TE Bvwg Beschluss 2021/3/4 W123 2236171-2

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Veröffentlicht am 04.03.2021
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Entscheidungsdatum

04.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


W123 2236171-2/3E

BESCHLUSS!

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über den Antrag des XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2020, W123 2236171-1/2E, rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens:

A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme wird als unbegründet abgewiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer wurde am 31.05.2012 durch Organe des Landeskriminalamtes Wien wegen des Verdachts der Begehung eines strafbaren Delikts (§ 28a Abs. 1 SMG) angezeigt.

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 11.06.2012, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum erlassen.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.08.2012, XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen § 28a Abs. 1 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, hiervon 6 Monate unbedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

4. Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 10.10.2012, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum erlassen.

5. Am 25.10.2012 erfolgte die freiwillige Rückkehr des Beschwerdeführers im Luftwege nach Serbien.

6. Am 16.06.2020 leitetet das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) einen Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG ein.

7. Mit Schreiben vom 02.07.2020 verständigte die belangte Behörde den Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit der Möglichkeit, zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot binnen 10 Tagen (ab Zustellung des Schreibens) Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer gab innerhalb dieser Frist keine Stellungnahme ab.

8. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.08.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 5. Fall und Abs. 2 Z 2 und 3 SMG, 15 StGB, sowie wegen des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach 28 Abs. 1 und 3 SMG gemäß § 28a Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Jahren verurteilt.

9. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18.09.2020, Zahl: 595097208/200494669, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Serbien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

10. Mit Schriftsatz vom 12.10.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde und führte zusammenfassend aus, dass die belangte Behörde eine Einvernahme des Beschwerdeführers unterlassen und das Verfahren damit mit Mängeln belastet habe. Auch die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers sei nicht konkret eruiert worden, obwohl bei der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt des
§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr dorthin Bedacht zu nehmen sei. Der Beschwerdeführer habe auf die schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme nicht antworten können, weil er die deutsche Sprache nicht beherrsche und nicht gewusst habe, was zu tun sei. Hätte die belangte Behörde die Einvernahme nicht unterlassen, wäre sie zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer nicht nur serbischer, sondern auch kroatischer Staatsbürger sei. Dem Beschwerdeschriftsatz wurde ein Scan der 1. Seite der Anordnung zur Festnahme übermittelt, wo auch die kroatische Staatsbürgerschaft angeführt sei. Die belangte Behörde hätte somit wissen müssen, dass der Beschwerdeführer die kroatische Staatsbürgerschaft besitze und somit Unionsbürger sei.

11. Mit Schriftsatz vom 13.10.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 19.10.2020, übermittelte die belangte Behörde die Beschwerdevorlage samt Verfahrensakt und gab gleichzeitig eine Stellungnahme ab. Es sei der belangten Behörde nicht ersichtlich, inwiefern es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen wäre, eine Stellungnahme zu verfassen, zumal der Beschwerdeführer den sozialen Dienst in der Justizanstalt nutzen hätte können, um das Parteiengehör wahrzunehmen oder der belangten Behörde zumindest eine Kopie seines vermeintlichen existierenden kroatischen Reisepasses vorzulegen. Inwiefern der Beschwerdeführer kroatischer Staatsbürger sei, könne die belangte Behörde nicht nachvollziehen, zumal er durch die Interpol Belgrad einwandfrei als serbischer Staatsangehöriger identifiziert worden sei und das Landesgericht für Strafsachen Wien sowie die Justizanstalt Wien Josefstadt den Beschwerdeführer ebenfalls mit der serbischen Nationalität führe.

12. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2020, W123 2236171-1/2E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 18.09.2020 als unbegründet abgewiesen.

13. Mit Schriftsatz vom 03.12.2020, damals vertreten durch Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH/ARGE Rechtsberatung, stellte der Antragsteller den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Zl. W123 2236171-1/2E und brachte einleitend vor, dass er serbischer und kroatischer Staatsbürger sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit Erkenntnis vom 12.11.2020 die Beschwerde des Antragstellers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hätte amtswegig die Staatsbürgerschaft des Antragstellers ermitteln können und müssen bzw. hätte auch mit einer Aufforderung zum Parteiengehör oder mit einer mündlichen Verhandlung vorgehen können. Dem Beschwerdeführer sei es nicht möglich gewesen, eine Kopie seines Reisepasses innerhalb der Beschwerdefrist zu besorgen, da er in Haft gewesen sei und von dort nur eingeschränkt kommunizieren könne. Am Samstag, den 21.11.2020 sei der Rechtsvertretung des Antragstellers ein Scan seiner kroatischen Dokumente per E-Mail zugeschickt worden. Damit könne er beweisen, dass er neben der serbischen auch über die kroatische Staatsbürgerschaft verfüge.

Da das neu entstandene Beweismittel eine Tatsache belege, die bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses vorgelegen sei, könne die aktuelle Sicherheitslage nicht im Wege eines Folgeantrages nach § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG geltend gemacht werden. Das neue Beweismittel sei daher im Wege eines Antrags auf Wiederaufnahme geltend zu machen. Es liege jedenfalls ein zwingender Wiederaufnahmegrund vor.

Dem gegenständlichen Antrag wurden kroatische Dokumente in Kopie beigelegt, die allesamt mit 02.04.2013 datiert sind.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter I., Verfahrensgang, wiedergegebene Sachverhalt wird festgestellt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter I. angeführte Verfahrensgang Feststellungen ergibt sich aus dem vorgelegten Akt der belangten Behörde zum Verfahren W123 2236171-1 bzw. aus dem Inhalt des rechtskräftigen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2020, W123 2236171-1/2E, sowie aus dem Schriftsatz des Antragstellers vom 03.12.2020.

Die Beweiswürdigung im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2020, W123 2236171-1/2E, lautet auszugsweise:

„Aber auch das erstmalige Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz, wonach der Beschwerdeführer nicht nur serbischer, sondern auch kroatischer Staatsbürger (und somit Unionsbürger) sei, vermag am Ergebnis der gegenständlichen Entscheidung nichts zu ändern. Alleine aufgrund der Übermittelung eines Scans der 1. Seite der Anordnung zur Festnahme (vgl. AS 179), in der „Kroatien“ als Staatsangehörigkeit erscheint, kann noch nicht (gleichsam automatisch) davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich (neben der serbischen) auch die kroatische Staatsbürgerschaft besitzt. Die belangte Behörde verwies zutreffend in ihrer Stellungnahme auf die Identifizierung des Beschwerdeführers durch die Interpol Belgrad als serbischer Staatsangehöriger. Ferner ergab sich auch aus dem rechtskräftigen Urteil des Straflandesgerichtes Wien vom 20.08.2020 kein Hinweis auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer zwei Staatsbürgerschaften besitzen würde.“

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn 1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtliche strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder 2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder iVm mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten , oder 3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder 4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die eine Aufhebung oder Abänderung auf Antrag eine Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

Gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen 2 Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von 3 Jahren nach Anlastung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann gemäß § 32 Abs. 3 VwGVG die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von 3 Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden.

Gemäß § 32 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind gemäß § 32 Abs. 5 VwGVG die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragrafen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (RV 2009 BlgNR 24. GP) ist festzuhalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Widereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen.

Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des §§ 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit §§ 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können. Dies gilt sinngemäß natürlich auch für Verfahren, die mit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig abgeschlossen worden sind.

In diesem Sinne hielt der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31.08.2015, Ro 2015/11/0012, und der Verweis auf den Materialien zu § 32 VwGVG fest, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet seien und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden könne. In diesem Erkenntnis zitiert der Verwaltungsgerichtshof auch seinen Beschluss vom 24.02.2015, Ra 2015/05/0004, in dem auf die Rechtsprechung zur amtswegigen Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens nach §§ 69 Abs. 3 AVG verwiesen (VwGH 21.09.2007, 2006/05/0273, mwN) und festgehalten wurde, dass sich diese auf die insoweit gleichlautende Bestimmung des § 32 Abs. 3 VwGVG übertragen lassen. Im Beschluss vom 08.09.2015, Ra 2014/18/0089, verwies der Verwaltungsgerichtshof in einer Asylangelegenheit auf die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Wiederaufnahme und neuem Antrag (vgl. VwGH 24.08.2014, 2003/01/0431, mwN) und hielt ebenso fest, dass diese auf den nahezu wortgleichen § 32 Abs. 1 Z. 2 VwGVG übertragbar sei.

Im Einklang mit dieser Rechtsprechung zieht das Bundesverwaltungsgericht in der vorliegenden Rechtssache zur Beurteilung der Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Hervorkommen von neuen Tatsachen oder Beweismitteln nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG heran (vgl. auch VwGH 23. 2. 2016, Ra 2015/01/0116).

3.2. Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, ihre Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist (so genannte „nova reperta“), nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (sogenannte „nova causa superveniens“) (vgl. z.B. VwGH 08. 11. 1991, 91/18/0101; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 19.03.2003, 2000/08/0105; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG, Bd. 4 [2009] § 69 RZ 28).

„Tatsachen“ sind Geschehnisse in Seinsbereich, mit „Beweismittel“ sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (VwGH 11.03.2008, 2006/05/0232).

Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden seien. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist aber darüber hinaus auch erforderlich, dass sie – allenfalls auch in Verfahren vor einer Instanz – gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG – die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind – handelt es sich beim „Verschulden“ im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1 294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB) ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht [2011] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 RZ 36 ff.).

Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, 2001/07/0017; 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).

Des Weiteren müssen die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens die Eignung aufweisen, einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid (hier: anders lautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes) herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist (vgl. VfGH 20.02.2014, U 2298/2013); ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses seiner Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit) die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrages bildenden Bescheid oder (zumindest) die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 22.02.2001, 2000/04/0195; 19.04.2007, 2004/09/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9)

Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, 2001/21/0031; 07.09.2005, 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz 591, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).

3.3. Zum gegenständlichen Antrag ist einleitend auszuführen, dass der Antragsteller unter Punkt 1., Sachverhalt, vermeintliche Verfahrensfehler des Bundesverwaltungsgerichtes im rechtskräftig abgeschlossenen Beschwerdeverfahren bemängelt. Dieses Vorbringen ist jedoch für die Prüfung des Antrages auf Wiederaufnahme schon deshalb unbeachtlich, da der Antragsteller gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2020, W123 2236171-1/2E, eine außerordentliche Revision erhob (vgl. OZ 10 zu W123 2236171-1) und somit allfällige Verfahrensfehler des Bundesverwaltungsgerichtes im Zuge der Entscheidung zu W123 2236171-1/2E ausschließlich vom Verwaltungsgerichtshof zu prüfen sind.

Abgesehen davon ist auf den Wortlaut der Bestimmung des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG hinzuweisen, wonach einem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme (nur) dann stattzugeben ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Im antragsgegenständlichen Schriftsatz findet sich jedoch kein Hinweis, warum es dem Antragsteller nicht möglich gewesen wäre, Dokumente, die mit 02.04.2013 datieren, nicht schon im Rahmen des Beschwerdeverfahrens übermitteln hätte können. Alleine der Hinweis des Antragstellers, erst am Samstag, dem 21.11.2020 einen Scan seiner kroatischen Dokumente per E-Mail zugeschickt bekommen zu haben und somit offensichtlich davon ausgeht, schon allein durch diese Behauptung die formalen Voraussetzungen für einen Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG zu erfüllen, reicht jedenfalls nicht aus.

Da die Wiederaufnahme eines Verfahrens aber nicht dazu dient, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren, erweist die das Vorbringen des Antrages somit als unbegründet.

Der Vollständigkeit halber ist aber zum einen noch darauf hinzuweisen, dass die kroatischen Dokumente lediglich in Kopien vorgelegt wurden und somit – mangels Überprüfung der Echtheit – auch keinen Beweis dafür geben, dass der Antragsteller tatsächlich auch die kroatische Staatsbürgerschaft innehat. Zum anderen ist gemäß nicht ersichtlich, warum die nunmehr vorgelegten Dokumente ein iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG im Hauptinhalt des Spruchs voraussichtlich anders lautendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes herbeigeführt hätten. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bereits im wiederaufzunehmenden Beschwerdeverfahren mit dem Vorbringen des Antragstellers zu seiner (vermeintlichen) kroatischen Staatsbürgerschaft auseinandergesetzt (vgl. dazu insbesondere den obigen Auszug aus der Beweiswürdigung). Letztlich läuft daher der Wiederaufnahmeantrag auf ein – unzulässiges – neuerliches Aufrollen eines bereits durch rechtskräftige Entscheidung abgeschlossenen Verfahrens hinaus.

3.4. Daher war der Antrag auf Wiederaufnahme als unbegründet abzuweisen.

3.5. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt schien und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm.9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/220/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Staatsangehörigkeit Urkundenvorlage Verschulden Voraussetzungen Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2236171.2.00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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