TE Bvwg Beschluss 2021/3/2 W123 2134359-4

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Veröffentlicht am 02.03.2021
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Entscheidungsdatum

02.03.2021

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


W123 2134359-4/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über den Antrag des XXXX , geb XXXX , StA Kosovo, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.08.2020, G311 2134359-3/14E, abgeschlossenen Verfahrens:

A)

Der Antrag auf Wiederaufnahme wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 06.02.2019 wurde dem Antragsteller der mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats (im Folgenden: UBAS) zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.), ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Kosovo gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde gegen den Antragsteller gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) und ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen auf die insgesamt 9 strafgerichtlichen Verurteilungen des Antragstellers, darunter zuletzt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten, verwiesen.

2. Mit Schriftsatz vom 11.03.2019 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 06.02.2019.

3. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.12.2019 eine gemeinsame öffentliche mündliche Verhandlung sowohl hinsichtlich der Beschwerde des Antragstellers als auch hinsichtlich der zeitgleich beim Bundesverwaltungsgericht zur Zahl G311 2218086-1 anhängigen Beschwerde des jüngeren Bruders, ebenfalls betreffend dessen Aberkennung des internationalen Schutzes, durch.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.08.2020, G311 2134359-3/14E, wurde der Beschwerde vom 11.03.2019 insofern stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf 9 (neun) Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass sich die Aberkennung des internationalen Schutzes sowohl auf § 7 Abs. 1 Z 1 als auch Z 2 AsylG 2005 stützt.

5. Mit Schriftsatz vom 24.09.2020 erhob der Antragsteller gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.08.2020 außerordentliche Revision.

6. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.10.2020, Ra 2020/14/0456-6, wurde die Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.08.2020 zurückgewiesen.

7. Mit Schriftsatz vom 30.01.2021 stellte der Antragsteller den gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 VwGVG zur Zl. G311 2134359-3/14E. Dem Antragsteller sei der Status des Asylberechtigten aberkannt worden, weil das Bundesverwaltungsgericht festgestellt habe, dass die damalige Gruppenverfolgung der albanischen Volksgruppe nicht mehr zu befürchten sei und deshalb Verfolgungsgründe nicht mehr vorlägen. Der Beschwerdeführer brachte jedoch vor, dass er nicht nur Angehöriger der albanischen Volksgruppe, sondern auch Angehöriger der ägyptischen Minderheit im Kosovo sei. Die Situation sei deswegen weiterhin sehr gefährlich für den Antragsteller. Daher sei die ägyptische Liga des Kosovo mit dem Fall des Antragstellers betraut worden und ihm eine Bestätigung über seine nach wie vor vorliegende Verfolgungsgefahr nach Österreich geschickt.

Der Name XXXX sei sehr bekannt im Kosovo, da ein Großteil der Familie des Antragstellers im Krieg ihr damaliges Haus verteidigen habe müssen. Ferner hätten die Eltern des Antragstellers durch Freunde in Österreich, die Familien und Bekannte im Kosovo hätten, erfahren, wie schwer es diese Volksgruppen im Kosovo habe. Sie würden keine Arbeit finden, in einem kleinen Dorf wohnen, in dem sie sich verstecken müssten und müssten sehen, wie sie Monat für Monat über die Runden kämen.

Die Lebensgefährtin des Antragstellers habe auch erfahren, dass es im Kosovo keine Möglichkeit der Substitutionstherapie gebe. Der Beschwerdeführer befinde sich seit 2019 im Substitutionsprogramm, da er durch den Vorfall 2015 (Körperverletzung) mit seinem Leben nicht mehr klarkäme. Durch die Abschiebung nach Kosovo würde der Antragsteller einen kalten Entzug durchmachen müssen, dieser wäre lebensgefährlich. Auch die medizinische Versorgung im Krankenhaus im Kosovo entspräche nicht den medizinischen Standards.

Abschließend wies der Antragsteller darauf hin, dass er Vater von drei minderjährigen Kindern im Alter von 4, 6 und 8 Jahren und für diese unterhalts- und sorgepflichtig sei. Österreich sei seine Heimat, auch wenn er kein österreichischer Staatsbürger sei. Der Antragsteller kenne das Land Kosovo nicht und habe sich nie mit diesem Land beschäftigt. Die komplette Familie des Antragstellers lebe in Europa.

Es liege jedenfalls ein Wiederaufnahmegrund vor, der geeignet sei, eine im Hauptinhalt des Spruchs der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.08.2020 anderslautende Erkenntnis herbeizuführen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Antragsteller führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Kosovo, Angehöriger der Volksgruppe der Albaner und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er reiste im Alter von fünf Jahren gemeinsam mit seinen Eltern und mehreren Geschwistern spätestens am 15.09.1998 in das Bundesgebiet ein, wo die Familie am 15.09.1998 auch einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom 25.11.1998, Zl. 98 08.065-BAG, wurden die Asylanträge der Mutter, der Schwester, eines jüngeren Bruders sowie des Antragstellers selbst gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und ausgesprochen, dass eine Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien zulässig ist. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des UBAS vom 27.04.1999, Zahl: 206.799/0-IX/25/98, stattgegeben und der Mutter, den Geschwistern und dem Beschwerdeführer der Status von Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 gewährt, sowie gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründend wurde ausschließlich darauf verwiesen, dass die Mutter des Antragstellers (und auch der Antragsteller und seine Geschwister) der Volksgruppe der Albaner angehören und in der Bundesrepublik Jugoslawien von Regierungsseite gezielte ethnische Säuberungen stattfinden würden, die sich auf den gesamten Kosovo erstrecken und auch zur Folge hätten, dass Albaner in anderen Landesteilen unsicher seien oder keine Lebensgrundlage vorfänden. Es läge daher Gruppenverfolgung vor.

1.3. Der Antragsteller ist in Österreich bereits seit seiner Jugend mehrfach strafgerichtlich in Erscheinung getreten. Es liegen zum Entscheidungszeitpunkt insgesamt neun rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen vor.

1.4. Die Republik Kosovo gilt seit 01.07.2009 aufgrund der Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 als sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter I. angeführte Verfahrensgang bzw. die oben unter II, 1. Getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt des rechtskräftigen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.08.2020, G311 2134359-3/14E sowie aus dem vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Beweiswürdigung im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.08.2020, G311 2134359-3/14E, lautet auszugsweise:

„Die Feststellung betreffend Nichtvorliegen einer Verfolgungsgefahr und anderer zu berücksichtigender Hindernisse für die Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Kosovo beruht darauf, dass der Beschwerdeführer weder vor der belangten Behörde noch in der Beschwerde bzw. der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konkrete Angaben dahingehend getätigt hat, denen zufolge eine (rechtliche oder tatsächliche) Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Rückkehr in den Kosovo anzunehmen gewesen wäre.

Insoweit der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 12.12.2018 erstmals behauptete, im Falle einer Rückkehr in den Kosovo würde er als Landesverräter gelten, da sein Vater im Jugoslawien-Krieg gekämpft und der Familienname nach wie vor bekannt sei, und ihm daher Verfolgung drohe, ist ihm entgegenzuhalten, dass eine dem nunmehrigen Herkunftsstaat Kosovo zurechenbare, aktuelle und konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungsgefahr weder aus den herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen noch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren nicht ersichtlich. Er konnte weder vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konkret darlegen, inwiefern der Beschwerdeführer persönlich (und auch von wem) aufgrund seines Nachnamens verfolgt werden würde. In der Beschwerde wurde gar nicht ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr mögliche Verfolgung aufgrund seines Nachnamens drohen könnte und wurde zur diesbezüglichen Stellungnahme der belangten Behörde vom 03.01.2020 bisher keine Gegenäußerung seitens des Beschwerdeführers abgegeben. Schon in Anbetracht der seit der Asylantragstellung im Jahr 1998 und dem Entscheidungszeitpunkt verstrichenen Zeitraumes kann gegenständlich nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr wegen seines Namens mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit irgendeine Verfolgung drohen würde.

Darüber hinaus ist der Kosovo in zwischen als souveräner Staat von Österreich anerkannt worden. Der Beschwerdeführer gehört der Mehrheitsbevölkerung der Volksgruppe der Albaner an. Aus den aktuellen Länderberichten ergibt sich, dass keinerlei Verfolgung im Kosovo wegen Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe mehr besteht und hat sich der Beschwerdeführer auch von sich aus an kosovarische Vertretungsbehörden zwecks Ausstellung eines kosovarischen Personaldokuments gewandt. Die Dokumente wurden ihm ausgestellt. Dass es dabei zu Problemen gekommen wäre, wurde zu keiner Zeit vorgebracht. Eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Albaner – insbesondere von staatlicher Seite – liegt gegenständlich nicht vor.

Insbesondere wurden in der gegenständlichen Beschwerde keine, den seitens der belangten Behörde und des erkennenden Gerichtes jeweils in das Verfahren eingeführten Länderberichten entgegenstehenden, Berichte vorgebracht, die eine andere Beurteilung des gegenständlichen Falles erfordern würden.

Zusammenfassend ist im Lichte der ins Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen sowie der konkreten familiären Situation des Beschwerdeführers auch festzuhalten, dass er im Falle einer Rückkehr in den Kosovo nicht in eine existenz- und lebensbedrohende Notlage geraten würde, was in weiterer Folge in der rechtlichen Beurteilung noch dargestellt wird.

Entgegen der Lage zum Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers mit seinen Eltern und Geschwistern 1998 im ehemaligen Jugoslawien herrschen zum Entscheidungszeitpunkt im Kosovo keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen.“

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn 1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtliche strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder 2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder iVm mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten , oder 3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder 4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die eine Aufhebung oder Abänderung auf Antrag eine Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

Gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen 2 Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von 3 Jahren nach Anlastung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann gemäß § 32 Abs. 3 VwGVG die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von 3 Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden.

Gemäß § 32 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind gemäß § 32 Abs. 5 VwGVG die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragrafen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (RV 2009 BlgNR 24. GP) ist festzuhalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Widereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen.

Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des §§ 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit §§ 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können. Dies gilt sinngemäß natürlich auch für Verfahren, die mit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig abgeschlossen worden sind.

In diesem Sinne hielt der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31.08.2015, Ro 2015/11/0012, und der Verweis auf den Materialien zu § 32 VwGVG fest, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet seien und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden könne. In diesem Erkenntnis zitiert der Verwaltungsgerichtshof auch seinen Beschluss vom 24.02.2015, Ra 2015/05/0004, in dem auf die Rechtsprechung zur amtswegigen Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens nach §§ 69 Abs. 3 AVG verwiesen (VwGH 21.09.2007, 2006/05/0273, mwN) und festgehalten wurde, dass sich diese auf die insoweit gleichlautende Bestimmung des § 32 Abs. 3 VwGVG übertragen lassen. Im Beschluss vom 08.09.2015, Ra 2014/18/0089, verwies der Verwaltungsgerichtshof in einer Asylangelegenheit auf die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Wiederaufnahme und neuem Antrag (vgl. VwGH 24.08.2014, 2003/01/0431, mwN) und hielt ebenso fest, dass diese auf den nahezu wortgleichen § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG übertragbar sei.

Im Einklang mit dieser Rechtsprechung zieht das Bundesverwaltungsgericht in der vorliegenden Rechtssache zur Beurteilung der Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Hervorkommen von neuen Tatsachen oder Beweismitteln nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG heran (vgl. auch VwGH 23. 2. 2016, Ra 2015/01/0116).

3.2. Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, ihre Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist (so genannte „nova reperta“), nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (sogenannte „nova causa superveniens“) (vgl. z.B. VwGH 08. 11. 1991, 91/18/0101; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 19.03.2003, 2000/08/0105; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG, Bd. 4 [2009] § 69 RZ 28).

„Tatsachen“ sind Geschehnisse in Seinsbereich, mit „Beweismittel“ sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (VwGH 11.03.2008, 2006/05/0232).

Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden seien. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist aber darüber hinaus auch erforderlich, dass sie – allenfalls auch in Verfahren vor einer Instanz – gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG – die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind – handelt es sich beim „Verschulden“ im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1 294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB) ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht [2011] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 RZ 36 ff.).

Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, 2001/07/0017; 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).

Des Weiteren müssen die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens die Eignung aufweisen, einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid (hier: anders lautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes) herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist (vgl. VfGH 20.02.2014, U 2298/2013); ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses seiner Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit) die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrages bildenden Bescheid oder (zumindest) die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 22.02.2001, 2000/04/0195; 19.04.2007, 2004/09/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9)

Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, 2001/21/0031; 07.09.2005, 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz 591, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).

3.3. Der Antragsteller brachte (offenkundig erstmals) im Antrag auf Wiederaufnahme vor, dass er nicht nur der albanischen Volksgruppe, sondern auch jener der ägyptischen Minderheit im Kosovo angehöre und deshalb die Situation für ihn „weiterhin sehr gefährlich“ sei. Dieses Vorbringen kann aber schon deshalb keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund darstellen, da der Umstand, dass der Antragsteller (auch) Angehöriger der ägyptischen Minderheit im Kosovo ist, bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren (G311 2134359-3/14E) bestand (bzw. bestanden haben muss) und der Antragsteller kein Vorbringen dahingehend erstattete, warum es ihm nicht möglich gewesen wäre, diesen Umstand bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren vorzubringen. Selbst wenn es sich somit bei diesem Vorbringen um neue Tatsachen gehandelt hätte, ist der Tatbestand des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nicht erfüllt, da der Antragsteller dieses Vorbringen jedenfalls geltend machen hätte können. Abgesehen davon ist nicht zu erkennen, dass im Kosovo die ägyptische Minderheit einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. Auszug Länderfeststellung im Verfahren G311 2134359-3/14E: „Es gibt keine Hinweise auf intendierte staatliche Repressionen oder Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit.“).

Soweit der Antragsteller auf den bekannten Namen „ XXXX “ hinweist und (offenbar) neuerlich damit zum Ausdruck bringen möchte, dass er aufgrund dieses Namens bei einer Rückkehr in den Kosovo einer besonderen Gefahr ausgesetzt wäre, genügt der Hinweis auf die Ausführungen im wiederaufzunehmenden Verfahren, in dem sich das Bundesverwaltungsgericht mit diesem Vorbringen hinreichend auseinandersetzte und diesbezüglich von keiner Verfolgungsgefahr ausging (vgl. die oben unter 2. wiedergegebene Beweiswürdigung im Verfahren G311 2134359-3/14E).

Zur vorgelegten Bestätigung der ägyptischen Liga vom 11.01.2021 ist anzumerken, dass allein aufgrund des Inhalts dieser Empfehlung noch nicht zwingend davon auszugehen ist, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in den Kosovo einer tatsächlichen Gefahr ausgesetzt wäre, zumal der Kosovo als sicherer Herkunftsstaat gilt. Der (in der Empfehlung der der ägyptischen Liga enthaltene) Verweis, wonach die Familie XXXX „mehrmals Misshandlungen, Bedrohungen und Unsicherheit“ ausgesetzt gewesen wäre, bezieht sich (offenbar) noch auf die Lage im Kosovo zum Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers mit seinen Eltern und Geschwistern im Jahr 1998. Eine akute Gefahr bei einer Rückkehr in den Kosovo besteht für den Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht mehr (vgl. dazu wieder die oben unter 2. wiedergegebene Beweiswürdigung im Verfahren G311 2134359-3/14E). Abgesehen davon enthält der Wiederaufnahmeantrag auch keine Ausführungen zum Umstand, warum es dem Antragsteller im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht möglich gewesen sein sollte, eine Bestätigung wie die nunmehr vorgelegte vom 25.01.2021 zu erhalten.

Schließlich bildet auch das Vorbringen des Antragstellers, wonach die medizinische Versorgung in Kosovo nicht den medizinischen Standards entsprechen würde, keinen Wiederaufnahmegrund. Der Antragsteller brachte selbst vor, dass er sich bereits seit 2019 im Substitutionsprogramm befinde, da er durch den Vorfall 2015 (Körperverletzung) mit seinem Leben nicht mehr klarkäme. Die Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren datiert vom 11.08.2020 bzw. fand die mündliche Verhandlung am 05.12.2019 statt. Somit ist aber dem Bundesverwaltungsgericht kein Grund ersichtlich, warum der Antragsteller ein solches Vorbringen nicht bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren erstattete. Abgesehen davon ist die medizinische Versorgung im Kosovo grundsätzlich gewährleistet (vgl. dazu umfassend die Länderfeststellungen im Verfahren G311 2134359-3/14E, Seite 36 ff des Erkenntnisses).

3.4. Da die Wiederaufnahme eines Verfahrens nicht dazu dient, die Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren erweist die das Vorbringen des Antrages somit als unbegründet.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass in der gegenständlichen Rechtssache keinen neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen sind, die in dem vom Bundesverwaltungsgericht, bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden des Antragsstellers nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich eine im Haupthauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung herbeigeführt hätten.

3.5. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG sind somit nicht erfüllt und der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens war daher abzuweisen.

3.6. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt schien und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm.9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/220/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Minderheitenzugehörigkeit sicherer Herkunftsstaat Verschulden Volksgruppenzugehörigkeit Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2134359.4.00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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