habe. Ein Freund sei dem Beschwerdeführer zu Hilfe geeilt und habe versucht, diesem Mann die Waffe wegzunehmen. Sein Arbeitgeber habe dem Beschwerdeführer Geld gegeben und ihn aufgefordert, abzuhauen, woraufhin dieser fast 15 Minuten zur Hauptstraße gelaufen und mit einem Fahrzeug Richtung XXXX geflüchtet sei. Nach drei Tagen habe ihn sein Arbeitgeber angerufen und gesagt, die Huthis wären unterwegs zu ihm, den Freund, der ihm geholfen habe, hätten sie bereits entführt. Daraufhin sei der Beschwerdeführer zu einem Freund geflüchtet, bis er das Visum für die Türkei erhalten habe. Seine Mutter habe ihn angerufen und erzählt, dass die Huthis das Haus durchsucht und ihr gesagt hätten, sie solle die Beerdigung des Beschwerdeführers vorbereiten.
Weitere Fluchtgründe gebe es nicht, der Beschwerdeführer sei weder persönlich und konkret vom Staat, noch vom IS oder der Al-Qaida bedroht worden. Die einzige konkrete Bedrohung sei die der Huthi Miliz Ende November 2014 auf der Baustelle in Saana. Dieser Mann habe ihm mit dem Umbringen gedroht und dies später auch zu seiner Mutter gesagt. Konkret handle es sich um den Leiter einer Huthi Kampfeinheit in dem Gebiet, in dem sie gearbeitet hätten. Bedroht worden sei der Beschwerdeführer nur das eine Mal, dann sei er geflüchtet.
Die Stämme, die sie in Saada empfangen hätten, seien Stämme der Huthis. Beschimpft habe der Beschwerdeführer den Al Sayyed, dabei handle es sich nicht um den Namen, sondern den Titel des schiitischen Oberhauptes.
Er selbst gehöre einem näher genannten Stamm aus XXXX an. Er sei weder ausgeschlossen noch bedroht worden, aber habe keinen Kontakt zu ihnen, sondern nur in XXXX gewohnt. Vorgehalten, dass es im Jemen so sei, dass solche Angelegenheiten von den Stämmen verhandelt würden und er doch Schutz von seinem Stamm habe, bejahte der Beschwerdeführer dies ausdrücklich. Aber er hätte gewusst, dass diese Huthi Stämme viel stärker seien als die anderen oder sein Stamm. Da die Huthi Stämme bereits die Hälfte seiner Heimatstadt XXXX eingenommen und zerstört hätten, hätte der Beschwerdeführer gewusst, dass es keinen Sinn habe. Viele Männer aus seiner Stadt seien auch zu den Huthis übergelaufen. Grundsätzlich jedoch würden solche Angelegenheiten von den Stammesrichtern bzw. Stammesführern entschieden.
Der Beschwerdeführer sei nach wie vor gläubiger Moslem (Sunnit) und niemals einer Verfolgung wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit, seiner Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt gewesen. Außer den genannten Problemen habe er keine gehabt.
Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.2.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).
Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde binnen offener Frist Beschwerde erhoben.
Am 3.2.2020 hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung ab, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.
Nachdem der Beschwerdeführer bereits zu Beginn um Vertagung ersucht hatte, wurde die Verhandlung am 9.11.2020 fortgesetzt.
Dabei bestätigte der Beschwerdeführer zunächst seine Angabe vor dem Bundesamt, wonach er über keine Dokumente verfüge. Den im Verfahren vorgelegten Reisepass hätte er in Kopie auf seinem Telefon gespeichert gehabt, nach der Befragung ausgedruckt und vorgelegt. Dass er vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes ein anderes Geburtsdatum angegeben habe, als im Reisepass stehe, erklärte er damit, dass er damals sehr müde und unter Druck gewesen sei und irgendetwas gesagt hätte. Seinen vollständigen Namen habe er auch beim Bundesamt angegeben, sie hätten dann Teile seines Vornamens als Vor- und Nachnamen eingetragen. In der arabischen Namenskette sei es oft so, dass die Vornamen des Vaters oder Großvaters zum Familiennamen würden. Soweit er sich erinnere, habe der Beschwerdeführer auch bei der Polizei angegeben, dass nur sein Vater verstorben sei. Wegen seiner großen Erschöpfung sei es ihm jedoch nicht gut gegangen und habe auch den Dolmetscher nicht so gut verstanden. Deshalb könne es leicht zu diesem Missverständnis gekommen sein, dass beide Eltern nicht mehr lebten. Das letzte Mal, als der Beschwerdeführer mit seiner Mutter in Kontakt gestanden sei, habe sie sich in XXXX befunden.
Der Vater des Beschwerdeführers habe in Saudi-Arabien gearbeitet und er selbst sei dort geboren. Als sie in den Jemen, sein Heimatland, zurückgekehrt wären, sei er selbst noch klein gewesen und könne als Grund für die Rückkehr nur annehmen, dass sein Vater weniger Arbeit (in Saudi-Arabien) gehabt hätte.
Im Jemen habe der Beschwerdeführer den Beruf des Elektrotechnikers gelernt, aber auch als Brunnenbauer gearbeitet. Letzteres als Nebenjob, d. h. nur wenn der Urlaub oder frei gehabt hätte oder nach Feierabend. Vorgehalten, beim Bundesamt habe er angegeben, wegen seiner Tätigkeit den gesamten Jemen kennengelernt zu haben, weil er im Auftrag seines Arbeitgebers viele Wasserbohrungen durchgeführt hätte, erwiderte der Beschwerdeführer, die Arbeit im Brunnenbau sei keine dauernde Arbeit. Sein Arbeitgeber hätte nicht dauernd Aufträge gehabt, irgendwo noch Brunnen zu bauen. Es sei sehr auf die Nachfrage angekommen, manchmal hätten sie 5 bis 7 Monate lang keinen Auftrag gehabt. Den Beruf des Elektrotechnikers habe der Beschwerdeführer mit 17 oder 18 Jahren erlernt und dann für eine kleine Firma in XXXX Elektroinstallationen durchgeführt, zum Beispiel Satelliten installiert.
Zu dem Vorfall, der ihn zur Flucht bewogen habe, brachte er vor, dass er als Brunnenbauer Teamleiter gewesen sei. Eines Tages hätten sie einen Auftrag in XXXX erhalten, für einige der dort ansässigen Stämme Brunnen zu bauen. Zwischen dem Oberhaupt dieser Stämme und dem Beschwerdeführer sei eine Diskussion entstanden, weil jener ihn von einer bestimmten Politik und Konfession hätte überzeugen wollen. Da der Beschwerdeführer davon nichts habe wissen wollen, seien sie in Streit geraten und diese Person hätte ihn tätlich angegriffen und er sich verteidigt. Nach diesem Vorfall habe sein Chef gesagt, es wäre besser für ihn, das Land zu verlassen, weil er nunmehr in Gefahr wäre und das Stammesoberhaupt sich für seinen Angriff rächen würde. Der Beschwerdeführer glaube, dieser Vorfall müsse sich im November 2014 ereignet haben.
Grund für diese Auseinandersetzung sei gewesen, dass der Jemen von den Huthis heimgesucht werde, die viele Dörfer erobert hätten und Kämpfer rekrutierten. Dieses Stammesoberhaupt habe versucht, den Beschwerdeführer von der Ideologie der Huthis zu überzeugen. Dieser habe ihm mehrmals geantwortet, dass ihn das nicht interessiere. Es sei zu einem Wortwechsel gekommen und die beiden laut geworden. Dabei hätte der Beschwerdeführer diesen Mann angeschrien und gesagt, dass er weder mit ihm, noch mit dem, der über ihm stehe, irgendetwas zu tun haben wolle, dass ihn seine Ideologie nicht interessiere und er ihn damit in Ruhe lassen solle. Daraufhin habe dieser Mann den Beschwerdeführer mit einer Kalaschnikow geschlagen und ihn angeschrien, wie er es sich erlauben könne, seinen Anführer zu beleidigen. Der Beschwerdeführer habe dann versucht, sich zu verteidigen. Er habe einen Schraubenzieher in der Hand gehabt, das Stammesoberhaupt damit angegriffen und verletzt, wisse aber heute nicht mehr, ob am Bein oder an der Seite. Er selbst sei auf einer Grabungsmaschine gestanden, als er mit der Kalaschnikow getroffen worden sei, sei heruntergefallen, kurz benommen gewesen, aufgestanden, habe das Werkzeug in der Hand gehabt und das Stammesoberhaupt angegriffen, bevor er selbst wieder geschlagen werden konnte. Danach sei er davongelaufen. Nachgefragt erläuterte die Dolmetscherin, das Wort Schraubenzieher habe im Arabischen mehrere Bedeutungen, es könne auch eine Zange sein.
Sein bei dem Vorfall anwesender Freund habe ihm geholfen, indem er das Stammesoberhaupt festgehalten habe. Er selbst sei erst in Richtung Unterkunft gelaufen und habe dort seinem Chef erzählt, was passiert sei. Dieser habe ihm Geld in die Hand gedrückt und ihn aufgefordert, zu verschwinden, weil es für ihn zu gefährlich werde. Der Beschwerdeführer sei so ca. 15 bis 20 Minuten bis zur Hauptstraße gelaufen, habe ein Taxi angehalten und sei damit nach Hause nach XXXX gefahren. Danach habe ihn sein Chef angerufen und ihm mitgeteilt, dass das Stammesoberhaupt und Männer von den Stämmen auf dem Weg nach XXXX wären, dass sie wüssten, wo der Beschwerdeführer wohne, und es für ihn besser wäre, zu verschwinden. Daraufhin habe er sein Haus verlassen, sei zu einem Freund geflüchtet, habe sich ca. vier Monate bei verschiedenen Freunden versteckt, bis er mit deren Hilfe sein Auto verkauft, Geld zusammengekratzt und ein Visum für die Türkei bekommen habe.
Vorgehalten, beim Bundesamt habe er angeführt, dass der Auftraggeber ihn zu einem Glaubenswechsel hätte bewegen wollen, jedoch nichts von Rekrutierungsversuchen erwähnt, erwiderte der Beschwerdeführer, das komme auf dasselbe hinaus. Der Glaubenswechsel wäre für ihn als Sunnite, sich den schiitischen Huthis anzuschließen, damit einhergehend hätte es sich von selbst verstanden, dann auch für diesen Glauben kämpfen zu müssen.
Nachgefragt, ob auch andere Personen aus seinem Team Kontakt mit diesem Auftraggeber gehabt hätten und ebenfalls ersucht worden wären, sich den Huthis anzuschließen, erklärte der Beschwerdeführer, dass er meist als vor Ort Verantwortlicher für die Arbeit ein oder zwei Personen gehabt habe, die er selbst mitgebracht hätte, d. h. Arbeiter, welche er gekannt, während er die anderen Arbeiter meistens aus dem jeweiligen Dorf geholt habe. Diese Person hätte sich an den Beschwerdeführer gewandt, weil er der Teamleiter und gerade dort gewesen sei. Jener Mitarbeiter, den der Beschwerdeführer mitgebracht und der den Stammesführer dann auch festgehalten habe, sei zwar dabei gewesen, habe sich jedoch in das Gespräch nicht eingemischt. Am Anfang, als der Beschwerdeführer nach Österreich gekommen sei, habe er noch Kontakt zu diesem Mitarbeiter gehabt, der sei jedoch abgerissen. Der Beschwerdeführer habe sein Telefon verloren und damit auch alle Telefonnummern.
Sein Vorbringen vor dem Bundesamt vorgehalten, dass dieser Mitarbeiter im Anschluss an den Vorfall von den Huthis entführt worden wäre, bestätigte der Beschwerdeführer dies. Als er selbst bei einem Freund versteckt gewesen sei, habe ihm sein Chef erzählt, dass der Stamm seinen Mitarbeiter in Gewahrsam genommen hätte und die Leute des Stammes in XXXX nach dem Beschwerdeführer suchten.
Weiters vorgehalten, der Beschwerdeführer habe beim Bundesamt angegeben, nach seiner Flucht von seinem Arbeitsgebiet zunächst zu seiner Mutter gefahren zu sein, ihr davon berichtet und sich dann zu einem Freund begeben zu haben, wo ihn seine Mutter angerufen und ihm berichtet hätte, dass er von den Huthis gesucht werde, bestätigte der Beschwerdeführer dies. Er habe das Haus verlassen, nachdem ihn sein Chef kontaktiert und berichtet habe, dass die Stammesleute nach XXXX unterwegs wären. Nachdem er sich bei seinem Freund versteckt habe, habe ihm seine Mutter erzählt, dass diese Personen tatsächlich bei ihnen zu Hause gewesen wären und nach ihm gesucht hätten.
Das Stammesoberhaupt habe den Beschwerdeführer davon überzeugen wollen, Schiit zu werden und sich ihrer Überzeugung und ihrem Kampf anzuschließen. Er habe ihm auch angeboten, dass sie ihn monatlich bezahlen würden, er ein Haus im Dorf bekomme und ihren Schutz genießen würde.
Sie hätten auch seine Mutter bedroht, sie würden ihr etwas antun und das Haus zerstören, wenn sie nicht dafür sorge, dass sie den Beschwerdeführer fänden oder er sich bei ihnen melde. Seine Mutter sei daraufhin auch zu einer Freundin geflüchtet. Zuletzt habe er vor ca. drei Monaten Kontakt zu ihr gehabt, sie sei nach Hause zurückgekehrt.
Zu seiner Rückkehrbefürchtung nach fünf Jahren Abwesenheit erklärte der Beschwerdeführer, diese Person oder deren Gefolgsleute könnten sich nach wie vor an ihm rächen. Durch die derzeitige Situation im Jemen sei alles ein rechtsfreier Raum, sodass man sie nicht einmal zur Verantwortung ziehen würde.
Zu der bei der Behörde angesprochenen Streitschlichtung durch die Stammesrichter erklärte der Beschwerdeführer, dafür müsste er selbst einen Stamm haben, der für ihn eintrete. Er sei in der Stadt aufgewachsen und habe niemanden, der solche Gespräche führen könnte. Vorgehalten, dass er einem Stamm angehöre, erwiderte der Beschwerdeführer, er kenne diesen aber nicht. Seine Begründung vor dem Bundesamt vorgehalten, dass er sich deshalb nicht an die Stammesrichter wenden könne, da sein Stamm im Verhältnis zu den Huthis viel zu klein wäre, bestätigte der Beschwerdeführer dies und meinte, selbst wenn der Stamm sich einsetzen wollte, könnte er den Verhandlungen nicht standhalten. Der Beschwerdeführer betonte nochmals, dass er im Jemen Blutrache befürchten müsste.
Seitens der erkennenden Richterin wurde das Länderinformationsblatt zur Situation im Jemen vom 16.12.2019 übergeben und eine dreiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Jemen, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist Sunnit. Er wurde in XXXX in Saudi-Arabien geboren, kehrte im Kindersalter mit seinen Eltern in den Jemen zurück, wo er bis zu seiner Ausreise in XXXX lebte und von 1994 bis 2002 die Schule besuchte. Er wuchs mit seinen Eltern im eigenen Haus auf, der Vater ist mittlerweile verstorben, die Mutter nach wie vor im Haus in XXXX aufhältig.
Der Beschwerdeführer ist gelernter Elektrotechniker.
Er reiste im Februar 2015 legal per Flugzeug von XXXX nach Istanbul aus.
Das individuelle Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wegen einer Auseinansersetzung mit einem Anführer der Huthi-Miliz in XXXX im November 2014 von Blutrache bedroht zu sein und einen Rekrutierungsversuch bzw. eine Konversion zum Schiitentum abgelehnt zu haben, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen.
Weitere persönliche Verfolgungen oder Bedrohungen verneinte der Beschwerdeführer ausdrücklich.
Feststellungen zur Situation im Jemen
(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 16. 12. 2019)
Politische Lage
Die Republik Jemen bezeichnet sich in ihrer am 15./16. Mai 1991 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassung (geändert am 28. September 1994) als unabhängigen, arabischen, islamischen und republikanischen Staat. Staatsreligion ist der Islam (GIZ 10.2019). Die innere Lage des Landes wird immer noch durch die geteilten historischen Erfahrungen geprägt: einerseits britische Kolonialherrschaft und danach sozialistische Einflüsse im Süden, andererseits konservative muslimische Herrschaft und Stammesgesellschaft im Norden. 1990 vereinigten sich beide Staaten; der Nordjemen war die dominierende Kraft (DW 30.1.2018). Die gravierenden ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen zwischen beiden Landesteilen sind jedoch nicht überwunden (GIZ 10.2019). Die politischen Herausforderungen für Jemen bestanden bereits vor Ausbruch des andauernden bewaffneten Konflikts im Jahr 2014. 2004 begann in der nordjemenitischen Provinz Saada der Huthi-Aufstand, ab 2007 erstarkte die sezessionistische Bewegung im Süden des Landes. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer jeweiligen Region auf. Zusätzlich bereitete sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida im Jemen immer weiter aus. 2011 kam es landesweit zu Massenprotesten, in denen die Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes und einen demokratischen Wandel forderten. Gleichzeitig traten jedoch Kämpfe innerhalb der Machtelite zutage (BPB 18.10.2011). (Ex-)Präsident Ali Abdullah Saleh bekämpfte während seiner Amtszeit den mutmaßlich durch den Iran unterstützten Huthi-Aufstand. 2011 trat er nach langen Verhandlungen und unter Zugeständnissen zu seinen Gunsten wie dem Erlangen von strafrechtlicher Immunität für seine Rolle bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Regierung zugunsten seines damaligen Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück, der 2012 von den Wählern interimistisch im Amt bestätigt wurde. Ein Konsens für die Neuordnung des politischen Systems wurde zwar begonnen, dann aber vom Huthi-Aufstand und dem bewaffneten Konflikt zum Erliegen gebracht. Hadis Regierung ist zwar international anerkannt, sie kontrolliert jedoch nicht das ganze Territorium und hat kein klares Mandat (FH 4.2.2019; vgl. Der Standard 4.12.2017). Es gibt im Jemen keine funktionierende Zentralregierung, und staatliche Institutionen, die noch funktionieren, werden durch nicht-gewählte Beamte oder bewaffnete Gruppierungen kontrolliert (FH 4.2.2019). Das gewählte (und somit legitime) Parlament besteht laut derzeitiger Verfassung aus einer Kammer mit 301 Abgeordneten, die für sechs Jahre gewählt werden (GIZ 10.2019). Am 13. April 2019 wurde Sultan al-Barakani zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem das Parlament erstmals seit Ausbruch des Konflikts 2015 wieder zusammengetreten war. Zahlreiche Abgeordnete halten sich derzeit im Ausland auf (AA 12.8.2019). Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind viele Jahre überfällig, und keiner Seite gelang es während des Krieges, genug Territorium zu kontrollieren, um etwaige Wahlen abzuhalten. Parlamentswahlen wurden zuletzt am 27. April 2003 abgehalten, und hätten eigentlich 2009 wieder durchgeführt werden sollen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 gab es nur einen Kandidaten. Im Kontext des Bürgerkriegs wird die politische Opposition unterdrückt. Normale politische Aktivität wird durch die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen im Jemen verhindert, darunter Huthi-Rebellen, sunnitische Extremisten, südjemenitische Separatisten, ausländische Truppen der von SaudiArabien angeführten Koalition, Truppen der Hadi-Regierung und lokale Milizen (FH 4.2.2019).
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Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist im ganzen Land ausgesprochen volatil. Die Sicherheit kann durch staatliche Behörden nicht gewährleistet werden. Der bewaffnete Konflikt zwischen Huthi-Rebellen aus dem Nordwesten des Landes und der Regierung und ihren Unterstützern, darunter die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, dauert weiter an (AA 28.8.2019). Daneben ist auch der südjemenitische, von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Southern Transitional Council (STC) ein zentraler bewaffneter Akteur. Sowohl STC als auch die Kräfte, die hinter der Regierung stehen, kämpfen gegen die Huthi. Sie bekämpfen sich jedoch auch untereinander, was die Spannungen zwischen Abu Dhabi und Riyadh verdeutlicht (ICG 16.10.2019). Im Chaos des Krieges zwischen Hadi-Regierung und Huthi erstarkten außerdem AlQaida auf der Arabischen Halbinsel, der „Islamische Staat“ und andere bewaffnete Gruppierungen (Al Jazeera 2.8.2019; vgl. The Guardian 1.10.2019). Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Die staatlichen Institutionen sind landesweit nur noch sehr eingeschränkt funktionsfähig. Bereits im September 2014 hatten Huthi-Milizen die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (AA 28.8.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen im Konflikt seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden 2019 circa 1,100 getötete Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die Luftschläge der saudisch-geführten Koalition und die Angriffe der Huthis unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärpersonen. Bei einem saudischen Luftangriff im August 2018 wurde beispielsweise ein Schulbus in Saada getroffen und 40 Kinder getötet (FH 4.2.2019). Ab Juni 2018 war die Hafenstadt Hodeidah von starken Kämpfen betroffen. Im Dezember 2018 vermittelte die UN ein Abkommen („Stockholm-Abkommen“), das die Demilitarisierung Hodeidahs vorsah. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. So brachen dort z.B. gleich nach Unterzeichnung des Abkommens, so wie auch im Mai 2019 erneut Kämpfe aus. Gleichzeitig intensivierten die Huthi ihre Angriffe auf saudisches Territorium, und auch die saudischen Luftangriffe verstärkten sich in den letzten Monaten [Mai bis Juli 2019] (ICG 18.7.2019; vgl. The Guardian 15.5.2019; vgl. FH 4.2.2019). Anfang August 2019 kam es in der Hafenstadt Aden zu schweren Gefechten zwischen südjemenitischen Separatisten und gegenüber der Hadi-Regierung loyalen Truppen. Weite Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen (AA 28.8.2019). Im August nahmen die Separatisten Aden ein (BBC 11.8.2019). Im September erklärten die Huthis einen unilateralen Waffenstillstand; die saudischen Luftangriffe haben seitdem zumindest abgenommen (Al Jazeera 24.9.2019; vgl. ICG 10.2019). Im Oktober 2019 kam es Berichten zufolge in den Gouvernements Abyan und Shebwa zu sporadischen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten des STC. Saudische Kräfte übernahmen schrittweise die Kontrolle über Aden, und die Kräfte der VAE zogen sich zurück (ICG 10.2019; vgl. ACLED 5.11.2019). Am 5. November 2019 wurde das „Riyad-Abkommen“ unterzeichnet, nachdem die Unterzeichnung wegen Eskalation der Kämpfe in Abyan am 31. Oktober verschoben worden war. Das Abkommen zwischen den Separatisten im Südjemen und der Hadi-Regierung soll eine Machtteilung bringen. Die Kämpfe im Gouvernement Abyan gehen weiter. Luftangriffe der saudisch-geführten Militärkoalition in den Gouvernements Hajjah und Sadah, sowie in geringerem Maße in Sanaa, halten an (ACLED 5.11.2019). Die politische Instabilität im Jemen führt dazu, dass der Fluss an Waffen und Munition in die Region nicht kontrolliert werden kann (USDOS 1.11.2019). Im ganzen Land leiden Zivilisten an einem Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, an der sich verschlimmernden Wirtschaftskrise, sowie am Nicht-Funktionieren der Verwaltung, des Gesundheits-, Bildungs- und Justizsystems (HRW 17.1.2019). In Jemen herrscht laut UN die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über 3 Millionen Menschen (AA 12.8.2019).
Quellen: - AA – Auswärtiges Amt (28.8.2019): Jemen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemensicherheit/202260, Zugriff 15.11.2019 - AA – Auswärtiges Amt (12.8.2019): Jemen: Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/jemen-node/jemen/202270, Zugriff 20.11.2019 - ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (31.10.2019): PRESS RELEASE: Over 100,000 Reported Killed in Yemen War, https://www.acleddata.com/2019/10/31/press-releaseover-100000-reported-killed-in-yemen-war/, Zugriff 13.11.2019 - ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (5.11.2019): Regional Overview: Middle East, 27 October – 2 November 2019, https://www.acleddata.com/2019/11/05/regional-overviewmiddleeast-27-october-2-november-2019/, Zugriff 20.11.2019- Al Jazeera (2.8.2019): Al-Qaeda launches deadly attack on army base in southern Yemen, https:// www.aljazeera.com/news/2019/08/al-qaeda-launches-deadly-attack-army-base-southern-yemen190802081549242.html, Zugriff 15.11.2019 - Al Jazeera (24.9.2019): Seven children among 16 dead in Yemen air strikes, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/7-children-16-dead-yemen-air-strikes190924122950086.html, Zugriff 20.11.2019 - BBC News (11.8.2019): Yemen conflict: Southern separatists seize control of Aden, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49308199, Zugriff 20.11.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - The Guardian (15.5.2019): Yemen: ceasefire broken as fresh fighting breaks out in Hodeidah, https://www.theguardian.com/world/2019/may/15/yemen-ceasefire-broken-as-fresh-fighting-breaksout-in-hodeidah, Zugriff 20.11.2019 - The Guardian (1.10.2019): Yemen: Aden's changing alliances erupt into four-year conflict's newest front, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/01/yemen-adens-changing-allianceserupt-into-four-year-conflicts-newest-front, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - ICG – International Crisis Group (18.7.2019): Saving the Stockholm Agreement and Averting a Regional Conflagration in Yemen, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-andarabian-peninsula/yemen/203-saving-stockholm-agreement-and-averting-regional-conflagrationyemen, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (16.10.2019): Yemen’s Multiplying Conflicts, https://www.ecoi.net/en/document/2018614.html, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (10.2019): CrisisWatch, Tracking Conflict Worldwide, Yemen, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/november-alerts-october-trends-2019#yemen, Zugriff 20.11.2019 - ICG – International Crisis Group (5.11.2019): The Beginning of the End of Yemen’s Civil War?, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/yemen/beginningend-yemens-civil-war, Zugriff 15.11.2019 - USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 - Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html, Zugriff 20.11.2019
Huthi (Harakat Ansar Allah)
Die Huthi - offiziell bekannt als Harakat Ansar Allah (wörtl. „Bewegung der Helfer Gottes“) - sind eine vom Iran unterstützte, schiitisch-muslimische militärische und politische Bewegung. Ihre Mitglieder, die sich der Minderheit der Zaiditen des schiitischen Islam zugehörig fühlen, setzen sich für die regionale Autonomie der Zaiditen im Nordjemen ein [siehe auch Abschnitt 12.1. Religiöse Gruppe: Zaiditen]. Die Gruppe hat seit 2004 eine Reihe blutiger Aufstände gegen die jemenitische Regierung ausgeführt, die zu einem Sturz des Regimes Anfang 2015 geführt haben. Die HuthiBewegung begann als Versuch, die Autonomie der Stämme im Nordjemen aufrechtzuerhalten und gegen den westlichen Einfluss im Nahen Osten zu protestieren. Heute streben die Huthi eine größere Rolle in der jemenitischen Regierung an und setzen sich weiterhin für die Interessen der zaiditischen Minderheit ein. Die Huthi sind für ihre heftige anti-amerikanische und antisemitische Rhetorik bekannt (CEP 2019). Sie sind außerdem durch die von ihnen so wahrgenommene wirtschaftliche Diskriminierung während der Saleh-Herrschaft motiviert (DW 1.10.2019). Die Ziele der Huthi umfassen auch Entschädigungen für die Schäden während der Saada-Kriege [Anm.: Kriege zwischen Huthi und Regierung im Gouvernement Saada zwischen 2004 und 2010], die Interessensvertretung [der Zaiditen] innerhalb der Zentralregierung, und die Garantie, dass die Gruppe vor zukünftiger politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung geschützt wird. Nicht alle Zaiditen im Jemen identifizieren sich mit der Huthi-Bewegung (CT 2019). Die Huthi-Bewegung besteht heute aus verschiedenen militärischen Kräften, darunter auch circa 60 Prozent ehemalige Angehörige der jemenitischen Armee unter Ex-Präsident Saleh. Schätzungen zufolge sollen die Huthi militärisch 180.000 bis 200.000 Mann stark sein und über verschiedene Waffensysteme verfügen (DW 1.10.2019). In den nördlichen Gebieten, die traditionell unter zaiditischer Kontrolle standen, gibt es Berichte über fortgesetzte Bemühungen der Huthi, ihre religiösen Bräuche auch Nicht-Zaiditen aufzuzwingen, unter anderem durch ein Musikverbot und die Forderung, dass Frauen eine Voll-Verschleierung tragen müssen (USDOS 21.6.2019). Bewaffnete Huthi-Kräfte nahmen häufig Geiseln und begingen andere ernsthafte Missbräuche an Personen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden (HRW 25.9.2018).
Quellen: - CEP – Counter Extremism Projekt (2019): Houthis, https://www.counterextremism.com/threat/houthis, 21.11.2019 - CT – Critical Threats (2019): al Houthi Movement, https://www.criticalthreats.org/organizations/al-houthi-movement, Zugriff 21.11.2019 - DW – Deutsche Welle (1.10.2019): Yemen's Houthi rebels: Who are they and what do they want?, https://www.dw.com/en/yemens-houthi-rebels-who-are-they-and-what-do-they-want/a50667558, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (25.9.2018): Yemen: Houthi Hostage-Taking, https://www.ecoi.net/en/document/1444267.html, Zugriff 20.11.2019 - USDOS – US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2011009.html, Zugriff 20.11.2019
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der Islamische Staat im Jemen (IS-Y)
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (eng. abk.: AQAP) ist ein Zusammenschluss von Al-QaidaKämpfern in Saudi-Arabien und der früheren Al-Qaida im Jemen (CISAC 7.2015). AQAP ist im gesamten Jemen vor allem in den südlichen und zentralen Regionen des Landes tätig. In vielen dieser Provinzen regiert AQAP über kleinere Gebiete mit Sharia-Gerichten und einer schwer bewaffneten Miliz. AQAP versucht die jemenitische Bevölkerung anzusprechen, indem sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, sich in die lokale Bevölkerung integriert, auch durch die Anpassung an lokale Regierungsstrukturen. Als formaler Bestandteil der Al-Qaida stehen die Ideologie und Praktiken der AQAP im Einklang mit den weiter gefassten Zielen der Al-Qaida, nämlich auf eine globale islamistische Herrschaft hinzuarbeiten (CEP 4.1.2017; vgl. CH 9.2019). AQAP nutzte die Wirren von 2015, um weite Teile der Provinzen Abyan, Shabwa und Hadramaut einzunehmen und zu kontrollieren. Gemeinsam mit verbündeten Stämmen eroberte sie Anfang April 2015 Mukalla — mit 300.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt der südöstlichen Provinz Hadramaut — und erbeutete große Waffenarsenale und viel Geld. Außerdem übernahm AQAP dort zusammen mit ihren Alliierten die Verwaltung. Truppen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und deren lokale Verbündete eroberten die Stadt im April 2016 zurück (SWP 7.2017; vgl. CH 9.2019). Bis 2016 kontrollierte AQAP größere Gebiete im Jemen, in den beiden darauffolgenden Jahren erlitt AQAP Gebietsverluste (HRW 17.1.2019; vgl. Jamestown 5.4.2019). Sowohl AQAP als auch der sog. Islamische Staat Yemen (IS-Y) profitieren weiterhin vom Konflikt mit den Huthi, indem sie von anderen Einheiten der Anti-Huthi-Koalition nicht als Feind betrachtet werden und das Sicherheitsvakuum in großen Teilen des Landes ausnutzen (USDOS 1.11.2019). Sowohl AQAP als auch IS-Y bekannten sich im Jahr 2018 zu Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen (HRW 17.1.2019). 2018 wurden Operationen zur Terrorismusbekämpfung, vor allem durch von den VAE unterstützten Kräften, gegen AQAP durchgeführt, und zwar in den Gouvernements Abyan, Shabwa und Hadramaut. Der IS-Y ist bezüglich Mitgliederanzahl und Einfluss deutlich kleiner als AQAP. IS-Y ist jedoch weiterhin aktiv und führt Angriffe gegen AQAP, jemenitische Sicherheitskräfte und Huthi durch (USDOS 1.11.2019). Eine der aktivsten Gruppen des IS-Y soll es mit Stand September 2018 in Al-Bayda geben, genauso wie eine der aktivsten Gruppen von AQAP (Jamestown 5.4.2019). Im Juli 2018 kam es zu heftigeren Zusammenstößen zwischen AQAP und IS-Y, was die Rivalität zwischen Al-Qaida und IS allgemein zeigt (Jamestown 21.9.2018). Es wird berichtet, dass AQAP und IS-Y im Sommer 2019 das Machtvakuum im Süden des Landes ausnutzten und Angriffe gegen Truppen der Hadi-Regierung sowie des Southern Transitional Council (STC) in Aden, Abyan und Al-Bayda durchführten (ACAPS 8.2019).
Quellen: - ACAPS – Yemen Analysis Hub (8.2019): Crisis InSight, Yemen Crisis Impact Overview, June – August 2019, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20190925_yemen_crisis_impact_overview_ju ne_august_2019.pdf, Zugriff 14.11.2019 - CEP – Counter Extremism Projekt (4.1.2017): Al-Qaeda in the Arabian Peninsula (AQAP), https:// www.counterextremism.com/threat/al-qaeda-arabian-peninsula-aqap, Zugriff 21.11.2019 - CH - Chatham House (9.2019): Between Order and Chaos, A New Approach to Stalled State Transformations in Iraq and Yemen, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/2019-09-05StateTransformationsIraqYemen.pdf, Zugriff 15.11.2019 - CISAC – Center for International Security and Cooperation (7.2015): Al Qaeda in Yemen, https://cisac.fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/al-qaeda-yemen#text_block_17347, Zugriff 20.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - Jamestown Foundation (21.9.2018): Clashes Between Islamic State and AQAP Emblematic of Broader Competition; Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 18, https://www.ecoi.net/en/document/1447309.html, Zugriff 20.11.2019 - Jamestown Foundation (5.4.2019): Continued Fighting Between Islamic State and AQAP Complicates Security in al-Bayda - Jamestown, https://www.ecoi.net/en/document/2006052.html, Zugriff 20.11.2019- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik. Steinberg, Guido (7.2017): Saudi-Arabiens Krieg im Jemen, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A51_sbg.pdf, Zugriff 21.11.2019 - USDOS – US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 4 - Terrorist Safe Havens - Yemen, https://www.ecoi.net/en/document/2019263.html, Zugriff 20.11.2019
Bewegung des Südens (Al Hirak), Southern Transitional Council (STC)
Die Bewegung des Südens, auch bekannt als „al Hirak“ oder „al Harakat al Janubiyya“, begann ihre Aktivitäten 2007 auf dem Gebiet der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen. Sie war nie eine einheitliche Gruppierung. Es handelte sich mehr um eine lose Vereinigung von Kräften, deren Forderungskatalog von mehr Mitspracherecht für die Bevölkerung des Südens bis hin zur abermaligen Abspaltung und Unabhängigkeit vom Norden reicht. Die Bewegung begann mit Reparationsforderungen nach der Zerstörung des südlichen Jemen während des Bürgerkriegs 1994. Die Mitgliedergruppen unterscheiden sich in ihrem Charakter von politisch bis militant. Die Bewegung hat seit den Umbrüchen des Arabischen Frühlings 2011 starken Zulauf (GIZ 10.2019; vgl. CT 2017). Die Unterstützung des Southern Movement speist sich u.a. aus der Enttäuschung über die politische und wirtschaftliche Marginalisierung des südlichen Jemens nach der Einigung der beiden Landesteile 1990. Das Southern Movement ist in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer des 2017 gegründeten Southern Transitional Coucil (STC) (Jamestown 10.9.2019). Zu Beginn des Konflikt waren es aber eher lose organisierte südjemenitische Milizen, die die Huthi-Rebellen und die Truppen der Hadi-Regierung aus ihren Gebieten im Süden vertrieben. Dabei wurden sie militärisch von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt (CH 3.2018). Ab 2015 schlossen sich die bewaffneten Truppen des Southern Movement der Anti-Huthi-Koalition der Hadi-Regierung an. Im April 2017 kam es zu zunehmenden Spannungen in Aden, da Hadi den Bürgermeister der Stadt aus seinem Amt entließ. Nach Massenprotesten als Reaktion auf die Entlassung wurde der Southern Transitional Council (STC) mit Unterstützung durch die VAE gegründet. Der STC tritt für die Unabhängigkeit des Südjemens ein (Al Jazeera 20.9.2019). Im Jänner 2018 brachen Kämpfe zwischen Regierungskräften und von den VAE unterstützten südjemenitischen Kräften in Aden aus (HRW 17.1.2019). Im August 2019 eroberten südjemenitische separatistische Kräfte nach tagelangen Kämpfen erneut den Regierungssitz von Präsident Hadi in Aden. Die Kämpfe offenbarten Risse innerhalb der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition gegen die Huthi (Der Standard 25.10.2019). Am 5.11.2019 einigten sich südjemenitische Separatisten und die Hadi-Regierung im Rahmen des „Riyadh-Abkommens“ auf eine Machtteilung (Der Standard 12.11.2019) [siehe Abschnitt 2. Politische Lage]. Der Süden des Jemens ist, entgegen häufiger Annahmen, kein homogener Raum. Nicht alle Südjemeniten unterstützen den STC, und nicht alle unterstützen das Southern Movement. Einige Personen, die seit Kriegsbeginn immer prominenter wurden, waren in der Bewegung vor dem Krieg keine wichtigen Figuren (CH 3.2018; vgl. Jamestown 10.9.2019). Außerhalb von Aden gibt es kleinere separatistische Bewegungen in den südlichen Provinzen, die die Forderung des STC nach der Wiederherstellung der Republik Südjemen mittels Gewalt ablehnen (Al Jazeera 20.9.2019).
Quellen: - Al Jazeera (20.9.2019): Who are south Yemen's separatists?, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/south-yemen-separatists-190919074008631.html, Zugriff 20.11.2019 - CH – Chatham House (3.2018): Yemen’s Southern Powder Keg, https://www.chathamhouse.org/sites/default/files/publications/research/2018-03-27-yemensouthern-powder-keg-salisbury-final.pdf, Zugriff 20.11.2019 - CT – Critical Threats (2017): Southern Movement, https://www.criticalthreats.org/organizations/southern-movement, Zugriff 21.11.2019 - GIZ – Länderinformationsportal (10.2019): Jemen, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/jemen/geschichte-staat/, Zugriff 15.11.2019 - HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2019/country-chapters/yemen, Zugriff 11.11.2019 - Jamestown Foundation (10.9.2019): Some Old, Some New: Grievances, Players, and Backers in the Conflict in Southern Yemen; Terrorism Monitor Volume: 17 Issue: 17, https://www.ecoi.net/en/document/2017648.html, Zugriff 20.11.2019 - Der Standard (25.10.2019): Einigung zwischen Regierung des Jemen und Unabhängigkeitskämpfern, https://www.derstandard.at/story/2000110324214/einigung-zwischenregierung-des-jemen-und-unabhaengigkeitskaempfern, Zugriff 15.11.2019 - Der Standard (12.11.2019): Warum im Jemen und am Golf nun ein Friedenslüftchen weht, https:// www.derstandard.at/story/2000110940654/warum-im-jemen-und-am-golf-friedenslueftchen, Zugriff 15.11.2019
Rechtsschutz / Justizwesen
Im Jemen gibt es keine funktionierende Zentralregierung, und alle staatlichen Institutionen, die noch intakt sind, werden von nicht gewählten Beamten oder bewaffneten Gruppen kontrolliert. Das Justizwesen ist nominell unabhängig, jedoch anfällig für Beeinflussung durch politische Fraktionen. Die Behörden haben eine schlechte Bilanz, was die Durchsetzung von juristischen Urteilen angeht, besonders wenn es sich um Verurteilungen von Stammesführern oder bekannten politischen Personen handelt. Durch das Fehlen eines effektiven Gerichtswesens greift die Bevölkerung häufig auf stammesrechtliche Formen von Justiz oder Gewohnheitsrecht zurück, besonders seit der Einfluss der Regierung schwächer wird (FH 4.2.2019). Unter Kontrolle der Huthi ist die Justiz schwach und durch Korruption, politische Einmischung, gelegentliche Bestechung und mangelnde juristische Ausbildungen beeinträchtigt. Die mangelnde Kapazität der Regierung und die teilweise mangelnde Durchsetzungsbereitschaft der Gerichte, insbesondere außerhalb der Städte, haben die Glaubwürdigkeit der Justiz weiter untergraben. Kriminelle bedrohen und schikanieren Angehörige der Justiz, um den Ausgang von Verfahren zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Verhaftungen sind üblich. In den letzten Jahren wurden hunderte solcher Fälle dokumentiert. In vielen Fällen kommt es zu gewaltsamem Verschwindenlassen. Gefangene werden oft in inoffiziellen Haftanstalten untergebracht. Es gibt unzählige Berichte über politische Gefangene (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Vor dem Gesetz sind Angeklagte unschuldig bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind im Allgemeinen öffentlich, aber Gerichte können aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit oder Moral“ geschlossene Verhandlungen abhalten. Richter nehmen aktiv an der Befragung der Zeugen und des Angeklagten teil und urteilen über Kriminalfälle. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Gerichtsverhandlung anwesend zu sein und sich mit einem Anwalt zu beraten. Der Angeklagte kann Zeugen, die gegen ihn aussagen, befragen und konfrontieren und zu seiner eigenen Verteidigung Zeugen oder Beweise vorbringen. Die Regierung muss laut Gesetz in schweren Kriminalfällen einen Anwalt für mittellose Angeklagte zur Verfügung stellen, wobei dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Grundsätzlich haben Angeklagte und deren Anwälte Zugang zu relevanten Beweisen und Anwälten wird ermöglicht, Klienten und Zeugen zu befragen sowie Beweise zu prüfen. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Angeklagte können weder zu einer Zeugenaussage noch zu einem Schuldgeständnis gezwungen werden. Es gibt außerdem ein spezielles Staatssicherheitsgericht, welches unter anderen Bedingungen arbeitet und Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt. Dieses Gericht garantiert den Angeklagten nicht dieselben Rechte wie die ordentlichen Gerichte. Anwälte bekommen oft nicht ausreichend Zugang zu den Anklagepunkten, Beweismitteln oder Gerichtsakten. Das Fehlen von Geburtsregistern erschwert die Altersfeststellung, woraufhin die Gerichte Jugendliche wie Erwachsene verurteilen, auch zum Tode. Neben dem bestehenden Gerichtssystem gibt es ein Stammesrechtssystem für Fälle, die nicht unter das Strafrecht fallen [Anm. d.h. z.B. Familienrecht, etc.]. Stammesrichter, meist angesehene Scheichs, entscheiden jedoch auch oft in Kriminalfällen auf stammesrechtlicher Basis. Zu diesen Fällen kommt es gewöhnlich in Folge öffentlicher Beschuldigungen, nicht in Folge von formell eingereichten Anklagepunkten. Stammes-Mediation betont oft den sozialen Zusammenhalt mehr als Bestrafung. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesprozessen oft mehr als das formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und nicht unabhängig angesehen wird (USDOS 13.3.2019).
Quellen: - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html, Zugriff 11.11.2019
Sicherheitsbehörden
Die jemenitischen Sicherheitsbehörden sind in Folge des politischen und militärischen Konflikts stark fragmentiert (EASO 15.10.2019). Die jemenitischen Streitkräfte bestehen mit Stand März 2018 grundsätzlich aus Landstreitkräften, Seestreitkräften und Küstenwache, Luftstreitkräften, Grenzwache, Strategischer Reserve, sowie militärischen Nachrichtendiensten (u.a. Department of Military Intelligence, Department of Reconnaissance) (CIA 5.11.2019). Die Huthi übernahmen 2014 die Kontrolle über das Verteidigungs- und Innenministerium in Sanaa. Laut eines Berichts haben bis zu 70 Prozent der Armee-, Polizei und paramilitärischen Kräfte zu Beginn des Krieges die Huthi-Saleh-Allianz unterstützt. Die staatliche Armee (Yemen National Army, YNA) wurde ab 2015 von der Hadi-Regierung neu formiert, indem Saleh-treues Personal ersetzt wurde, und bis zu 200.000 neue Soldaten rekrutiert wurden, darunter Stammeskämpfer (EASO 15.10.2019). Die primären staatlichen Nachrichtendienste, die Organisation für Politische Sicherheit (Political Security Organisation - PSO) und das Büro für Nationale Sicherheit (National Security Bureau - NSB) unterstehen zuerst dem Innenminister und dann dem Präsidenten. Die Zusammenarbeit dieser beiden Organisationen bleibt unklar, und es gibt keine klaren Definitionen vieler Prioritäten des NSB. Die PSO ist laut Gesetz dafür zuständig, politische Verbrechen und Sabotageakte aufzudecken und zu verhindern. PSO und NSB gerieten Ende 2014 unter die Kontrolle der Rebellen der Huthi-Saleh-Allianz. Die Hadi-Regierung behielt jedoch ihre eigenen Posten in PSO und NSB in den von der Regierung kontrollierten Gebieten bei (USDOS 13.3.2019; vgl. GS 21.1.2015). Wie andere staatliche Institutionen auch, teilten sich Sicherheits- und Nachrichtendienste wie die PSO in parallele Strukturen auf; ein Teil wird von den Huthi kontrolliert, der andere Teil von der Hadi-Regierung. Die Dienste operieren jeweils in einem von ihrer Seite im Bürgerkrieg kontrollierten Gebiet (FH 4.2.2019). Auch die Abteilung für kriminaldienstliche Ermittlungen (Criminal Investigation Division) untersteht dem Innenministerium und führt die meisten Untersuchungen und Festnahmen in Kriminalfällen durch. Der Innenminister kontrolliert außerdem die paramilitärischen Spezialsicherheitskräfte (Special Security Forces SSF) – oft zur Kontrolle von Menschenansammlungen eingesetzt -, sowie die Anti-Terror-Einheit. Dem Verteidigungsminister unterstehen außerdem Einheiten zum Einsatz gegen interne Unruhen und in internen bewaffneten Konflikten (USDOS 13.3.2019). Straflosigkeit von Sicherheitsbeamten bleibt ein Problem, zum einen, weil die Hadi-Regierung nur begrenzt Macht ausübt und zum anderen, weil es keine wirksamen Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Missbrauch und Korruption gibt. Die SSF, die Sondereinsatzkräfte des Jemen, die Präsidentengarde (ehemals republikanische Garde), die NSB und andere Sicherheitsorgane sind vordergründig zivilen Behörden des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Präsidentenbüros unterstellt. Die zivile Kontrolle über diese Einrichtungen verschlechterte sich 2018 jedoch weiter, da regionale Bemühungen zur nationalen Versöhnung ins Stocken gerieten. Durch die Verschärfung des Problems der Straflosigkeit verstärkten Interessensgruppen, darunter auch die Familie des ehemaligen Präsidenten Saleh und andere Stammes- und Parteigruppen, ihren Einfluss auf die Nachrichtendienste, oft auf inoffiziellem Wege und nicht durch die formale Befehlsstruktur (USDOS 13.3.2019). Die Southern Resistance Forces wurden ab 2016 mit Unterstützung der VAE aufgebaut. Sie werden manchmal auch als unter Kontrolle der international anerkannten jemenitischen Regierung angesehen, obwohl sie angeblich von den Vereinigten Arabischen Emiraten ferngesteuert werden (EASO 15.10.2019; vgl. MEI 31.7.2019; vgl. WP 28.8.2019).
Quellen: - CIA Factbook (5.11.2019): Middle East, Yemen, Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ym.html#People, Zugriff 11.11.2019 - EASO – European Asylum Support Office (15.10.2019): COI Query, Background on the Yemeni armed forces, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018892/2019_10_17_EASO_COI_Query_Yemen_Conscription_ Q23.pdf, Zugriff 12.11.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Yemen, 4. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2016065.html, Zugriff 11.11.2019 - GS – Global Security (21.1.2015): Yemen Intelligence Agencies, https://www.globalsecurity.org/intell/world/yemen/index.html, Zugriff 12.11.2019 - MEI – Middle East Institute (31.7.2019): Security in South Yemen, https://www.mei.edu/publications/security-south-yemen, Zugriff 12.11.2019 - USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Yemen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004222.html, Zugriff 11.11.2019 - WP – The Washington Post (28.8.2019): The UAE is weakening its partnership with the Saudis in Yemen. Here’s why that matters, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/08/28/what-saudiarabia-uaes-changing-partnership-means-future-yemens-war/, Zugriff 12.11.2019
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung verbietet Folter und ähnliche andere Missbräuche. Es gibt Bestimmungen, dass Folter mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann, aber das Gesetz bietet keine genaue Definition von Folter (USDOS 3.3.2017).
Sowohl die Houthi-Rebellen als auch die alliierten Streitkräfte haben Menschen verschwinden lassen, Gefangene gefoltert und zahlreiche Aktivisten, Journalisten, Stammesführer und politische Gegner willkürlich festgenommen. Seit August 2014 wurden die willkürliche oder missbräuchliche Festnahme von mindestens 61 Personen durch die in Sanaa ansässigen Behörden dokumentiert (HRW 12.1.2017).
Zivilisten, die sich zu Wort meldeten oder sich den Konfliktparteien auf andere Weise widersetzten, waren Schikanen, Einschüchterungen, Inhaftierungen und gelegentlich Folter und Tötungen ausgesetzt. Am 22. Juni 2017 eröffnete die jemenitische Regierung gemäß dem Präsidialerlass Nr. 115 eine Untersuchung mutmaßlicher Folterungen und Verschwinden-Lassens durch Einheiten der Vereinigten Arabischen Emirate und ihrer alliierten jemenitischen Streitkräfte im Süden des Landes. Mit Stand Mitte August 2017 hatte der sechsköpfige Untersuchungsausschuss, der die Untersuchung durchführte, seine Ergebnisse noch nicht veröffentlicht (UN-HRC 13.9.2017).
In einer Untersuchung behauptet Associated Press, dass die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und ihre alliierten jemenitischen Sicherheitskräfte willkürlich Festgenommene inhaftieren und foltern, und dieselben auch von US-Truppen in einem Netzwerk von Geheimgefängnissen im gesamten südlichen Jemen verhört werden. Associated Press dokumentierte mindestens 18 Geheimgefängnisse im südlichen Jemen, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten oder von jemenitischen Streitkräften betrieben wurden, und bezog sich dabei auf Berichte ehemaliger Häftlinge, Familien von Gefangenen, Anwälte und jemenitischer Militärbeamte. Die Einrichtungen sind entweder versteckt oder der jemenitischen Regierung nicht zugänglich. Auch US-amerikanische Kräfte seien bei den Verhören anwesend gewesen. In einem der Hauptgefängniskomplexe am Flughafen von Riyan im südlichen Teil der Stadt Mukalla berichteten ehemalige Häftlinge, sie seien wochenlang mit Fäkalien beschmiert und mit verbundenen Augen in Schiffscontainern zusammengepfercht worden. Sie sagten, sie wurden verprügelt, auf dem sogenannten "Grill" gefesselt und sexuell missbraucht (AP 22.6.2017).
Die jemenitische Menschenrechtsorganisation "SAM" hat mit Stand Mai 2017 über 200 illegale Haftanstalten und Gefängnisse dokumentiert, die von Huthi-Milizen und Salehs Streitkräften, bewaffneten Gruppen, die mit der legitimen Regierung verbündet sind, oder von der Regierung anerkannten Militärbefehlshabern verwaltet werden. Verschiedene Quellen, darunter Opfer und Augenzeugen, bestätigten, dass Häftlinge körperlicher und seelischer Folter ausgesetzt warn, und dass ihnen die Grundrechte verweigert wurden, wie sie in der jemenitischen Verfassung und den internationalen Gesetzen verankert sind (SAM 5.9.2017).
Quellen:
- AP - Associated Press (22.6.2017): In Yemen's secret prisons, UAE tortures and US interrogates,
https://www.apnews.com/4925f7f0fa654853bd6f2f57174179fe, Zugriff 3.10.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Yemen, https://www.ecoi.net/local_link/334724/476564_de.html, Zugriff 2.10.2017
- SAM (5.9.2017): Close all Illegal Detention Centers in Yemen, http://www.samrl.org/close-all-illegal-detention-centers-in-yemen/, Zugriff 4.10.2017
- UN-HRC - United Nations - Human Rights Council (13.9.2017): Annual report of the United Nations High Commissioner for Human Rights and reports of the Office of the High Commissioner and the Secretary-General - Situation of human rights in Yemen, including violations and abuses since September 2014 [A/HRC/36/33], http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1505899727_a-hrc-36-33.doc, Zugriff 2.10.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Yemen,
https://www.ecoi.net/local_link/337264/480030_de.html, Zugriff 2.10.2017
Korruption
2016 lag der Jemen auf Platz 170 von 176 (Anmerkung: 2015 Platz 154 von 168) des Korruptionsindex von Transparency International (TI 2016). Das Gesetz sieht Strafen für amtliche Korruption vor, die Exilregierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv durch. Kleinere Fälle von Korruption kamen häufig und in fast allen Ämtern vor. Von Bewerbern für einen Beruf wird oft erwartet, dass sie sich ihren Beruf kaufen. Zahlreiche Regierungsbeamte und öffentliche Bedienstete erhielten Bezahlungen für Arbeiten, die sie nicht ausführten, oder mehrere Gehälter für eine Arbeitsstelle. Korruption ist ein ernstes Problem in fast allen Bereichen und auf allen Ebenen der Regierung, besonders im Sicherheitssektor. Bestechungen und Korruption spielen auch eine wichtige Rolle in Gefängnissen. Insassen, die Bestechungsgelder zahlten, bekamen Vergünstigungen (USDOS 3.3.2017).
Die Beobachter glaubten, die Steuerinspektoren würden die Berechnungen zu niedrig ansetzen und den Differenzbetrag einstreichen. Korruption betraf auch regelmäßig das öffentliche Beschaffungswesen. Jüngste Analysen von unparteiische