TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/8 W193 2210395-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.03.2021
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Entscheidungsdatum

08.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W193 2210395-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Michaela RUSSEGGER-REISENBERGER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen in 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Mit Bescheid vom 11.09.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) abgewiesen und der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) zuerkannt.

I.3. Mit Bescheid vom 25.10.2018, Zl. XXXX , wurde der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem BF eine zweiwöchige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

I.4. Gegen den angeführten Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 21.11.2018 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht die eingebrachte Beschwerde samt dazugehörigen Verwaltungsakten.

I.5. An der am XXXX durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung nahm der BF teil. Auch der im Spruch genannte bevollmächtigte Vertreter nahm an der Verhandlung teil. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete bereits mit Schreiben zur Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seinem gesundheitlichen Befinden, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Leben in Afghanistan, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und seinem Leben in Österreich ausführlich befragt.

Als Beilagen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung wurde ein Konvolut an Unterlagen des BF genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen (Sachverhalt):

II.1.1. Zur Person des BF und seiner Situation im Falle einer Rückkehr

Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Der BF spricht Dari. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF ist in der Provinz Ghazni, Distrikt Jaghori in Afghanistan geboren, lebte jedoch seit seiner frühen Kindheit in Quetta, Pakistan. Der BF verfügt in Afghanistan über keine familiären Anknüpfungspunkte. Seine Mutter ist verstorben, sein Vater ist unbekannten Aufenthalts. Eine Tante des BF lebt in Pakistan. Ein Bruder des BF lebt in XXXX , Oberösterreich.

Der BF besuchte keine Schule und hat keine Berufsausbildung. In Pakistan arbeitete der BF als Teppichknüpfer.

Der BF stellte am 16.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des BFA vom 11.09.2017 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass für den BF im Fall seiner Rückkehr ohne entsprechenden Familienanschluss in seinem Herkunftsstaat, kein entsprechender Rückhalt bestünde und insb. auch aufgrund des jungen Alters die reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, welche den Grundsätzen der EMRK zuwiderlaufen würde bestehe. Hervorhebend hielt das BFA fest, dass ihm sein subsidiärer Schutz ausschließlich aufgrund des Umstandes, dass ein familiärer Anschluss im Herkunftsstaat nicht auszumitteln war, er Analphabet sei und aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage in Afghanistan und unter Berücksichtigung der EMRK gewährt werde. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stützte das BFA folglich auf die fehlenden familiären, sozialen Anknüpfungspunkte und die mangelnde innerstaatliche Fluchtalternative.

Im angefochtenen Bescheid vom 25.10.2018 wurde die Aberkennung des subsidiären Schutzes im Wesentlichen damit begründet, dass sich die Lage im Herkunftsstaat des BF seit der Antragstellung bzw. Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom 11.09.2017, insbesondere hinsichtlich IFA-Regionen maßgeblich gebessert habe. Auf die im Wesentlichen unverändert gebliebenen persönlichen und familiären Verhältnisse seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten ging die Behörde hingegen nicht näher ein.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif (sowie auch Kabul und Herat), wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BFA vom 11.09.2017 nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben.

Der BF verfügt in Afghanistan, insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif, auf die er von der belangten Behörde verwiesen wird, nach wie vor über kein familiäres, soziales Netzwerk.

In Österreich hat der BF seinen Pflichtschulabschluss nachgeholt und absolviert aktuell eine Lehrausbildung zum Installations- und Gebäudetechniker. Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet hat sich der BF einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Er hat Deutschkurse bis zum Sprachniveau B1 besucht.

Der Beschwerdeführer ist gesund und strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan und der Situation des BF bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juni 2020 zwischen 32 und 36 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultieren weiterhin in Konflikten und Tötungen.

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen.

Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurde in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die allesamt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden.

Einst als relativ sicher erachtet ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen betroffen. Militante Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, versuchen internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weit verbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben. Afghanische Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt Im Jahr 2020 kam es erneut zu mehreren „high-profile“-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte. Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher. In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine negative Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“.

Auch in einigen Distrikten der lange Zeit als relativ friedlich geltenden Provinz Balkh hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren verschlechtert, da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen. Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen. Mazar-e Sharif gilt zwar als vergleichsweise sicher, doch hat sich die Sicherheitslage auch hier verschlechtert. So fanden im Jahr 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Bewohner der Stadt berichteten von bewaffneten Raubüberfällen. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Die Hauptursache für zivile Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen. Im Zeitraum 1.1.-30.9.2020 dokumentierte UNAMA 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) in der Provinz, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist (UNAMA 10.2020). Im ersten Halbjahr 2020 war hinsichtlich der Opferzahlen die Zivilbevölkerung in den Provinzen Balkh und Kabul am stärksten vom Konflikt in Afghanistan betroffen (UNAMA 7.2020).

Straßenkriminalität ist in sämtlichen großen Städten Afghanistans ein Problem. Im vergangenen Jahr wurden tausende Straßenraube und Hausüberfälle gemeldet.

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte). Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direktem (25%) und indirektem Beschuss (5%) verantwortlich - dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall.

Die erste Hälfte des Jahres 2020 war geprägt von schwankenden Gewaltraten, welche die Zivilbevölkerung in Afghanistan trafen. Die Vereinten Nationen dokumentierten 3.458 zivile Opfer (1.282 Tote und 2.176 Verletzte) für den Zeitraum Jänner bis Ende Juni 2020.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. In humanitären Geberkreisen wird von einer Armutsrate von 80% ausgegangen. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark.

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration. Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder nach Iran, Pakistan oder weiter nach Europa migrierten.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen.

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungs-zusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich.

Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk (STDOK 13.6.2019, IOM KBL 30.4.2020), auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert.

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren und können zudem fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein.

II.2 Beweiswürdigung:

Das Bundesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch:

- Einsichtnahme in den Verwaltungsakt;

- Einsichtnahme in das Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 16.12.2020;

- Einsichtnahme in die vom BF im gesamten Verfahren vorgelegten Urkunden, Einvernahme- und Verhandlungsprotokolle;

- Einsicht in das Strafregister.

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität (Name, Geburtsdatum), zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zum Geburtsort des BF, seinem Aufenthaltsort vor seiner Ausreise sowie seiner Schul- und Berufsbildung beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im verwaltungsbehördlichen Verfahren sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 55 f, AS 283 f, S. 3 f VP).

Die Feststellungen zu den Lebensumständen seiner Familienangehörigen in Pakistan beruhen auf seinen Angaben im Lauf des Verfahrens.

Der BF hat bereits in seiner Erstbefragung am 16.10.2015 angegeben, dass sein Vater unbekannten Aufenthalts und seine Mutter verstorben sei. Er gab an, dass sich sein Bruder (vermutlich) in Österreich aufhalte und dass er seit seiner Kindheit in Pakistan gelebt habe.

Bei seiner ersten Einvernahme vor dem BFA gab der BF übereinstimmend an, dass er seit seinem 2-3 Lebensjahr bei seiner Tante in Pakistan aufgewachsen sei. Seine Mutter sei verstorben und sein Vater sei verschwunden. Ein Bruder halte sich als Flüchtling ebenso Österreich auf (vgl. AS 58). Bei seiner Einvernahme vor dem BFA im Zuge des Aberkennungsverfahrens wurde der BF hingegen nicht mehr nach seinen familiären Anknüpfungspunkten befragt (AS 283 f).

Schließlich führte er auch bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.02.2021 an, dass er in Afghanistan keine Verwandten habe. Sein Vater sei unbekannten Aufenthalts, seine Mutter sei verstorben. Ein Bruder lebe in XXXX , Österreich. In Pakistan lebe die Schwester seiner Mutter (vgl. S. 5 VP).

Daher waren die Ausführungen des BF dazu, dass er keine Familienangehörigen in Afghanistan hat, sondern lediglich in Pakistan während des gesamten Verfahrens im Wesentlichen konsistent.

Die belangte Behörde kommt in ihrem Bescheid vom 11.09.2017 selbst zum Ergebnis, dass der BF in Afghanistan über keine ausreichenden familiären bzw. sozialen Anknüpfungspunkte mehr verfügt.

Die Feststellungen über den Zeitpunkt der Asylantragstellung, den Gegenstand des Bescheides vom 11.09.2017 sowie den Gegenstand des angefochtenen Bescheides stützen sich auf den Inhalt des Verwaltungs- und Gerichtsaktes.

Die Feststellung, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BFA vom 11.09.2017 nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben, konnte im Lichte eines Vergleichs der individuellen Situation des BF sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in (ganz) Afghanistan zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes und zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides vom 25.10.2018 bzw. der vorliegenden Entscheidung getroffen werden (vgl. dazu näher auch die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen). Dabei erfolgte insbesondere eine Gegenüberstellung des Inhalts der dem Bescheid vom 11.09.2017 zugrundeliegenden Begründung mit der, die die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides herangezogen hat, sowie auch mit der zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bestehenden individuellen Situation des BF.

Dass der BF in Afghanistan, insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif, nach wie vor über kein soziales Netzwerk verfügt, ergibt sich aus den zuvor dargestellten Aussagen des BF zu seinen Familienangehörigen.

Die Feststellungen, dass der BF arbeitsfähig ist sowie zu seinen Lebensumständen in Österreich stützen sich auf seine Angaben dazu in der Einvernahme vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und den von ihm dort sowie in seiner Beschwerde vorgelegten Integrationsunterlagen (Deutschkursbestätigungen und Abschlusszeugnis, Lehrvertrag).

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF gründet auf seinen Aussagen in der Einvernahme vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF in Österreich ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Strafregister.

II.2.2. Zu den Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF beruhen im Wesentlichen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Da die aktuellen Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen beruhen und ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild geben, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der schlüssigen Situationsdarstellungen im Herkunftsstaat zu zweifeln. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020, den EASO-Bericht vom Dezember 2020 und den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018) versichert hat.

Zur unveränderten Sicherheits- und Versorgungslage bzw. humanitären Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass sich den Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zur Lage im Herkunftsstaat nicht entnehmen lässt, dass es zu einer wesentlichen und nachhaltigen Verbesserung der Lage im Herkunftsstaat gekommen ist. Im Wesentlichen wird von einem unverändert anhaltenden innerstaatlichen Konflikt berichtet, von unveränderten Aktivitäten von Aufständischen, von hohen Armuts- und Arbeitslosenraten etc. Die belangte Behörde hat die Zuerkennung des subsidiären Schutzes darauf gestützt, dass der BF in ganz Afghanistan über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfüge. Nunmehr geht das BFA davon aus, dass dem BF eine Fluchtalternative in den IFA-Zonen, insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe. Hiezu ist zu ergänzen, dass Kabul auch im Jahr 2017 in den Händen der Regierung lag und sohin auch diesbezüglich keine Änderung der Lage eingetreten ist. Vielmehr gelangt UNHCR in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage zur Auffassung, dass eine interne Schutzalternative in der Stadt Kabul im Allgemeinen nicht verfügbar ist. Hinsichtlich der aktuellen Länderberichte zu Mazar-e Sharif, auf welche der BF von der belangten Behörde als IFA verwiesen wird, ist den aktuellen Länderberichten zu entnehmen, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage gar verschlechtert hat. Gestützt auf das aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020, die neuesten Berichte des EASO Country Guidance vom Dezember 2020 sowie unter Heranziehung der UNHCR-Richtlinien vom August 2018 kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass sich die Lage im Herkunftsstaat Afghanistan im Allgemeinen wesentlich und nachhaltig verändert und verbessert hat.

III. Rechtliche Beurteilung:

Zur Beschwerde:

Mit gegenständlichem Bescheid vom BFA wurde dem BF eine Beschwerdefrist von vier Wochen eingeräumt. Die am 21.11.2018 erhobene und bei der belangten Behörde am selben Tag eingelangte Beschwerde war rechtzeitig, zulässig und begründet.

Zu Spruchpunkt A)

III.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

III.2. Zu Stattgabe der Beschwerde und ersatzlosen Behebung des angefochtenen Bescheides:

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist in § 9 Asylgesetz 2005 (AsylG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 146/2020, geregelt, der wie folgt lautet:

„§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht. (…)“

Vorauszuschicken ist, dass sich die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheides auf den Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 beruft. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides, wonach „die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegend sind“, ergibt sich, dass die Aberkennung auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt wurde.

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. nicht mehr vorliegen. Dies entspricht auch Art. 16 der Statusrichtlinie (= Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304), wonach ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr subsidiär Schutzberechtigter ist, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist (Abs. 1). Bei Anwendung des Absatzes 1 berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Abs. 2). Dieses Erforderlichkeitskalkül ist auch bei der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung und bei der Bestimmung ihrer Dauer anzulegen (vgl. VwGH vom 31.03.2010, Zl. 2007/01/1216).

Es ist Aufgabe der Behörde, näher darzulegen, worin sie im konkreten Fall Umstände erblickt, sodass davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen. Ausgangspunkt dieser Betrachtungen haben daher jene Umstände zu sein, die ursprünglich zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben (VwGH vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist eine Durchbrechung der Rechtskraftwirkung einer - subsidiären Schutz zuerkennenden - Entscheidung nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Erlassung der Entscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert haben, also eine neue Sache vorliegt, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gilt. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist aber der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden („nova reperta“). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0274, mwN).

Der VwGH hat bereits erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung (im dort entschiedenen Fall: gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005) auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat (VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 25). Diese Überlegungen hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, auch auf Fälle übertragen, in denen die Aberkennung auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 gestützt wird. (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

Auch der VfGH hat zu § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung keine Neubewertung eines rechtskräftig entschiedenen Sachverhaltes erlaubt, sondern eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG lediglich in Frage kommt, wenn sich die Umstände nach der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert haben (VfGH 24.09.2019, E 2330/2019).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid entgegen richtlinienkonformer Interpretation der Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG (vgl. Art. 16 Abs. 2 Status-richtlinie) eine grundlegende und dauerhafte Änderung jener Umstände, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, nicht dargetan:

Zur ursprünglichen Gewährung des subsidiären Schutzes mit Bescheid vom 11.09.2017 stellte die belangte Behörde ua. fest, dass Rückkehrer die Jahrzehnte im Ausland gelebt haben Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt sind. Zur Situation im Fall seiner Rückkehr hielt die belangte Behörde fest, dass der BF sein ganzes Leben in Pakistan verbracht habe und weitere Familienangehörige im Herkunftsstaat nicht ermittelt werden konnten. Der BF habe ohne entsprechenden Familienanschluss im Herkunftsstaat keinen entsprechenden Rückhalt und bestehe aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage, des fehlenden familiären Anschlusses und des jungen Alters die reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung iSd EMRK. Das BFA ging also davon aus, dass der BF in Afghanistan über keine ausreichenden familiären und sozialen Anknüpfungspunkte mehr verfüge, weshalb das BFA zum Ergebnis gelangte, dass im Falle des BF ein Rückkehrhindernis bestehe.

Bei der nunmehr angefochtenen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA seine Entscheidung damit, dass sich die subjektive Lage des BF insofern geändert habe, als ihm nun einerseits eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe und er andererseits finanzielle Unterstützung zur Bestreitung des Lebensunterhaltes in Form von Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und bestünden auch besondere Betreuungsangebote für Rückkehrer. Der BF könne den Lebensunterhalt in Mazar-e Sharif bestreiten, da er über Schulbildung und Arbeitserfahrung verfüge.

Im vorliegenden Fall hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass keine in der Person des BF liegenden subjektiven Umstände im Sinne einer wesentlichen Verbesserung seiner persönlichen Lage seit der Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter hervorgekommen sind.

Im Hinblick auf die Ausführung der belangten Behörde, wonach dem BF nun eine IFA in Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe, sind den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan seit Gewährung des subsidiären Schutzes keine grundlegenden Veränderungen – insbesondere bezogen auf die Sicherheitslage – zu entnehmen. Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, kann nicht von einer wesentlichen und dauerhaften Verbesserung der allgemeinen Situation in Afghanistan ausgegangen werden, sondern hat sich die Situation sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage, als auch hinsichtlich der Versorgungslage tendenziell verschlechtert. Dies gilt auch für die IFA-Lagen, insbesondere für die Lage in der Stadt Mazar-e Sharif.

Vermeint das BFA, dass der BF nun im Falle seiner Rückkehr Unterstützung in Anspruch nehmen könne, ist auch darin keine wesentliche Änderung im Vergleich zum Bescheid vom 11.09.2017 zu erkennen. Bereits im damaligen Bescheid wurde in den Feststellungen darauf hingewiesen, dass IOM und UNHCR Rückkehrer unterstütze. IOM unterstütze dabei Rückkehrer in finanzieller Hinsicht, bei der Arbeitsplatzsuche, bei Weiterbildungsmaßnahmen, bei der Organisation der Weiterreise zum endgültigen Rückkehrort. Aus den dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen ergibt sich unverändert eine Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen. Eine wesentliche Veränderung der Lage im Herkunftsstaat im Vergleich zum Bescheid vom 11.09.2017 ist im Hinblick auf – insbesondere – staatliche Unterstützungs- und Versorgungsleistungen somit nicht gegeben. Zudem geht aus der Begründung des Bescheides vom 11.09.2017 hervor, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht auf unzureichende (staatliche) Unterstützungsleistungen, sondern maßgeblich auf den Umstand eines fehlenden sozialen, familiären Netzwerks gestützt wurde.

Die belangte Behörde hielt in ihrem Bescheid vom 11.09.2017 ausdrücklich fest, dass der BF in Afghanistan über keine ausreichend sozialen Anknüpfungspunkte mehr verfüge, zumal er sein gesamtes Leben in Pakistan verbracht habe und weitere Familienangehörige im Herkunftsstaat Afghanistan nicht ausgemittelt werden konnten. Nach der rechtskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der rechtskräftigen Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter hat sich also keine Sachverhaltsänderung ergeben. Vielmehr hat das BFA auf Grundlage eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhalts eine andere Beweiswürdigung vorgenommen bzw. andere (rechtliche) Schlüsse gezogen als noch in den vorigen Bescheiden.

Wenn das BFA im angefochtenen Bescheid, bezüglich der Bestreitung des Lebensunterhalts in Mazar-e Sharif, auf Schulbildung und Berufserfahrung des BF und auf seine Gesundheit verweist, so verabsäumt es darzulegen, welche konkreten Änderungen sich zwischenzeitlich daraus ergeben haben. Bereits im Bescheid vom 11.09.2017 ging die belangte Behörde davon aus, dass der BF jung, gesund und gs. arbeitsfähig sei. Die Ausbildung des BF zum Installateur hat die belangte Behörde in ihrer Begründung für die Aberkennung des subsidiären Schutzes nicht in maßgeblicher Weise berücksichtigt. In diesem Zusammenhang wird zwar nicht verkannt, dass der BF im Vergleich, zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes, tatsächlich über neugewonnene Lebens- und Berufserfahrung verfügt, allerdings ist nicht ersichtlich welche entscheidungswesentlichen Fähigkeiten und Kenntnisse er zwischenzeitlich durch seine Erwerbstätigkeit erlangt hat, die ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkret von Vorteil wären. Die Gewährung des subsidiären Schutzes erfolgte im zugrundeliegenden Fall nicht aufgrund der fehlenden Schul- oder Berufserfahrung des BF, sondern maßgeblich deshalb, weil er über keine sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt. Eine Änderung der für die Zuerkennung des Schutzstatus maßgeblichen Umstände – im Sinne einer Verbesserung der subjektiven Lage des BF – liegt insoweit nicht vor.

Dass die vom BFA verfügte Aberkennung des Schutzstatus nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 tatsächlich nicht das Resultat einer maßgeblichen Änderung des Sachverhalts, vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat oder der Person des BF, ist, erhellt nicht zuletzt der Umstand, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichts – ihre Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht hat, es sei nicht zwingend nötig über ein familiäres Netzwerk in Afghanistan zu verfügen, um dort zumutbar leben zu können.

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass eine andere rechtliche Beurteilung oder Würdigung eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhalts nicht mit dem Wegfall oder (zumindest) der maßgeblichen Änderung jener Umstände, die zur rechtskräftigen Zuerkennung subsidiären Schutzes geführt haben, gleichzusetzen ist. Im Ergebnis hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall eine neue Begründung formuliert, mit der sie den Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt hätte, wenn sie aktuell darüber zu entscheiden hätte. Dabei hat die belangte Behörde aber übersehen, dass es über diese Frage schon eine rechtskräftige Entscheidung gibt, an die sie gebunden ist, soweit nicht ein Aufhebungsgrund nach § 9 AsylG 2005 vorliegt, was – wie oben dargelegt wurde – zu verneinen ist.

Die Änderung der Rechtsprechung zu einer Norm bietet keine rechtliche Grundlage, den Grundsatz der Rechtskraft zu durchbrechen und die Entscheidungen eines Gerichts oder einer Behörde ohne hinreichenden Grund zu beseitigen und neu zu entscheiden. Jedenfalls lässt sich weder aus § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 noch aus der Statusrichtlinie eine solche Berechtigung ableiten.

Im Übrigen wird seitens des erkennenden Gerichts zwar keineswegs verkannt, dass sich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz von gesunden, alleinstehenden, erwachsenen, männlichen afghanischen Staatsangehörigen auf Grund der höchstgerichtlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes seit dem Jahr 2016 zwischenzeitlich geändert hat. Dies kann jedoch nach Ansicht der erkennenden Richterin nicht dazu führen, dass ohne tatsächlich veränderter (im Sinne einer verbesserten) Länderberichtslage bzw. ohne maßgebliche Änderung der persönlichen Umstände des BF von nicht mehr vorliegenden Vorrausetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz iSd § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gesprochen werden kann. Zudem betonen auch die Höchstgerichte in der jüngeren Rechtsprechung nunmehr die Notwendigkeit des Vorliegens eines sozialen und familiären Netzwerks.

Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen und der Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, wonach explizit der Wegfall entscheidungsrelevanter Sachverhaltselemente vorausgesetzt wird, erweist sich der angefochtene Bescheid im Hinblick auf die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Zusammenschau mit der Aktenlage selbst als rechtswidrig.

Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 liegen sohin mangels wesentlicher und nachhaltiger Änderung der maßgeblichen Umstände gegenständlich nicht vor.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

Dem BF kommt aufgrund der Behebung des Bescheides weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 Behebung der Entscheidung Bindungswirkung ersatzlose Behebung familiäre Situation mangelnder Anknüpfungspunkt Pandemie Rechtskraftwirkung Rückkehrentscheidung behoben Sicherheitslage Verschlechterung Versorgungslage wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W193.2210395.1.00

Im RIS seit

28.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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