TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/5 W176 2199525-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2021
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Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W176 2199525-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA.: Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin brachte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am folgenden Tag gab sie an, dass sie von ihrem Ehemann schlecht behandelt worden sei. Dieser habe dann auch eine zweite Frau geheiratet und danach die Beschwerdeführerin misshandelt.

2. Am XXXX .2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) einvernommen, gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes an: Ihr Ehemann sei von Anfang an sehr gewalttätig gewesen und habe sie immer geschlagen, zudem habe sie das Haus nicht verlassen dürfen. Als er seine zweite Frau geheiratet habe, sei es zu einer Verschlimmerung der Situation gekommen, der Ehemann habe die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern eingesperrt und seine Zeit mit der zweiten Frau verbracht. Der Ehemann habe sie auch mit dem Tod bedroht und mit dem Messer verletzt. Ihre Nachbarn hätten ihr die Flucht ermöglicht und sie mitgenommen. Mit der Flucht habe sie die Ehre des Ehemannes verletzt, dieser würde sie bei einer Rückkehr umbringen, um seine Ehre wiederherzustellen.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 200/2005 (AsylG), (Spruchpunkt I.) ab. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde ausgeführt, dass eine konkrete Gefährdung oder Bedrohung der Beschwerdeführerin in Afghanistan nicht festgestellt habe werden können. Sie habe Afghanistan wegen der häuslichen Gewalt durch ihren Ehemann verlassen, eine Verfolgung ihrer Person durch ihren Ehegmann habe nicht festgestellt werden können. Im Falle einer Rückkehr würden aufgrund der derzeitigen Situation stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass sie als alleinstehende Frau ohne familiäre männliche Anknüpfungspunkte einer Gefahr gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

4. Mit am 15.06.2018 bei der Behörde eingebrachtem Schriftsatz wurde gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde einem rechtlichen Irrtum unterliege, da sich das Vorbringen der Beschwerdeführerin unter den Tatbestand der sozialen Gruppe der Familie subsumieren lasse. Die häusliche Gewalt, welche die Beschwerdeführerin in Afghanistan erfahren habe, und die damit einhergehende Ehrverletzung durch ihre Flucht stelle eine asylrelevante Verfolgung unter dem Konventionsgrund der sozialen Gruppe der Familie dar. Die Länderberichte zeigten zudem, dass Frauen, die von zuhause weggelaufen sind, Gefahr liefen, Opfer von Ehrenmorden zu werden; dagegen gebe es auch keinen ausreichenden staatlichen Schutz.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Beschwerdeführerin:

1.1.1. Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Sie ist afghanische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

Die Beschwerdeführerin hat in Afghanistan traditionell geheiratet und ist Mutter von vier Kindern. Sie stammt aus XXXX , Provinz Wardak, lebte aber in den letzten Jahrzehnten vor ihrer Ausreise in Kabul bei ihrem Ehemann, welcher weiterhin dort mit seiner zweiten Frau lebt.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.1.2. Die Beschwerdeführerin war häuslicher Gewalt durch ihren Ehemann ausgesetzt, dieser behandelte sie sehr schlecht und schlug sie regelmäßig. Nachdem der Ehemann eine zweite Frau geheiratet hatte, kam es zu einer Verschärfung der Zustände und er bedrohte sie zuletzt mit dem Tode.

Der Beschwerdeführerin drohen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in Hinblick auf die aus ihrer Flucht resultierenden Ehrverletzung Verfolgungshandlungen ihres Ehemannes von asylrelevanter Intensität.

1.1.3. Die Beschwerdeführerin hat keine Asylausschluss- oder -endigungsgründe verwirklicht.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 02.03.2017:

Frauen:

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016)

Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den „Familienfrieden“ durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW - law) und Kontroversen

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen – inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW–Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral- Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu „Zina“-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt – in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaarma Press 23.3.2016).

Legales Heiratsalter

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016).

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der „Ehrenrettung“ angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).

Frauenhäuser

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörde diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das „Weglaufen von zu Hause“ sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWa, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

Auszug aus der von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeschriftsatz angeführten ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Staatlicher Schutz vor Zwangsheirat, Sanktionen für Mädchen bei Flucht aus Zwangsheirat vom 13.10.2017:

[…]

Viele Frauen hier seien in Ehen gezwungen worden, als sie noch Kinder gewesen seien. Wen diese Frauen älter würden, wollten sie davonlaufen, um dem elenden Leben zu entkommen, in das sie gezwungen worden seien. Sollten sie dies wagen, würden sie häufig Opfer von Ehrenmorden, die von den männlichen Mitgliedern ihrer Stämme verübt würden. Die Leute würden diese Männer nicht als Kriminelle ansehen. Man akzeptiere, dass sie die Ehre ihrer Familie verteidigen würden.

[…]

Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) habe erklärt, dass Frauen, die aus einer gewalttätigen Ehe („abusive marriage“) flüchten würden, dem Risiko ausgesetzt seien, wegen Zina strafrechtlich verfolgt zu werden. Frühehen seien in Afghanistan weit verbreitet, wodurch Frauen in Zwangsehen den gesundheitlichen Folgen früher Schwangerschaften ausgesetzt seien. Mädchen und Frauen, die versuchen würden, aus Zwangsehen zu fliehen, würden oft von den eigenen Familien verstoßen und hätten wegen des Stigmas des Weglaufens keinen Ort, an den sie gehen könnten. Frauen und Mädchen könnten sogar wegen des Beschmutzens der Familienehre getötet werden.

[…]

Frauen könnten dafür bestraft werden, wenn sie versuchen würden, der eigenen Familiensituation zu entkommen, wenn sie beispielsweise vor einer Zwangsehe flüchten würden. 2012 habe die Regierung angeordnet, dass Frauen für das Weglaufen von zu Hause nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden sollten. Staatsanwälte hätten Berichten zufolge gegen Frauen Anklage wegen Zina (der Absicht, außereheliche sexuelle Beziehungen einzugehen, oder die Wahrnehmung, dies bereits getan zu haben) oder versuchter Zina erhoben. Obwohl die Verfassung und die Gesetze des Landes ein derartiges Verhalten nicht bestrafen würden, würden manche Richter es wie einen Straftatbestand nach islamischem Recht behandeln. Solche Frauen könnten von der Polizei inhaftiert und von den Gerichten strafrechtlich verfolgt werden.

[…]

Frauen, die aus Angst vor einem Ehrenmord in ein Frauenhaus flüchten würden, könnten dieses häufig nicht mehr verlassen, weil es sehr wahrscheinlich sei, dass sie getötet würden. Es sei für eine afghanische Frau sehr schwierig wenn nicht unmöglich, in eine große Stadt zu übersiedeln, um einem Ehrenmord zu entgehen, schon allein deshalb, weil sie nirgendwo selbständig leben könne. Die Regierung sei nicht in der Lage, Frauen vor Ehrenmorden zu schützen, und es sei wenig wahrscheinlich, dass potentielle Opfer, die zumeist Frauen seien, um staatlichen Schutz ansuchen würden, da sie sich schämen würden, Angst vor Gewalt oder dem Verlust ihrer Kinder hätten. Frauen würden manchmal präventiv, „zu ihrer eigenen Sicherheit“ in Haft genommen, um sie vor Ehrenmorden zu schützen […]

2. Beweiswürdigung:

2.1.1. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren bisherigen Angaben bei der belangten Behörde.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie ihrer persönlichen Situation in Afghanistan ergeben sich aus ihren widerspruchsfreien und schlüssigen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.1.2. Die Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin stützen sich auf die von ihr vor der belangten Behörde getroffenen Aussagen und auf das Ergebnis des geführten Ermittlungsverfahrens:

Der Ermittlungspflicht der Behörden steht eine Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers gegenüber. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur erkannt, dass es für die Glaubhaftmachung der Angaben erforderlich ist, dass der Beschwerdeführer die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert, und dass diese Gründe objektivierbar sind, wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des "Glaubhaft-Seins" der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/12/0143, VwGH 13.04.1988, 86/01/0268). Der Antragsteller hat daher das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (u.a. VwGH 26.06.2997, 95/18/1291, VwGH 17.07.1997, 97/18/0336, VwGH 05.04.1995, 93/180289). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.

Zu ihrem fluchtauslösenden Ereignis brachte die Beschwerdeführerin vor, dass ihr Ehemann von Anfang gewalttätig ihr gegenüber gewesen sei und sie misshandelt – hierzu konnte sie auch auf Narben auf ihrem Körper verweisen (vgl. OZ 1 AS 40) – sowie eingesperrt habe. Als der Ehemann eine zweite Frau geheiratet habe, sei es zu einer Verschlimmerung der Situation gekommen. Der Ehemann habe die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern eingesperrt und seine Zeit mit der zweiten Frau verbracht, diese habe den Ehemann zusätzlich gegen die Beschwerdeführerin aufgebracht. Der Ehemann habe sie hiernach mit dem Messer verletzt und sie mit dem Tod bedroht. Schließlich hätten ihre Nachbarn ihr angeboten, gemeinsam das Land zu verlassen um sich vor dem Ehemann in Sicherheit zu bringen, was die Beschwerdeführerin angenommen und hierauf das Haus unbemerkt verlassen habe.

Die Beschwerdeführerin hat zu diesem Vorbringen im Verfahren konkrete und vor allem konsistente Angaben gemacht. Ihr Vorbringen wies keine erheblichen Unstimmigkeiten oder Widersprüche auf.

Auch die Ausführungen in den maßgeblichen Erkenntnisquellen sind mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin vereinbar und stützen ihre Ausführungen. Dort wird ausgeführt, dass sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist und solche Gewalttaten zu über 90 Prozent innerhalb der Familienstrukturen stattfinden. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt. In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft zu von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst. Darüber hinaus kommt es immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der „Ehrenrettung“ angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet).

Unter Berücksichtigung der Gewalterfahrungen, die die Beschwerdeführern mit ihrem Ehemann gemacht hat, im Zusammenhalt mit den einschlägigen Länderinformationen erscheint dem Bundesverwaltungsgericht die Aussage der Beschwerdeführerin, wonach ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch aus der mit ihrer Flucht einhergehenden Verletzung der Ehre des Ehemannes Verfolgung drohen würde, als glaubwürdig und nachvollziehbar. Angesichts des Umstands, dass in Afghanistan eine Praxis der „Ehrenmorde“ bei Frauen, die aus einer gewalttätigen Ehe flüchten, nach wie vor verbreitet ist und ihr Ehemann ohnehin schon ihr gegenüber besonders gewalttätig war, ist davon auszugehen, dass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch der Beschwerdeführerin nach einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen Verfolgung ausgesetzt wäre.

Hinsichtlich der Lage von Frauen in Afghanistan führen die einschlägigen Länderinformationen aus, dass die staatlichen Akteure aller drei Gewalten häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt sind, Frauenrechte zu schützen bzw. eine Verteidigung ihrer Rechte in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich ist und viele Gewaltfälle gegenüber Frauen nicht vor Gericht gelangen, sondern durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt werden. Dies führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den Familienfrieden durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen.

2.1.3. Die Feststellung zu 1.1.2. ergibt sich daraus, dass der Aktenlage keine Hinweise entnehmen sind, aus denen zu schließen wäre, dass die Beschwerdeführerin Asylausschluss- oder -endigungsgründe verwirklicht hätte.

2.2. Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 1.2.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Verfolgung ist gemäß § 2 Abs. 11 AsylG jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie. Nach Art. 9 der Statusrichtlinie muss eine Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:

-        Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt,

-        gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden,

-        unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

-        Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

-        Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art 12 Abs 2 fallen und

-        Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter Verfolgung ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern es kann eine dem Staat zuzurechnende asylrelevante Verfolgungssituation unter anderem auch dann gegeben sein, wenn der Staat nicht gewillt ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – Asylrelevanz zukommen sollte (vgl. VwGH 21.09.2000, 98/20/0434). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt sohin dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233; VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100). Aber auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233; VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen; entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht; in beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191).

§ 2 Abs. 1 Z 12 AsylG umschreibt den Begriff des "Verfolgungsgrundes" als einen in Art. 10 der Statusrichtlinie genannten Grund. Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie liegt eine bestimmte soziale Gruppe insbesondere vor, wenn "- die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und - die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird."

Nach dieser Definition gilt eine Gruppe somit insbesondere als eine "bestimmte soziale Gruppe", wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. das Urteil des EuGH vom 7. November 2013 in den verbundenen Rechtssachen C-199/12 bis C- 201/12). Bei der sozialen Gruppe handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Eine soziale Gruppe kann aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/19/0350 mwN).

Das Merkmal der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dort vorliegen, wo ein Familienmitglied ein anderes wegen dessen Zugehörigkeit der Familie verfolgt, also der Verfolger der gleichen Familie angehört wie das Opfer (vgl. etwa Putzer, Asylrecht2 [2011], uHa VwGH 28.08.2009, 2008/19/1027; vgl. dazu überdies VwGH 09.09.2010, 2007/20/1091; 25.03.2015, Ra 2014/18/0153).

3.2.1.2. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin glaubhaft gemacht, dass sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie ihres Ehemannes, durch den sie häuslicher Gewalt ausgesetzt war und dem sie durch ihre Flucht eine „Ehrverletzung“ in seiner Stellung als Ehemann und Familienoberhaupt zugefügt hat, von diesem mit dem Tode bedroht wird.

Zugleich kann aufgrund der Feststellung zu den Verhältnissen in Afghanistan nicht gesagt werden, dass die afghanischen Behörden in der Lage wären, für die grundsätzliche Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Beschwerdeführerin Sorge zu tragen. Sie kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit rechnen, angesichts des sie betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen von Seiten ihres Ehemannes zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat zu finden. Angesichts der dargestellten Umstände kann im Fall der Beschwerdeführerin nicht mit der hier erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sie in Afghanistan Verfolgungshandlungen von asylrelevanter Intensität ausgesetzt wäre.

Die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch das Bundesamt steht mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054).

3.2.2. Da darüber hinaus keine von der Beschwerdeführerin verwirklichten Asylausschluss- oder -endigungsgründe festzustellen waren, ist der Beschwerde stattzugeben, der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und auszusprechen, dass dieser somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2.3. Festgehalten wird, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf internationalen Schutz am XXXX .2016 und somit nach dem 15.11.2015 gestellt hat, weshalb die Regelungen der §§ 2 Abs 1 Z 15 und 3 Abs 4 Asylgesetz ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs 24 leg cit anzuwenden sind. Dementsprechend kommt der Beschwerdeführerin eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu, welche sich in eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung umändert, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

3.2.4. Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie VfGH 18.06.2012, B 155/12; EGMR Tusnovics v. Austria, 07.03.2017, 24.719/12). Bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weist die Entscheidung der belangten Behörde immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf. Auch sonst hat sich kein Hinweis ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit der Beschwerdeführerin im Rahmen einer Verhandlung zu erörtern. Zudem waren dem Verwaltungsakt sämtliche entscheidungsrelevanten Grundlagen zu entnehmen.

3.3. Zu Spruchpunkt B):

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich im vorliegenden Fall auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Familienverband Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Gewalttätigkeit Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit häusliche Gewalt inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative private Verfolgung Schutzfähigkeit des Staates Schutzunfähigkeit des Staates soziale Gruppe staatliche Schutzfähigkeit staatlicher Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W176.2199525.1.00

Im RIS seit

24.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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